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Vorwort

Kapitel 1 Am Anfang

Kapitel 2 Sprache und Schenken

Kapitel 3 Reziprozitt

Kapitel 4 Definition und Tausch

Kapitel 5 Die Kategorie des Menschen

Kapitel 6 ,Marksistische" Kategorien

Kapitel 7 Die kollektive Quelle

Kapitel 8 Kastrationsneid

Kapitel 9 Is = $

Kapitel 10 Wert

Kapitel 11 Der übergang zum Tausch

Kapitel 12 Wie dem Tausch Wert geschenkt wird

Kapitel 13 Markt und Geschlecht

Kapitel 14 Zu existieren verdienen

Kapitel 15 Das Zeigen und das Patriarchat

Kapitel 16 Das Zeigen des Egos

Kapitel 17 Was reprsentiert die Demokratie?

Kapitel 18 Die nicht-maskulisierten Protagonistinnen gesellschaftlichen Wandels

Kapitel 19 Traum und Realitt

Kapitel 20 Schenken und Liebe

Kapitel 21 Vom Garten zum Gral

Kapitel 22 Kosmologische Spekulationen

Kapitel 23 Nach den Wörtern - die Theorie in der Praxis

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Kapitel 5

Die Kategorie des Menschen

So wie die Sprache kann auch die Fhigkeit, Kategorien zu formen, entweder unserer genetischen Ausstattung oder unserer Sozialisierung zugeschrieben werden. Beide Möglichkeiten werden eifrig studiert. Manche ForscherInnen meinen, dass unsere Fhigkeit, Gleichheiten zwischen Dingen festzustellen, genetisch bedingt ist. Andere denken, dass wir Kategorien im Zuge empirischer Prozesse von Vergleichen und Verallgemeinern formen. Dabei gibt es die Theorie, dass sich diese Prozesse auf einen Prototyp beziehen – möglicherweise auf die erste Erfahrung, in der wir als Kind etwas in unserer unmittelbaren Umgebung als etwas anderem gleich erlebt haben. Durch wiederholte Vergleiche von solchen als gleich wahrgenommenen Objekten abstrahieren wir in der Folge deren gemeinsame Eigenschaften und schaffen Kategorien. In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde vom sowjetischen Psychologen Lew Wygotski[1] ein Experiment durchgeführt, das die Prototyp-Theorie begründete. Wygotski wird seither mit dieser identifiziert.

 

Das Eine und die Vielen

Wygotski beschrieb eine Reihe von Entwicklungsstufen, anhand derer Kategorien geschaffen werden. Die letzte Stufe ist die "des Einen und der Vielen". Auf dieser nimmt der Prototyp eine fixe Beziehung mit einer Reihe von Objekten ein, die als mit ihm übereinstimmend gesehen werden, whrend Objekte, die als nicht mit ihm übereinstimmend gesehen werden, ausgeschlossen sind. Diese Beziehung ist eine zwischen Einem und Vielen. Die Beziehung zwischen den vielen Objekte rührt von ihrer Gleichheit mit dem einen Prototyp her. Dieser wird verallgemeinert und die gemeinsame Qualitt der vielen Objekte spiegelt diese Verallgemeinerung wieder. Die vielen Objekte erhalten denselben Namen, der dem Prototyp, dem Einen, gegeben worden war.

E. Hanfmann und J. Kasanin beschreiben Wygotskis Experiment so:

"Das Untersuchungsmaterial, das im Kategorisierungsexperiment verwendet wird, sind 22 Holzblöcke verschiedener Farbe, Gestalt, Höhe und Größe. Es gibt fünf verschiedene Farben, sechs verschiedene Gestalten, zwei Höhen (hoch und nieder) und zwei Größen (groß und klein). Auf der Unterseite jeder Figur – die von der Testperson nicht gesehen werden kann – steht eines der vier folgenden Nonsense-Wörter geschrieben: "lag", "bik", "mur", "cev". Unabhngig von Farbe oder Gestalt steht "lag" auf allen hohen und großen Figuren, "mur" auf allen hohen und kleinen, und "cev" auf allen niederen und kleinen.

Zu Beginn des Experiments werden alle Blöcke gut gemischt auf einem Tisch ausgebreitet. Die ExperimentsleiterInnen heben einen der Blöcke auf (den Prototyp), zeigen ihn, lesen der Versuchsperson den auf der Unterseite stehenden Namen vor und fragen sie daraufhin, all jene Blöcke auszuwhlen, von denen sie meint, dass sie zur selben Kategorie gehören. Nachdem die Versuchsperson das getan hat, heben die ExperimentsleiterInnen einen der falsch ausgewhlten Blöcke auf, zeigen der Versuchsperson, dass dies ein Block mit einem anderen Namen ist, und bitten sie um eine neue Auswahl. Nach jedem weiteren Versuch wird wieder ein falsch ausgewhlter Block gezeigt, und so weiter. Mit der Zeit beginnt die Versuchsperson dann zu begreifen, auf welche Eigenschaften der Blöcke sich die Wörter beziehen.

Sobald die Versuchsperson diese Entdeckung macht, beginnen die Wörter also für bestimmte Eigenschaften der Objekte zu stehen (z.B. "lag" für große hohe Blöcke, "bik" für große flache, usw.) und neue Kategorien – für die es in der Sprache der Versuchspersonen bisher keine Namen gegeben hat – werden gebildet. Die Versuchsperson kann nunmehr die vier verschiedenen Arten von Blöcken so aufteilen, dass sie den von den Nonsense-Wörtern bestimmten Kategorien entsprechen. Dies zeigt, dass dem Gebrauch von Kategorien ein für die Lösung der Testanforderung funktionaler Wert innewohnt.

Ob die Versuchsperson tatschlich kategorisches Denken anwendet, wenn sie das Problem zu lösen versucht, kann sowohl von der Art der Gruppen, die sie bildet, eruiert werden, als auch von der Weise, auf die sie diese bildet. Beinahe jeder Denkschritt der Versuchsperson wird vom Gebrauch der Blöcke reflektiert: die erste Herangehensweise an das Problem, der Gebrauch des Prototyps, die Reaktion auf die Korrekturen, das Finden der Lösung – all diese Stufen des Experiments stellen Informationsmaterial zur Verfügung, das es erlaubt, die Denkschritte der Versuchsperson nachzeichnen zu können."[2] (Siehe Graphiken 6 und 7.)

Die kategorische Struktur des Einen und der Vielen ist in der kognitiven Psychologie von wesentlicher Bedeutung. Wygotskis Experiment lsst uns aufgrund seiner Demonstration ungewohnter ("falscher") überlegungen in Bezug auf den Prototyp erkennen, was das Konzept des Einen und der Vielen nicht tut. Zwei ungewohnte überlegungen zeigen dies deutlich: 1. Der Familiennamenkomplex, in dem der Prototyp unverndert bleibt, aber die Eigenschaften, aufgrund derer andere Objekte als gleich gesehen werden, variieren. 2. Der Kettenkomplex, in denen der Charakter des Einen und der Vielen verloren geht, da zwar zunchst ein Objekt aufgrund eines gemeinsamen Charakteristikums mit dem Prototyp in dieselbe Kategorie fllt, das nchste in diese Kategorie fallende Objekt jedoch nur noch ein gemeinsames Charakteristikum mit dem ersten zugeordneten Objekt aufweist, und so weiter. Diese "falschen" Zuordnungen zeigen die Wichtigkeit der Unvernderlichkeit des Prototyps und dem andauernden direkten Vergleich der Objekte mit diesem selbst, um Allgemeinheit tatschlich auf gleichen Eigenschaften aufzubauen. Idealiter wird der Prototyp schlussendlich überflüssig, da ein Objekt unmittelbar als Teil einer der vom Prototyp bestimmten Kategorie erkannt wird.

Ich habe über Wygotskis Experiment lange nachgedacht und bin darauf gekommen, dass es tatschlich das Wort (der Name) ist, das den Platz des Prototyps ein- und seine Allgemeinheit übernimmt. Dies offenbart eine Eigenschaft des Wortes, die ich seiner Charakterisierung als kommunikatives bedürfnisbefriedigendes Geschenk hinzufügen möchte. In der Tat scheint es wenig überraschend, dass ein Wortgeschenk den Platz eines Prototyps einnimmt. Der Prototyp als solcher kann nicht immer konkret geschenkt werden und würde sich wahrscheinlich – außer als Bild – in den meisten Fllen sehr schnell seine Form ndern . Das Wort – mit seiner unendlichen Reproduzierbarkeit – kann jedoch tatschlich immer als "dieselbe Sache" erscheinen, selbst wenn es gleichzeitig in jedem Moment eine andere ist. Indem es vom Prototyp die Funktion des Einen und der Vielen übernimmt, hilft das Wort, die Kategorie so zu organisieren, dass ihre Teile genauso aufgrund ihrer gemeinsamen Beziehung zu ihrem Namen wahrgenommen werden wie aufgrund ihrer gemeinsamen Beziehung zum Prototypen.

Sobald einmal die Beziehungen der Dinge zueinander als gleich gemß gemeinsamer Eigenschaften etabliert ist, ist der Prototyp selbst nicht lnger notwendig und das Wort alleine kann uns an diese Gleichheit erinnern. Die Beziehungen des Einen und der Vielen schaffen eine Polaritt, in der das Eine der Referenzpunkt ist und die Vielen – eines nach dem anderen – mit ihm verglichen werden. Das Wort, das den Platz des Einen einnimmt, hlt diese Polaritt aufrecht und verdeutlicht die Beziehungen der Vielen zueinander und zu sich selbst. (Siehe Graphiken 8 und 9.)

Die Eigenschaften des Prototyps müssen unvernderlich sein. Wenn sie das nicht sind, kann keine konsistente Kategorie konstruiert werden und unsere Gedanken wandern von einer Assoziation zur nchsten. Dabei kann jedoch jeder Aspekt einer Sache als das unvernderliche Eine gewhlt werden. Sobald die Kategorie dann konstruiert wurde, kann dem Prototyp seine Position des Einen genommen und er zu einem einfachen Teil der Kategorie reduziert werden. Ich betone dies, weil ich denke, dass die Position des Einen (des Prototyps) missverstanden wurde in der Konstituierung unserer Geschlechtsdefinition. In diesem Falle wurde das Eine überbetont, mit speziellem Privileg ausgestattet und auf vielen verschiedenen Ebenen als selbsthnliches Modell in die gesellschaftlichen Strukturen projiziert. Der Vater und seine Familie, der König und seine Untertanen, der General und seine Armee, der Vorstandsvorsitzende und sein Unternehmen, usw., verkörpern die polare Beziehung des Einen und der Vielen, wie sie die Konstituierung von Kategorien prgt. Auch die Beziehung zwischen Geld und Produkt[3] ist eine Verkörperung dieses Kategorisierungsprozesses, genauso wie die zwischenmenschlichen Beziehungen in unserer Gesellschaft oft Ausdruck der polarisierten Beziehung zwischen dem Einen und den Vielen sind. Selbst die Beziehung zwischen einer Person und ihrem Eigentum kann als Beziehung zwischen einem Einen und Vielen gesehen werden, die der Kategorisierungsstruktur entspricht (die in diesem Falle immer auch stark geschlechtlich bestimmt ist), obwohl die Beziehung zwischen Person und Eigentum vielleicht am ehesten dem Familiennamenkomplex entspricht.

 

Das privilegierte Eine

Die Position des Prototyps zu privilegieren ist deshalb so gefhrlich, da die Polaritt und die Kategorien, die mit seiner Hilfe geformt werden, ursprünglich durchaus unschuldige und hilfreiche Formen sind, unsere Gedanken und Wahrnehmungen zu ordnen. Es handelt sich um eine sehr intime und grundlegende Art des Denkens, die von der Privilegierung der Position des Einen unterwandert wird. Weil sie so einfach ist, ist dieses Unterwanderung schwierig wahrzunehmen und wir projizieren sie außerhalb unser selbst, um mit ihr umgehen zu können. Da wir niemals daran denken, den Ursprung unserer seltsamen, das Modell des Einen und der Vielen reproduzierenden Verhaltensweisen auf die Entwicklung der kategorischen Strukturen zurückzuführen, setzen wir den Prozess auf vielen verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen fort. Dabei schaffen wir Strukturen, die miteinander interagieren, konkurrieren, sich gegenseitig strken und sich immer wieder in neuen Hierarchien organisieren, die dem Modell des Einen und der Vielen folgen. Es sind diese Strukturen, die jene sich selbst reproduzierenden Systeme schaffen, die wir "Patriarchate" nennen.[4]

Was diesen Systemen zugrunde liegt, ist die mnnliche Geschlechtsidentitt und die Maskulisierung. Mnner gelten als Prototyp für die Kategorie "Mensch". Die kategorische geschlechtliche Trennung der Buben von ihren Müttern verlangt von Mnnern, die Position des Einen einzunehmen, wenn sie überhaupt als Menschen gelten wollen. Frauen haben Mnner darin unterstützt, sie sind ausgewichen und erscheinen nicht als das Eine, mit dem die Vielen verglichen werden, um ihre Menschlichkeit zu definieren. Frauen scheinen ein Defizit zu haben, ihnen scheint etwas zu fehlen, wenn sie mit den angeblich menschlichen Charakteristika verglichen werden, die Mnner haben. Abstraktes Denken, Aggressivitt, Individualismus, Führungsfhigkeit, Unabhngigkeit (Eigenschaften, die alle damit zu tun haben, um die Position des Einen zu kmpfen) scheinen "menschlich", und Frauen scheinen demnach "unterlegene Menschen" zu sein, weil sie diese Eigenschaften nie entsprechend ausgebildet haben.

Frauen ließen nie von der Ausübung des Schenkprinzips ab, außer wenn dies durch Mangel, Krieg oder individuell erfahrene Gewalt unmöglich gemacht wurde. In all den Jahrhunderten, in denen die Kategorie des Menschen von Philosophen studiert wurde, wurden die Frauen und ihre Aktivitten nie als deren möglicher Prototyp in Betracht zogen. Gleichzeitig blieb das Schenkprinzip immer die eigentliche Quelle von Bedeutung, Gemeinschaft und Leben.

Was wir als definierende Charakteristika des mnnlichen Geschlechts sehen, sind in Wirklichkeit Charakteristika der Position des Einen, die in Verbindung stehen mit den Formen des Platz-Einnehmens, die wiederum der Rolle des Wortes im Benennen und Definieren entsprechen. Diese Charakteristika werden von Buben angenommen, um der self-fulfilling prophecy ihrer Geschlechtskategorie gerecht werden zu können, die eine andere als jene ihrer Mütter ist. Die Buben müssen die Position des Einen – die innerhalb der Familie vom Vater eingenommen wird – anstreben, um sich Mnner nennen zu dürfen. Die ödipale Verfügung ist dabei weniger, den Vater zu töten, als seine Position des Einen einzunehmen.

Die einfache logische überlegung, dass nicht jeder ein Eines in einem polaren Sinne sein kann, und dass dies ein austauschbares und unkonstantes Charakteristikum ist, mag Buben in einem frühen Alter nicht klar sein. Die Anforderungen des mnnlichen Geschlechts scheinen zu sagen: "Sei anders als die Frauen und werde so oder besser wie dein Vater, damit du seine Position übernehmen kannst und verdienst, ein Mann genannt zu werden."

Bevor sie von den Anforderungen ihres Geschlechtsnamens heimgesucht werden, fühlen sich die Buben zum Prototyp ihrer fürsorglichen Mütter hingezogen. Es ist das Wort "Bube", das sie aus dieser Kategorie entfernt. So gesehen, kommt die Rolle des Vaters als Platz-Einnehmers und Herrschers von der Fhigkeit des Wortes, die Buben der Identitt ihrer Mütter zu entreißen. Es ist auch der Vater, dem die Fhigkeit zugesprochen wird, Kategorien zu formen – dies ist ein wesentlicher Aspekt seiner Rolle als Eines. Der Vater ist der Standard (wie das Geld), und dieser Standard (weil er die Rolle des Prototyps von der Mutter übernommen hat) wird zu dem Wort, das zu kategorisieren und aufzuteilen vermag. Jedes darauf basierende Urteil demonstriert die Macht, die dieses Wort (bzw. der Mann und sein Geschlecht) zu haben scheint: nmlich eine Unterscheidung zwischen mnnlich und weiblich zu treffen.

Die Buben verhalten sich zu ihren Vtern als Unterlegene. Ihre Beziehungen zu ihren Vtern entsprechen denen der Vielen zum Einen, des Eigentums zum Besitzer, der Dinge zum Wort bzw. dem Prototypen (der nicht lnger ein Prototyp des Schenkens ist). Maskulisierung ist eine Art ursprüngliche Dehumanisierung, da die Rolle des Vaters objektiviert wird und dieser zu einem quasi unmenschlichen Ding avanciert. Frauen werden als das Gegenteil der Mnner definiert, whrend alle Aufmerksamkeit den letzteren (denen, die in die mnnliche Kategorie fallen) zukommt.

Die biblische Geschichte von Josef und seinen Brüdern handelt vom gegenseitigen Kampf mehrerer Brüder um die Position des Einen, die sie vom Patriarchen erben wollen. Josefs Trume von den vielen Maisbündeln und der Sonne, dem Mond und den Sternen drücken diese Beziehung symbolisch aus. Wenn ein Bube den Vater als den Prototypen seiner eigenen Kategorie annimmt, wird er Teil der realen oder möglichen Vielen, die sich auf das Eine beziehen. Seine Geschlechtsidentitt wird eine, die in Konkurrenz mit anderen Einzelnen desselben Geschlechts um die Position des Einen kmpfen muss. Sein Vater mag dasselbe in seinem Berufsleben tun. Auch das Platz-Einnehmen ist eine zentrale Anforderung seiner Geschlechtsrolle, da er als Mann den Platz von Frauen einnehmen und den mnnlichen Prototypen an die Stelle des weiblichen (des Schenkens) setzen muss.

Was Buben früh als ihre Geschlechtsrolle wahrnehmen, ist die Materialisierung der Prototypposition und eine teilweise Materialisierung des Wortes. Dem Prototypen zu entsprechen und den Platz anderer einzunehmen, wird wichtig für die mnnliche Identitt, whrend das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein und das Schenken Prinzipien der weiblichen Identitt bleiben. Indem der Mann der Prototyp für die Kategorie des Menschen wird, wird die Wichtigkeit des Schenkens negiert. Frauen (und auch einige Mnner) schenken den Mnnern, deren Identitten in dieser Weise geschaffen werden, freilich weiterhin, sie statten sie mit Privilegien aus und belohnen insbesondere jene, die die Position des Einen zu besetzen imstande sind. Das Schenken unterstützt also besagte Identittskonstruktionen, selbst whrend es von diesen negiert und als "unterlegenes", "instinktives", ja sogar "nicht-menschliches" Verhalten abgeurteilt wird. Das Schenken durchdringt immer alle menschliche Aktivitt und bleibt etwa der einzige Weg, auf dem wir Güter und Nachrichten vermitteln, kommunizieren und Gemeinschaft formen können. Wir haben das Schenken dabei jedoch verndert und verzerrt, indem wir es für das Eine verwenden und gegen die Vielen. Wir werden alle von unseren ersten Tagen an gelehrt, den Weg des Schenkens zu negieren und ihm andere Namen zu geben ("Aktivitt", "Hausarbeit", "Freizeit", "Mehrwert", "Profit"). Sobald wir jedoch die Dynamik der Prinzipien des Tausches und des Schenkens erkennen, können wir dem Schenken den ihm angemessenen Wert und die ihm angemessenen Namen zukommen lassen.

 

Das materialisierte Wort

In der Maskulisierung materialisieren Mnner sich selbst als Ersatzgeschenke, nehmen den Platz der Mutter ein, akzeptieren den Vater als Prototypen und geben das Schenken auf.[5] Dies ist der Moment des Niedergangs: wenn die Buben realisieren, dass sie aufgrund ihrer Geschlechtsdefinition nicht an den Prozessen des Schenkens und Kommunizierens teilhaben können.

Vielleicht der größte (und dabei gleichzeitig kleinste) Fehler, den die Menschheit je gemacht hat, war, unseren Kindern unterschiedliche Geschlechtsnamen zu geben – ein unschuldiger, doch fürchterlicher Fehler, schwer wie der kleinste Teil der Feder der Maat. Wundern wir uns nicht manchmal, warum uns der Geist des Guten noch nicht zerstört hat, wenn wir all die Schrecken bedenken, für die wir verantwortlich sind? Genozid, Vergewaltigung, Genozid und Vergewaltigung, die Vergewaltigung und das Schlagen von Kindern, die Vergewaltigung und das Zerstören von Land und Wasser, das Morden von Spezies und Individuen, physische und mentale Folter? Vielleicht bleiben wir unbestraft, weil der Ursprung all dieses Schreckens eine so unschuldige Fehlinterpretation war, die so leicht begangen werden konnte.

Wir haben das Wort bzw. den Prozess des Benennens selbst materialisiert, und das Wort, das wir materialisiert haben, ist "mnnlich". Es ist nur ein Wort, aber wir haben ihm erlaubt, unsere psychologischen und sozialen Strukturen zu formen und zu beherrschen. Wir haben es dazu verwendet, die halbe Menschheit der Idee des Schenkens zu entfremden.

Nachdem wir unsere Söhne der nicht-schenkenden Kategorie zugeordnet haben, statten wir (Mütter und Vter) sie – wie oben gesehen – mit Privilegien aus und belohnen sie. Wir schenken ihnen mehr als unseren Töchtern. Spter versuchen wir sie dann durch autoritre Moral oder religiöse Gebote bzw. durch Verweise auf Gesetze aller Art Altruismus zu lehren. Wir wundern uns, warum das so schwierig ist, und erklren es mit der angeblichen "Grausamkeit der menschlichen Natur".

Es gibt eine kommunikative Notwendigkeit für uns, für die gesamte Menschheit: wir brauchen einen neuen Begriff für die Beziehungen, die wir mit unseren Kindern eingehen. Wir brauchen ein Wortgeschenk für alle diese kleinen Geschöpfe, die unser größtes Geschenk an andere sind, an die Zukunft und an uns selbst. Nur wenn wir einen Begriff für beide Geschlechter finden, können wir der Zerstörung unserer Spezies, unserer Mütter und unserer Mutter Erde Einhalt gebieten.



[1] Siehe Lev Vygotsky, Thought and Language.

[2] E. Hanfmann / J. Kasanin: Conceptual Thinking and Schizophrenia, S. 9-10.

[3] Siehe Marx' Analyse des Geldes als des allgemeinen quivalents im ersten Band des Kapitals.

[4] Wygotskis Experiment demonstriert die Fhigkeit von Kindern in der Pubertt, Kategorien zu formen und kategorisch zu denken. Jüngere entwicklungspsychologische Arbeiten haben gezeigt, dass Kinder tatschlich dieselben Methoden von Kleinkindsalter an verwenden. Ich glaube, dass Wygotskis Experiment nur eine bestimmte bewusste Anwendung von Kategorien untersuchte. Es ist interessant, was Carol Gilligan et al. über die Wahl geschrieben haben, die Mdchen in der Pubertt zwischen zwei Prinzipien machen. Diese Prinzipien scheinen mir denen sehr hnlich, die ich Schenkprinzip und Tauschprinzip nenne. Siehe: Making Connections: The Relational World of Adolescent Girls at Emma Willard School, herausgegeben von Carol Gilligan, Nona P. Lyons und Trudy Hanmer. Vielleicht erreichen sowohl das Denken des Einen und der Vielen sowie die Privilegierung der Mnner in der Pubertt eine neue Ebene.

[5] Dieser übergang selbst entspricht dem Tauschprinzip, wie wir im Kapitel "Markt und Geschlecht" sehen werden.

Kapitel 6>

kapitel 6

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