Kommunikation verbindet jene, die kommunizieren, indem gemeinsam auf einen
Bereich ihrer Welt Bezug genommen wird. Das Benennen der Geschlechter teilt die
Kommunizierenden jedoch von Anfang an in zwei sich ausschließende, oppositionelle
Kategorien und widerspricht damit dem eigentlich integrativen Charakter der Kommunikation.
Anstatt verbunden zu sein, verhalten sich die Geschlechter – wie das
Schenken und der Tausch – ergnzend zueinander. Sie passen dabei freilich
in keiner Weise perfekt zusammen. Die Rolle der Herrschaft auf der Seite des
Tausches schließt den integrativen Charakter des Schenkens – mit den
kreativen Dimensionen, die sowohl dem Schenken als auch dem Empfangen
innewohnen – aus. Manchmal werden dafür das Verhltnis von Herrschaft und
Unterwerfung als integratives Modell (und Lösung des Widerspruchs) prsentiert,
doch erscheinen solche Versuche nur absurd. In jedem Fall wird den Herrschenden
weiterhin geschenkt (was etwa in den Erwartungen der so genannten "Family Values"
zum Ausdruck kommt).
Als Folge der Geschlechtertrennung werden jene Aspekte der Sprache, die sich
auf das Schenken und Ausweichen beziehen, als biologische Eigenschaften von Frauen
identifiziert, whrend die Aspekte des Ersetzens und Kategorisierens Mnnern
zugeschrieben werden. Diese Unterscheidung führt dazu, die Fürsorge ihrer Kraft
zu berauben und Tausch/Herrschaft als soziales Paradigma zu etablieren. Es ist
die Sprache selbst, welche den
gegenseitigen Ausschluss der beiden Geschlechter grundlegt. "Weiblich" und
"mnnlich" werden in ihr als direkte Gegenstze gesehen. Der gegenseitige
Ausschluss wird dabei so stark, dass es für ein Verstndnis dessen, welche
Verhaltensweisen für unser jeweiliges Geschlecht als angemessen gelten, genügen
würde, das andere Geschlecht zu beobachten und das genaue Gegenteil zu tun.
In einem grundlegenden Text zu den Universalien der Sprache schreibt Joseph
Greenberg
über die "gekennzeichneten" und "ungekennzeichneten" linguistischen Kategorien
von gegenstzlichen Begriffen, die sich auf phonologischen, terminologischen
und grammatikalischen Ebenen finden lassen. Begriffe wie "kurz" oder "lang",
"breit" oder "eng", "oben" oder "unten" implizieren Vorstellungen mit gegenstzlichen
Endpunkten. Gewöhnlich fungiert dabei einer der beiden Endpunkte als die
linguistische Norm. Wir fragen:
"Wie alt ist das Mdchen?" und nicht: "Wie jung ist es?" "Alt" ist die Norm,
das, was LinguistInnen den "ungekennzeichneten" Begriff nennen. Greenberg zufolge
ist etwa "Mann" ein "ungekennzeichneter" Begriff und "Frau" ein
"gekennzeichneter".
Mir kommt es so vor, als seien die meta-linguistischen Ausdrücke
"gekennzeichnet" und "ungekennzeichnet" vertauscht. Ich denke, dass der
allgemeinere, mehr einschließende Begriff der gekennzeichnete sein sollte (bzw.
der, der mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht) und der weniger einschließende der
ungekennzeichnete. Stattdessen hat der weniger wichtige Begriff ein
Extra-Kennzeichnen, ein Prfix oder Suffix, whrend der wichtigere Begriff, der
auch ein "Nullzeichen" genannt wird, keine Zustze hat. Im Englischen hngen
wir etwa ein "s" an
das Singular, um den Plural zu bilden. Der Plural ist die gekennzeichnete
Kategorie, das Singular die ungekennzeichnete. Die zwei Begriffe selbst haben
ihre Bedeutung auf seltsame Weise überkreuzt. "Gekennzeichnet" ist ungekennzeichnet,
whrend "ungekennzeichnet" gekennzeichnet ist.
Greenberg zitiert Jakobsons Aufsatz, der die Unterscheidung definiert: "Die
allgemeine Bedeutung einer gekennzeichneten Kategorie besttigt die Prsenz
eines bestimmten Eigentums (A); die allgemeine Bedeutung der korrespondierenden
ungekennzeichneten Kategorie besttigt nichts, was die Prsenz von A betrifft,
und wird prinzipiell – wenn auch nicht ausschließlich – verwendet,
um auf die Abwesenheit von A hinzuweisen." Dann setzt Greenberg fort: "Auf diese
Weise besttigt nach Jakobson der Begriff ‚Frau' die Prsenz der
gekennzeichneten Kategorie ‚weiblich', whrend ‚Mann' prinzipiell – wenn
auch nicht ausschließlich – dazu verwendet wird, auf die Abwesenheit des
‚Weiblichen' hinzuweisen."
Diese Analyse scheint der Intuition von Frauen entgegenzulaufen, die auf
dem harten Weg lernen mussten, dass der wichtigste Besitz jener der
Mnnlichkeit ist und dass wir als Frauen darüber definiert werden, dass uns
dieser nicht zukommt. Greenberg: "‚Man' (im Englischen sowohl ‚Mann' als auch
‚Mensch' – Anm. d. übers.) hat demnach zwei Bedeutungen: zum einen verweist
es auf die explizite Abwesenheit des ‚Weiblichen' in der Definition ‚mnnliches
menschliches Wesen', und zum anderen verweist es auf ‚den Menschen im Allgemeinen'."
Greenberg zufolge schließt also der Begriff, der auf die Abwesenheit des
Weiblichen verweist, Frauen ein, wenn er allgemein verwendet wird. Frauen
werden auf diese Weise eingeschlossen, nachdem das Weibliche aus dem Begriff ausgeschlossen
wurde.
Wir könnten uns fragen, wie es wre, wenn Mnner und Frauen Wörter wren?
Dann wren es wohl die Mnner, die gekennzeichnet wren, mit dem Prfix des
Phallus. Sie wren dann weniger wichtig als die Frauen bzw. "anders". Frauen hingegen
würden das Nullzeichen sein, ohne Prfix, wichtiger, die Norm. Wenn es wahr ist, dass "Mann" über die
Abwesenheit des Charakteristikums des Weiblichen definiert wird, was ist dann
dieses Charakteristikum? Nichts als die Abwesenheit einer distinktiven
Eigenschaft, eines Kennzeichens, sowie die Abwesenheit einer Eigenschaft im
Sinne des Privatbesitzes. Ich denke, dass Frauen die tatschliche Norm sind
– sie sind die verschwundenen und verleugneten Prototypen der menschlichen
Spezies.
Mnner definieren sich selbst und die Menschheit auf der Basis der Negation
des weiblichen Prototypen. Der Phallus ist das doppelte Negativ, die
Abwesenheit der Abwesenheit. (Jacques Lacan spricht vom "Fehlen des Fehlen".)
Es überrascht nicht, dass sowohl Kinder als auch LinguistInnen verwirrt sind.
Im Englischen ist das Wort wo-man selbst man mit
einem Prfix. Dieses verschleiert vielleicht die Tatsache, dass die Mutter
physisch keines hat. Dies wird hier jedoch nicht als Norm verstanden, sondern als
Mangel, als ein Fehlen in Bezug auf die Norm. Das Wort "Menschheit"
demonstriert dieses Problem: indem der Phallus als das Kennzeichen der Mnner
genommen wird und Mnner als die Prototypen der Spezies, erscheinen Frauen als
"defekt", als Teil einer unterlegenen Art.
Die Norm zu sein, ist selbst zu einem mnnlichen Geschlechtsmerkmal
geworden, und der Phallus ist – paradoxerweise – ein Kennzeichen
dieser Norm. Das Wort "mnnlich" und alle anderen Wörter, die für Herrschaft
durch Definition verwendet werden, werden phallisch gekennzeichnet aufgrund der
formalen Verwandtschaft der mnnlichen Geschlechtskonstruktion mit dem Modell
der Definition (von der erstere abstammt). Das Wort "mnnlich" nimmt den Platz
von Mnnern ein, das heißt von diejenigen, die ein Kennzeichen haben,
Platz-Einnehmende sind und ihr Kennzeichen nutzen, um zu herrschen. Dadurch in
Positionen von Autoritt
gerückt, verwenden sie ihre Wörter, um zu definieren und zu erobern.
Verbale Kommunikation zwischen Mnnern und Frauen muss versuchen, diese
kulturell definierten polaren Oppositionen zu überwinden. Wir müssen uns alle jenseits
dieser Oppositionen verbinden
und zueinander finden. In den polaren Oppositionen wird ein Pol als dem anderen
überlegen angesehen – für die Geschlechtspolaritt heißt das, dass ein
Geschlecht (das mnnliche) als die gekennzeichnete Norm und der Prototyp für
die Spezies gilt. Die logischen Widersprüche, die hier am Werke sind, schaffen
bedrohliche Double Binds (siehe unten), die die Gesellschaft noch nicht gelöst
hat. Die meisten Meta-Aussagen, die das Geschlecht betreffen, sind
ego-orientiert, bauen auf der Tauschlogik auf und untermauern die überlegenheit
des mnnlichen Geschlechts. Dieses Buch bemüht sich um alternative, auf dem
Schenkprinzip beruhende Meta-Aussagen, die dem Bedürfnis dienen sollen, die herrschenden Geschlechtskategorisierungen
zu überwinden.
Die überbewertung des Ersetzens
Dass maskulisierten Mnnern in unserer Gesellschaft mehr Wert zukommt, bedeutet,
dass die ersetzenden Aspekte der Sprache überbewertet werden. Damit wird es
diesen ersetzenden Aspekten möglich, die schenkenden Aspekte der Sprache zu überlagern.
Eine Reihe von sich selbst widerspiegelnden Strukturen entwickelt sich, die die
sprachliche Geschlechtsopposition ausdrücken und fortsetzen. Das Ersetzen und
das Platz-Einnehmen werden dominant, reproduzieren sich und nehmen den Platz
das Schenkens ein, von dem sie gleichzeitig versorgt werden. Whrend das Mnnliche
den Platz des Weiblichen als Prototyp der Menschheit einnimmt, setzen Frauen
damit fort, Mnnern zu schenken und dem mnnlichen Modell Wert zuzuschreiben.
Gleichzeitig nehmen die mnnlichen Verhaltensweisen der Herrschaft und
Konkurrenz den Platz der Nicht-Konkurrenz, des Schenkens und des Ausweichens
ein. Diese Verhaltensweisen spiegeln Aspekte von den Dienst- und Ersatzmechanismen
wieder, die wir vom Modell der Definition her kennen. Das Wert-Schenken ist ein
Aspekt des Schenkens, der die Dynamiken von Unterwerfung und Herrschaft in
unserer Gesellschaft stützt.
Auf der Ebene der Sprache schenken wir den Wörtern als Ersatzgeschenken
Wert, whrend wir auf der Ebene der Geschlechter dem Mnnlichen, das den Platz
des Weiblichen (und auch den anderer Mnner) einnimmt, Wert schenken. Unsere
Aufmerksamkeit richtet sich nun auf die Platz-Einnehmenden und nicht mehr
lnger auf die Mutter Erde, die Mutter überhaupt oder auf irgendwelche Schenkenden
– auf nichts und niemanden, deren Platz eingenommen wurde. Das Schenken
erscheint nun unterlegen (schließlich kommt ihm kein Wert zu) und dem Ersetzen werden
alle seine Schenkaspekte genommen, damit es als vollkommener Gegensatz des
Schenkens erscheinen kann. In der ökonomie ersetzt der Tausch – der ein
Mechanismus des Ersetzens und Platz-Einnehmens ist – zur Gnze das
Schenken. Dieses weicht aus. (Siehe Graphik 10.)
Ein weiterer Ausdruck von Maskulisierung ist der Gebrauch des Benennens und
Definierens, um das Verhalten anderer durch Befehl und Gehorsam ("Ausweichen
des Willens") zu kontrollieren. Nachdem der Hlfte der Menschheit das Mandat
gegeben wurde, nicht-fürsorglich zu sein, ist es schwierig, sie davon zu überzeugen,
dass sie es zumindest in geeigneten Momenten und zumindest in eingeschrnktem
Maße sein sollten. So können Kinder paradoxerweise dafür geschlagen werden (ein
physisches "Platz-Einnehmen"), dass sie nicht schenken und ausweichen, oder dafür,
dass sie ungehorsam und respektlos sind. Moral und Gesetz werden den Prinzipien
des Befehls und des Gehorsams entsprechend geformt und vom Wort dominiert.
"Gerechte Strafe" wird als ein Tausch für das Brechen des Gesetzes gesehen. Das
Schenken wird als unrealistisch dargestellt. Was wir angesichts dessen wirklich
bruchten, ist keine "Gerechtigkeit" auf der Basis von Definition,
Maskulisierung und Tausch, sondern Güte und die Restaurierung des Schenkprinzips
und der Mütterlichkeit.
Eine geteilte Gemeinschaft
In menschlichen Gemeinschaften wechseln praktisch alle sich in ihren Rollen
als Sprechende und Zuhörende (als linguistische Schenkende und Empfangende) ab.
Dies gilt für die Kommunikation mit dem "anderen" Geschlecht ebenso wie für die
Kommunikation innerhalb des "eigenen". Jedes Geschlecht entwickelt dabei seine
eigene Form von Gemeinschaftlichkeit, die das andere Geschlecht ausschließt und
die Regeln dafür bestimmt, wie mit dem anderen Geschlecht kommuniziert werden
kann.
Es kommt zu zwei unterschiedliche Arten von Identittsbildung (auf denen
auch unsere individuellen Identitten beruhen): Auf der mnnlichen Seite bildet
sie sich primr über Kommunikation mit dem eigenen Geschlecht – auf der
weiblichen Seite bildet sie sich primr über Kommunikation mit dem anderen. Mit
anderen Worten: Die Schenkenden (die Frauen) schenken sowohl anderen
Schenkenden als auch denen, die nicht nur ihren Platz einnehmen, sondern
darüber hinaus den Platz aller anderen Platz-Einnehmenden einzunehmen suchen
(den Mnnern). Die grundlegenden funktionalen Prinzipien der Kommunikation
– Schenken und Ersetzen – werden somit in zwei gegenstzlichen
Geschlechterrollen ausgelebt.
Der Missbrauch der Prozesse des Benennens und Definierens – die allgemein
relativ neutrale und kollektiv nützliche linguistische Prozesse sind –
wird möglich aufgrund der Unsichtbarkeit des Schenkens (in der Sprache wie im
Leben). Diese Unsichtbarkeit ist sowohl Grund als auch Resultat der Maskulisierung
bzw. der Auslöschung der Mütterlichkeit. Die Bedeutung des Schenkens für unsere
Sprache und unser Leben wieder zu betonen (und damit auch die Aspekte des
Dienstes und der kommunikativen Bedürfnisbefriedigung für das Definieren und
Benennen), wird den verobjektivierten und dehumanisierten patriarchalen Definitionsprozess
unterminieren und das Wort von seinen phallischen Besetzungen befreien.
Family Values
Der einzige Ort, an dem das mütterliche Modell noch hochgehalten wird, ist
in der Familie. Doch auch hier wurde es seiner Kraft beraubt. Vor allem in der
ideologischen Rechten wird es dem dominanten Vatermodell untergeordnet.
Familien, die auf solchen unterdrückenden "Family Values" aufgebaut sind, sind
die Grundpfeiler des Patriarchats. Die Frau als Fürsorgende und Schenkende ist
in diesen in einem permanenten Dienstverhltnis zu jenem gefangen, der sie
dominiert und die Rolle des Beispiels für ihre Söhne übernommen hat, was sie gleichzeitig
zu einem Beispiel von Schwche und Unterordnung für ihre Töchter werden lsst. Dieser
Prozess ist verheerend, da die Mütterlichkeit und das Schenken eigentlich die
einzig angemessene Basis für lebenswürdige soziale Institutionen und eine
lebenswürdige soziale Ordnung darstellen.
Ich meine damit nicht, dass der patriarchale Staat die Fürsorge so vereinnahmen
sollte, wie er es bereits auf viele Weisen – meist verkleidet in Form von
Hilfs- und Wohlfahrtsprogrammen – getan hat. In den USA ist Hilfe an die
"Dritte Welt" (inner- und außerhalb des Landes) beinahe immer ein versteckter
Tausch, der den "Schenkenden" Nutzen bringt und den "Beschenkten" Erniedrigung.
Die "Fürsorge" des mnnlichen Modells funktioniert nicht – auch nicht die
seiner kollektiven Form, wie viele kostspielige Beispiele von Kommunismus (Staatskapitalismus)
und Bürokratie gezeigt haben.
Regierungen sollten reorganisiert werden, um sie vom Herrschaftswettbewerb
zu befreien. Individuen und relativ kleinen Gruppen sollte stattdessen erlaubt
werden, einander selbstndig zu versorgen. Dies würde auch das Schaffen von
überfluss durch das Ende von Verschwendung bedeuten. Gegenwrtiger Mangel wird
künstlich erzeugt aufgrund verschwenderischer Ausgaben für Produkte, die das
Leben nicht bereichern: Waffen, Drogen, symbolische Luxusgüter. Diese Ausgaben
beuten die Massen aus und zerstören deren eigene ökonomien, um die
patriarchalen sozioökonomischen Systeme von Privilegierung und Herrschaft zu
stützen.
Ich halte es für wichtig, die Sprache im Zuge unserer Suche nach
gesellschaftlicher Transformation zu studieren, da Sprache das Charakteristikum
hat, sowohl individuell wie kollektiv zu sein, sowohl in uns selbst zu
existieren als auch in unseren Gemeinschaften. Als ein wesentlicher kreativer
Faktor in der Formation unserer individuellen wie kollektiven Identitt hilft
Sprache, den Graben zwischen den Einzelnen und der Gemeinschaft zu überbrücken.
Der Tausch – konstituiert von einem Mechanismus des Ersetzens und Ausweichens
als einer Verschiebung des Definitionsmodells – ist eine sehr starke
selbst reflektierende Vorlage, die uns leicht dazu verleitet, alles in seinem
Bild zu interpretieren, whrend wir gleichzeitig das Schenken ignorieren. Wenn
wir aber die Mechanismen des Tausches aufzeigen, verstehen und demystifizieren
bzw. das Schenkprinzip des überflusses wieder in unserer Vorstellung von Sprache
restaurieren, dann können wir uns an der Sprache orientieren, um auf unserer
Mutter Erde eine mütterliche Gesellschaft zu schaffen. Das Schenken und seine
Werte sind bereits vorhanden. Wir müssen nur unsere patriarchalen Brillen
ablegen, um sie erkennen zu können.
Geschlechtslose Kategorien
Selbst wenn wir über das Gute oder die Gerechtigkeit sprechen, die wie ungekennzeichnete
und geschlechtsneutrale Begriffe wirken, haben wir es mit mnnlichen Modellen
zu tun. Das Gute bezieht sich meist auf Bilder mnnlicher Götter, whrend die Gerechtigkeit
gewöhnlich auf einem mnnlichen Gesetz und mnnlichen Richtern beruht. Auch die
Gleichheit – als wichtiger Faktor des Konzepts des Einen und der Vielen sowie
der Prinzipien von Maskulisierung und Tausch – perpetuiert das mnnliche
Modell. (Die Babys, die von Müttern versorgt werden, sind ihnen nicht "gleich"
– sie sind von ihnen verschieden.) überall werden die Werte der Mnner, die
ihnen sozial gegeben wurden, sowie das Privileg ihres Kennzeichens
reproduziert.
Die scheinbar neutralen Kategorien des Guten, usw., werden mit solchem Wert
ausgestattet, dass es als tugendhaft erscheint, ihnen zu entsprechen. Sie
kommen einem artifiziellen ungekennzeichneten Zustand des Seins gleich, den
Mnner als Erwachsene wieder anstreben können, nachdem sie als Buben zum
Verlassen der ungekennzeichneten Kategorie ihrer Mutter gezwungen worden waren.
So gesehen, verspricht dieses Streben das Wiedererlangen eines
ungekennzeichneten Zustands, ohne sich der illusorischen Gefahr der Kastration aussetzen
zu müssen. Indem sie sich den Gesetzen, Geboten, Regeln und Vorschriften ihrer
Vter untergeordnet haben, können die Buben ihnen gleich werden. Angeblich
haben auch ihre Mütter diese Möglichkeit, da die Regeln für alle die gleichen
sein sollen – doch haben die Mnner immer mehr Autoritt.
Wenn sie erwachsen sind, können sich die Buben zum Teil von der
konstruierten Differenz befreien, die ihre ursprüngliche Identifikation und
Einheit mit der Mutter zerstört hat. Diese Identifikation und Einheit war die wahre
Erfahrung der Buben, die sie verleugnen mussten, als sie in eine andere
Kategorie gezwungen wurden. (Dies ndert sich nicht dadurch, dass ihre Mütter
und andere Frauen heute formal auf ihre Ebene gehoben werden, vielfach denselben
Regeln folgen und angeblich dieselben Privilegien haben.)
Die "neutralen", "objektiven", "unvoreingenommenen" Kategorien versprechen
eine Art von Utopie, die Kinder realisieren können, wenn sie sich "richtig"
verhalten bzw. wenn alle das tun. Wenn es uns gelingt, zur Kategorie des Guten
zu gehören (oder selbst zu einer wie "DemokratIn" oder "US-AmerikanerIn"),
scheinen wir eine Möglichkeit zu haben, die ursprüngliche Entfremdung zu überwinden,
die im Kennzeichen oder dem Fehlen desselben – kurz: in der Geschlechterdifferenz
– begründet lag.
Ich will hier darauf bestehen, dass dies eine traurige und unnotwendige
Entwicklung ist, da die ursprüngliche Entfremdung selbst unnotwendig ist. Es
ist die soziale Interpretation des Geschlechts, welche den kleinen Buben
– aufgrund seines Kennzeichens – seiner Mutter entfremdet. Eine
soziale Interpretation lsst sich jedoch ndern. Denn als kleiner Bube ist der
Bube – genauso wie das kleine Mdchen – Teil einer Menschlichkeit,
die auf dem Schenkprinzip und der Mütterlichkeit beruht. Und in diesem Sinne ist
das Kennzeichen (sein Penis) für die Kategorie des Menschlichen absolut
irrelevant.
Hum
Kinder werden sozialisiert, indem sie den Erwachsenen und deren Anweisungen
folgen. Sobald Buben gesagt wird, dass sie "Buben" sind, müssen sie die
Identitt des Vaters anstreben und sich von der fürsorglichen und schenkenden
Identitt, die sie jeden Tag mit ihrer Mutter erleben, lösen. (Das Problem
verschlimmert sich nur, wenn es noch nicht einmal persönlichen Kontakt zum
Vater gibt und Mnner zu Rollenbildern für Buben werden, die sie nur von der
Straße oder gar dem Fernsehen kennen.) Wir Erwachsenen trennen mit dieser
Benennung die Identitt der Buben von ihrer Erfahrung, da die Sprache in Bezug
auf sie selbst den gleichen Einfluss hat wie auf alles andere: sie definiert
Dinge (in diesem Fall: sie selbst) für sie. Gleichzeitig lernt ein kleines
Mdchen von der Gesellschaft, dass die Kategorie zu der sie und ihre Mutter
gehören, unterlegen ist, ja dass sie oft noch nicht einmal als Kategorie
erkennbar ist, und dass ihre Mutter, als ihr Rollenbild, wahrscheinlich den
Mann mit seinem Kennzeichen mehr schtzt als sie selbst (die Tochter), sich
selbst (die Mutter) und ihr Geschlecht (alle Frauen).
Ein weiterer Effekt der Maskulisierung ist das Privileg, das auf die eine
oder andere Weise mit dem Kennzeichen verbunden zu sein scheint: Geld, Autos,
Besitztümer funktionieren als Kennzeichen von Klasse, whrend Hautfarbe, Größe
und andere physische Unterschiede als Kennzeichen für ethnische oder kulturelle
Kategorien funktionieren. All diese Kategorisierungen lassen sich dabei auf das
phallische Kennzeichen zurückführen bzw. auf das Definieren des Unterschieds
zwischen den Buben und ihren Müttern als eines physischen. Die
Kategorisierungen stützen die Vorstellung einer privilegierten Besonderheit. In
jedem Fall wird von uns erwartet, uns der Maskulisierung hinzugeben, sobald wir
uns auf irgendeine Art auf ein Kennzeichen bezogen sehen (bzw. eines besitzen).
Geld ist – wie der Phallus – ein Kennzeichen, das eine Norm bestimmt.
Es wertet dabei das Schenkprinzip, dessen Platz es eingenommen hat, ab. Es
lsst die, die kein Geld haben, als unterlegen erscheinen. Andere Arten von
biologischen Charakteristika – wie weiße Haut – können als
kulturell auferlegte Kennzeichen der Norm erscheinen, die andere Hautfarben als
"abweichend" oder "weniger normal" kategorisieren. Wir alle verhalten uns gemß
unserer Definitionen wie Buben und Mdchen das tun. Wir folgen blind den self-fulfilling
prophecies der Namen unserer
Kategorien mit ihren destruktiven sozialen Interpretationen unserer physischen
und nicht-physischen Unterschiede. Manchmal haben wir mit dem Einlösen der
Prophezeiungen unsere Schwierigkeiten und widersprechen ihnen. Es wre jedoch
um vieles leichter, einfach die Definitionen selbst zu ndern anstatt die sozialen
Muster, anhand derer sie sich unserer Leben bemchtigt haben.
Sowohl Frauen als auch Mnner können lernen (und viele tun es bereits), mit
ihren Kindern auf einer Meta-Ebene über Geschlechterrollen zu sprechen. Sie
können ihnen Sachen erklren wie: "Die Wörter, die wir anwenden, um über uns
selbst zu sprechen, sind nicht ganz richtig; wir sind ein wenig anders, als es
klingen mag. Obwohl wir ‚mnnlich' und ‚weiblich' sagen, ‚Bube' und ‚Mdchen',
‚Mama' und ‚Papa', sind wir alle Menschen. Wir sind in Wirklichkeit Teil
derselben Kategorie." Wenn Kinder klein sind, müssen sie auch andere physische
Unterschiede (so wie Größe) übersehen, um die Kategorie "Mensch" und sich
selbst als Teil derselben zu begreifen. Mit Sicherheit würden sie in diesem
Sinne auch den Unterschied zwischen ihren Genitalien übersehen, wenn wir ihnen
diesen nicht als wesentlichen Unterschied lehren würden.
Betrachten wir etwa, wie Menschen über das Geschlecht von Kleinkindern sprechen:
Bekleidet sehen Buben und Mdchen sich sehr hnlich. Trotzdem ist das
Geschlecht das erste, wonach Menschen fragen: "Ist es ein Bube oder ein Mdchen?"
Die Praxis, Babys nach den Farben zu unterschieden, in denen sie gekleidet sind
– traditionell rosa und blau – spricht Bnde.
Wir sollten unseren Kindern keine Stereotype aufzwingen, sondern ihnen erlauben,
im Sinne des Schenkprinzips aufzuwachsen und ihre Identitt im Zuge dieses
Prozesses selbst zu bilden. Wir könnten Kindern erlauben, ihr Geschlecht in der
Pubertt selbst zu whlen, gemß ihrer sexuellen Prferenz, und ihre Wahl
könnte durch Rituale und Feste gestrkt werden. Wir sollten sie in jedem Fall nicht
mit einer self-fulfilling prophecy belasten, die sie von uns wie von sich selbst entfremdet.
Wir mögen denken, dass Kinder nicht klug oder logisch genug sind, um die
frühen Geschlechtsunterscheidungen zu verstehen. Aber wenn dies so zu sein scheint,
dann nur deshalb, weil wir sie von Anfang an mit falschen
Geschlechtsunterscheidungen verwirrt haben. Dies passiert nicht nur individuell
von Seiten der Eltern, sondern ist Teil und Produkt des gesamten misogynen
sozialen Projekts. Das Kategorisieren selbst ist ein Werkzeug der Unterdrückung
geworden, die mit der monetr-ökonomischen Bewertung von allem zusammenhngt.
Es ist im Zuge der Maskulisierung überbewertet worden. Für das Wohlsein der
Menschheit wichtiger als Kategorisierung sind freilich Schenken und Bedürfnisbefriedigung.
Wir können Maskulisierung unter anderem dadurch vermeiden, dass wir
Geschlechtsbegriffe für Kinder allgemein abschaffen. Wir könnten Kinder z.B. hums nennen, als Kurzform des englischen
humans. Auf die Frage:
"Ist dein Kind ein Bube oder ein Mdchen?" könnten wir sagen: "Es ist ein hum." Oder wir könnten einfach nur summen (to
hum im Englischen –
Anm. d. übers.). Auch Erwachsene könnten anfangen, sich so auf sich selbst zu
beziehen. Dies würde die Probleme einer separaten maskulisierten Identitt
lösen, der Definition von Frauen als unterlegen oder der überbewertung des so
genannten Neutralen und Objektiven. Und zwar einfach deshalb, weil wir von
Anfang an keine falschen Unterscheidungen machen würden. Der Penis wre kein
spezielles Geschenk oder Kennzeichen einer überlegenen Kategorie mehr. Er wre
nur noch ein Körperteil.
Ich meine damit nicht, geschlechtlichen Unterschieden ihre positiven und
lebensbereichernden Dimensionen zu nehmen. Aber ich meine, dass diese
Unterschiede nicht stereotypisiert und kategorisiert werden dürfen. Im Speziellen
nicht im Rahmen besessener Maskulisierung, die uns und unsere Mutter Erde
tötet. Können wir etwa nicht hören, wie die Erde sagt: "Du bist wie ich! Du bist
Ausdruck des Schenkprinzips!" Können wir sie vielleicht aufgrund unserer
Besessenheit mit der Maskulisierung nicht hören? Als Spezies haben wir uns als
etwas (als Mensch – man im Englischen; Anm. d. übers.) definiert, das anders ist als die Mutter,
und nun haben wir uns der self-fulfilling prophecy entsprechend zu verhalten.
Wir haben in Bezug auf die Mutter Erde dasselbe getan, was wir als kleine
Buben in Bezug auf unsere menschlichen Mütter getan haben. Wir haben unsere Einheit
mit ihr geleugnet und uns selbst als etwas anderes identifiziert, aber wir
wissen nicht wirklich, was das ist (und so enden wir damit, uns einfach mit dem
Wort selbst zu identifizieren). Unser Prototyp wurde ein mnnlicher Gott, der
uns sehr hnlich scheint und oben im Himmel weilt – größer und wichtiger
als unsere Mutter. Wir versuchen ihm zu folgen und eine hierarchische Kette von
Sein, Platz-Einnehmen und Ausweichen zu schaffen, whrend wir die schenkenden
Impulse unserer Herzen vergessen.
Wie Maria Montessori zeigte, werden Kinder enorm intelligent und kreativ,
wenn sie gemß ihres eigenen Inspiration spielen dürfen. Die Definitionen von
uns selbst sollten demnach auf den Erfahrungen entspringen dürfen, die auf
unseren freien Aktivitten beruhen: Spielen, Trumen, Interagieren, Schenken.
Unsere entscheidenden Lernperioden müssen von lebendiger Eigeninitiative geprgt
sein. Wir dürfen nicht versuchen, unsere Kinder dazu zu zwingen, sich
vorherrschenden Geschlechtskategorien anzupassen. All dies wird natürlich umso einfacher,
je mehr Reichtum es gibt und je weniger das Leben der Kinder (bzw. ihre
Erfahrung) von Armut und Gewalt bedroht ist.
Hum könnte
vielleicht auch für "Humus" stehen, Teil der Erde, Grund, der wir und unsere Kultur
füreinander sind, Grund, von dem wir wachsen und zu dem wir zurückkehren.
Vielleicht könnten wir dort endlich dem Schenken gemß handeln, in einer Fortsetzung
der Mutter-Kind-Beziehung. Dieser selbst könnten wir dann endlich erlauben, ruhig
und uneingeschrnkt das gesamte soziale Feld zu prgen.
Ein persönliches Experiment
Es ist wirklich nicht schwierig, die Sprache zu ndern, die wir Kindern
lehren. Ich habe dies in den 60er Jahren selbst mit meinem ltesten Kind,
Amelia, versucht. Ich habe es vermieden, mit ihr Possessivpronomen zu
gebrauchen. Ich lehrte sie keine Wörter wie "mein", "dein", "sein" oder "ihr".
Nachdem die Mutter der ursprüngliche Prototyp ist, lernt ein Kind besser von
dem, was sie sagt, als von dem, was andere sagen. Trotzdem bat ich auch andere,
die mit uns waren, Possessivpronomen zu vermeiden. Amelia hörte sie somit nur
selten, etwa wenn wir mit Menschen waren, die wir nicht gut kannten, oder im
Radio. Ich umschrieb die Pronomen auf Weisen wie: "Papa verwendet das" anstelle
von "das gehört Papa". Es war interessant zu beobachten, dass Amelia keine
Possessivpronomen anwendete, bevor sie drei Jahre alt war, obwohl sie sehr gut
sprach.
Ich weiß, wie Amelia die Possessivpronomen schließlich lernte. Sie wollte
mit ein paar Tellern spielen und eine andere Person sagte zu ihr: "Fass die
nicht an – die gehören deiner Mutter!" Ich fühlte immer, dass dieser
unzulngliche Grund (Amelia sollte nicht mit den Tellern spielen, weil sie zerbrechen
könnten – wem sie gehörten, war irrelevant), verbunden mit der Tatsache,
dass die Person, der die Teller gehörten, ich war: die Mutter, meine Tochter
dazu brachte, Kategorien von Besitz zu verwenden. Es ist schwierig zu sagen, ob
das Nicht-Lernen der Possessivpronomen meine Tochter großzügiger gemacht hat
als sie es sonst wre, oder ob es in der Tat irgendeine Auswirkung gehabt hat.
Das Experiment endete zu früh, es gab zu viele Variablen, und es alleine
durchzuführen war nicht gerade besonders effektiv.
Auf der anderen Seite hat es ihr sicherlich nicht geschadet. Besitz ist
nicht so grundlegend wie Geschlecht, und außerdem: der Prozess des Lebens vermag
jede Negativitt, die involviert gewesen sein mag, zu absorbieren.
Geschlechtsbegriffe in einem frühen Alter zu vermeiden, könnte jedoch wirklich
einen weitreichenden Effekt im Selbstverstndnis von Kindern haben, zumindest
wenn es in deren sensibelsten Sprachlernperioden getan wird.
In Kinderkrippen und Kindergrten könnten androgyne Begriffe verwendet
werden. Wir könnten mit Kindern über Geschlechtsbegriffe von einer Meta-Ebene
aus sprechen, etwa in der Sesamstraße oder in der Sendung mit der Maus. Mütter und Kinder (Buben und Mdchen)
könnten im Fernsehen auftreten, um geschlechtsneutrale Begriffe zu verwenden
und sich selbst als Teil einer gemeinsamen Menschheit zu definieren. Ich glaube,
dass auch hier der Prozess des Lebens alle negativen Aspekte korrigieren würde,
derer wir uns in diesem Experiment nicht bewusst wren.
Frauen haben in den letzten Jahrzehnten enorme Unterschiede in unserer
Sprache bewirkt. Viele sexistische Ausdrucksformen wurden eliminiert. Mit
Sicherheit könnten wir demnach auch Wege finden, mit und über unsere Kinder in
einer Art zu sprechen, die es ihnen erlauben würde, stereotypische
Geschlechtskategorien zu vermeiden und sich stattdessen mit uns als Müttern zu
identifizieren. Dann könnten wir vielleicht alle unsere Verwandtschaft miteinander,
mit unseren Müttern und mit unserer Mutter Erde erkennen und würdigen –
und endlich zum Schenkprinzip zurückkehren.