Die Logiken des Schenkens und des Tausches widersprechen einander, doch
baut der Tausch auf dem Schenken auf. Er ist ein erzwungenes wechselseitiges
Geschenk, da die Beschenkten den Schenkenden das, was sie erhalten haben, in
gleichem Wert zurückzugeben haben. Das Produkt einer Person ersetzt das Produkt
einer anderen Person. Ich glaube, dass diese Bedingungen der Gleichheit und des
Ersetzens zum einen von unseren sprachlichen Benennungsprozessen abstammen (wie
wir oben sehen konnten, nimmt in diesen Prozessen ein verbales Geschenk den
Platz eines nonverbalen ein) und zum anderen von unseren Definitionsprozessen (in
denen einige verbale Geschenke den Platz anderer verbaler Geschenke einnehmen).
Im Tausch – der sich auf der materiellen Ebene abspielt – nimmt ein
zurückgegebenes Geschenk den Platz des eigenen ein und schafft – so wie
es das verbale Ersatzgeschenk tut – eine Verbindung zwischen den
Tauschenden.
Gute Absichten können jedoch auch in den Abgrund führen, und so wird der
Erhalt des Tausch-"Geschenks" bald zur einzigen Motivation für das Geben des
ersten "Geschenks". Wenn der Schenkprozess auf diese Art in einen Tausch von
"Gleichem" transformiert wird, wird der gegenseitige Akt des Schenkens jedes
altruistischen Moments beraubt. Die dem Tauschprozess zugrunde liegende
"Gleichheit" ist nichts anderes als die Gleichheit der Eigeninteressen der
Tauschenden. Der Tausch wird zu einer Art magnetischer Struktur, nach der sich
unsere Gesellschaft organisiert. Auch unser Denken richtet sich nach dieser
Struktur und rechtfertigt sie – wahrscheinlich deshalb, weil sie den
linguistischen Prozessen, von denen sie abstammt (und die wir weiterhin
gebrauchen), so hnlich ist (auch wenn sie das diesen Prozessen innewohnende
Schenkprinzip in ein Tauschprinzip verwandelt hat). Außerhalb dieser Struktur
wird weiterhin geschenkt, doch ist dieses Schenken unsichtbar geworden und kann
den Menschen nicht mehr als ein Prinzip dienen, an dem sie sich orientieren
könnten. Das Schenkprinzip weicht aus – es stellt sich dem Tauschprinzip
nicht entgegen. Ja es findet sich in einer Situation, in der es den Tausch gar mit
einseitigen ("nicht zurückgegebenen") Geschenken unterstützt und seinen
vermeintlichen Wert somit zustzlich strkt.
Der Tausch ist auf sich selbst gerichtet und rechtfertigt sich selbst. Er
hat eine symmetrische Form und die Bedingung der Gleichheit zwischen den
Produkten untergrbt das tatschliche Eingehen auf die Bedürfnisse anderer. Da
der Tausch auf den Selbstinteressen der Tauschenden beruht und sie rechtfertigt,
sind nicht nur die Produkte des Tausches gleich, sondern auch die dem Tausch
zugrunde liegenden Motivationen. Indem sich die im Tausch involvierten
Gleichheiten in diesem Sinne reproduzieren, beginnt ein infiniter
Spiegeleffekt, der die Bedingungen für alle folgenden Tauschprozesse schafft,
etwa jene des Marktes. Die Prozesse verbalen Ersetzens und die Prinzipien
sprachlicher Gleichheit schwingen dabei immer noch mit und verleihen den
Marktprozessen abstrakte Legitimation.
Die abstrakten Gleichungen, anhand derer in der Logik des Tauschprinzips
die Selbstinteressen der Tauschenden geregelt werden, erhalten eine
Unabhngigkeit, eine Art eigenes Leben. Alles, was von einem quivalent ersetzt
werden kann, scheint Wert zu haben (einen Tauschwert), egal ob es ein Bedürfnis
zu befriedigen vermag oder nicht. Ich glaube, dass die Idee, dass es viel an
menschlicher Aktivitt gibt, die nicht bedürfnisorientiert ist, von der überbetonung
der Gleichung und der gleichzeitigen Ignorierung des Schenkens herrührt. Auch
die abstrakten Bedürfnisse des Tauschprozesses werden nicht als Bedürfnisse
verstanden, sondern als Teil der Welt "wie sie ist". Gleichzeitig wird die
Befriedigung dieser Tauschbedürfnisse wichtiger als die Befriedigung
menschlicher Bedürfnisse, und der Tausch löst das Schenken ab und prsentiert
sich nunmehr selbst als vermeintliche Quelle menschlicher Werte. Es entsteht
die unmenschliche und unmoralische marktgetriebene Kategorie der "effektiven
Nachfrage".
Da der Tausch einer Gleichung bedarf, die den Gleichungen des Marktes (und
anderen Gleichungen) entsprechen, beinhaltet er eine Art eingebaute Meta-Ebene,
die ihm erlaubt, sich selbst zu reproduzieren und zu behaupten. So wird das
Schenken (das NachahmerInnen braucht, um als leitendes Prinzip wirken zu können)
in den Hintergrund gedrngt und bleibt versteckt, auch wenn es auf vielfache
Weise weiterhin stattfindet. Der Tausch selbst bleibt parasitr in die Prozesse
des Schenkens eingebunden. In der Tat würde der Tausch ohne diese Prozesse
nicht bestehen: er ist das Andere des Schenkens.
Die Funktion des Tausches beruht immer noch auf dem allgemeinen Charakter
des Schenkens, doch wird dieses selbst nunmehr als schlechter oder
fehlgelaufener Tausch definiert. Das Schenken wird in der Logik des Tausches
als unvollstndiger einseitiger Tausch verstanden, der als solcher nicht
existieren kann. Auf diese Weise verhalten sich die Logik und Praxis des
Tausches parasitr zur Logik und Praxis des Schenkens. Mithilfe der Geschenke,
die sich das Tauschprinzip aneignet, gelingt es ihm, das Leben und die
Weltanschauungen der Menschen zu kontrollieren: sowohl jener, die dem
Tauschprinzip verhaftet sind, als auch jener, die dem Schenkprinzip folgen.
Der Strom der Geschenke fließt nach oben, gegen die Schwerkraft und hin zu
den höchsten Ebenen der patriarchalen Hierarchien. Das heißt gleichzeitig, dass
dieser Strom weg von den Bedürfnissen der Massen fließt. Die sich gegenseitig
stützenden Schenk-Tausch-Hierarchien werden oft "soziale Reproduktion" genannt.
Es ist der Spiegeleffekt, der unzhlige Reproduktionen derselben Struktur
schafft. Diese gleichen einmal mehr den sprachlichen, doch erkennen wir sie
nicht als solche. Die ewig reproduzierten Gleichungen lassen uns glauben, dass der
Schlüssel zum Verstndnis der Welt in der Reproduktion dieser Bilder vom Einen
und den Vielen enthalten ist anstatt im Schenkaspekt der Sprache.
Zu guter Letzt wird das parasitre Tauschprinzip auf die Ebene eines
selbst-reproduzierenden Systems mit eigenem "Verstand" gehoben – womöglich
aufgrund der überzeugungskraft, die die Reproduktion sich gleichender
Strukturen auf den unterschiedlichsten Ebenen hat. Wenn diese Prozesse zur
Formation individueller Strukturen beitragen – bewusst und unbewusst, zum
Beispiel – dann scheint es gerechtfertigt, davon auszugehen, dass sie
auch zur Formation unserer gesellschaftlichen Strukturen beitragen.
Die Selbst-Reproduktion wird erleichtert, wenn sich gleichende Bilder auf
unterschiedlichen Ebenen gefunden oder geschaffen werden. Ich betrachte solche Parallelen
zwischen patriarchalen Strukturen auf unterschiedlichen Ebenen nicht als Analogien,
historische Isomorphismen oder Homologien, sondern als selbsthnliche soziale
Strukturen, die der Transformation der sprachlichen Definitionsform in eine Geschlechtsdefinition
(und umgekehrt) zugrunde liegen. Dieser wechselseitige Prozess ereignet sich
auf vielen Ebenen.
Die Idee der Selbsthnlichkeit wurde von Benoit Mandelbrot im Zuge des
Studiums fraktaler Geometrie entwickelt. Mandelbrot entdeckte, dass dieselben
Strukturen auf den unterschiedlichsten Ebenen oder "Skalen" reproduziert werden.
Der Blumenkohl ist das meistverwendete Beispiel: jede Blume – und jeder
ihrer Teile – sieht genauso aus wie der gesamte Kopf.
Ich denke, dass genau das Gleiche passiert, wenn wir von sozialen
Strukturen sprechen. Fraktale Strukturen werden geschaffen, indem die Resultate
einer Gleichung wieder in andere Gleichungen eingefügt werden, und so weiter: Millionen
Mal. Sozial tun wir dasselbe: Wir fügen die Geschlechtsdefinition und ihre
maskulinen Resultate wieder und wieder in soziale Definitionen ein und
reproduzieren somit dieselbe Struktur auf unterschiedlichen Ebenen.
Ist Reziprozitt ein Tausch oder ein Rollenwechsel?
Der homo oeconomicus, Protagonist neoklassischer ökonomie, wird mit dem Tausch geschaffen. Das
Wort homo selbst
bedeutet "dasselbe" und beinhaltet damit die Idee einer Gleichung. Wir lehren
alle Buben eine bestimmte Art von Maskulinitt, auf deren Basis sie dann als
Mnner um ökonomische und symbolische Vorherrschaft kmpfen. Wir lehren
Mdchen, diesen Prozess zu unterstützen und ihre Kinder wiederum in diesem
Sinne zu erziehen. Dies hat den Effekt, das in der Gesellschaft des "freien
Marktes" (ein Oxymoron) Mnner vornehmlich tauschen, whrend Frauen vornehmlich
schenken.
Wie unser ökonomisches System auf dem Tausch beruht, so beruht auch unser
Studium des Tausches – in Form der Wirtschaftswissenschaften – auf
dem Tausch. Der Kapitalismus praktiziert die Werte der Maskulinitt und die Maskulinitt
die Werte des Kapitalismus. Nachdem wir hier von sozialen Rollen sprechen,
können sie auch von Personen des anderen biologischen Geschlechts praktiziert
werden. Dies ist allerdings nicht einfach, da die sozial auferlegten Geschlechterrollen
stark sind und viele Hindernisse schaffen für den Erfolg in Bereichen, die
gewöhnlich dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden. Einer dieser Bereiche
sind die Wirtschaftswissenschaften: die akademischen Disziplinen, die den
Kapitalismus studieren.
Da das Studium der Produktion und Verteilung von Gütern in unserer
Gesellschaft auf dem sich selbst Wert verschaffenden Tausch beruht und an ihm
orientiert ist, wird das Schenken nicht als ökonomie betrachtet. Schenken ist
jedoch genau das: die Produktion und Verteilung von Gütern. Mikroökonomien des
Schenkens finden in jedem Haushalt statt. Die nicht-monetre, geschenkte Arbeit
der Frauen blieb dabei für die Wirtschaftswissenschaften bis vor kurzem unsichtbar,
da diese einzig von Menschen betrieben wurden, die zur Gnze dem Tauschprinzip verhaftet
waren.
Heute studieren einige Wirtschaftswissenschaftlerinnen den Tausch auch von
der Perspektive des Schenkens aus und machen ihren Einfluss geltend. Allerdings
haben sie noch nicht damit begonnen, die Gültigkeit des Tauschprinzips selbst
als eine Weltanschauung in Frage zu stellen – vielleicht weil sie selbst
relativ erfolgreich innerhalb desselben operieren.
Das Schenkprinzip als die Lösung für die Probleme zu identifizieren, die
der Tausch schafft, und für das Schenkprinzip einzustehen, ist am leichtesten für
jene, die sich zumindest zum Teil außerhalb der Tauschlogik befinden. Diese
"revolutionre Avantgarde" würde nicht nur Frauen beinhalten bzw. Hausfrauen
und Mütter (egal ob sie auch monetrer Arbeit nachgehen oder nicht), sondern
alle, die keinen Profit aus dem Tausch ziehen, sondern ihn stattdessen
unbewusst mit ihren Geschenken stützen. Wir meinen damit alle Mnner und
Frauen, auf deren Schultern das parasitre Tauschsystem aufbaut.
Viele von uns erkennen das Schenken deshalb nicht, da der Tausch in seiner
Globalitt und Selbstlegitimation so allumfassend scheint. Wir erkennen es oft
noch nicht einmal dort, wo wir es selbst praktizieren. Wir reflektieren auf
keiner Meta-Ebene über das Schenken und haben keine Meta-Sprache, in der wir über
es reden können. Wir begreifen unsere Kultur ausschließlich in Begriffen des
Tausches. Dasselbe gilt auch für andere Kulturen, weswegen wir deren
Schenkprozesse genauso wenig verstehen können.
Die französische Schule der Anthropologie etwa, die auf den Arbeiten von Marcel
Mauss aufbaut, widmet einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit dem Schenken. Im
Rahmen dieser Schule werden dem Schenken drei wesentliche Momente zugeschrieben:
Geben, Erhalten und Zurückgeben.
Dieses Insistieren auf Reziprozitt verleugnet jedoch den kommunikativen
Charakter des Schenkens und Empfangens (das sich ohne Reziprozitt vollzieht)
und erlaubt diesen Forschern nicht, eine klare Unterscheidung zwischen Schenken
und Tauschen als zwei sich widersprechenden Prinzipien zu machen.
Für diese Forscher stellt das Schenken somit nur eine Variante des Tausches
dar – eine mit einer lngeren Rückzahlzeit und weniger Betonung auf
Gleichheit. In ihren Augen liegt dem Schenken immer noch eine reziproke
Verpflichtung zugrunde, nicht der einfache Wunsch, ein Bedürfnis zu
befriedigen. Wie die meisten Mnner sind diese Forscher in ihrem Denken
limitiert, da sie nicht dazu sozialisiert wurden, menschliche Bindungen im
Sinne der (auf direkte Bedürfnisbefriedigung ausgerichteten) Mütterlichkeit zu
schaffen. Das Schenken erscheint somit als etwas Seltsames und wird nicht als
die auf der Mutter (als Fürsorgerin) beruhende Logik des Lebens selbst bzw. als
Modell für soziale Transformation gesehen.
Vor Jahren initiierte Claude Lévi-Strauss' Beschreibung des symbolischen
"Frauentausches" zahlreiche
Studien, die sich dem Tausch widmeten. Die darin involvierten Wissenschaftler
reichten von Anthropologen über Psychoanalytiker und Linguisten bis hin zu
Semiotikern. Von der Warte des Schenkprinzips aus sind Frauen selbst die Quelle
der Schenkens, sodass es sich um ein "Geschenk von Schenkenden" handelt, wenn
Frauen geschenkt werden – um ein Meta-Geschenk. Der Inhalt des von
Lévi-Strauss beschriebenen "Tausches" (aus der kapitalistischen Perspektive
gesehen) bzw. "Rollenwechsels" (anders gesehen) ist das Schenken selbst.
Es ist das Schenken und Empfangen – und nicht erzwungene Reziprozitt
– die Verbindungen zwischen Menschen schaffen. Der entscheidende Faktor
ist dabei die Kreativitt, die im Wechseln der Rollen von Schenkenden und
Beschenkten (von Fürsorgenden und Versorgten) liegt – es geht in keinem
Fall um die Verabschiedung oder das Einhalten eines Gesetzes oder die Gleichheit
eines Tausches oder den Zwang der Reziprozitt. In Gesellschaften, die weniger
stark vom Tausch geprgt sind als die unsere, dienen Schenkpraktiken
definitorischen Absichten und definieren die Beziehungen zwischen den Einzelnen.
Diese Schenkpraktiken leiten sich von der Logik der Sprache ab – einer
Logik, die wesentlich von jener des Tausches verschieden ist. Es ist das Schenken
und Empfangen von Geschenken – Ko-muni-kation – das soziale Rollen definiert.
Frauen sind die Avantgarde
Es gibt Autoren, die, wie Lews Hyde oder Jerry Martien, historische und
anthropologische Literatur neu interpretiert und in ihren Arbeiten zum Tausch die
Idee des Geschenks wenigstens zum Teil von den Zwngen des Kapitalismus befreit
haben.
Gleichzeitig – vielleicht weil ihnen die Erfahrung der Mütterlichkeit
fehlt – tendieren sie dazu, das Geschenk als etwas Poetisches und
Vergangenes aufzufassen, als etwas, das vergessen, marginalisiert und begraben
wurde. In sehr hnlicher Weise wird die eigene Erfahrung des Schenkens (das wir
als Kinder von unseren Müttern erfahren) begraben und bleibt nur im Unbewussten
sowie in Mythen und Geschichten prsent. Wenn wir das Schenken weiterhin ausschließlich
in Begriffen von Reziprozitt verstehen – mit anderen Worten: in
Begriffen des Tausches – halten wir den Diskurs des patriarchalen status
quo aufrecht.
Frauen können die Allgegenwart des Schenkens besser erkennen, weil wir es
in der Ausübung unserer sozialen Rolle als Erwachsene erleben (wie sehr diese
auch sozial abgewertet sein mag). Das ist der Grund, warum Frauen die
Avantgarde sind, die Trgerinnen des Schenkens als sozialen Programms, eines
Wegs, die Gesellschaft jetzt und zukünftig zu organisieren.
Das Fehlen einer auf dem Schenkprinzip basierenden Sprachtheorie macht das
Verstehen des Schenkens als eines Lebensprinzips schwieriger. Martien schafft
wenigstens eine Brücke zwischen Sprache und materiellem Schenken, wenn er Geld
als "Geschenk" analysiert und das Wampum
(das selbst eine solche Brücke war) als "Wort" und "Sprechakt". Martiens Arbeit
erlaubt uns, das Wampum als ein Mittel materieller Kommunikation zu sehen (whrend
es von europischen Siedlern bloß als "primitive" Form von Geld angesehen wurde).
Die Bnder mit Muschelperlen wurden von Ort zu Ort geschickt, um dabei zu
helfen, soziale Situationen zu definieren und spezielle Bedürfnisse nach
Bindung, Aufmerksamkeit und Fürsorge zu befriedigen. So erhielten Menschen, die
trauerten, spezielle Perlen, um ihr Bedürfnis nach Trost zu befriedigen, whrend
spezielle Perlen gegeben wurden, um Abkommen zu schließen oder Versprechen zu
halten. Das Wampum war eine materielle Sprache, die aus vielen Wörtern bestand
und über die Definition hinaus ging, um Solidaritt und Einheit zu schaffen. Geld
hingegen bleibt auf einer Stufe, auf der alles quantitativ definiert wird, um (in
ironischem Widerspruch des europischen Urteils in Bezug auf das Wampum) "primitivere"
menschliche Beziehungen zu ermöglichen, die auf einem wechselseitigen
Ausschluss basieren: zwischen denen, die privates Eigentum besitzen – und
denen, die das nicht tun.
Genauso wie in der Erforschung anderer Kulturen taucht in unserem eigenen
Leben die Frage auf, ob es möglich ist, dem Schenkprinzip zu folgen und es zu
strken, oder ob jede Form zwischenmenschlichen Gebens dem Prinzip des Tausches
verpflichtet ist, weil wir alles, das wir geben, zurückhaben wollen. Dieses
Problem ist ein Problem zweier unterschiedlicher Logiken, auch wenn es oft als
moralisches Problem gesehen wird. So mögen wir etwa angesichts eines Geschenkes
fragen: "Ist diese Person wirklich altruistisch oder will sie uns nur
manipulieren?" Doch dies verdunkelt das Bild – oder lsst uns gar für
Akte der Liebe mit Scham bezahlen. Wir sagen mit Bitterkeit, dass "keine gute
Tat jemals unbestraft bleibt" (no good deed ever goes unpunished). Selbstinteresse erscheint als die
grundlegende Motivation aller Menschen und die Armut als sein notwendiges
Pendant. Adam Smith zufolge besteht das Gute für die Mehrheit aus der Summe aller
Selbstinteressen, whrend das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein als unrealistisch
und selbst aufopfernd gesehen wird. Reziprozitt erscheint somit als Mittel, im
Rahmen sozialer Interaktion den Selbstinteressen aller Genüge zu tun.
Der Brauch, ein bisschen mehr zurückzugeben als das, was wir bekommen
haben, ist ein weiteres Merkmal unseres Alltagslebens, in dem das Schenkprinzip
durchscheint (selbst wenn das Prinzip der Reziprozitt auch diesen Akt oft als
Teil des Tausches erscheinen lsst). Vom Tauschprinzip vereinnahmt wurde dieser
Brauch in Form des Kreditzinses. Diejenigen, die Kredite gewhren, gewhren
diese einzig in Erwartung dessen, dass ihnen mehr zurückgegeben wird, als sie
gegeben haben. (Dies ist so normal geworden, dass dieser Tage ein zinsloser
Kredit als Geschenk begriffen wird.)
AnthropologInnen haben – wie wir alle im Patriarchat – Schwierigkeiten,
die Spiegelbrillen des Tauschprinzips abzulegen. Sie sprechen vom "Tausch von
Geschenken" und bringen damit die beiden Prinzipien von Anfang an durcheinander.
Das Schenken erscheint ihnen bloß als eine unterentwickelte Version des
Tauschens – in keiner Weise als ein anderes und lebenswürdigeres Prinzip
sozialer Organisation. In so genannten primitiven Gesellschaften hat das
Schenken oft eine symbolische Funktion. Ich glaube, das ist deshalb so, da –
wie wir im Falle des Wampum gesehen haben – in der Imitation der Sprache
spezielle materielle Ersatzgeschenke (in der gleichen Form wie verbale Ersatzgeschenke)
auf organisierte Weise gegeben werden. Dies geschieht in der Absicht,
spezifische Bindungen zwischen Schenkenden und Beschenkten zu schaffen.
Mit anderen Worten, sowohl der Austausch von Waren für Geld als auch der symbolische
Tausch von Geschenken sind Variationen des Themas der Kommunikation. Sie
stellen zwei alternative Gebrauchsweisen ineinander verwobener Modelle dar.
Tatschlich lassen sich sowohl Sprache als auch die Produktion und Verteilung
materieller Güter in allen Gesellschaften finden und haben für Millennien
zusammen existiert. Gesellschaften haben gelernt, ihre eigenen Prozesse in
einer Vielfalt von Wegen zu nutzen, um neue Kommunikationsprozesse zu schaffen.
Sprache ist eine zweite (verbale) Schenkökonomie und Definitionen und
Namensgebungen sind spezielle dekontextualisierte Sprachprozesse. Diese dekontextualisierten
Sprachprozesse entwickeln sich zum Tausch, wenn sie auf die materielle Ebene
verlegt werden, auf dem Menschen ein Produkt für ein anderes ersetzen und die
beiden quantitativ vergleichen.
Die Einführung des Geldes stellt dabei ein allgemeines quivalent zur Verfügung:
ein einzelnes Ersatzgeschenk, das die Rolle eines Wortes in der Sprache
übernimmt und mit dem die Werte aller Produkte des Marktes ausgedrückt und
bewertet werden können. Das Geld stellt allerdings nur ein zustzliches
abstraktes Moment im Tauschprozess dar. Es ndert nicht dessen grundlegende
Logik. In diesem Sinne ist die direkte Tauschwirtschaft (barter) keine Lösung für die Probleme, die das
Tauschprinzip schafft. Sie folgt derselben Logik wie monetre
Tauschwirtschaften – nur ohne Geld. Nur wenn wir die Unterscheidung
zwischen Schenken und Tauschen als die grundlegende Unterscheidung zwischen
zwei Prinzipien menschlichen Miteinanders verstehen, können wir eine Reihe
verschiedener und scheinbar unzusammenhngender Probleme deutlich machen.
Viele Geschenke
Viele der irrationalen und schdlichen Aspekte des patriarchalen
Kapitalismus kommen vom Aufeinandertreffen des Schenk- und des Tauschprinzips. Die
Mehrarbeit (der Teil der Arbeit, der nicht bezahlt wird und dem Profit des
Kapitalisten zugute kommt) kann als erzwungenes Geschenk der ArbeiterInnen verstanden
werden. Die Praxis, Frauen für die gleiche Arbeit weniger zu zahlen als Mnner
kann als Versuch gewertet werden, Frauen auf eine Rolle des Schenkens
festzuschreiben: es wird von ihnen erwartet, noch mehr unbezahlte (geschenkte)
Arbeit zu leisten als ihre mnnlichen Kollegen. Aufgrund der Gleichheit des
Tausches und des Wertes, dem wir ihm zukommen lassen (ihm "schenken"), haben
wir die Tendenz, den Markt als "gerecht" zu sehen, selbst wenn er uns bestraft
(in etwa nach dem Motto: "der Vater hat immer recht").
Es gibt Rechnungen, denen zufolge die unbezahlte Haushaltsarbeit von Frauen
40% oder mehr des Bruttosozialprodukts einzelner Nationen ausmacht. Diese
Arbeit ist eines der augenscheinlichsten Beispiele nicht anerkannter geschenkter
Arbeit. Dazu kommen die Geschenke von den Armen an die Reichen, vom Süden an
den Norden, von (zumindest partiellen) Schenkökonomien an Tauschökonomien.
Wechselkurse, unterschiedliche Lebensstandards ökonomische Unausgewogenheiten
bedingen einen stndigen Fluss von Geschenken von den so genannten "Entwicklungslndern"
zu den "Industrielndern".
Doch bleibt dieser Fluss nicht nur unerkannt – er wird oft genug im
gegenlufigen Sinne interpretiert. Oft scheint es so als wre es der Norden,
der dem Süden schenkt: Materialien, Know-How, Technologie, Arbeitslöhne, Mrkte,
Schutz, sogar "Zivilisation". Doch anstelle davon, aufgrund dieser "Geschenke"
reicher zu werden, wird der Süden immer mehr ausgebeutet und zerstört, da er
das "Mehr" zurückzugeben versucht, den Zins dessen, was ihm "geschenkt" wurde.
In Wahrheit sind die "Geschenke" des Nordens nur Mittel, dem Süden mehr und
mehr seiner wahren Geschenke zu entlocken. Die Verunmöglichung starker eigener
ökonomien ist das zwangslufige Resultat.
Die Senkung des Lebensstandards in der so genannten Dritten Welt dient der
so genannten Ersten Welt zum Beispiel dazu, Löhne niedrig zu halten. Das
Differential von Billigarbeit und Rohmaterialien wird gleichzeitig in
kollektive Geschenke transformiert, die von der Mehrheit im Süden über eine
Minderheit im Süden an eine Minderheit im Norden gelangen. Der manipulative
Gebrauch des Schenkens für Profit (der nie schenkt, aber immer Geschenke
fordert) ist selbst ein Tausch. Wir vermischen die beiden Prinzipien, wenn wir
Schenken als Tausch und Profit als "verdient" verstehen. Dies geschieht nicht
nur in der akademischen Welt, sondern überall. Diese Vermischung ist ein
wesentlicher Beitrag zur Aufrechterhaltung ausbeuterischer Praxis.
Die vielen Beispiele der Sklaverei, die die Geschichte der Menschheit
kennzeichnen, sind Beweise für die Neigung, Gruppen von Menschen in erzwungenen
Schenkpositionen zu halten bzw. sie zu "besitzen". Frauen aller Kulturen haben
sich oft in dieser Position befunden – egal ob sie von ihren Mnnern offiziell
besessen wurden oder nicht. Um Kapital zu akkumulieren, müssen von irgendwoher Mehrwertgeschenke
kommen. Etwa (wie es in den Südstaaten der USA der Fall war) von der Ausbeutung
von SklavInnen – ungeachtet des Leids, das dadurch erzeugt wird.
Tausch schafft einen effizienten Mechanismus für Akkumulation, indem er die
Geschenke, die er erhlt, hinter der Fassade einer Gleichung versteckt, die als
"gerecht" angesehen wird, bzw. hinter einer Transaktion, die auf einer "freien
Wahl" zu beruhen scheint (wobei die Tatsache, dass das Fehlen von Alternativen
die Armen oft in eine Position rückt, die der Sklaverei nicht unhnlich ist,
unbedacht bleibt). Kapital kann gesehen werden als eine Sammlung von Geschenken
der Vielen: jener Geschenke, die ihnen vom Tauschprinzip entrissen wurden. (Das
Tauschprinzip sieht sie freilich noch nicht einmal als Geschenke, sondern als
den "gerechten Profit" einer Investition. Gleicher Tausch produziert jedoch keinen
Profit. Nur geschenkte Arbeit tut dies.)
Geschenkte Arbeit ist leicht zu übersehen, weil – wie wir es in Bezug
auf die Sprache gesehen haben – das Schenken transitiv ist. Wenn A B
schenkt, und B C, dann schenkt A C. Also: Wenn eine Frau ihrem Mann ihre
(unbezahlte) Arbeit schenkt, und dieser seine Mehrarbeit einem Kapitalisten, dann
wird die Arbeit der Frau transitiv (durch ihren Mann) dem Kapitalisten
geschenkt. Darüber hinaus wird geschenkte Arbeit leicht übersehen, weil wir
unseren Blick von der ursprünglichen Quelle des Geschenks abwenden. Wenn überhaupt,
dann sehen wir wie B C schenkt. Gleichzeitig lassen wir uns hier jedoch von dem
so genannten "gerechten Tausch" zwischen B und C tuschen: dem Lohn, der vom
Kapitalisten an den Arbeiter gezahlt wird. Dieser ist vom Marktpreis der
verrichteten Arbeit determiniert.
Wenn wir unsere gesamte Aufmerksamkeit auf den Lohn als einen "gerechten"
Preis für Arbeit richten, können wir das Schenken, das gewissermaßen hinter ihm
stattfindet, nicht erkennen. Der Tausch legitimiert und besttigt sich selbst
über die Tauschprozesse des Marktes. Er treibt auf der Oberflche eines Sees,
der aus verleugneten Geschenken besteht. Diese kommen von Frauen,
ArbeiterInnen, den Unbezahlten, den Unterbezahlten, den Armen, den Arbeitslosen
(die mit ihrem Bedarf nach Arbeit den Lohn niedrig halten) und all jenen Klassen
und Lndern, die zu stndigen Geschenken an die privilegierten Klassen und
Lnder gezwungen werden.
Darüber hinaus gibt es weitere Geschenke, die das Tauschprinzip und den
Kapitalismus aufrechterhalten: Zunchst die zahlreichen Geschenke der
KonsumentInnen, die für vieles überhöhte Preise bezahlen, wie etwa für öl, das relativ
niedrige Produktionskosten hat, aber einen hohen Nutzen für Leute, deren Bedürfnisse
von den Transportindustrien bestimmt werden. Dann die Geschenke der
Vergangenheit, die zum einen im Mehrwert bestehen, der im gebundenen Kapital
enthalten ist, und zum zweiten in den (meist von Frauen erbrachten) Geschenken,
die die Aufrechterhaltung sowohl materieller (Immobilien oder Waren) wie kultureller
(Sprache oder Kunst) Güter sicherstellen. Der Fluss unerkannter Geschenke von
der Vergangenheit in die Gegenwart ist ebenso enorm wie jener, der von den
Lndern des Schenkens in die Lnder der Ausbeutung luft.
Und schließlich gibt es die Geschenke der Natur – die Luft, das
Wasser, den Sonnenschein –, zu deren kreativen Nutzen uns die
Evolutionsgeschichte ausgebildet hat. Diese Geschenke werden heute zerstört und
erschöpft. Sie werden dem Tauschprinzip geopfert, damit dieses Kosten sparen
kann. Ungeborene Generationen werden gezwungen, ihren potentiellen Gebrauch der
Geschenke der Natur an uns abzutreten. Profit zu machen ist für uns wichtiger
als der Zukunft zu schenken. Die Kommerzialisierung infiltriert die letzten
Bereiche, die noch Bereiche des Schenkens sind: von Fast-Food-Restaurants bis
zu Waschsalons. In der Tat wird alles kommerzialisiert – die Industrie der
Bio-Genetik versteht sogar, unsere biologischen Geschenke zum Profit für eine
Minderheit auszubeuten.
Kapitel 4>