Kapitalismus und Kommunismus sind
patriarchal. Der Feminismus reicht weiter und tiefer als beide, wenn es um
Fragen sozialer Vernderung geht. Ich verstehe den Feminismus als eine
kollektive Denkbewegung, ein Netzwerk von Ideen und Handlungen, die auf den
Werten von Frauen aus aller Welt beruhen; ein Netzwerk, das immer tiefer in
unser aller Bewusstsein eindringt. Das Patriarchat hat Frauen und Mnner seit Jahrhunderten infiltriert. Es
hat unseren Blick auf die Welt verzerrt und unsere sozioökonomischen Praktiken
zerstört. Das Ziel des Feminismus ist es, alle – Frauen, Kinder und
Mnner – vom Patriarchat zu befreien, ohne dabei jedoch die das
Patriarchat aufrechterhaltenden Menschen zu bedrohen, oder den Planeten, auf
dem sie leben.
Der Versuch, außerhalb des
Patriarchats zu denken, bringt Frauen in eine Lage, die jener der Vorsokratiker
hnelt, die am Beginn der abendlndischen patriarchalen Kultur dachten. Wenn
wir heute die Gedankenstrukturen zurückweisen, welche die europische Kultur
geprgt und geplagt haben, betreten wir weiten, unerforschten Raum. Wir müssen
unsere Unschuld wiederfinden: die Herzen, die keinen Krieg kennen, und die uns
– trotz aller Schwierigkeiten – immer dazu angehalten haben, uns um
Kinder wie um Alte zu sorgen (anstatt sie zu misshandeln). Wir müssen die
patriarchale Sicht der Dinge zurückweisen und neu beginnen. Wir müssen
unbefangen mit unseren eigenen Augen sehen lernen.
Wenn wir nicht mehr an das
glauben, was mann uns glauben machen will, wird offenbar, dass die Wahrheit
durchaus erkennbar ist. Das Problem besteht darin, dass uns die Fhigkeit, sie
zu erkennen, im Laufe der langen und komplexen Menschheits- und Kulturgeschichte
abhanden gekommen ist. Die wiedererweckte, kollektiv formulierte Perspektive
der Frauen kann uns jedoch zeigen, dass die menschliche Spezies kein Fehler von
Mutter Natur war. Wenn wir uns dieser Perspektive verpflichten, dann können
Frauen – und Mnner, die ihnen folgen – der Zerstörung der Menschen
und des Planeten Einhalt gebieten.
Um patriarchales Denken
zurückzuweisen, bedarf es einer von ihm unterschiedenen Form des Denkens
– einer Alternative.
Akademische Disziplinen haben
die Tendenz, sich in enorme Apparate auszuwachsen, zu denen Tausende
internationaler ForscherInnen und DenkerInnen beitragen. Trotz vieler
Fortschritte bestrken diese Apparate eine Weltsicht und eine Wirklichkeit, die
von Unterdrückung und Herrschaft gekennzeichnet sind. Ich glaube, dass es einen
relativ einfachen, aber fatalen Irrglauben gibt, der dem Denken der so genannten
Ersten Welt zugrunde liegt. Dieser Irrglaube befindet sich an der Quelle dieses
Denkens. Akademische Forschung beginnt meist irgendwo entlang des Flusses, an
einem Punkt, an dem der Irrglaube bereits zur Normalitt geworden ist und wir
ihn nicht mehr als solchen wahrzunehmen vermögen. Vielmehr scheint er an diesem
Punkt bereits Wirklichkeit zu sein. Nur der unbefangene Blick erlaubt uns, uns
der Quelle selbst zuzuwenden, und nur dort können wir hoffen, eine Alternative
zu finden.
Die Umstnde meines Lebens
haben es mir erlaubt, meinen eigenen unbefangenen Blick auf ein Forschungsfeld
zu richten, das im 20. Jahrhundert von besonderer Wichtigkeit war: das Studium
der Sprache und anderer Zeichensysteme. Was auch immer ihre anderen Leistungen
gewesen sein mögen, die Forschungsfelder der Linguistik, Semiotik und
Sprachphilosophie haben im Wesentlichen die grundlegende Wichtigkeit der
Sprache für die menschliche Existenz herausgearbeitet. In diesem Sinne
erscheinen Linguistik und Semiotik als geeignete Ausgangspunkte einer Analyse
patriarchalen Denkens.
Sprachliche Kommunikation
wird heutzutage von AkademikerInnen meist als eine autonome, bestimmten Regeln
folgende Aktivitt gesehen. Manche LinguistInnen meinen, dass die Tatsache,
dass sich Sprache in allen menschlichen Gemeinschaften findet, ein Beweis dafür
ist, dass sie zum größten Teil nicht kulturell, sondern genetisch vermittelt
wird. Syntaktische Regeln, und manchmal selbst Teile des Vokabulars, scheinen
zu einer von Generation zu Generation weitergereichten Hardware zu gehören.
Demzufolge wre unser linguistisches Verhalten genetisch determiniert
("Biologie des Schicksals"). Die Sprache wre damit wie das Geschlecht, dessen
Charakteristika Jahrhunderte lang im Rahmen eines kulturellen Diskurses als
"biologisch" vermittelt und damit als absolut unvernderbar galten – im Besonderen,
was das genetisch angeblich "unterlegene" Geschlecht anlangt.
Wenn wir Sprache zu einem
Geschenk unserer DNA erklren, anstatt sie als kulturelles Erbe zu verstehen,
rücken wir sie in einen Raum, in dem menschliche Intervention unmöglich ist.
Wenn wir Sprache hingegen als ein soziales Gut betrachten, das von flexiblen,
jungen, sich entwickelnden Geschöpfen aus Körper und Geist erlernt werden muss,
wird sich auch unser Verstndnis menschlicher Existenz entsprechend ndern. Was
kollektiv gelernt werden muss, kann auch kollektiv hinterfragt und verndert
werden.
So seltsam uns die
Vorstellungen von einer genetisch vermittelten Sprache auch erscheinen mögen,
sie fungieren als wissenschaftliches Paradigma und üben starken Einfluss auf
zahlreiche Forschungsfelder aus. Sie sind Teil eines wissenschaftlichen
Apparates, in dem Ideen als adquat und stimmig anerkannt werden, wenn sie mit
bestimmten vorausgesetzten Vorstellungen zusammenpassen, whrend Ideen, die das
nicht tun, diskreditiert werden. Der so genannte "freie Markt" der Ideen
entspricht dem "freien Markt" der Güter darin, dass er ausschließlich ein paar
(genetisch "überlegenen"?) Wenigen zugute kommt, whrend er sich mit der Lüge
legitimiert, allen zu dienen.
Wann immer wir uns mit Fragen
unserer Existenz auseinandersetzen, sollten wir unseren eigenen Diskurs
zumindest zwei Fragen unterwerfen: "Was heißt das für mich materiell?", und:
"Was heißt das für mich psychologisch?" Die Ideologiekritik hat gezeigt, dass
Denksysteme oft ausschließlich im Dienste bestimmter Herrschaftsformen stehen.
Jeder akademischen Disziplin muss misstraut werden. Die Ideensysteme, die uns
als Wahrheit gelehrt werden, stützen die politischen und ökonomischen Systeme,
in die sie eingebunden sind.
Glücklicherweise habe ich
mich stets außerhalb der akademischen Welt bewegt und war materiell nie von ihr
abhngig. Damit konnte ich unbefangen bleiben. Wonach ich mich leidenschaftlich
sehne, ist soziale Vernderung. Als Mutter hoffe ich auf eine körperlich wie
seelisch gesunde Zukunft für meine Kinder und die Kinder aller Mütter; auf eine
Zukunft frei von der kollektiven Psychose des Patriarchats. Meine persönliche
Genugtuung wre es, zu einer solchen Zukunft beitragen zu können.
Ich hoffe, dass es mir
gelingen wird zu zeigen, dass es eine feministische Sprachtheorie gibt, und
dass ein großer Teil unseres Denkens neu gestaltet werden kann als etwas, das
einer Praxis der Frauen entspricht. Es geht darum aufzuzeigen, dass es –
versteckt hinter den Abstraktionen von Linguistik und Semiotik – ein
anderes Paradigma/Prinzip gibt. Manche Feministinnen, die (verstndlicherweise)
an der mnnlichen Dominanz der Sprache verzweifelt sind, haben eine poetische
Sprache und Schreibweise als Alternative gewhlt. Manche haben sogar
beschlossen zu schweigen, um sich dem patriarchalen Diskurs zu entziehen. Ich
denke aber, dass wir sowohl Sprache als auch soziale Praxis von der
patriarchalen Kontrolle befreien können, sobald wir das verborgene Prinzip
finden und in unsere Arme schließen.
Trotz endloser Diskussionen
haben PhilosophInnen auf die Frage: "Wie beziehen sich Wörter zur Welt?" nie eine
Antwort gefunden. Die Frage ist die letzte in einer Reihe von Fragen, die im
Gewirr patriarchaler Philosophie gefangen sind – ein guter Ort, um mit
einer unbefangenen Analyse zu beginnen. Alle Antworten, die je auf diese Frage
gegeben wurden, waren geprgt von den patriarchalen Werten der Philosophen, die
über sie nachdachten. Ihre Anschauungen wurden im Zuge von Denkprozessen
geformt, die das Denken der Frauen ablehnten. Diese Prozesse dienten über
Jahrhunderte hinweg dazu, patriarchale Hierarchien durchzusetzen und zu
behaupten
Es ist nicht meine Absicht, eine Sprachtheorie (zeitgenössisch oder vergangen)
nach der anderen für obsolet zu erklren. Mein Buch würde auf diese Weise zu
einem endlosen akademischen Unternehmen werden, das sich auf der Ebene jener
abspielen würde, gegen die ich mich wenden will. Was ich stattdessen tun
möchte, ist, eine alternative Sprachtheorie zu entwerfen.
Es gibt einige Fragen, die
zunchst beantwortet werden müssen: Auf welche Weise bedeuten Wörter, Stze
oder Diskurse etwas? Wie beziehen sie sich aufeinander und zur Welt? Was ist
die Bedeutung der Sprache für das Wesen des Menschen als Individuum und als
Spezies? Warum ist es wichtig für uns, das zu wissen?
Es gilt hier vor allem eine
Gefahr zu vermeiden: Wenn wir diese Fragen in der Terminologie abstrakter
Systeme beantworten, assoziieren wir unsere Menschlichkeit mit abstrakter
Denkfhigkeit, da wir davon ausgehen, dass der Sprache eine bedeutende Rolle in
unserem Menschwerdungsprozess zukommt. Die Konsequenz wre, dass diejenigen,
die sich in abstraktem Denken besonders hervorzutun wissen, als "menschlicher"
gelten würden als andere.
In diesem Sinne schiene die
"überlegenheit" der Mnner gerechtfertigt aufgrund ihrer angeblich höheren
Abstraktionsfhigkeit. Mnner haben seit je her den Bereich der Vernunft für
sich in Anspruch genommen, whrend Frauen jener des Gefühls zugeschrieben
wurde. Sprachtheorien stützen Geschlechtstheorien – oder zumindest
populre Geschlechtskonzeptionen.
Das Problem erhlt eine
zustzliche Dimension, wenn wir bedenken, dass das Verstehen von Syntax als
einer Regelsammlung dem Menschen an sich ein Konzept der Reglementierung
unterstellt. Auf diese Weise werden etwa unsere Rechtssysteme legitimiert, die
als ebensolche Regelsysteme plötzlich natürlich erscheinen. Was in der
akademischen Welt der Sprachtheorien passiert, kann weitreichende Konsequenzen
für uns alle haben. Es verhlt sich nicht anders als mit den akademischen
Wirtschaftstheorien, die wesentlichen Einfluss darauf nehmen, wie Waren
produziert und verteilt werden. Und selbst dort, wo es nicht zu unmittelbar
wahrnehmbaren Konsequenzen kommt, beeinflussen die diesen Theorien zugrunde liegenden
Voraussetzungen unser individuelles wie kollektives Verhalten in vielen
Lebensbereichen. Sie ermöglichen und stützen bestimmte Formen sozialen
Verhaltens und politischer Kontrolle in der gleichen Weise, in der etwa die
Existenz des militrisch-industriellen Komplexes die US-Außenpolitik ermöglicht
und stützt. Das ndern dieser grundlegenden Voraussetzungen würde demnach hohe
Wellen schlagen.
Die Co-Creation des Patriarchats
Es ist innerhalb der New-Age-Bewegung
in den USA zum Gemeinplatz geworden, von der Co-Creation der Realitt zu
sprechen.
Diesem Konzept zufolge können wir mittels unserer Ideen Wirklichkeit schaffen,
indem wir bestimmte Dinge als wirklich gelten lassen und andere nicht. Ich
hoffe, zeigen zu können, wie wir in diesem Sinne kollektiv eine patriarchale
Wirklichkeit entstehen lassen, die eine biopathische (lebensfeindliche) ist
– und ich werde dafür pldieren, diese Wirklichkeit zu überwinden. Unsere
Werte – und die sich selbst legitimierenden Interpretationen der Welt,
die wir auf ihrer Basis vornehmen – schaffen eine zerstörerische
Illusion, die uns dazu veranlasst, auf zerstörerische Weise zu handeln und
unsere Gesellschaft auf zerstörerische Weise zu organisieren. Doch ist dies nur
eine Weise, auf die wir Realitt schaffen können. Denn sobald wir unsere Rolle
in diesem Schaffensprozess begreifen, verstehen wir auch, dass wir die
patriarchale Wirklichkeit ndern und an ihrer Stelle eine andere schaffen
können. Als erstes müssen wir dabei den Mut aufbringen, die grundlegenden
Voraussetzungen zu verndern, die als Sicherheitsvorrichtungen dienen, um das
System vor tief greifenden Vernderungen zu schützen.
Obwohl sich mnnliche
Vorherrschaft in vielen (vielleicht fast allen) Kulturen finden lsst, möchte
ich meine Aufmerksamkeit vor allem auf die Herrschaft des weißen Mannes
richten. Ich denke, dass die Herrschaftsform des weißen Mannes viele
verschiedene Herrschafts- und Unterwerfungsweisen einschließt, die sich historisch
miteinander verknüpft haben. Diese Herrschaftsform wre demnach die
umfassendste, die wir kennen.
Ich meine damit nicht, dass jeder weiße Mann Herrschaft ausübt, oder dass
Herrschaft nur von weißen Mnnern ausgeübt werden kann. Was ich meine, ist,
dass sich Geschlechts-, Rassen- und Klassenideologien in einer Weise verbunden
haben, die es weißen Mnnern erlaubt, in verschiedensten Lebensbereichen Herrschaft
auszuüben. So entsteht eine Herrschaftsform, die sich und die Werte, auf denen
sie aufbaut, selbst legitimiert.
In der Geschichte Europas
sind der Aufstieg von Kapitalismus und Technologie, die Hexenverfolgung, die
Eroberung der Amerikas und der Genozid ihrer indigenen Bevölkerung, die Versklavung
der AfrikanerInnen oder der Holocaust alle extreme Momente einer Kultur, in der
besagte Geschlechts-, Rassen- und Klassenideologien in einem gigantischen Apparat
zusammenwirken, um einigen Wenigen zahlreiche Privilegien zuzuschanzen –
und anderen gar keine. Leider setzt dieser Apparat oft den Standard für andere
Kulturen und legitimiert in diesen hnliches Verhalten. überall auf der Welt
wandeln Diktatoren in den Fußstapfen ihrer weißen Brüder und begehen Grueltaten.
Weiße Mnner sind nach wie
vor die wichtigsten Stützen des Patriarchats. Anhand von Mechanismen wie jenen
des "freien Marktes" dominieren sie weiterhin die globale ökonomie. Es liegt
deshalb in der Verantwortung ihrer FürsorgerInnen – also im Besonderen
weißer Frauen – sich gegen das Patriarchat zu wehren und es in seinem
Inneren zu sabotieren. Dies muss in gemeinsamer Aktion mit ihren Verbündeten
geschehen: solidarischen nicht-weißen Frauen und Mnnern und solidarischen weißen
Mnnern. Wir müssen alle aufhören, biopathisches Verhalten und biopathische
Systeme zu honorieren. Frauen wie Mnner müssen aufhören, das Patriarchat zu
stützen.
Der Kapitalismus hat Vorteile
für viele Frauen gebracht, vor allem weiße Frauen, insofern, als dass er ihnen
erlaubt hat, strukturelle Positionen einzunehmen, die zuvor ausschließlich Mnnern
vorbehalten waren. Teil der Lohnarbeiterschaft zu sein oder für
Autorittspositionen ausgebildet zu werden, hat Frauen erlaubt, eine Stimme zu
erwerben, sich Gehör zu verschaffen und Probleme zu benennen – was enorm
schwierig ist für Frauen, deren Existenzmöglichkeiten auf traditionelle, unter
der Autoritt von Mnnern stehende Familienrollen reduziert bleiben.
Viele Frauen nutzen ihre
Freiheit, um sich gegen das System zu wenden, das sie "befreit" hat; sie wenden
sich gegen die Mngel dieses Systems, die schwer auf ihnen lasten: in Form
niederer Löhne, fehlender Kinderbetreuung, oder der sich fortsetzenden
Privilegiertheit der Mnner. Sie verurteilen das System auch für die Ausbeutung
ihrer Schwestern und deren Kindern in der so genannten Dritten Welt, für die
Verschwendung von Ressourcen durch Waffenhandel und Krieg, und für die
umfassende ökologische Zerstörung, für die es verantwortlich ist.
Ich denke, dass sich alle
Frauen im Kapitalismus in einer Position befinden, von der aus sie durch dessen
vermeintliche Vorteile hindurch sehen können. Der Grund ist, dass von uns
– trotz aller Ermutigungen, die ökonomische Leiter hinaufzuklettern
– nach wie vor erwartet wird, die Verantwortung der Kinderversorgung zu
übernehmen. Die Widersprüche zwischen den Werten, die diese beiden Anforderungen
zum Ausdruck bringen, lenken unsere Aufmerksamkeit auf die tief schürfenden
Widersprüche des Systems selbst.
Therapie- und
Medikationsformen haben meist die Absicht, uns zu einer Anpassung zu bewegen,
indem sie uns erklren, wir selbst trügen die Verantwortung für unser Leiden.
Es gibt allerdings viele Feministinnen, die sich gegen diese individuelle
Pathologisierung wehren und sich "nach außen" wenden, gegen das biopathische
System. Wir wenden dabei aber nicht die gewaltttigen Methoden des Systems an,
sondern suchen nach anderen Wegen, um es von innen heraus zu verndern.
Ich glaube, dass uns bisher
deshalb kein Erfolg beschieden war, weil wir nicht realisieren, dass wir eine
gemeinsame Perspektive haben, und dass die Probleme, denen wir uns
gegenübersehen, systematische sind. Indem wir die Verbindungen zwischen
verschiedenen Aspekten des Patriarchats aufzeigen und indem wir unsere
gemeinsamen alternativen Werte entdecken und behaupten (es gibt sie
ja bereits – wir müssen sie nur von ihren Hüllen befreien), können wir
Frauen beginnen, das Patriarchat auseinander zu nehmen, die Wirklichkeit neu zu
erschaffen, und allen den Weg vom Rande des Abgrunds zurück zu einer
friedlichen Existenz zu zeigen.
Das Schenkprinzip
Es gibt ein grundlegendes
Prinzip in unserem Leben, das nicht wahrgenommen und erkannt wird. Gleichzeitig
findet es sich in allen Lebensbereichen. Es mag in der Zeit der Raumfahrt, der
Computerisierung und der Gentechnologie seltsam erscheinen, dass etwas von
solcher Wichtigkeit ignoriert bleibt, doch wir mögen uns an das Bild des
"Elefanten im Wohnzimmer" erinnern, von dem bei den Anonymen Alkoholikern
gesprochen wird. Menschen,
die Alkoholprobleme verleugnen wollen, sprechen einfach nicht von ihnen. Um die
Dinge so zu lassen, wie sie sind, richten sie ihre Aufmerksamkeit auf anderes.
Ich glaube, dass das oben genannte
Prinzip als entscheidender Aspekt unseres Lebens verleugnet und ignoriert wird.
Dieser Aspekt steht – im Gegensatz zum Alkoholismus – für eine
gesunde, natürliche Seinsweise; eine Seinsweise, von der wir uns abgewendet
haben, um den patriarchalen Status quo als falsche Wirklichkeit
aufrechtzuerhalten. Ich nenne diesen verborgenen Aspekt unseres Lebens das Schenkprinzip. Es handelt sich um
eine Weise, Wirklichkeit zu schaffen und zu interpretieren, die der
Mütterlichkeit entspringt; es ist ein Weise, die auf der Erfahrung von Frauen
beruht – zumindest solange es die Frauen sind, die den größten Teil der
Mütterlichkeit erfüllen.
Das Schenkprinzip betont die
Wichtigkeit, zu schenken, um Bedürfnisse zu befriedigen. Es ist
bedürfnisorientiert, nicht profitorientiert. Ein freies Beschenken der
Bedürfnisse – was in der Mütterlichkeit Pflege oder Fürsorge genannt wird
– wird in unserer Gesellschaft oft übersehen, nicht registriert oder als irrelevant
abgetan, weil es auf Qualitt anstelle von Quantitt beruht. Was das Beschenken
der Bedürfnisse jedoch schafft, sind starke Bindungen zwischen denen, die
schenken, und denen, die beschenkt werden. Die Bedürfnisse anderer zu erkennen,
und zu versuchen, sie zu befriedigen, versichert den Schenkenden die Existenz
der anderen, whrend den Beschenkten in ihrer Erfahrung, etwas zu erhalten, das
ein Bedürfnis befriedigt, dasselbe widerfhrt.
Bedürfnisse ndern sich (auch
durch die Weisen, auf die sie befriedigt werden), Vorlieben entwickeln sich,
neue Bedürfnisse entstehen. Wenn Kinder lter werden, bilden sich z.B.
Bedürfnisse nach Unabhngigkeit. Mütter können auch diese befriedigen – indem
sie das Befriedigen anderer unterlassen.
Das Gegenteil des Schenkens
ist der Tausch. Tauschen ist Geben-um-zu-Erhalten. Hier sind Kalkül und
Berechnung notwendig, und was gegeben wird, muss mit dem, was dafür erhalten
wird, verglichen werden.
Der Tausch beinhaltet ein
logisches Moment, das auf das eigene Ego und nicht auf andere bezogen ist. Die
Gebenden des Tauschs nützen die Befriedigung der Bedürfnisse anderer nur als
Mittel, um eigene Bedürfnisse zu befriedigen. Ironischerweise beruht das, was
wir heute "ökonomie" nennen (altgriech. oikonomia; aus oikos = das Haus, und nomia, von nomos = das Gesetz), auf
dem Tausch, whrend das Schenken auf das eigene Heim reduziert bleibt. Im
Kapitalismus regiert das Tauschprinzip uneingeschrnkt als Eckpfeiler
patriarchaler Realitt.
Selbst unter jenen, die dem
Kapitalismus kritisch gegenüberstehen, gibt es viele, die nur auf die
Abschaffung des Geldes zielen. Sie wünschen sich eine barter economy (eine nicht-monetre
direkte Tauschökonomie), die immer noch dem Tauschprinzip verhaftet bleibt. Ich
glaube, dass diese KapitalismuskritikerInnen die Trennlinie zwischen den
Systemen an falscher Stelle ziehen: da sie das Geld und nicht den Tausch zu dem
erklren, worüber sich das System definiert, können sie die Alternative, die
das Schenken darstellt, nicht erkennen.
Legitimiert wird der Status
quo und die Tauschökonomie anhand einer "menschlichen Natur", die als
egoistisch und konkurrenzorientiert definiert wird – Eigenschaften, die
nur im Kapitalismus verlangt und gestrkt werden. Mütterlichkeit verlangt und
strkt das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein, Güte und Kreativitt. Obwohl diese
Eigenschaften notwendig sind, um Kindern die Welt zu eröffnen, wird es ihnen im
Kapitalismus schwierig gemacht, sich zu entfalten – bis zu dem Punkt, wo
wir für ihre Entfaltung persönliche Opfer bringen müssen. Der Grund für diese
Schwierigkeiten ist, dass besagte Eigenschaften den meisten in der
Tauschökonomie abhanden gekommen sind. Weder das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein,
noch Güte, noch Kreativitt werden im Rahmen des herrschenden Systems als Teil
der menschlichen Natur betrachtet und bleiben somit aus dem Reich der
Wirklichkeit verbannt.
Ich glaube, dass das Schenkprinzip
überall in unserem Leben gegenwrtig ist, auch wenn wir uns daran gewöhnt
haben, es nicht wahrzunehmen und nur dem Tauschprinzip mit seiner Verpflichtung
zum Kalkül Rechnung zu tragen. Aber selbst eine Frage wie: "Wie geht es Dir?"
bedeutet letztlich nichts anderes als: "Was sind Deine Bedürfnisse?" Ko-muni-kation bedeutet,
sich gegenseitig zu beschenken (lat. munus = das Geschenk). Es ist dies
die Weise, auf die wir Gemeinschaft als Ko-mun-alitt schaffen.
Indem sie die Bedürfnisse der von ihnen
abhngigen Kinder befriedigen, formen Mütter in einem ganz konkreten Sinn die
Körper der Menschen, welche die Gemeinschaft ausmachen und zusammen in ihr
leben. Es sind auch die Mütter, die sich um die gemeinschaftlichen
Einrichtungen und Versammlungsorte kümmern. Wir kommunizieren miteinander durch
das Schenken von Gaben, durch Kommunikation. Jedes Geschenk trgt etwas von den
Gedanken und Werten der Schenkenden in sich und versichert den Beschenkten
ihren persönlichen Wert – ein Moment, der dem Schenken von bedürfnisbefriedigenden
Gütern und Diensten zwangslufig innewohnt.
Der Tausch
Der Tausch ist selbstbezogen.
Er erfordert ein Denken in quivalenzen. Der Wert, der anderen im Akt des
Schenkens htte versichert werden können, verliert sich im Tausch in der
Erwartung einer reziproken Bedürfnisbefriedigung. Hier ist die Befriedigung der
Bedürfnisse anderer nur ein Mittel zur Befriedigung der eigenen. Folgen alle
diesem Prinzip, verndert sich unsere Kommunikation und wir lassen das
Entstehen einer Gesellschaft zu, in der isolierte und autonome Egos voneinander
getrennt existieren. Eine solche Existenzweise hat mit wirklicher Kommunalitt
nichts zu tun.
In ihrer Isolation beginnen
die Egos, ihre Bedürfnisse nach Fürsorge und Verbundenheit künstlich zu
befriedigen. Sie wenden sich Herrschaftsformen zu, um sich selbst jenes
Gemeinschaftssinns und jener Identitt zu versichern, die ihnen fehlen. Sie
zwingen dabei andere, für sie zu sorgen, und wenden alle erdenklichen Methoden
an – von persönlicher Gewalt bis zur Manipulation abstrakter Systeme
– um diese Versorgung bzw. die Befriedigung ihrer Bedürfnisse
sicherzustellen, da sie nicht lnger imstande sind, diese Befriedigung im
Rahmen kollektiv-partizipatorischer Schenkprozesse zu erfahren.
Wir müssen unsere
Gesellschaft als eine betrachten, die beinahe jeder freien Geschenke und der
Verbindungen, die diese schaffen, beraubt ist. Unser Mitgefühl ist blockiert,
und es sieht fast so aus, als könnten wir nur überleben, wenn wir die
Prinzipien des Schenkens und Beschenkt-Werdens ignorieren. Aber das
Nicht-Schenken tötet jene, die schenken könnten, genauso wie das Nicht-Beschenkt-Werden
jene tötet, deren materielle Bedürfnisse unbefriedigt bleiben. Um diese absurde
Situation aufrechtzuerhalten, werden Gesetze erlassen und ein Polizei- und
Militrapparat wird bezahlt, um diese zu schützen.
Unsummen werden für die
Aufrechterhaltung des Rechtssystems, der Regierung, der Polizei und des
Militrs ausgegeben, und es wird eine Gefühlsarmut geschaffen, die das Schenken
praktisch verunmöglicht. Die Konsequenz ist, dass der Tausch zum notwendigen
überlebensmechanismus wird.
Abstrakte Rechtssysteme und hierarchische Organisationen wie Regierung und
Militr haben die Aufgabe, der Mehrheit die ihrer Bedürfnisbefriedigung
dienenden Geschenke vorzuenthalten, um sie als Waren den Bedürfnisse einer
elitren Gruppe von Tauschhndlern nutzbar zu machen, deren Egos auf eine Weise
sozialisiert wurden, die den Hunger nach Mehr unersttlich werden ließ.
Auch wenn wir den
Tauschhndlern (den Unternehmern) für das Schaffen von Arbeitspltzen dankbar
sein mögen, sollten wir uns bewusstmachen, dass das Schaffen von Arbeitspltzen
für diese nur ein Weg ist, das, was Karl Marx Mehrwert genannt hat,
abzuschöpfen. Wir können den Mehrwert dabei als Geschenk der Arbeitenden
betrachten, nmlich als das ihrer Arbeitszeit. Die Arbeitenden selbst wiederum
müssen, um überleben zu können, zahlreiche Geschenke anderer in Anspruch
nehmen. Im Rahmen der uns beherrschenden Hierarchie werden Geschenke von unten
nach oben verteilt, von Arm zu Reich, von den Schenkenden zu den Tauschenden.
Gleichzeitig gelingt es dem System, die Menschen glauben zu machen, die
Verteilung würde umgekehrt geschehen.
Tauschverhltnisse wirken
seit langer Zeit so natürlich, dass es kaum jemandem mehr in den Sinn kommt,
sie zu hinterfragen. In Wahrheit jedoch sind sie künstlich, abgeleitet von
einem Missbrauch der Kommunikation. Wenn wir Tauschverhltnisse nicht mehr als
natürliche Eckpfeiler der Wirklichkeit ansehen, dann können wir aufhören,
unseren Selbstwert über unsere Rolle in denselben zu definieren. Viele Frauen
haben gedacht, dass das Ziel unserer Befreiung darin liegen muss, mehr in die gesellschaftlichen
Verhltnisse integriert zu werden. In den USA sind diese Verhltnisse jene des
kapitalistischen Patriarchats. Frauen fühlen sich in diesen aber oft
unbehaglich und oft genug verurteilt uns genau das zur Erfolglosigkeit.
Die Lösung kann nicht darin
liegen, uns dem Patriarchat mehr und mehr anzupassen – es sind im
Gegenteil die gesellschaftlichen Verhltnisse, die sich mehr und mehr unseren
Werten anzupassen haben. Das heißt zunchst, dass wir unsere Werte als
lebensfhiger als jene des Patriarchats geltend machen und behaupten müssen.
Wir müssen das Patriarchat verstehen und grundlegend kritisieren lernen, um zu
realisieren, dass wir die Alternative bereits in unseren Hnden halten.
Anstatt zu versuchen, uns den
Respekt jener zu erheischen, denen im Rahmen des Systems Erfolg beschieden ist,
müssen wir uns selbstbewusst außerhalb des Systems positionieren. Selbst der Respekt hat damit zu tun,
"noch einmal nachzusehen" (lat. spectare = sehen), abzuschtzen und
zu vergleichen – alles Kriterien, die vom Tauschprinzip herrühren und nur
dort von Wichtigkeit sind, wo nicht die Fürsorge als leitender Wert gilt.
Wenn wir unsere
Aufmerksamkeit auf den Wert des Schenkprinzips richten und die Mngel des
Tauschprinzips offenbaren, erscheint vieles in neuem Licht. Der patriarchale
Kapitalismus, der die Quelle unseres Glücks zu sein scheint, wird als
parasitres System entblößt, in dem die oberen Schichten von den Geschenken
ihrer unterworfenen FürsorgerInnen erhalten werden. Der Profit ist ein Geschenk,
das den Tauschhndlern von anderen am Markt Teilhabenden, und von denen, die
diese versorgen, gegeben wird. Der Mangel wohnt dem Tauschsystem notwendig inne
und ist nicht Folge menschlichen Unvermögens oder ökologischer Krise.
Kapitel 2>