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Vorwort

Kapitel 1 Am Anfang

Kapitel 2 Sprache und Schenken

Kapitel 3 Reziprozitt

Kapitel 4 Definition und Tausch

Kapitel 5 Die Kategorie des Menschen

Kapitel 6 ,Marksistische" Kategorien

Kapitel 7 Die kollektive Quelle

Kapitel 8 Kastrationsneid

Kapitel 9 Is = $

Kapitel 10 Wert

Kapitel 11 Der übergang zum Tausch

Kapitel 12 Wie dem Tausch Wert geschenkt wird

Kapitel 13 Markt und Geschlecht

Kapitel 14 Zu existieren verdienen

Kapitel 15 Das Zeigen und das Patriarchat

Kapitel 16 Das Zeigen des Egos

Kapitel 17 Was reprsentiert die Demokratie?

Kapitel 18 Die nicht-maskulisierten Protagonistinnen gesellschaftlichen Wandels

Kapitel 19 Traum und Realitt

Kapitel 20 Schenken und Liebe

Kapitel 21 Vom Garten zum Gral

Kapitel 22 Kosmologische Spekulationen

Kapitel 23 Nach den Wörtern - die Theorie in der Praxis

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Kapitel 19

Traum und Realitt

Ich denke, dass unsere Trennung zwischen Bewusstsein und Unbewusstsein eine innere Widerspiegelung der Prinzipien des Tausches bzw. des Schenkens ist. (Vielleicht spiegeln sich die Prinzipien sogar in unserer Trennung zwischen rechter und linker Hirnhlfte wider.) Es fllt uns freilich schwer, dies zu sehen, da wir uns immer nur (zumindest im Wachzustand) im Rahmen des Bewusstseins selbst gegenwrtig sind und in diesem den uns auferlegten Definitionen folgen bzw. die mit ihnen zusammenhngenden self-fulfilling prophecies besttigen.

Die Geschenke der Wörter finden sich irgendwo in unseren mentalen Schubladen, jederzeit bereit herauszuspringen. Sie entsprechen den Wörtern in den Schubladen anderer Personen. In unserem Bewegen durch die Außenwelt kann alles, auf das wir treffen, auf unsere Wörter und ihre Kombinationen in Beziehung gesetzt werden. Die kommunikativen Bedürfnisse, uns in Bezug auf die Welt miteinander verbinden, werden von früheren Generationen an uns weitergegeben, gemeinsam mit den Mitteln, sie zu befriedigen. Diese Mittel sind kollektive Produkte der früheren Generationen, die wir kollektiv wie individuell zusammensetzen und verwenden können, um immer neue Wortgeschenke zu schaffen, die auf Teile unserer Welt bezogen sind und die diese in unserer Kommunikation ersetzen.

Wir schaffen unsere Subjektivitten ad hoc, gemeinsam, indem wir einander sowohl materiell als auch verbal schenken. Doch wird dieser für menschliche Entwicklung so entscheidende Prozess durch das Patriarchat eingeschrnkt. Es bleibt uns an menschlicher Gemeinsamkeit nur genug, um uns gegenseitig zu verstehen, Informationen zu vermitteln und die Egos, die wir durch Definition, Selbstdefinition und Tausch geschaffen haben, darzustellen. Unsere überlebensfhigkeit ist jedoch kein Beweis der Funktionalitt des maskulisierten Egos, sondern der Kreativitt des Schenkens und des Lebens, deren Fluss uns erfasst – trotz der leeren, selbst reflektierenden Hülle des Egos und der selbsthnlichen Gesellschaft.

Im Patriarchat wird die Gemeinschaft, die wir durch Kommunikation formen, gewöhnlich in viele einzelne Teile zerschlagen – sie wird zu einem Wunsch, einer Abstraktion, die nur in unseren Hinterköpfen am Leben bleibt (als etwas, das "htte sein können", als Ideal einer möglichen anderen Welt). Unsere Wortgeschenke werden durch Werbung und Propaganda dem Tausch unterworfen und unsere Prioritten richten sich nach seinen Bedingungen – so streben wir danach, Privilegierte zu werden, Eine mit Besitztümern, die von hierarchischen Modellen gestützt werden. Wir erkennen die kollektiven Dimensionen unserer Wörter nicht mehr und noch weniger jene unseres Lebens, da das Privateigentum, das unser Bewusstsein bestimmt, uns davon abhlt, andere als Quelle unseres Wohls wahrzunehmen bzw. als Menschen mit Bedürfnissen, derer wir uns annehmen könnten. Unsere Gedanken erscheinen als unsere eigenen, da wir von unseren Mitmenschen isoliert sind. In Wirklichkeit sind wir als Individuen nur die denkende entfremdete Gemeinschaft.

Wenn wir zur gegenseitigen materiellen Fürsorge zurückkehren könnten, wre es uns möglich, Gemeinschaft wieder auf einer strkeren, erdverbundeneren Grundlage zu formen. Dann könnten wir uns selbst und den Planeten heilen. Wir richten unsere Aufmerksamkeit jedoch nicht auf den Körper, sondern auf das Ego. Wir können sagen, dass die Egos der Reichen mit den Körpern der Armen konkurrieren. Beweise parasitren Verhaltens finden sich überall. Jedes Nukleartestgebiet, jede Mine, jede ölquelle besttigen die Zerstörung der Mutter zugunsten des Profits.

Das Teilen ist in eine mythologische Vergangenheit (oder eine kindliche Glückseligkeit) verdrngt worden. Höchstens taucht es hin und wieder als Nebenprodukt unserer egozentrischen Aktivitten auf. Es wurde zum kollektiven Unbewusstsein, whrend das Bewusstsein als gemeinsames Wissen (con-sciousness) in unserer Gesellschaft weitgehend auf Definition und Tausch beruht. Vielleicht ist es nicht Persephone, Tochter der Demeter, die die wichtigste mythologische Figur ist, wenn es um den Verlust der Mutter geht. Vielleicht ist diese Figur Hades, Sohn der Gaia, der Bube, der zum Gott der Unterwelt wurde.

 

Das Wissen des Herzens

Unsere Herzen pumpen unser Blut, um unsere Zellen mit Sauerstoff und Nahrung zu versorgen. Wenn das Blut erschöpft ist, kommt es zum Herzen zurück, um gepflegt zu werden. Dies ist ein physiologischer Archetyp, dem wir im Tauschprinzip nicht folgen können. Nachdem das Schenkprinzip ins Unbewusste verbannt wurde, verstehen wir als Individuen nicht mehr, woher unsere Ideen kommen – oft scheint es, als kmen sie von nirgendwo, einer gnzlich unbekannten Quelle, und so nennen wir diese dann das "Selbst", die "Einbildung" oder "Gott".

Menschen sind im Grunde voll von Liebe. Unsere patriarchalen Strukturen und die Logik des Tausches entstellen diese Liebe jedoch. Das Teilen und die Fürsorge, die wir in der ursprünglichen Mutter-Kind-Beziehung erfahren, sind oft die einzigen Erfahrungen freier Liebe, die wir machen, und diese Erfahrungen begleiten uns für den Rest des Lebens. Das ist ein Teil des Grundes, warum unsere frühe Kindheit so wichtig für unsere Psyche ist. Den Rest unseres Lebens haben wir oft nur mit verschiedenen Entstellungen und Blockaden der Liebe zu tun. Unsere Nostalgie für unsere Kindheit, sogar für den Mutterbauch, ist damit die Sehnsucht nach einem ursprünglichen Zustand des Glücks, der niemals zurückgekehrt ist, da die sozialen und ökonomischen Strukturen das nicht erlauben. Wir bestehen darauf, unser Leben alleine zu bestreiten, whrend wir letztlich nichts anderes als eine Masse von Babys sind, die darum gefleht haben, berührt, gefüttert, gestreichelt und gepflegt zu werden.

Die freie Zirkulation des Blutes zwischen der Mutter und dem Kind im Mutterbauch ist das natürliche Paradigma einer gesunden Gesellschaft. Es ist das Modell einer Leben spendenden Kollaboration, in der beide Herzen dasselbe Blut pumpen und Lebensstoffe teilen. Wie der Wind, der Luft von Hochdruckgebieten zu Tiefdruckgebieten bewegt, luft gesunde soziale Zirkulation von denen, die mehr haben, zu denen, die weniger haben. Sobald das Kind geboren ist, Luft in seine bedürftigen Lungen zieht und damit seine wechselseitige Beziehung mit der Welt beginnt, nimmt es soviel es kann vom überfluss der Welt auf und schenkt ihr einen neuen Menschen, sowie die Freude der ihm Nahestehenden, seine Körperlichkeit, seine Trume.

Die wechselseitige Beziehung des Mutterbauchs setzt sich auf einer neuen Ebene fort. Nachdem sie zuvor innerhalb eines Körpers stattgefunden hat, findet sie nun zwischen zwei Körpern statt. Zwar pumpen die Herzen nicht mehr lnger dasselbe Blut, doch wird nun anderes geteilt: Lachen, Sprache, Bewegungen, Gesten. Bedürfnisse werden mit Gütern und Diensten befriedigt. Das Kind empfngt kreativ und sein Wesen wie sein Herz sind auf Andere ausgerichtet. Es ist ein Subjekt, das sowohl Aufmerksamkeit auf sich zieht als auch anderen Aufmerksamkeit schenkt. Milch fließt zum bedürftigen Magen durch den aktiv empfangenden Mund. Sie wird nicht zurückgewiesen. Es gibt keine Erpressung, Bestechung oder Bezahlung. Es handelt sich nicht um Tausch, sondern um Schenken.

So wie zwischen Synapsen Impulse nicht durch direkten Kontakt, sondern anhand eines Mediums vermittelt werden, so wird das Leben auf vielfltige Weise von der Mutter zum Kind und vom Kind zur Mutter (und anderen Menschen, die es lieben) vermittelt. Mutter und Kind sind glücklich mit der Freiheit ihres Schenkens. Ihnen ist ihre gegenseitige Abhngigkeit, die mit dieser Wechselseitigkeit einhergeht, nicht peinlich, genauso wenig wie uns die Abhngigkeit von der Luft peinlich ist, die mit dem Bedarf der Atmung einhergeht. Mutter und Kind befinden sich in einer Beziehung des freien, wechselseitigen Schenkens, in der sie einander erfreuen, berühren und ihre Zeit außerhalb des Mutterbauchs teilen können.

Heute ist uns Abhngigkeit und das Bedürfnis, beschenkt zu werden, einerseits peinlich – andererseits würden wir alles tun, um permanent beschenkt zu werden. Dieser Widerspruch baut einerseits immer höhere Mauern zur Abwehr des Schenkprinzips auf, schafft andererseits jedoch eine gewisse Flexibilitt bzw. Orte, an denen wir den Druck ablassen können, der sich in uns aufbaut, da wir nicht haben können, was wir wirklich brauchen. Trotzdem versuchen wir letztendlich, uns soviel wie möglich anzueignen, damit das, was wir haben, als "frei" erscheint – und zwar nur für uns, nicht für andere. Wir sind hier auf uns selbst fixiert, da wir das Empfangen freier Geschenke nur mit den Erfahrungen verknüpfen können, die wir mit unserer Muter gemacht haben. Spter lernen wir, dass die Welt anderen Regeln gehorcht. Dies legt für viele von uns den Schluss nahe, dass niemand außer uns selbst das Bedürfnis hat (oder jemals hatte), freie Fürsorge zu erfahren.

Das freie Geben von denen, die schenken können, zu denen, die bedürftig sind, bzw. allgemein gesagt: die Fhigkeiten, zu fragen, zu empfangen, zu schenken, bilden die Grundlage des frei zirkulierenden Lebensflusses. Das Bewusstsein der verschiedenen Dinge, die geschenkt und empfangen werden, wird als Wahrnehmung und Sprache geteilt, wann immer ein Geschenk von einer Person an eine andere gereicht wird, von der Natur zu den Menschen oder von den Menschen zu der Natur. Dies schafft ein neues Bewusstsein der Natur, eine Evolution, ein neues geteiltes Leben des Lebens.

Leben zu schenken und zu empfangen ist nicht auf die Befruchtung, die Schwangerschaft oder das Gebren beschrnkt. Es ereignet sich vielmehr im Akt der Bedürfnisbefriedigung. Indem sich der Tausch jedoch zwischen die Schenkenden und die Beschenkten gerückt hat – zwischen die Schenkenden und das Geschenk wie zwischen die Empfangenden und das Geschenk – hat er die Synapsen verwirrt. Die Prozesse des Gebens werden manipuliert, sie sind nicht mehr frei. Leben wird nicht lnger intelligent geschenkt und empfangen, sondern unser zwischenmenschlicher Kontakt von der Maskulisierung bestimmt. Vor kurzem wurde dem ersten Mann, der schwanger werden würde, ein Preis angeboten – Schenken und Empfangen wird außerhalb des Mutterbauchs unentwegt ausgebeutet und lcherlich gemacht.

 

Unser gemeinsamer Traum

Urteile in Bezug auf Realitt und Nicht-Realitt (bzw. auf Wachen und Traum) sind davon abhngig, ob die Tauschform und die maskulisierten Kategoriebeziehungen bereits wirksam sind oder nicht. Im Trumen erforschen wir unsere synkretistischen Beziehungen, befreien Prototypen von deren phallischer Besetzung und befriedigen unsere Bedürfnisse danach, zu verstehen, symbolisch. Dies geschieht nicht in Form eines Eines-Eines- oder Eines-Viele-Modells, sondern in Form einer überdeterminierung, in der ein Bild eine Reihe verschiedener und anscheinend nicht aufeinander bezogener Themen, Gegenstnde oder Ereignisse reprsentiert. Komplexe und Synkretismen[1] verschiedener Arten erlauben Assoziationen, zu denen es niemals innerhalb unseres hierarchischen Klassifikationssystems (und sozialen Klassensystems) kommen würde.

Im Traum müssen unsere Bilder keinen Regeln entsprechen oder sich auf Prototypen oder Wörter beziehen. Wir brauchen im Traum keine soziale Besttigung für unsere Bilder, um uns im Leben zurechtfinden zu können. Sobald sie auftauchen, sind die Bilder des Traumes frei – auch um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Die Bilder sind subjektiv und mögen sogar manchmal ein "Ich zuerst!" implizieren, doch reproduzieren sie nie die Hegemonie des maskulisierten Egos. Im Traum werden unsere Bedürfnisse gemß des Lustprinzips befriedigt, ohne dass wir für ihre Befriedigung arbeiten müssten. Unsere wirklichen Bedürfnisse werden symbolisiert, unsere Intuitionen nehmen sich ihrer an. Wirkliche Hilfe wird geleistet. Im Traum behandeln wir uns selbst so, als würden wir in einer Schenkökonomie leben. Der Grund, warum das Trumen so subjektiv ist und auf dem Wunschdenken beruht, liegt darin, dass die Außenwelt vom Tausch eingenommen wurde. Autoritre TherapeutInnen mögen auf den "regressiven" und "infantilen" Charakter des Traumes herabblicken, aber warum sollten wir ihn nicht anders sehen: nmlich als utopisch und mütterlich? Das Trumen scheint die Befriedigung der kommunikativen Bedürfnisse auf einer individuellen Ebene zu sein. Wenn wir unsere kommunikativen Bedürfnisse kollektiv befriedigen können, können wir alle unsere Trume leben.

Wenn wir aus einem Traum aufwachen, setzt mit der kognitiven Anforderung der Eines-Viele-Struktur ein epistemologisches Urteil ein. Struktur und Urteil stützen sich dann gegenseitig. Wir wundern uns, wie dumm unsere Trume waren, werten unser synkretistisches Denken ab und besttigen damit das Denken des Einen und der Vielen. Dies führt uns dazu, unsere Trume zu verleugnen, zu vergessen und als etwas zu sehen, dessen Wert weit unter unseren Erlebnissen whrend des Wachens liegt. Vielleicht tun wir dies deshalb, da unsere Erinnerungsstrategien Mustern des Einen und der Vielen folgen. Kinder gehören synkretistisch in die Kategorie der Trume – sie sind "dumm", "irrational", "nicht-phallisch". Auch Frauen und Wünsche werden oft der Unterwelt der Trume zugerechnet.

Indem wir das kategorische Denken in unserer Gesellschaft insgesamt überbewerten und phallisch besetzen und es in die institutionellen Strukturen projizieren, haben wir kollektiv eine Realitt geschaffen, die sich von unseren Trumen unterscheidet und diesen (dieser Art des Denkens) feindlich gegenübersteht. Indem wir die Wirklichkeit unseres Wach-Seins jedes Mal besttigen, wenn wir aufwachen, werten wir die Wirklichkeit unserer Trume und die vielen nicht-phallischen Aspekte der wachen Welt ab. Jedes Mal, wenn wir aufwachen, reproduzieren wir damit unwissentlich Herrschaft, Misogynie und die Abwertung der Kinder, der Natur und des Schenkens, indem wir uns sagen: "Das war nicht wirklich – das hier ist wirklich!"

Egal, was sie sonst noch tun, eines tun Trume immer: sie befriedigen ein Bedürfnis, das von allen geteilt wird. Sie schaffen damit eine Alternative – ziemlich auf die gleiche Weise, auf die der Kommunismus eine Alternative zum Kapitalismus schuf. Trume tun dies, indem sie uns sagen, dass die vermeintlich "wirkliche" Welt nicht die einzige Welt ist, und dass das maskulisierte, phallisch besetzte, kategorische Denken nicht die einzige Art des Denkens ist. Wenn das Trumen gemß unmaskulisierter Schenkprozesse funktioniert, ist es ein Schlüssel zu einer besseren Welt – so wie es die Sprache oder die Mütterlichkeit sind. Der gemeinsame Traum der Menschheit ist eine Welt, die kommen wird. Die Aufforderung an die Menschheit, "aufzuwachen", ist falsch. Anstelle dessen müssen wir die Realitt unseren Trumen angleichen.[2]

 

Die Auferlegung der Realitt.

Die Sprache spricht zu uns, und wenn wir richtig hinhören, wird uns klar, dass sich einiges, das wir verdrngt haben, in unserem kollektiven Unbewusstsein finden lsst. Ich glaube, dass die Sprache voller Hinweise ist, was die Themen betrifft, die wir besprochen haben: die maskulisierte Kategorie, den Tausch, die Hierarchien und das Schenken. Auch die Wörter, die wir auf dieser Seite verwenden, sind Schlüssel entlang der königlichen Straße zur Entdeckung der Natur der Realitt. (Das Spanische real bedeutet königlich.) Was uns diese Schlüssel mitteilen, ist, dass wir nicht auf der königlichen Straße alleine dorthin gelangen. Wir müssen uns auf einem anderen Wege nhern.

Königtum oder "Sachtum" (lateinisch rex = König, res = Sache)[3] offenbart den Eines-Viele-Charakter dessen, was wir Realitt schreiben könnten. Das Sprachspiel gab es bereits im Lateinischen. Es verweist auf selbsthnliche Herrschaftsmuster im Realen, außerhalb des Saatkorns des Schenkens. Das Ego ist der König dieser Realitt und ihrer Struktur, whrend das schenkende Selbst ausgeschlossen bleibt. Ursprünglich kommt die Realitt – als unser gemeinsamer Grund – vom Schenken. Doch ist sie vom phallischen, kapitalistischen Kategoriedenken eingenommen worden.

Das Denken auf Kategorien aufzubauen, wertet Differenzen ab – oder macht sie zum Anlass, neue Kategorien zu formen. "Welcher Kategorie gehörst du an?" scheint die wichtigste aller Fragen zu sein. Unsere Bedürfnisse sind so uninteressant wie wir selbst, wie das Glitzern in unseren Augen. Das einzige was zhlt, ist, ob wir dem Modell bzw. dem Prototypen entsprechen, ob wir zur Kategorie der "Schönen" gehören, der "Verdienenden", der "Erfolgreichen".

Ist die Besttigung maskulisierter Realitt die Anerkennung eines ußeren Gegebenen oder die Auferlegung eines Geschenks, das wir erhalten müssen? Vielleicht fühlen wir uns aufgrund des Tauschprinzips verpflichtet, der Realitt etwas zurückzugeben? Zum Beispiel Anerkennung (re-cognition). Diese Realitt befriedigt unsere manipulierten kollektiven Bedürfnisse, ignoriert jedoch unsere ursprünglichen, "un-realistischen" individuellen Bedürfnisse. Was sind die Konsequenzen, wenn wir dieses Geschenk der Realitt nicht annehmen? Ausschluss? Verrücktheit? Und was sind die Konsequenzen, es doch anzunehmen? Geben wir die Wahrheiten unserer subjektiven Perspektive auf für die kollektive maskulisierte Perspektive, nur damit wir nicht aus den Kategorien des Menschlichen und Vernünftigen ausgeschlossen werden? Wenn wir die Realitt verweigern, sind wir dann undankbar, eigensinnig, "zügellos", wie ein Psychiater einmal psychisch Kranke nannte? Wenn wir verrückt werden, verschieben wir unser Realittsurteil vielleicht nur von einer kollektiv vermittelten auf eine subjektive Ebene. Wir tun das, weil wir alle walking wounded[4] sind.

 

Eine eigensinnige kollektive Perspektive

Realitt gemeinsam zu bestimmen, ist eine kollektive Wertzuschreibung. Als solche ist sie wahrscheinlich für uns alle funktionaler als es rein subjektive Zuschreibungen wren. Wenn wir Güte als Prinzip einfordern oder uns eine bessere Welt wünschen oder als "nicht realistisch" eingeschtzt werden, dann appellieren wir an eine kollektive Qualitts- oder Wertzuschreibung, die zumindest einen gewissen Grad an Funktionalitt versichert und an die sich Einzelne wie die Gemeinschaft anpassen können. Diese Anpassung geschieht angeblich in unserem besten Interesse. Uns wird zu verstehen gegeben, dass wir uns an das kollektive Urteil anpassen und nichts ndern oder anderes wünschen sollen.

Aber warum soll diese Perspektive weniger eigensinnig sein? Es wird unterschieden zwischen dem Selbst und dem Kollektiv, und was nicht kollektiv ist, gilt als egoistisch. Aber das Ego ist selbst ein kollektives Produkt und es gibt viele kollektive Mechanismen und Werte, die es strken. Es entspricht außerdem den verallgemeinerten Egos der Gruppen, denen es angehört – zum Beispiel der Rasse, der Klasse, der Religion oder der Nation.

Das Ego hngt davon ab, dass seinem Inneren Wert und Realitt zugeschrieben wird. Dadurch wird dieses Innere besttigt – vor allem im Falle erfolgreicher maskulisierter Mnner. Ausgeführt werden diese Prozesse von den selbsthnlichen Strukturen der Gesellschaft. Das privilegierte Eine, der Prozess des Tausches und die Verleugnung des Schenkens sind als Institutionen, die auf Maskulisierung, Geld und der phallisch besetzten Kategorie beruhen, soziale Mechanismen, die dem individuellen Ego kollektiv Wert zuschreiben.

Das Ego und der Egoismus können in diesem Sinne als eine kollektive Haltung gesehen werden, whrend die subjektive Haltung mehr schenkend und auf Andere ausgerichtet ist. Doch warum setzen wir die trennende Linie zwischen Individuum und Gruppe nicht woanders an und besttigen eine andere Art von Ego und Schenken? Damit ließe sich auch eine andere Art von Gemeinschaft schaffen.

Um zu erkennen, dass die Trennung an der falschen Stelle geschieht, brauchen wir vielleicht eine dreidimensionale Perspektive. Wenn wir verstehen, dass unser Selbstverstndnis von dem sozialen Geschenk geprgt ist, das die Sprache ist, sowie von den Geschenken des Lebens, dann würden wir vielleicht aufhören, uns eine polare Opposition zwischen Individuum und Gruppe vorzustellen, zwischen dem Ich und den Anderen. Diese nderung unserer Sichtweise würde uns erlauben, die Trennung zwischen subjektiv und objektiv, unbewusst und bewusst, Traum und Realitt, anders zu sehen.

Gegenwrtige Realitt wird von einer maskulisierten Gemeinschaft besttigt und definiert. Diese Gemeinschaftsform wurde manipulativ konstruiert und ihre Definition des Realen ist Teil dieser Konstruktion. Die Bestimmung der Realitt ist eine Meta-Nachricht, die dazu dient, den patriarchalen Status quo zu stützen. Deshalb erscheint sie als organisierte Bösartigkeit, die auf der angeblichen "Grausamkeit der menschlichen Natur" beruht. Alles ist möglich, weil wir der Meta-Behauptung Glauben schenken, dass "Menschen einfach so sind".

Das Individuum schreibt Teilen seiner Erfahrung einen Realittswert zu und macht diese Zuschreibung bestndig. Aber unsere gegenwrtige Realitt schenkt nicht. Das Schenkprinzip ist nicht Teil von ihr. Das Schenken in der materiellen Welt wird falsch verstanden, und das innere Schenken wird nicht gesehen und verleugnet. Manchmal können wir trotz Mangels und zuviel Arbeit die schenkende Seite der Natur und der Anderen erfahren – doch für viele Menschen kommt es dazu nie.

All dies hat den Effekt, unserem inneren Schenken nicht zu erlauben, einen Korrespondenten in der Realitt zu haben, auch wenn vielleicht unsere Bemühungen, andere dazu zu bringen, uns zu schenken, als missglückte Versuche gesehen werden können, die Realitt dazu zu bringen, unsere Schenkidentitt im Inneren zu reflektieren. (Vielleicht fassen wir selbst unseren inneren Schenkenden als einen Anderen auf?) Nachdem wir den Tausch besttigt und die Mutter in eine andere Kategorie gestellt haben, scheint es nur richtig und angemessen, dass andere uns schenken.

Wenn wir die Ausbeuter mit Mitgefühl betrachten, mögen wir ihnen zugestehen, dass sie von der Realitt der stndigen Bedrohung des Mangels überzeugt sind. Wir mögen ihnen zugestehen, dass sie andere deshalb zum Schenken zwingen, weil sie glauben, nur so ihr eigenes überleben sichern zu können. Ihr parasitrer Charakter wre dann eine Folge davon, dass sie innerhalb des von ihnen geschaffenen Mangels wenigstens ihre eigene Versorgung sicherstellen wollen. Vielleicht versuchen sie einfach, die Realitt zu ihrer eigenen Mutter zu machen? Ist dies der heimliche Grund der kapitalistischen Gier? Ist jeder Ausbeuter eigentlich nur ein kleines Kind, das an der Realititte (reali-titty) saugt?

Wenn sie glauben, dass sie verdienen, mehr als andere zu haben, da sie mehr produzieren oder strker oder intelligenter sind, dann etablieren Ausbeuter den Tausch und löschen das Schenken aus. Gleichzeitig trachten sie, paradoxerweise, danach, beschenkt zu werden. Niemand kann die Realitt zu seiner Mutter machen, außer wenn wir das Schenkprinzip für alle restaurieren. Die Realitt ist ein kollektives Konstrukt, und wenn wir sie kollektiv auf eine Weise konstruieren, die nur Einen oder Wenige auf Kosten der Vielen versorgt, dann zerstören wir diesen kollektiven Charakter und damit jede Form von Gemeinschaft. Wir müssen unser Schenken im Inneren mit dem Schenken in der Außenwelt in Einklang bringen. Dies wird sowohl das Individuum als auch die Gemeinschaft befreien. In der Zwischenzeit kann uns das Wiederherstellen unserer Verbindung mit der Natur helfen, eine ökologische Nische für unseren inneren Schenkenden außerhalb unser selbst zu finden. Wir müssen uns um die Natur kümmern und ihr wieder ihre ursprüngliche schenkende Kraft verleihen. Dann können wir uns auch wieder mit ihr verbinden.

Der Tausch ist tatschlich eine Manipulation dessen, was die Lösung für unser Problem wre: inneres wie ußeres Schenken. Der Tausch verlangt, dass alle die Ego-Orientiertheit zum obersten Prinzip erheben. Jeder "gibt" zwar etwas – aber etwas, das kein Geschenk ist, etwas, das nicht der Befriedigung der Bedürfnisse der anderen dient.

Die schenkenden Dimensionen der Anderen, der Natur oder der Realitt werden falsch verstanden und als faire oder gerechte Korrespondenz zwischen einem Mehr an Geben und einem Mehr an Erhalten interpretiert. Die Realitt scheint dann nicht zu schenken, sondern nur auf einen Tausch zu antworten. Da das Schenken nicht der Realitt entspricht, spiegelt sich diese Manipulation in uns selbst wider. Die Lösung ist kollektives Schenken, kollektiver Altruismus. Geld kann als das kollektive Produkt verwendet werden, um mit diesem Prozess zu beginnen.

 

Trume werden wahr, innen wie außen

Wenn Trumen der Schenkweise entspricht, trumt die Spinnenfrau wirklich die Welt, wie Paula Gunn Allen sagt.[5] Aber maskulisierte Realitt ist ein kollektiver Alptraum, ein kollektives Geschenk, um alle Geschenke zu beenden, da es das Schenken begrenzt und in den Tausch assimiliert. Ein Großteil der Menschheit schenkt seine Energie unbewusst der maskulisierten Realitt. Um eine andere Realitt zu schaffen, müssen wir uns kollektiv eine andere ertrumen und unsere Energien dazu verwenden, diese zu etablieren und somit unsere Trume wahr werden zu lassen – anstelle unserer Alptrume. Wenn es mehr Schenken in der Realitt gbe, würde auch unser inneres Schenkempfinden, sowie unsere Kreativitt und Liebe, bestrkt werden.

Künstlerisches Schaffen ist reales Schenken und Brücke hin zu einer besseren Welt, da das Medium des Geschenks selbst ein Geschenk ist, das sthetische Bedürfnisse schafft und befriedigt. Zum Beispiel ist das Singen ein Geschenk an die Zuhörenden, und das Medium, die Stimme, befriedigt ein Bedürfnis (ein Potential) in uns selbst nach schönen, Lust spendenden Lauten, Rhythmen und Harmonien. Gleichzeitig befriedigen die gesungenen Wörter kommunikative Bedürfnisse. hnliches gilt für die visuelle Kunst. Die Farben, Formen und Materialien können lustvolle Sinneserlebnisse schaffen, was auch immer der Gegenstand oder das Thema des Kunstwerks sein mag. Obwohl viele Arten der Kunst gekauft und verkauft werden können, behalten sie alle eine freie bedürfnisbefriedigende Seite. Darin liegt der kommunikative Aspekt der Kunst. Es gibt keinen Tausch zwischen dem Ohr und der Musik, zwischen dem Auge und dem Bild, selbst wenn wir oft viel für das Zuhören oder Betrachten bezahlen müssen. Es ist das Kunstwerk selbst, das schenkt, und die kreative Gabe der Kunstschaffenden liegt in der Fhigkeit, ein solches schenkendes Kunstwerk zu gestalten.[6] (Wir haben oben gesagt, dass wir nicht mit dem Anthropologen Lévi-Strauss übereinstimmen, wenn er die Rolle der Frauen im Frauentausch als die von Gütern oder Nachrichten interpretiert, die zwischen Verwandtschaftsgruppen getauscht werden – vielmehr sollten die Frauen als Quellen von Geschenken verstanden werden, als "Geschenke, die schenken".) Zahlreiche Arten von Tauschaktivitten verhalten sich parasitr zur Kunst, genauso wie zu anderen Quellen des Schenkens.

Selbst wenn die Kunst das Schenken bis zu einem gewissen Grade in der ußeren Welt restauriert, reicht das nicht, um das ausgelöschte Modell wiederherzustellen. Vorerst bleibt das Schenken in das Reich der Trume und des Unbewussten, in das Reich der Kunst, der Geschichten und der Mythen verbannt. Leider können Geschichten auch dazu dienen, Kinder mittels der Befriedigung kommunikativer Bedürfnisse sanft in die Welt des Tausches einzuführen. Geschichten lehren Kinder die Transitivitt von Dingen – sie zeigen ihnen, wie etwas zu etwas anderem führen kann, wie die Befriedigung eines Bedürfnisses ein weiteres schafft, wie eine Handlung in einer anderen resultiert. Handeln kann freilich auch als Schenken gesehen werden, wie die Tatsache, dass die Befriedigung eines Bedürfnisses ein neues schaffen kann: wenn das Baby gegessen hat, muss es sich schlafen legen oder nach draußen zum Spielen gehen; gleichzeitig muss die Mutter aufrumen, sich ausruhen, oder zur Arbeit zurückkehren.

Die Wenn-Dann-Struktur beinhaltet ein Geschenk, das auf eine Konsequenz verweist: "Wenn du deinen Finger ins Feuer hltst, wirst du dich brennen!" Wenn dies mit sozialer Belohnung und Strafe belegt wird, wird die Transitivitt des Geschenks zur logischen Konsequenz des Tausches. Wenn-dann wird zu: "Tu dies und erhalte jenes!". Es sieht nunmehr so aus, als würde die Realitt dem Kind das geben, das es "verdient". Verdiente Aschenputtel zum Ball zu gehen und den Prinzen zu heiraten, weil sie so hart arbeitete? Verdiente Rotkppchen es, vom Wolf gegessen zu werden, weil sie ihrer Mutter nicht gehorcht hatte? In diesen Geschichten wird eine Tauschbeziehung zwischen den Figuren und der Realitt geschaffen. Kinder lernen, ihr Verhalten gemß der Tauschform auszubilden.

Was ist der Preis, den wir dafür zahlen, nicht zu schenken? Und was wren die Belohnungen, wenn wir schenken würden? In den Mrchen scheint der Tausch ausgewogen. Wenn Kinder anfangen zu tauschen, entspricht dies ihren Moralvorstellungen.[7] Sie zum Gehorchen zu bringen bzw. ein System von Belohnungen und Strafen einzuführen, führt sie weg von der Schenkweise, die sie im Kontakt mir ihren Müttern gelernt haben, und bereitet sie auf den Tausch der Realitt vor. Geschichten befriedigen die Bedürfnisse von Kindern, durch Kommunikation behutsam in eine Welt eingeführt zu werden, die ihr aufgrund des Tauschs fremd ist.

Es ist wahr: Wir haben als Kinder ein Bedürfnis, dass uns gelehrt wird, uns an die Realitt anzupassen. Doch existiert dies nur, da die Realitt eine manipulierte Realitt ist. Die Notwendigkeit (und damit das Bedürfnis), sich anzupassen, wird von einer Umwelt auferlegt, die künstlich und vom Tauschprinzip besetzt ist. Unsere Sozialisierung wird einer Evolution gleich, die sich an unserer Funktionsfhigkeit im System orientiert und eine Anpassung an die Rollen des Habens und Nicht-Habens verlangt, und zwar auf allen Ebenen. Wenn jenes Prinzip unser Leben leiten würde, das tatschlich für das Wohl der Menschen und des Planeten steht, müsste uns das Schenken und Empfangen nicht explizit gelehrt werden – wir würden es einfach durch Erfahrung selbst lernen, und zwar auf die gleiche Weise, auf die wir durch unser Wahrnehmungsvermögen lernen, uns zu bewegen und (zumindest zum größten Teil) zu sprechen.

Wenn wir Kindern lehren zu gehorchen, besetzen wir Informationen wie: "Wenn du deinen Finger ins Feuer gibst, brennst du dich!", mit Mustern von Herrschaft und Gehorsam bzw. mit den Tauschaspekten von Belohnung und Strafe. An sich rein informativ, wird ein solcher Satz plötzlich dazu verwendet, elterliche Diktatur zu etablieren und zu besttigen, genauso wie: "Wenn du nicht aufisst, darfst du nicht spielen gehen!" Diese Drohungen funktionieren gemß des Tauschmodus. Sie geben unseren Handlungen einen Preis im Sinne ihrer Konsequenzen. "Du hast nicht gehorcht! Du hast drei Tage Hausarrest!" Der Autoritarismus der Eltern ist nicht nur eine Reproduktion ihrer eigenen Kindheit und ihrer eigenen Beziehung zu ihren Eltern, sondern sie richten sich auch gegen ihr eigenes schenkendes und empfangendes inneres Kind. Mit ihrer Praxis der Notengebung dehnen unsere Schulen diese Belohnungs- und Strafprozesse auf quantitativ messbare Mengen erlernten "Wissens" aus.

 

Die Irokesen und der weiße Mann

Wenn Frauen Frauen unterstützen, oder Fürsorgende Fürsorgende versorgen, findet eine Transitivitt des Schenkens statt. Die Ware wird weiter und weiter gereicht und die Empfangenden empfangen von vielen und schenken an viele. Wenn dies als Prinzip verfolgt wird, sind Menschen sich dessen bewusst und die Realitt ist von solchen Handlungen gekennzeichnet. Wobei: Wenn das Schenkprinzip unser Leben wirklich bestimmen und wir es bewusst praktizieren würden, müssten wir nicht über es als Prinzip nachdenken. Es wre uns möglich, flexibler zu sein, zu experimentieren und auf einer Fall-zu-Fall-Basis zu arbeiten. Wenn wir es nützlich finden würden, könnten wir dann vielleicht sogar manchmal tauschen, ohne ein Risiko einzugehen, da die Realitt als Ganze auf dem Schenken beruhen würde. Indianische Stmme, die von Frauen geführt wurden, wie jener der Irokesen, schufen alternative Schenkrealitten dieser Art. Das Leben beruhte auf dem Schenken, obwohl Tausch – zumindest symbolischer Tausch – bis zu einem gewissen Grade praktiziert und manchmal sogar Kriege geführt wurden.

Die Werte der Schenkökonomie bedrohen die Tauschökonomie, und ich glaube, dass das der Grund für die Unbarmherzigkeit des weißen Mannes gegenüber den amerikanischen UreinwohnerInnen war. Der weiße Mann hatte auch eine Mutter. Er lernte, sie in den Hexenverbrennungen zu töten. Dabei tötete er jedoch auch sich selbst bzw. seine innere Mutter. Es gibt kein Geschlecht. Menschen werden alle dem Schenken gemß geformt. Indem er seine europische Mutter schlachtete und versklavte, beraubte sich der weiße Mann selbst seines menschlichen Potentials. Indem er seine Heimat verließ und die Amerikas eroberte ("penetrierte"), verlor der weiße Mann seine Menschlichkeit. Er folgte rein seinem falschen, maskulisierten Herrschaftsideal. Er fand mütterliche Gesellschaften, beutete sie aus und initiierte einen Genozid. Was er als zivilisiert ansah, waren das Ego und der Tausch mit seiner leeren definitorischen Logik.

Doch auch der weiße Mann hat ein Herz. Er lebte im Bauch seiner Mutter. Er wurde von ihr versorgt, erhielt ihre Geschenke und schenkte ihr seine eigenen. Was er nicht verstand, war, dass alle Mnner und Frauen denselben Traum teilen; dass sie dieselbe Art zu trumen und zu sprechen haben. Unsere Sprache ist eine gemeinsame; sie geht über die Kommunikation materieller Geschenke hinaus (obwohl diese Kommunikation enorm wichtig ist): sie ist die Kommunikation verbaler Geschenke. Welche die spezifischen Laut-Geschenke sind, die wir einander schenken, ist dabei zweitrangig. Was zhlt, ist, dass wir sie einander schenken. Der Turm zu Babel ist nur das phallische Symbol der Maskulisierung, die uns nicht zu sehen erlaubt, dass alle unsere Sprachen und unser Leben der Mutter und der Mütterlichkeit entstammen. Wenn wir die Maskulisierung aufgeben und zur Mutter und dem Kind in uns selbst zurückkehren, dann können wir auch dem Trumen wieder seine Bedeutung zukommen lassen.

 

Von der Realitt zur Göttin Rhealitt[8]

Schenken und Tauschen sind auf der Ebene der ökonomischen Realitt aneinander gekoppelt. Dies schafft viele Hindernisse auf dem Weg, effektive Arbeit für den sozialen Wandel bzw. die Rückkehr zum Schenkprinzip zu leisten. Vor allem, da das Ziel des sozialen Wandels oft missverstanden wird und Menschen meinen, es ginge darum, alle in die Tauschökonomie zu integrieren. Doch dies kann niemals das Ziel sein, alleine schone deshalb nicht, weil die Integration aller in die Tauschökonomie unmöglich ist: die Tauschökonomie kann nur auf der Basis eines Ausschlusses funktionieren, da der Markt auf die Geschenke Ausgeschlossener angewiesen ist.

Es gibt viele Gruppen, die vom kapitalistischen Marktsystem ausgeschlossen sind. Ihre Produkte haben keinen Zugang zum Markt oder sind dort nicht konkurrenzfhig. Das Kunsthandwerk von indigenen Völkern zum Beispiel findet normalerweise keinen Platz am Markt, obwohl es von hoher Qualitt ist. Um seinen Platz zu finden, bedarf es der "Hilfe" ausbeuterischer Mittelsmnner.

Es gibt gegenwrtig relativ viele Projekte, die indigenen KunsthandwerkerInnen helfen, ihre Produkte ohne die Ausbeutung durch Mittelsmnner auf den Markt zu bringen. Diese Projekte werden von Menschen mit guten Absichten geleitet. Sie suchen um Gelder von Stiftungen oder anderen Organisationen an. Ihr Ziel ist, das indigene Kunsthandwerk zu gleichem "Wert" wie Mainstream-Produkte anbieten zu können ("gleicher Tausch"). Der Widerspruch hier liegt darin, dass das Ziel in einer Integration in die ökonomie zu liegen scheint, die diese Gruppen seit je her ausschließt und ausbeutet. Es können in diesem System nie alle den Privilegierten gleich werden, und diejenigen, denen dies gelingt, gelingt dies nur über die Ausbeutung anderer. Es mag möglich sein, dass im Rahmen der erwhnten Projekte die Notwendigkeit der Ausbeutung eine Zeitlang aufgehoben wird, da Förderungsgelder anstelle erzwungener Geschenke zur Verfügung stehen, doch bleibt das Ziel der Unabhngigkeit eine Illusion. Der Kapitalismus kann ohne den Fluss versteckter Geschenke nicht funktionieren. "Unabhngigkeit" meint meist nichts anderes als effektive Abhngigkeit vom Markt. Frauen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, um unabhngig zu sein, sehen sich mit demselben Problem konfrontiert.

Die Produktion indianischen Schmucks in Hongkong verdeutlicht, was ich meine. Internationale Ausbeutung produziert billigere, konkurrenzfhigere, "gleichere" Produkte als dies Projekte sozialer Gerechtigkeit oder Unabhngigkeit je tun könnten. Dies zeigt sich schon alleine im "Geschenkquotienten", der durch die ausbeuterische Beziehung zwischen Nationen geschaffen wird (diese Beziehung schafft auch den Unterschied in deren Lebensstandards) bzw. über das Geschenk der ausgebeuteten Arbeit an die multinationalen Konzerne. Noch einmal, es ist eine Illusion, dass Gruppen außerhalb des Mainstreams nur erfolgreich sein können, wenn ihre Produkte konkurrenzfhig sind. "Gut genug" sein, "gleich" sein, "auf demselben Niveau" sein, bedarf immer der Ausbeutung der Geschenke anderer.

Wenn sie ein neues Produkt produzieren oder einen neuen Markt entdecken, kann es Menschen, die sich außerhalb der kapitalistischen ökonomie befinden, vielleicht gelingen, in diese einzutreten und erfolgreich zu sein. Vielleicht mag sich dies in manchen Aspekten sogar positiv auf ihre Gemeinschaften auswirken. Nur verlangt der Erfolg im Rahmen des Tauschsystems ein Verstndnis des Marktes, zu dem es nur durch einen Lern- und Erfahrungsprozess im Markt selbst kommen kann, der gewöhnlich impliziert, dass Menschen lernen, für sich selbst Profit zu schöpfen – und nicht für die Gemeinschaft. Dies folgt der kapitalistischen Logik des "Jeder für sich selbst!". Alleine schon der Versuch, in den Markt einzutreten bzw. konkurrenzfhige oder "gleichwertige" Produkte zu erzeugen, besttigt den Markt und den "gleichen Tausch" als die besten (ja sogar einzigen) Mittel, Reichtum zu produzieren. Alternativen werden als "unrealistisch" abgetan oder nicht einmal wahrgenommen. Das Schenken – in der Tauschökonomie einerseits verleugnet, andererseits in Form ausgebeuteter Arbeit integriert – wird gleichzeitig unterdrückt und geopfert. In jedem Fall wird ihm kein Wert zugeschrieben. Es bleibt unsichtbar, entwertet und verachtet.

Das Unbewusste ist gewissermaßen die Energiequelle, die unser Bewusstsein bzw. unseren Verstand antreibt. Viele unbewusste Motivationen und Assoziationen gelangen dabei nie zur Oberflche. Sie bleiben verborgen und erhalten keinen Wert. Sie gleichen in diesem Sinne jenen Menschen, die sich außerhalb des Marktes befinden, von wo aus sie diesen versorgen. Frauen befinden sich in derselben Position, wenn sie Mnner in ihren Beziehungen mit anderen Mnnern und in ihrem Konkurrenzkampf um Herrschaft unterstützen, ohne dass dies je anerkannt wird. Wir müssen damit aufhören, der Art des Bewusstseins Wert zuzuschreiben, die auf dem Tausch, dem wechselseitigen Ausschluss und der Gleichheit des Marktes beruht bzw. auf der Konkurrenzfhigkeit unserer Produkte, unserer Kinder und unserer selbst. Stattdessen müssen wir uns um Alternativen bemühen!

Auch wenn es schwierig ist, im Rahmen des Systems mit dem Schenken zu experimentieren, denke ich, dass es möglich ist. Oft werden diese Möglichkeiten jedoch nicht erkannt. So schenken viele Frauen, die ich kenne, anderen Frauen unentwegt: sie leisten ihnen Dienste, verschaffen ihnen Unterkunft und Ausbildung, und unterstützen sie ohne Erwartung auf Gegenleistung. Oft denken sie jedoch selbst, dass dies "verrückt" ist, weil sie keine Bezahlung verlangen. hnliche Phnomene kennzeichnen Bewegungen von Frauen, die sich für Land- und Unabhngigkeitsrechte oder einen behutsamen Umgang mit der Erde einsetzen.

Auch Bewegungen gegen husliche und sexuelle Gewalt oder Bewegungen gegen Suchtverhalten befriedigen Bedürfnisse, ohne Gegenleistungen zu erwarten. Menschen, die in diesen oder anderen Bewegungen – gegen die puerilen Spiele, die mit radioaktivem Abfall und chemischen Zeitbomben geführt werden, gegen Krieg, Militarismus und Aufrüstung, usw. – aktiv sind, wenden alle enorm viel Zeit und Energie dafür auf, Bedürfnisse nach gesellschaftlichem Wandel zu befriedigen.

Whrend ein großer Teil von Voluntrsarbeit von Frauen geleistet wird, sind auch Mnner darin involviert. Dabei ist denjenigen, die in gemischten Gruppen aktiv sind, oft nicht klar, dass sie in ihrer nicht-monetren, bedürfnisbefriedigenden Arbeit dem Schenkprinzip folgen und dass dieses auf der Mütterlichkeit beruht. Frauen und ihre Werte werden daher nicht als Beispiel erkannt. Vielmehr werden Mnner oft von Frauen darin unterstützt, auch im Rahmen dieser auf gesellschaftlichen Wandel abzielenden Arbeit ihre Maskulisierung auszuleben. In vielen Fllen wird nicht einmal dies erkannt und bleibt unproblematisiert.

Experimenten des Schenkens haftet oft ein schlechter Ruf an, der Menschen davon abhlt, sich an ihnen zu beteiligen. Der Grund ist, dass patriarchale Wohlttigkeitsorganisationen die Menschen, denen sie schenken, als passiv und unterlegen ansehen, nicht auf ihre Meinung (ihre Bedürfnisse) hören und ihnen stattdessen Geschenke aufzwingen, die sie selbst für die richtigen halten. Dieser Paternalismus wird von Mnnern wie von Frauen unterstützt. Schlussendlich leiden alle darunter. Vor allem wird die Beziehung zwischen den Frauen und dem Schenken getrübt, da der Unterschied zwischen Schenken und Tauschen nicht klar wird. Im schlimmsten Falle ist das "Schenken" dieser Organisationen nur ein Vorwand für Herrschaft und Profitabschöpfung.

Ich habe das alte Sprichwort, dass es besser ist, den Armen keinen Fisch zu schenken, sondern sie fischen zu lehren, mit einer Wendung gehört, die die Notwendigkeit sozialer Vernderung betonte. Demnach müssen wir uns zunchst fragen, wie es überhaupt zur Armut kommt. Warum haben Menschen keinen Zugang zum See, sodass sie sich das Fischen nicht selbst lehren können? Ist er Privateigentum? Ist er kontrolliert von einem Konzern oder einer Regierung? Ist es überhaupt denkbar, dass eine Gruppe hungriger Menschen an einem See lebt, zu dem sie freien Zugang hat, ohne dass sie sich das Fischen lehren würde?

Der Grund für den Mangel ist der Tausch bzw. das gesellschaftliche System, das auf dem Tausch beruht. Projekte einzurichten, die Menschen in das Marktsystem integrieren, wird den Mangel nicht beseitigen. Um ihn wirklich zu beseitigen, müssen wir eine nderung im Bewusstsein schaffen, die allen erlauben wird, seine systematischen Gründe zu erkennen.

Es ist wichtig, Alternativen zum patriarchalen Kapitalismus zu schaffen, Experimente, die auf den ökonomischen Modellen verschiedener so genannter "primitiver" Völker außerhalb des Marktsystems beruhen. Alternative Projekte müssen gefördert werden. Die Etablierung nicht-monetrer Schenksysteme etwa, oder Projekte, die versuchen, enteigneten Menschen Land zu verschaffen und es fruchtbar zu machen, sodass diese Menschen dort leben und anbauen können. (Viele Frauen haben bereits damit begonnen, Land mit anderen Frauen zu kaufen und zu teilen.) Diese Projekte müssen zum Teil auch durch monetres Schenken (also finanziell) unterstützt werden. Dies stellt eine eigene ökonomische Form dar, die auch parasitr ist – doch in Bezug auf den Kapitalismus, also gewissermaßen ein Parasit des Parasiten, der eine Meta-Perspektive (parasight) einnimmt und eine andere Praxis ermöglicht. Das Finanzieren von Schenkökonomien besttigt dies. Hier wird geschenkt, um zu schenken.

Indem die Existenz von Alternativen geltend gemacht wird, können wir der Differenz zu ihrem Wert verhelfen und uns von der Besetzung der kapitalistischen Gleichheit befreien. Wenn wir genau hinhören, können wir sogar von Frauen, die sich im Inneren der Klassen, die vom Istgleichzeichen (=) beherrscht werden, befinden, die Besttigungen des ersten Gebots der altruistischen Vernunft vernehmen: "Versuche etwas anderes! Dies hier funktioniert nicht!"

 

Mater-Mutter

Materie/Geist, mater(Mutter)/Atem sind wahrscheinlich falsche Gegenüberstellungen. Die Illusion ist, dass mater sich nicht kümmert (that mater doesn't mind[9]), weil sie anderen Wichtigkeit zuschreibt und nicht sich selbst. Doch in Wirklichkeit bedeutet dies nur, dass sie sich mehr kümmert (minds more)! Was wir stattdessen tun müssen, ist, dem Denken Bedeutung zuzuschreiben bzw. es mütterlich werden zu lassen (make mind mater).

Atmosphrischer Druck bewegt die Luft und befriedigt damit das Atembedürfnis, das wir aufgrund der Ausdehnung unserer Lungen entwickeln. Viele Teile der Natur befriedigen Bedürfnisse: vom Chlorophyll im Blatt, das der Wurzel Zucker zukommen lsst, bis zum Plankton am Meeresgrund, wo sich Wale tummeln, ernhren und spielen; oder von alten Steinen, mit denen wir unsere Huser bauen, bis zur Töpferscheibe.

Auch die Bedürfnisse sind ein Teil der Natur und sind kreativ. Lebewesen passen sich an das, was gegeben ist, an und ndern es. Mater(ie) (mat(t)er) ist bereits Verstand (mind): ihre verschiedenen Teile unterstützen einander, sie entwickelt Bedürfnisse und befriedigt sie. Der menschliche Verstand hat sich jedoch von seiner Matrix gelöst und dem Tauschprinzip angepasst. Er erscheint damit heute als Ursprung seiner selbst. Indem er sich von Schenkenden – Frauen, der inneren Mutter und dem inneren Kind, den Vielen – versorgen lsst, denkt er nicht an sie und schließt sie aus (the mind is not minding about them). Besetzt von seiner Ego-Orientiertheit, konzentriert sich der Verstand nur auf sich selbst.

Vielleicht kann der Verstand (und auch das Gehirn) besser verstanden werden, wenn wir ihn von der Perspektive des Schenkens aus betrachten. Wenn wir der Materie die mater zurückgeben, können wir sehen, wie sie sich kümmert (minds), auf welche Weise der Verstand mütterlich ist und wie wir die mater als eine Gegebenheit begreifen können. Der Geist hat wenig mit Reflexion zu tun hat (hardly matters in reflection); er ist Atem auf dem Spiegel, etwas, das zu einer anderen Kategorie gehört. Die Mutter und der Wind funktionieren gemß hnlicher Prinzipien. Auch sie begeben sich dorthin, wo es eine Lücke gibt, eine Leere, ein Bedürfnis. Sie bringen die Wörter, die wir hören müssen, um unsere Gemeinschaften wieder formen zu können.

 

Mutter Fürsorge

Ich gehe am Land spazieren. Es gibt so viele einzigartige Lebewesen, Insekten, Pflanzen, Blumen, die an verschiedenen Orten und in verschiedenen Formen wachsen. Auf jedem Quadratmeter unserer Erde findet ein wunderbarer, anmutiger, vielfltiger Tanz von Pflanzen und Tieren statt. Jede Art ist dabei auf ein Wort als ihrem Namen bezogen, aber sie sind in Rhealitt (rhea-lly) weit davon entfernt, gleich zu sein, auch wenn die Kombination von Kategorie, Definition und Tausch heute Bedingungen geschaffen hat, die uns dies glauben lassen. Wir sehen keinen Grund mehr darin, in den Wald zu gehen, um Beeren zu holen – wir können das genauso im Supermarkt tun.

Die Göttin ist nicht völlig zerstört worden. Im Vorbereiten, Kochen und Essen der Nahrung, im Fühlen, im Bewegen, in vielen Arten des Vergnügens – vom Sex über die Poesie bis zum Beobachten eines Sturms – können wir ihre Geschenke immer noch spüren. Die mnnliche Gewalt zwingt die Realitt hingegen zu Geschenken. Dies ist etwas anderes. Das Resultat ist Graben, Bohren, Bomben. Die Maskulisierung erzwingt Geschenke, weil sie sich deren Erhalt versichern will. Diese Sicherheit wird von ihrem künstliche Tauschego verlangt.

Wir müssen die Rhealitt als die Mutter Natur sehen, als die Mutter Fürsorge. Ihr wird angetan, was uns angetan wird: ihr wird genommen, damit sie zum Schenken gezwungen werden kann. Damit wollen die Mnner demonstrieren, dass sie sowohl die Rhealitt als auch die Realitt kontrollieren. Dies tun sie, indem sie der Natur keine Fürsorge zukommen lassen und dem Schenken keinen Wert. Das Negieren der Mutter lsst es so erscheinen, als würden die Grundlagen des Lebens aus dem mechanischen Ursache-Wirkung-Verhltnis, der kausalen Wenn-Dann-Beziehung und aus objektiven Tauschprozessen bestehen. Damit wird ein immenses Spektrum fürsorglicher Intentionalitt verdrngt, das vom Wind oder der Amöbe, die nach einem schmackhaften Happen sucht, bis zur feministischen Revolution oder einem Gutenachtlied reicht – also vom "am wenigsten" zum "am meisten" Menschlichen. In jedem Fall beginnt alles – ontogenetisch wie phylogenetisch – damit, dass Mütter ihre Kinder versorgen.[10]

 

Emotion

Die Erhaltung der Welt schreibt ihr immer noch materiellen Wert zu, aber niederen. Trotz der Monetarisierung und des Tausches vermögen Frauen (und manchmal auch Mnner) weiterhin Bedürfnisse zu erkennen, sowohl emotional wie intellektuell. Ich denke, dass es die Verbindung mit den Bedürfnissen anderer und unseren eigenen ist, die die Grundlage menschlicher Emotionalitt bildet. Völlig im Tausch aufgehende maskulisierte Egos sind Bedürfnissen notorisch entfremdet, "gefühllos" – und unglücklich. Bedürfnissen Aufmerksamkeit zu schenken, scheint irrational zu sein, da das, was wir als rational erachten, auf dem Tausch beruht. Nachdem wir dem Tausch erlaubt haben, unsere Welt zu durchdringen und das Schenken zu blockieren, wurden unsere Werte manipuliert. Sie wurden abstrakt und haben sich ihrer Rolle im Schenkkontext entfremdet. Heute kommt nur noch der Abstraktion selbst Wert zu.

Unbefriedigte Bedürfnisse legen Emotionen offen, und es sind diese Emotionen, die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse lenken (und ihnen Wert schenken), sodass sie befriedigt werden können. Doch werden diese Emotionen oft ignoriert, abgewertet und von der Logik des Eigeninteresses verdrngt. Der ausschließliche Wert, der abstraktem Denken zukommt, entzieht unseren Bedürfnissen jede Aufmerksamkeit. Auch wenn abstraktes Denken manchmal der Befriedigung komplexer Bedürfnisse dienen kann, wird es leicht zu einem Selbstzweck und fungiert als Rechtfertigung dafür, sowohl Bedürfnisse als auch die auf sie verweisenden Emotionen gnadenlos zu missachten.

Das Patriarchat hat die Realitt verdinglicht (re(x)-ified[11]). Es hat das Netzwerk seiner selbsthnlichen Bilder (seiner phallisch besetzten Kategorien) ausgedehnt und die Geschenke der Gemeinschaft beansprucht, so wie ein Old Boys Network von Geschftsleuten neue Mrkte beansprucht. Die Realitt nach diesen Bildern zu formen, verdrngt ihre Fürsorglichkeit, macht Bedürfnisse unsichtbar und wertet die Emotionen ab, die mit den Bedürfnissen in Zusammenhang stehen. Die Realitt wird mechanisch und "objektiv". Das Gegebene wird nur als wichtig erachtet, wenn es in Kategorien organisiert und auf ein Eines bezogen werden kann. Wir sind jedoch immer bereit, Geschenke zu empfangen, auch wenn wir uns das nicht eingestehen wollen. Und die Realitt ist immer fürsorglich, auch wenn abstrakte Kategorien das zu verbergen und zu verleugnen versuchen. Das Netzwerk der Kategorien – das selbsthnliche System – ist ein unsichtbares, abstrakt aufgezogenes Netz. Es entzieht den wirklichen Geschenken der Göttin Rhea unsere Aufmerksamkeit und richtet sie stattdessen auf die Götter Rex und Res.

Kapitel 20>


[1] Menschen, die sich zusammenschließen (eine Gesellschaft formen), tun dies gewöhnlich über Praktiken des Schenkens und Empfangens. Diese Praktiken wren noch um vieles weiter verbreitet, wenn wir nicht in der Tauschökonomie leben würden. In jedem Fall sind sie der Grund, warum Schenken und Empfangen die Schlüssel zur den Assoziationen sind, die in Trumen oder Wörtern gefunden werden. Ein Schizophrener, der aufgefordert wurde, an Wygotskis Experiment teilzunehmen, sagte den LeiterInnen, dass der Prototyp ein Polizist sei, der einer Menge von Menschen sagt, was sie tun sollen. Wir haben bisher in diesem Buch genug selbsthnliche Muster gesehen, um die Beziehung zwischen dem Polizisten und der Menschenmenge klar als Beispiel einer Eines-Viele-Kategorie erkennen zu können. Der Polizist beherrscht die Menge, whrend der Schizophrene uns das Geschenk einer nötigen Verbindung (Assoziation) zukommen lsst, die zuvor nicht gemacht worden war. (Siehe Hanfmann und Kasinin, "A Method for the Study of Concept Formation".)

[2] Ich würde gerne erwhnen, dass uns spirituelle Praktiken, die uns jedes Mal, wenn wir aufwachen, Dank sagen lassen, für einige Augenblicke lnger im Schenkmodus halten und so etwas wie eine Kontinuitt zwischen der Traumwelt und der wachen Welt schaffen.

[3] Anm. d. übers.: Das Wortspiel funktioniert im Englischen besser: kingship and thingship.

[4] Anm. d. übers.: Walking wounded ist ein Begriff aus dem Sanittswesen, im besonderen der Notfallversorgung. Als walking wounded werden jene Verletzten bezeichnet, die trotz ihrer Verletzungen bei Bewusstsein und fortbewegungsfhig sind.

[5] Paula Gunn Allen, The Sacred Hoop.

[6] Lewis Hyde bespricht das kreative Geschenk in einem etwas anderen Sinne in The Gift.

[7] Carol Gilligan bespricht eine moralische Perspektive des Pflegens in In a Different Voice.

[8] Rhea war die ursprüngliche gische Muttergöttin, auch Mutter Zeit.

[9] Anm. d. übers.: Dieser Abschnitt beinhaltet eine Reihe englischer Wortspiele, die im Deutschen nicht wiedergegeben werden können. Die dabei verwendeten Begriffe sind mind als "Verstand", to mind im Sinne von "sich kümmern", mater (lat.) als "Mutter", matter als "Materie" und to matter als "von Bedeutung sein". Ich werde an den betreffenden Stellen den übersetzungen die Originalformulierungen in Klammer hintanstellen.

[10] Erbe und Umwelt bezeichnen letztlich nur unterschiedliche Schenkquellen. Das Erbe ist verantwortlich für das, womit wir von unseren Vorfahren "ausgestattet" wurden. Die Umwelt ist verantwortlich für das, was uns von unserem sozialen Umfeld "zugetragen" wird. Archologen wie Richard Leakey denken, dass sich ein großer Teil der menschlichen Evolution dem Altruismus zu verdanken hat, vor allem ausgedrückt im Teilen der Nahrung. Allerdings rumt er auch dem Konkurrenzverhalten eine Rolle ein. Dabei sollten wir jedoch nicht vergessen, dass unsere Interpretation der Vergangenheit bereits von den gegenwrtigen Konkurrenzverhltnissen geprgt ist.

[11] Anm. d. übers.: to reify = verdinglichen; rex (lat.) = die Sache, das Ding.


kapitel 20

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