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Vorwort

Kapitel 1 Am Anfang

Kapitel 2 Sprache und Schenken

Kapitel 3 Reziprozitt

Kapitel 4 Definition und Tausch

Kapitel 5 Die Kategorie des Menschen

Kapitel 6 ,Marksistische" Kategorien

Kapitel 7 Die kollektive Quelle

Kapitel 8 Kastrationsneid

Kapitel 9 Is = $

Kapitel 10 Wert

Kapitel 11 Der übergang zum Tausch

Kapitel 12 Wie dem Tausch Wert geschenkt wird

Kapitel 13 Markt und Geschlecht

Kapitel 14 Zu existieren verdienen

Kapitel 15 Das Zeigen und das Patriarchat

Kapitel 16 Das Zeigen des Egos

Kapitel 17 Was reprsentiert die Demokratie?

Kapitel 18 Die nicht-maskulisierten Protagonistinnen gesellschaftlichen Wandels

Kapitel 19 Traum und Realitt

Kapitel 20 Schenken und Liebe

Kapitel 21 Vom Garten zum Gral

Kapitel 22 Kosmologische Spekulationen

Kapitel 23 Nach den Wörtern - die Theorie in der Praxis

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Kapitel 8

Kastrationsneid

Es herrscht Krieg zwischen den haves und den have-nots. Ich denke, dass die Wurzeln des Problems in dem liegen, was ich Kastrationsneid nennen will. Das Privateigentum ist ein Produkt einander ausschließender Geschlechtskategorien, verbunden mit der privilegierten Position des Kategorieprototyps. Die Buben finden sich in der Kategorie, die dem Schenken gegenübersteht, weil sie etwas haben (den Penis), whrend die Mutter als weiblich definiert wird, weil sie schenkt (fürsorglich ist) und keinen Penis hat. Eine Kategorie des Habens steht einer Kategorie des Schenkens gegenüber. Schenken und Nicht-Haben werden miteinander identifiziert und damit, weiblich zu sein. Nachdem der Bube in derselben Kategorie wie sein Vater ist, in der dieser den privilegierten Kategorieprototyp, das Eine, darstellt, muss der Bube zunchst einer der Vielen sein, einer der Dinge, einer derer, die Platz machen, einer der Schwachen. Erst spter kann er als Erwachsener selbst ein Prototyp bzw. ein Eines werden. Die Rolle des Buben gleicht jener der Ware, die wieder und wieder mit einem allgemeinen quantitativen Standard verglichen wird. Doch whrend das Haben den Buben in eine Konkurrenzsituation rückt, die durchaus schwierig sein kann, wird er von der Tatsache getröstet, dass er zu dem privilegierten Geschlecht gehört, dem unentwegt geschenkt wird.

 

Eigentum und Geld

Geld ist das materielle Ersatzgeschenk für die Ware und der Prototyp für die Kategorie des Wertes. Es ersetzt alle anderen Kategorien, wenn es um die Wertbestimmung von Produkten im Tausch geht. Der Besitzer verhlt sich dabei zum Eigentum wie das Geld zur Ware, wie der Vater zu den Kindern, wie der Penis des Vaters zum Penis des Buben und wie der Prototyp zu den Vielen, die mit ihm verglichen werden.[1]

Es ist der Mann, der das Kennzeichen hat, das ihn sowohl als potentiellen Prototypmann als auch – in der Form einer Beziehung des Einen zu den Vielen – als potentiellen Eigentümer markiert. Der Penis ist vielleicht das Paradebeispiel des Eigentums. Aber er ist unübertragbar – der Mann kann und will ihn nicht aufgeben.[2] In Bezug auf seine Familie befindet sich der patriarchale Vater in einer hnlichen Besitzbeziehung. In gewissem Sinne kann sich seine Kontrolle über die Familie daraus erklren, dass in Zeiten des Mangels die Schenkenden nichts haben werden, wenn sie nicht selbst beschenkt werden, whrend jene, die nicht schenken, in jedem Fall das haben, was sie nicht herzugeben bereit sind. (Es gibt hier auf jeden Fall auch einen analfixierten Aspekt.) Der Vater kann zudem Mütter und Kinder dazu bringen, nicht außerhalb der Familie zu schenken, die Bedürfnisse anderer weder sexuell noch materiell zu befriedigen. Die, die haben, werden demnach wahrscheinlich auch Zeiten des Mangels überleben. Indem er große Summen an Geld besitzt, stellt der Prototyp (das Eine, der have) mehr Fürsorge für sich selbst und die ihm Nahen sicher.

Im Tausch wird ein Objekt mit einem Standard verglichen. Es wird quivalenz verlangt. Das Objekt tritt damit in den Prozess der Kategorisierung ein. Dieser Prozess reproduziert sich in vielen Lebensbereichen: in der Maskulisierung der Buben, in Messungen und Tests aller Art, in Schulzeugnissen, in sportlichen Rekorden, in Schönheitswettbewerben, in Vorbildsrollen. Die Beziehungen von PrsidentInnen zu BürgerInnen, von Musik- und Filmstars zu Fans oder von preisgekrönten Ebern zu Ferkeln sind alle Variationen dieses Themas.

Der Struktur des Tausches entspricht auch das westliche Hochzeitsmodell, in der die Frau als Objekt von jener Familiengruppe, die sich auf ihren Vater als den Prototypen/das Eine bezieht, in eine neue getauscht wird, in der ihr Ehemann dieselbe Rolle einnimmt. Dieses Hochzeitsmodell ndert sich ein bisschen in den USA, aber es beeinflusst uns trotz allem weiterhin. In vielen Teilen der Welt reglementiert es den Familienbildungsprozess nach wie vor streng. Obwohl ihr Hochzeitstag der glücklichste Tag ihres Lebens sein soll – ein "Prototyptag" – und obwohl die Frau an diesem Tag als Prototyp für andere Frauen gesehen wird, spielt sie die Rolle des Prototyps nur im Kontext des Ausweichens für ihren neuen Ersatz, den Ehemann. Dieser nimmt als solcher die Rolle des Wortes ein. In diesem Sinne scheint es nur logisch, dass die Frau auch seinen Namen annimmt.

Eine neue sich selbst reproduzierende Familieneinheit wird geformt, in der Buben wieder lernen werden, eine mnnliche Identitt anzunehmen und den Schenkprozess zu verleugnen (und manchmal zu bestrafen und abzuwerten), und in der Mdchen weiterhin lernen werden, ihre Geschenke und ihre Treue dem mnnlichen Beispiel zukommen zu lassen. Wie das Eigentum basiert die Ehe auf dem gegenseitigen Ausschluss der Einen.[3] So wie sich alle Eigentümer zu ihrem Eigentum als das Eine zu den Vielen verhalten, so verhalten sie sich auch zueinander auf diese Art. Alle Eigentümer stehen in sich gegenseitig ausschließenden Beziehungen mit allen anderen Eigentümern. Das Geld vermittelt als Prototyp des Wertes, auf den Produkte bezogen und anhand dessen sie ersetzt werden, zwischen den Eigentümern auf ziemlich hnliche Weise wie der Priester zwischen Vater und Ehemann vermittelt, um die übergabe der schenkenden Frau von einer Familienkategorie zur anderen zu regulieren. Ein Objekt vom Beispiel der Kategorie, der es zugerechnet wird, zu lösen, um es einer anderen (oppositionellen) Kategorie bzw. einem anderen Prototyp zurechnen zu können, verlangt ein bestimmendes Wort – dieses kann im einen Fall vom Priester ausgesprochen werden, whrend es im anderen Fall die Form des materiellen Wort- und Wertbeispiels, kurz: die Form des Geldes anzunehmen hat. Urkunden, Lizenzen oder Vertrge sind bleibende Reprsentationen des materialisierten bestimmenden Wortes.

 

Arbeit und Geld

Der Verkauf von Arbeitszeit vollzieht sich auf sehr hnliche Weise, obwohl Familienmitgliedern und FreundInnen Arbeit meist geschenkt wird. überhaupt charakterisieren Geschenke und freie Dienste viele Bereiche des Lebens, sodass Arbeit im Allgemeinen flexibler ist als Privateigentum. In Zeiten von Prekaritt scheinen ironischerweise Arbeitspltze (monetarisierte Tauscharbeit) Geschenke zu sein. Dies deshalb, da wir uns im Tauschprinzip über Geld definieren müssen, um unser überleben zu sichern. Viele Frauen und Mnner erhalten dabei keine Arbeitspltze geschenkt. Monetarisierung (bzw. ihr Fehlen) ist ein Machtinstrument. Es schreibt einer Gruppe von Menschen ökonomische Relevanz (einen Tauschwert) zu, einer anderen nicht. Diejenigen, die nicht der ökonomisch privilegierten Kategorie angehören, könnten ihr durchaus angehören (so wird behauptet), wenn sie nur vertrauenswürdig, effizient und gut genug ausgebildet wren. Der Erfolg oder das Scheitern von Menschen scheint von Qualitten abzuhngen, die sie haben oder nicht haben.[4] Die Wichtigkeit des Tauschwerts liegt darin, das er Zugang verschafft zu jener ökonomischen Kategorie, die genug Geld zum überleben verspricht. Allerdings wird gleichzeitig Mangel (Nicht-Haben) produziert, der notwendig ist, damit der Tausch als Prozess bestehen und die monetarisierte Kategorie (die Kategorie des Habens) privilegiert bleibt.

Maskulisierte Mnner wünschten sich traditionellerweise Frauen, die nie gefördert wurden und denen nie das Geschenk zukam, zu einer privilegierten Kategorie zu gehören oder ein akademisches Diplom oder einen Titel zu haben (eine weitere verbale Maskulisierung). Ja noch nicht einmal eine bezahlte (monetarisierte) Arbeit sollten Frauen haben, was ihnen dabei geholfen htte, sich im Konkurrenzkampf um die am höchsten bezahlten (monetarisierten) Kategorien besser behaupten zu können. Genau hier ist der Punkt, an dem der Kapitalismus und das Patriarchat mit jenen eine Einheit bilden, die sie als "anders" definieren. Das gesamte patriarchal-kapitalistische System braucht und gebraucht die individuellen Bedürfnisse derer, die außerhalb der Kategorie der bezahlten Arbeit stehen. Zum Beispiel braucht der Berufsmarkt Arbeitslose, um die Arbeitslöhne niedrig halten zu können. Weiters brauchen diejenigen, die bezahlter Arbeit nachgehen, die freie Arbeit derer, die das nicht tun – sie leben von dieser freien Arbeit und diese erlaubt es ihnen, ihrer eigenen bezahlten Arbeit freie (geschenkte) Arbeit hinzuzufügen (z.B. in Form der überstunde). Die bezahlten Arbeitenden sind bereit, dies zu tun, aufgrund der Angst, andernfalls entlassen und Teil der have-nots zu werden. Das System belohnt diejenigen, die bezahlter Arbeit nachgehen, indem sie ihr relatives Wohlergehen mit dem Leiden der Arbeitslosen vergleicht, deren Bedürfnisse nicht befriedigt werden.[5] Auf hnliche Weise wird die Zugehörigkeit zur maskulisierten Kategorie für Mnner (jene, die das Kennzeichen haben) noch bedeutender aufgrund der Misshandlungen, die Frauen und Mdchen erfahren (und die in manchen Kulturen bis zum Aussetzen und Sterben-Lassen neugeborener Mdchen reichen), da sie Angst haben, ansonsten hnliches erleiden zu müssen wie die weiblichen have-nots.

 

Der ursprüngliche Fehler

Wir können den folgenden unbewussten Prozess vermuten: Wenn ein Bube aufgrund seines Penis der nicht-fürsorglichen Kategorie zugeschrieben wird, dann könnte er diese Entfremdung durch Kastration wiedergutmachen. Der Bube wünscht sich daher seine Kastration, um wie seine fürsorgliche Mutter zu sein. (Freud zeigte, dass wir oft das fürchten, was wir begehren.) Gleichzeitig zeigt ihm die Gesellschaft in ihrer Misogynie, dass Mdchen – die bereits "kastriert" geboren werden – noch hrter als er bestraft werden und dass er demnach das, was er hat, wertschtzen muss. Sein Kastrationsneid wird in diesem Sinne geheilt durch die schlechte Behandlung der have-nots. Und je mehr Güter er von diesen erhlt, desto größer ist sein Haben und desto weniger will er vermutlich sein wie sie bzw. desto weniger beneidet er sie vermutlich um ihren angeblichen Mangel.

Wir können einen weiteren Prozess vermuten: Vielleicht will der Bube – als Konsequenz des eben beschriebenen Prozesses – zunchst seiner Mutter seinen Penis schenken, damit auch sie Teil der überlegenen Kategorie sein kann. Doch schlussendlich behandelt er ihn als einen unentbehrlichen Besitz bzw. als etwas, das zuviel Wert hat, um hergeschenkt zu werden. Kurz, er behlt seinen Penis, und es ist in diesem Moment, in dem er dem Schenkprinzip entsagt. Er zeigt, dass er das Schenkprinzip für entbehrlich hlt bzw. als weniger wichtig erachtet als seinen Penis. Diesen zu behalten, nicht kastriert zu werden und fest in der Kategorie des "Mannes" verankert zu sein, wird seine Prioritt. Er stellt seine genitale Identitt über das Prinzip der Fürsorge, so wie die Gesellschaft insgesamt den ökonomischen Tausch über das Prinzip des Schenkens stellt.

Als Erwachsener kommt dem jetzt zum Mann gewordenen Buben die Möglichkeit zu, über das Verteilen seines Geldes und Besitzes fürsorglich zu sein.[6] Wenn er wirklich wohlhabend wird, kann er in solchen Mengen schenken, dass er sich als noch fürsorglicher vorkommen kann als seine Mutter, die ihm, wie er meint, ohnehin nur als Kleinkind half. Manche Mnner machen sich diese Möglichkeit, als Fürsorgende zu erscheinen, zunutze. Sie schenken dabei jedoch in der Regel nur einigen Wenigen; solchen, denen sie helfen wollen, in die Kategorie der Privilegierten einzutreten, so wie sie selbst es einst getan haben. Die von der Tauschlogik getragene patriarchal-kapitalistische Struktur bleibt damit aufrecht: die Kategorie der haves steht jene der have-nots gegenüber.

Ein weiteres Problem des mütterlichen Ausweichens bzw. des Aufgebens ihrer Beispielrolle ist, dass der Bube sich als nicht besonders wertvoll empfinden muss, da er offenbar als aufgegeben werden konnte (schließlich wird er im Ausweichen der Mutter dem Vater übertragen). Es mag sogar so aussehen, als htte die Mutter ihren Penis aufgegeben, ja sogar, als htte sie ihm dem Buben geschenkt. Der Vater hat diesen Mangel nicht. Er hat seinen Penis behalten und so kann der Bube in seine Geschlechtskategorie eintreten. Es sieht so aus, als htte der Vater gewusst, dass er nichts herschenken sollte. Wenn der Vater nur die Mutter gewesen wre – so mag der Bube denken – dann htte sie den Penis und der Bube würde noch immer wie sie und immer noch ein potentieller Fürsorger sein.

Diese überlegungen sind natürlich rein hypothetisch, da es letztlich nicht der Penis selbst ist, der den Buben der Kategorie der Mutter entreißt, sondern dessen soziale Interpretation und die sich daran hngende Geschlechtskonstruktion bzw. die Opposition der geschlechtlichen Kategorien. Es ist ein sozialer Prozess, indem der Bube aufgrund seines Penis als "mnnlich" bezeichnet wird. Fürsorge hat nichts mit körperlichen Voraussetzungen zu tun. Wenn ein Bube fürsorglich bleiben will – was er als kleiner homo donans auch tun sollte – muss er dazu seinen Körper nicht ndern oder seinen Penis aufgeben. Alles, was er tun müsste, wre die gesellschaftlichen Geschlechtsbenennungen und -kategorien zu ndern – eine beschwerliche Aufgabe, aber sicherlich weniger beschwerlich als das Verlieren eines Körperteils. Diese sprachliche Befreiung würde den Buben auch davon abhalten, das zu wollen, was er fürchtet: seine Kastration. Die Gesellschaft würde damit aufhören, dem Haben Wert zuzuschreiben und das Nicht-Haben zu bestrafen – sowohl in Hinsicht auf mnnliche Genitalien wie auf Geld oder alle anderen Formen von Besitz.

 

Puerarchat

Reiche Menschen fürchten sich meist davor, nichts zu haben. Gleichzeitig wollen sie von der Schenkökonomie der have-nots profitieren. Dieselben Privilegien, welche Buben über Mdchen stellen, stellen Reiche über Arme. So befllt die Furcht vor der (symbolischen) Kastration auch die Reichen als Gruppe. Sie nehmen die Bedürfnisse anderer als Verlangen wahr, ihnen (den Reichen) ihre Besitztümer zu nehmen, sie in diesem Sinne zu kastrieren und sie in die Kategorie der Unterprivilegierten zu verbannen. Reiche Frauen sind in einer widersprüchlichen Lage, da sie zwar Geld und Eigentum haben, aber nicht das mnnliche Kennzeichen des Privilegs. Das mag der Grund sein, warum sie sich oft teurer sichtbarer ußerlichkeiten (wie Schmuck) bedienen, um zu signalisieren, dass sie Mitglieder der privilegierten Kategorie sind.

Waffen sind Kennzeichen, die die phallische Gleichung wiederherstellen und es armen Menschen manchmal ermöglichen, den Reichen Geschenke durch Raub abzuverlangen. Die Reichen verlangen den Armen oft Geschenke mithilfe der Macht niederer Löhne und anderer Ausbeutungsmechanismen ab. Allerdings definieren sie das nicht als Raub, sondern als Profit. Dieses Profitsystem wird dann von polizeilichen und militrischen Hierarchien verteidigt, die selbst mit Waffen ausgestattet sind. Whrend die Armen für ihr Nicht-Haben bestraft werden, werden die Reichen  für ihr Haben belohnt.

Der zunehmende Mangel der Bedürfnisbefriedigung der Armen demonstriert die Notwendigkeit einer umfassenden Schenkökonomie. Allerdings bedeutet das Aufgeben des Geldes das Aufgeben des Penis (Kastration) sowie das Aufgeben der privilegierten Kategorie und damit der Möglichkeit, in überfluss zu leben. überfluss selbst ist eine gute Sache, aber nicht dann, wenn er nur dazu genutzt wird, das Haben bzw. das Nicht-Schenken zu belohnen. Das Gleiche gilt für die Arten der Kategorisierung, der Definition und des Verdiensts, die von der Maskulisierung kommen. Indem er weit verbreitet Mangel schafft, schafft der Kapitalismus gleichzeitig die Bedingungen, in der die Tauschökonomie sich behaupten kann. Das Geburtsrecht aller auf ein Leben im überfluss wird zur Belohnung einiger glücklicher Auserwhlter – genauso wie das großzügige Schenken der Mütter aufgrund der Maskulisierung nicht mehr allen gleich, sondern vor allem den als Buben kategorisierten Kindern zukommt. Die Beziehung zwischen den haves und den have-nots reflektiert das Verhltnis von Furcht vor und Verlangen nach Kastration, das von den falschen Kategorisierungen der Maskulisierung herrührt. Die Besorgnis unserer Buben hat sich über unsere gesamte Gesellschaft ausgebreitet und richtet unglaublichen Schaden an. Es ist schwierig für uns, diese Situation anzuerkennen, und wir fühlen unbewusst, dass wir für den Schaden, der angerichtet wird, zahlen müssen. Dies heißt jedoch, weiterhin im Sinne des Tauschprinzips zu denken. Denn es gibt keine Bezahlung, die den Schaden, der angerichtet wurde, wiedergutmachen könnte. Wir müssen auf jeden Fall vergebend sein, wenn wir in das Schenkprinzip eintreten wollen. Beginnen müssen wir damit, das System neu zu definieren, als etwas, das gendert werden muss, und nicht nur als etwas, das "so ist, wie es ist". Dann können wir unser Bedürfnis nach Vernderung explizit machen und das Patriarchat im Licht des Schenkprinzips als einen bösen Traum reinterpretieren und ganz von neuem beginnen. Vielleicht sollten wir das System, das auf dem Kastrationsalptraum der Buben beruht, neu benennen: "Puerarchat" statt "Patriarchat" – die Herrschaft des Buben (lat. puer = der Bube). Oder sogar: "‚Puer'-archat" – die Herrschaft des Wortes "Bube".

 

Misogynie

Die Unterdrückung der Frauen kann als eine Vergeltungsmassnahme gegen die Mutter gesehen werden – eine Vergeltung dafür, dass sie den Buben dem anderen Geschlecht überlassen hat. Dieser Tausch (als ein "Begleichen von Rechnungen") ist nicht nur eine Söldnerattacke, sondern Teil des Versuchs, Kategorien zu schaffen, die körperlichen Eigenschaften folgen und nach Prinzipien von Einbeziehung und Ausschluss funktionieren.

Dieser Versuch war nie zur Gnze erfolgreich, obwohl die Verbannung der have-nots aus der Kategorie der haves immer größere Dimensionen annahm. Die haves sind heute knapp 250 Millionen Menschen, die have-nots fünfeinhalb Milliarden. Ein Grund für diese Entwicklung ist, dass die übertragung des Habens bzw. Nicht-Habens des Penis in die ökonomischen Begriffe des Habens und Nicht-Habens überlebensnotwendiger Güter unzhlige neue Probleme geschaffen hat. Außerdem hilft diese übertragung dabei, die gemeinsamen Ursprünge aller Menschen (haves wie have-nots) vor der kindlichen Geschlechtskategorisierung zu verschleiern. Hier – anders als im Alptraum der Buben, in dem die Mütter ihnen ihre Penisse schenken – schenken die ökonomischen have-nots den ökonomischen haves tatschlich, auch wenn dies von der überbetonung des angeblichen Werts und Verdiensts der haves verschleiert werden mag. Diese behalten in jedem Fall ihre auf der Basis von Konkurrenz und Herrschaft erworbenen und von hierarchischen Strukturen gesicherten Positionen als Eine.

Die falschen Konzeptionen, die von dieser Travestie der Werte geschaffen werden, reichen tief, aber sie wirken in ihrer Offensichtlichkeit gleichzeitig so unschuldig, dass sie praktisch nicht wahrgenommen werden. Dabei ist das Problem im Prinzip einfach: es ist die Maskulisierung und das Abwenden von der Mütterlichkeit, die uns lehren, den Tod und die Zerstörung über das Leben und das Wohlergehen aller zu stellen. Was geschehen müsste, ist, dass die haves damit beginnen, den have-nots zu schenken, um deren Bedürfnisse zu befriedigen. Die Verbannung oder gar das Morden der have-nots als Strafe dafür, dass sie nichts haben (oder als Garantie für die haves, dass ihre Besitztümer, Jobs, Geldmengen und Phallusse noch mehr wert sind) muss aufhören.

Ich versuche hier nur, Strukturen zu beschreiben, von denen ich denke, dass sie unseren Problemen zugrunde liegen. Ich will damit nicht leugnen, dass viele Mnner ihre Kinder lieben oder dass Buben fürsorglich sein können (vielleicht "greift" die Maskulisierung bei manchen einfach nicht). Ich denke jedoch, dass diese Strukturen für die tiefen Grben in unserer Kultur, für die Befangenheit ihrer Institutionen und für das erschreckende Ausmaß ihrer Zerstörung verantwortlich sind.

 

Das Pflegen des Tausches

Die Abstraktion: Bube = Vater, wird in der internen (marginalen[7]) Priorittsliste der Eltern wichtiger als die konkrete, fürsorgliche Beziehung. Ein sichtbares physisches Kennzeichen wird für die Identitt des Buben wichtiger als seine Verhaltensweisen oder als auf der Liebe basierenden Konstruktionen seines Selbst. Stattdessen konstruiert der Bube sein Selbst nun im Zuge der Unterwerfung seiner Mutter und dem Beanspruchen ihrer Dienste. Die Gleichheit des Buben mit dem Vater wird sowohl durch Spiegeleffekte besttigt (der sich bereits selbst reflektierende Vater reflektiert sich noch einmal im Kind, wodurch er seine Rolle als Prototyp/Eines erfüllt, auf das sich der Bube zu beziehen hat) als auch durch weitere kategorisierende Mechanismen.

Schenken besttigt die Anderen. Gegenwrtig versorgt es jedoch leider den Tausch als sein Anderes und besttigt somit die Prinzipien der quivalenz und des Ersetzens. Das Schenken versorgt somit das ihm widersprechende Prinzip, es versorgt die Prozesse seiner eigenen Ersetzung durch die phallische Gleichung. Die schenkenden Mütter schenken dem Tauschprozess als dem, das sich zu ihnen als das Andere verhlt. Sie machen weiters ihre Buben zu ihrem Anderen, indem sie dem Vaters erlauben, sie als Prototyp zu ersetzen und den Buben Prozesse der Maskulisierung aufzuzwingen. Kurz, ein Prozess des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins schenkt einem selbstzentrierten Prozess.

Die Mutter anerkennt, stützt und pflegt die Gleichheit des Buben mit dem Vater und sie besttigt damit die Wichtigkeit beider als Mnner. Dies vielleicht auch deshalb, da sie selbst (offensichtlicher aber auch unerkannter Weise) keine Gleichheit mit dem Buben einfordern muss, um ihm nahe zu sein – schließlich steht sie in einer konkreten Beziehung zu ihm: sie nhrt und versorgt ihn – ihn, der von ihr verschieden ist, erstens, weil er ein Kind ist, und zweitens, weil er zur Mnnlichkeit gezwungen wird.

Die Privilegien des Buben und die Aufmerksamkeit des Vaters hngen von seiner Gleichheit mit dem Vater ab, vielleicht von seiner Größe und vielleicht sogar von der Größe seines Penis, der in jedem Fall nicht wirklich jenem des Vaters gleicht (die Gleichung ist rein "programmatisch" – sie war nie "faktisch"). Der Vater wiederum versucht seine Vaterschaft zu unterstreichen, und somit können auch andere physische hnlichkeiten des Buben – wie Gesichtszüge, Haar- und Hautfarbe – besondere Aufmerksamkeit (Privilegiertheit) erfahren. Dies kann selbst für Verhaltenscharakteristika gelten.

Das Gehorsam dem Wort des Vaters gegenüber garantiert, dass der Bube sich dem Gesetz des Vaters gemß verhlt. Auf diese Weise wird gezeigt, wem das Kind gehört. Der Aspekt des Gehörens ist auch für das Mdchen wichtig. Auch das Mdchen muss dem Vater gehören und seinem Gesetz gehorchen (selbst wenn sie schlussendlich wie die Mutter sein soll). Dies wird deshalb verlangt, da sich das Eigentum und die Kategorisierung als Strukturen des Einen und der Vielen gleichen. Nachdem der Vater nicht der geschlechtliche Prototyp für das Mdchen sein kann, wird hier seine Rolle als Eigentümer sogar noch wichtiger. Mdchen folgen als Eigentum des Vaters dem Beispiel ihrer Mutter und setzen damit fort, die mnnlichen Beziehungsstrukturen des Einen und der Vielen zu pflegen und ihnen Wert zu geben.

Um das gegenwrtige Verhltnis des Schenkprinzips und des Tauschprinzips aufrechtzuerhalten, ist es für die Tauschenden oft notwendig, sogar den bloßen Anschein des Schenkens zu vermeiden. Doch wird innerhalb des Tauschprinzips andauernd geschenkt, etwa in Form von überstunden, von Hilfsleistungen, oder einfach aufgrund betrügerischer Ausbeutung. Selbst Inflation, Wechselkurse oder das Drucken neuer Geldscheine schaffen für manche Geschenke. All dies wird aber vom Anschein des Tausches verdeckt, der unseren Blick an den Anschein der Gleichheit bindet, der die wirklichen Geschenke und das überbrücken von Differenzen im Verborgenen hlt. Und was den geschlechtlichen Kategorienwechsel, den der Bube durchzumachen hat, betrifft, so hlt seine angebliche Gleichheit mit dem Vater das verborgen, was er aufgeben musste, um zu seinem Privileg zu gelangen: nmlich das Schenkprinzip. Dieses wurde ihm genommen – und damit auch die Quelle dessen, was wirklich wertvoll ist.

Wenn das Schenken einmal aufgegeben ist, dann verhlt sich die Gesellschaft so, als würde sie versuchen, ihre Verluste durch Kompromisse in Grenzen zu halten. Der "gleiche Tausch" erscheint nun als das Bestmögliche, und so richten wir unsere Aufmerksamkeit auf dessen Geschenke. Diese reprsentieren jedoch nur die Werte des Patriarchats: Sicherheit unter der Herrschaft des ehrwürdigen und (zumindest manchmal) wohlwollenden Patriarchen bzw. Sicherheit in "Gleichheit" und "Gerechtigkeit". Die wirklichen Werte des Schenkens und des Reichtums für alle werden dabei verleugnet und unterdrückt: das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein, Güte, Toleranz, Vielfalt, und der Sprung der Liebe über den Abgrund.

Kapitel 9>

 



[1] Im Tausch nimmt das Geld solange den Platz des Eigentümers für Waren (also den Platz des Kategorieprototypen, auf den Waren als Werte bezogen werden) ein, bis diese auf ihren tatschlichen neuen Eigentümer bezogen werden. Wir können sagen, dass hier eine Eigentumsbeziehung des Einen und der Vielen vorübergehend von einer Wertbeziehung des Einen und der Vielen ersetzt wird.

[2] Siehe Annette Weiners Buch zu der transkulturellen ökonomischen Logik des Nicht-Schenkens: Inalienable Possessions, The Paradox of Keeping-While-Giving.

[3] Ich denke, dass das Old Boys Network (siehe Kapitel 7) genauso wie die Gruppe von Grundeigentümern den Differenzialwert von Wörtern verkörpert, die einander in der langue gegenüberstehen. Frauen und Kinder wurden historisch auf ihre Ehemnner und Vter bezogen wie Eigentum auf seine Eigentümer und Dinge auf Wörter, die für sie stehen. Jedes Mitglied der Kategorie der Ehemnner/Vter steht in einer differenziellen, sich gegenseitig ausschließenden Beziehung mit allen anderen, whrend sie in Hinsicht auf ihre eigene Familie das Eine in einer Beziehung von Einem und Vielen sind. Der Ehemann/Vater muss die anderen Einen davon abhalten, seinen Platz einzunehmen. Grundbesitzer müssen sich derselben Herausforderung stellen. Und in der langue steht jedes Wort in einer differenziellen Beziehung zu allen anderen, whrend es als Name, auf den sich Dinge beziehen, auch das Eine in einer Beziehung von Einem und Vielen ist. Wir haben oben gesehen, dass, wenn der Prototyp für das Formen einer Kategorie nicht lnger notwendig ist, selbst nur zu einem ganz normalen Teil dieser Kategorie wird. Es kann seine Position als Prototyp jedoch auch deshalb verlieren, weil es von einem Wort vereinnahmt oder von ihm subsumiert wird, was einer Art Logifizierung gleichkommt. Mnner (speziell solche in "überlegenen" Kategorien) scheinen Wörter zu sein, whrend Frauen (und andere in "unterlegenen" Kategorien) Dinge zu sein scheinen, die "vergegenstndlicht" wurden. (Siehe Graphik 12.)

[4] Die Idee des Kaufens und Verkaufens von Arbeitszeit scheint einfach genug, aber es gibt viele Unterschiede zwischen der Verfügung über unser Leben und dem Besitzen von Eigentum. Unsere Beziehung zu unserem Leben ist nicht die von Einem zu Vielen, wie es unsere Beziehung zum Eigentum ist – selbst wenn wir unser Leben in verschiedene Zeitperioden unterteilen können und wir markttaugliche Qualitten oder Fhigkeiten haben mögen.

[5] Die Institution der Wohlfahrtsfürsorge definiert die ausgeschlossene Kategorie als "arm" und administriert minimales Schenken von Seiten des patriarchalen Staates. Dies ist eine paradoxe Maskulisierung von Menschen als have-nots, die zwangslufig erniedrigend ist, da die Unterklasse glauben gemacht wird, dass ihre Armut auf persönlichen Fehlern bzw. Mngeln beruht.

[6] Vielleicht ist die monetre Unterstützung, die er seiner Frau zukommen lsst, ein Weg, ihr etwas zu schenken, nachdem er seiner Mutter nichts hatte schenken können.

[7] Marginalitt in ökonomischer Theorie basiert auf der überlegung der relativen übertragbarkeit und Nicht-übertragbarkeit von Besitztümern. Tauschende haben vermutlich sich selbst zu fragen, was sie gewillt sind aufzugeben.


kapitel 9

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