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Theory
of The Gift Economy


Intro

Kapitel 1
Am Anfang

Kapitel 2
Sprache und Denken

Kapitel 3
Reziprozität

Kapitel 4
Definition und Tausch

Kapitel 5
Die Kategorie des Menschen

Kapitel 6
Marksistische“ Kategorien

Kapitel 7
Die kollektive Quelle

Kapitel 8
Kastrationsneid

Kapitel 9
Is = $

Kapitel 10
Wert

Kapitel 11
Der Übergang zum Tausch

Kapitel 12
Wie dem Tausch Wert geschenkt wird

Kapitel 13
Markt und Geschlecht

Kapitel 14
Zu existieren verdienen

Kapitel 15
Das Zeigen und das Patriarchat

Kapitel 16
Das Zeigen des Egos

Kapitel 17
Was repräsentiert die Demokratie?

Kapitel 18
Die nicht-maskulisierten Protagonistinnen gesellschaftlichen Wandels

Kapitel 19
Traum und Realität

Kapitel 20
Schenken und Liebe

Kapitel 21
Vom Garten zum Gral

Kapitel 22
Kosmologische Spekulationen

Kapitel 23
Nach den Wörtern – die Theorie in der Praxis

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Reziprozität

Die Logiken des Schenkens und des Tausches widersprechen einander, doch baut der Tausch auf dem Schenken auf. Er ist ein erzwungenes wechselseitiges Geschenk, da die Beschenkten den Schenkenden das, was sie erhalten haben, in gleichem Wert zurückzugeben haben. Das Produkt einer Person ersetzt das Produkt einer anderen Person. Ich glaube, dass diese Bedingungen der Gleichheit und des Ersetzens zum einen von unseren sprachlichen Benennungsprozessen abstammen (wie wir oben sehen konnten, nimmt in diesen Prozessen ein verbales Geschenk den Platz eines nonverbalen ein) und zum anderen von unseren Definitionsprozessen (in denen einige verbale Geschenke den Platz anderer verbaler Geschenke einnehmen). Im Tausch – der sich auf der materiellen Ebene abspielt – nimmt ein zurückgegebenes Geschenk den Platz des eigenen ein und schafft – so wie es das verbale Ersatzgeschenk tut – eine Verbindung zwischen den Tauschenden.

Gute Absichten können jedoch auch in den Abgrund führen, und so wird der Erhalt des Tausch-„Geschenks“ bald zur einzigen Motivation für das Geben des ersten „Geschenks“. Wenn der Schenkprozess auf diese Art in einen Tausch von „Gleichem“ transformiert wird, wird der gegenseitige Akt des Schenkens jedes altruistischen Moments beraubt. Die dem Tauschprozess zugrunde liegende „Gleichheit“ ist nichts anderes als die Gleichheit der Eigeninteressen der Tauschenden. Der Tausch wird zu einer Art magnetischer Struktur, nach der sich unsere Gesellschaft organisiert. Auch unser Denken richtet sich nach dieser Struktur und rechtfertigt sie – wahrscheinlich deshalb, weil sie den linguistischen Prozessen, von denen sie abstammt (und die wir weiterhin gebrauchen), so ähnlich ist (auch wenn sie das diesen Prozessen innewohnende Schenkprinzip in ein Tauschprinzip verwandelt hat). Außerhalb dieser Struktur wird weiterhin geschenkt, doch ist dieses Schenken unsichtbar geworden und kann den Menschen nicht mehr als ein Prinzip dienen, an dem sie sich orientieren könnten. Das Schenkprinzip weicht aus – es stellt sich dem Tauschprinzip nicht entgegen. Ja es findet sich in einer Situation, in der es den Tausch gar mit einseitigen („nicht zurückgegebenen“) Geschenken unterstützt und seinen vermeintlichen Wert somit zusätzlich stärkt.

Der Tausch ist auf sich selbst gerichtet und rechtfertigt sich selbst. Er hat eine symmetrische Form und die Bedingung der Gleichheit zwischen den Produkten untergräbt das tatsächliche Eingehen auf die Bedürfnisse anderer. Da der Tausch auf den Selbstinteressen der Tauschenden beruht und sie rechtfertigt, sind nicht nur die Produkte des Tausches gleich, sondern auch die dem Tausch zugrunde liegenden Motivationen. Indem sich die im Tausch involvierten Gleichheiten in diesem Sinne reproduzieren, beginnt ein infiniter Spiegeleffekt, der die Bedingungen für alle folgenden Tauschprozesse schafft, etwa jene des Marktes. Die Prozesse verbalen Ersetzens und die Prinzipien sprachlicher Gleichheit schwingen dabei immer noch mit und verleihen den Marktprozessen abstrakte Legitimation.

Die abstrakten Gleichungen, anhand derer in der Logik des Tauschprinzips die Selbstinteressen der Tauschenden geregelt werden, erhalten eine Unabhängigkeit, eine Art eigenes Leben. Alles, was von einem Äquivalent ersetzt werden kann, scheint Wert zu haben (einen Tauschwert), egal ob es ein Bedürfnis zu befriedigen vermag oder nicht. Ich glaube, dass die Idee, dass es viel an menschlicher Aktivität gibt, die nicht bedürfnisorientiert ist, von der Überbetonung der Gleichung und der gleichzeitigen Ignorierung des Schenkens herrührt. Auch die abstrakten Bedürfnisse des Tauschprozesses werden nicht als Bedürfnisse verstanden, sondern als Teil der Welt „wie sie ist“. Gleichzeitig wird die Befriedigung dieser Tauschbedürfnisse wichtiger als die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, und der Tausch löst das Schenken ab und präsentiert sich nunmehr selbst als vermeintliche Quelle menschlicher Werte. Es entsteht die unmenschliche und unmoralische marktgetriebene Kategorie der „effektiven Nachfrage“.

Da der Tausch einer Gleichung bedarf, die den Gleichungen des Marktes (und anderen Gleichungen) entsprechen, beinhaltet er eine Art eingebaute Meta-Ebene , die ihm erlaubt, sich selbst zu reproduzieren und zu behaupten. So wird das Schenken (das NachahmerInnen braucht, um als leitendes Prinzip wirken zu können) in den Hintergrund gedrängt und bleibt versteckt, auch wenn es auf vielfache Weise weiterhin stattfindet. Der Tausch selbst bleibt parasitär in die Prozesse des Schenkens eingebunden. In der Tat würde der Tausch ohne diese Prozesse nicht bestehen: er ist das Andere des Schenkens.

Die Funktion des Tausches beruht immer noch auf dem allgemeinen Charakter des Schenkens, doch wird dieses selbst nunmehr als schlechter oder fehlgelaufener Tausch definiert. Das Schenken wird in der Logik des Tausches als unvollständiger einseitiger Tausch verstanden, der als solcher nicht existieren kann. Auf diese Weise verhalten sich die Logik und Praxis des Tausches parasitär zur Logik und Praxis des Schenkens. Mithilfe der Geschenke, die sich das Tauschprinzip aneignet, gelingt es ihm, das Leben und die Weltanschauungen der Menschen zu kontrollieren: sowohl jener, die dem Tauschprinzip verhaftet sind, als auch jener, die dem Schenkprinzip folgen.

Der Strom der Geschenke fließt nach oben, gegen die Schwerkraft und hin zu den höchsten Ebenen der patriarchalen Hierarchien. Das heißt gleichzeitig, dass dieser Strom weg von den Bedürfnissen der Massen fließt. Die sich gegenseitig stützenden Schenk-Tausch-Hierarchien werden oft „soziale Reproduktion“ genannt. Es ist der Spiegeleffekt, der unzählige Reproduktionen derselben Struktur schafft. Diese gleichen einmal mehr den sprachlichen, doch erkennen wir sie nicht als solche. Die ewig reproduzierten Gleichungen lassen uns glauben, dass der Schlüssel zum Verständnis der Welt in der Reproduktion dieser Bilder vom Einen und den Vielen enthalten ist anstatt im Schenkaspekt der Sprache.

Zu guter Letzt wird das parasitäre Tauschprinzip auf die Ebene eines selbst-reproduzierenden Systems mit eigenem „Verstand“ gehoben – womöglich aufgrund der Überzeugungskraft, die die Reproduktion sich gleichender Strukturen auf den unterschiedlichsten Ebenen hat. Wenn diese Prozesse zur Formation individueller Strukturen beitragen – bewusst und unbewusst, zum Beispiel – dann scheint es gerechtfertigt, davon auszugehen, dass sie auch zur Formation unserer gesellschaftlichen Strukturen beitragen.

Die Selbst-Reproduktion wird erleichtert, wenn sich gleichende Bilder auf unterschiedlichen Ebenen gefunden oder geschaffen werden. Ich betrachte solche Parallelen zwischen patriarchalen Strukturen auf unterschiedlichen Ebenen nicht als Analogien, historische Isomorphismen oder Homologien, sondern als selbstähnliche soziale Strukturen, die der Transformation der sprachlichen Definitionsform in eine Geschlechtsdefinition (und umgekehrt) zugrunde liegen. Dieser wechselseitige Prozess ereignet sich auf vielen Ebenen.

Die Idee der Selbstähnlichkeit wurde von Benoit Mandelbrot im Zuge des Studiums fraktaler Geometrie entwickelt. Mandelbrot entdeckte, dass dieselben Strukturen auf den unterschiedlichsten Ebenen oder „Skalen“ reproduziert werden. Der Blumenkohl ist das meistverwendete Beispiel: jede Blume – und jeder ihrer Teile – sieht genauso aus wie der gesamte Kopf.

Ich denke, dass genau das Gleiche passiert, wenn wir von sozialen Strukturen sprechen. Fraktale Strukturen werden geschaffen, indem die Resultate einer Gleichung wieder in andere Gleichungen eingefügt werden, und so weiter: Millionen Mal. Sozial tun wir dasselbe: Wir fügen die Geschlechtsdefinition und ihre maskulinen Resultate wieder und wieder in soziale Definitionen ein und reproduzieren somit dieselbe Struktur auf unterschiedlichen Ebenen.

Eine Meta-Sprache ist eine Sprache, die über Sprache spricht. Begriffe wie „Hauptwort“ oder „Satz“ sind Teil der Meta-Sprache der Grammatik. Der vom Tausch erzeugte Spiegeleffekt bringt alle Gleichungen und die diese widerspiegelnden gesellschaftlichen Strukturen dazu, den Tausch zu legitimieren. Durch ihre Gleichheit scheinen diese Gleichungen und Strukturen zu definieren, was normal ist. Diese Selbstlegitimation verzerrt unseren Blick auf die ökonomischen und sozialen Verhältnisse. Sie lassen das Tauschprinzip als das einzig mögliche erscheinen, indem sie es dekontextualisieren bzw. vom Schenkprozess ablösen. In der Principia Mathematica präsentiert Betrand Russell seine Theorie logischer Typen, in der höhere logische Ebenen von einem anderen Typus sind als die Ebenen, die unter ihnen angesiedelt sind. So befindet sich zum Beispiel die Klasse aller Klassen als Meta-Klasse auf einer höheren logischen Ebene als die Teile/Individuen, die diese Klasse bestimmen. Meta-Nachrichten sind Nachrichten über Nachrichten und erklären uns, wie wir Nachrichten interpretieren können. Ich glaube, dass der Spiegeleffekt viele Meta-Nachrichten schafft, die uns an den Tauschprozess binden. Wir können diesbezüglich z.B. Gregory Batesons Steps to an Ecology of Mind betrachten. Bateson setzt sich darin mit den Möglichkeiten auseinander, schizophrene Doppelbindungen durch das Ändern von Meta-Nachrichten aufzulösen. Ich glaube, dass die Doppelbindungen von versteckten Tauschmotivationen und –prozessen auf einer Meta-Ebene bedingt werden. Das Schenken als den Kontext zu erkennen, in dem der Tausch und die ihm entsprechenden Klassifikationen stattfinden, könnte uns dazu bringen, unsere Ökonomie und unsere Logik zu überdenken, das Schenkprinzip anzuerkennen und zu unserem Heil zu gelangen.

Für eine hilfreiche Erklärung fraktaler Geometrie und Selbstähnlichkeit siehe auch James Gleick, Chaos: Making a New Science.

Ist Reziprozität ein Tausch oder ein Rollenwechsel?

Der homo oeconomicus, Protagonist neoklassischer Ökonomie, wird mit dem Tausch geschaffen. Das Wort homo selbst bedeutet „dasselbe“ und beinhaltet damit die Idee einer Gleichung. Wir lehren alle Buben eine bestimmte Art von Maskulinität, auf deren Basis sie dann als Männer um ökonomische und symbolische Vorherrschaft kämpfen. Wir lehren Mädchen, diesen Prozess zu unterstützen und ihre Kinder wiederum in diesem Sinne zu erziehen. Dies hat den Effekt, das in der Gesellschaft des „freien Marktes“ (ein Oxymoron) Männer vornehmlich tauschen, während Frauen vornehmlich schenken.

Wie unser ökonomisches System auf dem Tausch beruht, so beruht auch unser Studium des Tausches – in Form der Wirtschaftswissenschaften – auf dem Tausch. Der Kapitalismus praktiziert die Werte der Maskulinität und die Maskulinität die Werte des Kapitalismus. Nachdem wir hier von sozialen Rollen sprechen, können sie auch von Personen des anderen biologischen Geschlechts praktiziert werden. Dies ist allerdings nicht einfach, da die sozial auferlegten Geschlechterrollen stark sind und viele Hindernisse schaffen für den Erfolg in Bereichen, die gewöhnlich dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden. Einer dieser Bereiche sind die Wirtschaftswissenschaften: die akademischen Disziplinen, die den Kapitalismus studieren.

Da das Studium der Produktion und Verteilung von Gütern in unserer Gesellschaft auf dem sich selbst Wert verschaffenden Tausch beruht und an ihm orientiert ist, wird das Schenken nicht als Ökonomie betrachtet. Schenken ist jedoch genau das: die Produktion und Verteilung von Gütern. Mikroökonomien des Schenkens finden in jedem Haushalt statt. Die nicht-monetäre, geschenkte Arbeit der Frauen blieb dabei für die Wirtschaftswissenschaften bis vor kurzem unsichtbar, da diese einzig von Menschen betrieben wurden, die zur Gänze dem Tauschprinzip verhaftet waren.

Heute studieren einige Wirtschaftswissenschaftlerinnen den Tausch auch von der Perspektive des Schenkens aus und machen ihren Einfluss geltend. Allerdings haben sie noch nicht damit begonnen, die Gültigkeit des Tauschprinzips selbst als eine Weltanschauung in Frage zu stellen – vielleicht weil sie selbst relativ erfolgreich innerhalb desselben operieren.

Das Schenkprinzip als die Lösung für die Probleme zu identifizieren, die der Tausch schafft, und für das Schenkprinzip einzustehen, ist am leichtesten für jene, die sich zumindest zum Teil außerhalb der Tauschlogik befinden. Diese „revolutionäre Avantgarde“ würde nicht nur Frauen beinhalten bzw. Hausfrauen und Mütter (egal ob sie auch monetärer Arbeit nachgehen oder nicht), sondern alle, die keinen Profit aus dem Tausch ziehen, sondern ihn stattdessen unbewusst mit ihren Geschenken stützen. Wir meinen damit alle Männer und Frauen, auf deren Schultern das parasitäre Tauschsystem aufbaut.

Viele von uns erkennen das Schenken deshalb nicht, da der Tausch in seiner Globalität und Selbstlegitimation so allumfassend scheint. Wir erkennen es oft noch nicht einmal dort, wo wir es selbst praktizieren. Wir reflektieren auf keiner Meta-Ebene über das Schenken und haben keine Meta-Sprache, in der wir über es reden können. Wir begreifen unsere Kultur ausschließlich in Begriffen des Tausches. Dasselbe gilt auch für andere Kulturen, weswegen wir deren Schenkprozesse genauso wenig verstehen können.

Die französische Schule der Anthropologie etwa, die auf den Arbeiten von Marcel Mauss aufbaut, widmet einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit dem Schenken. Im Rahmen dieser Schule werden dem Schenken drei wesentliche Momente zugeschrieben: Geben, Erhalten und Zurückgeben. Dieses Insistieren auf Reziprozität verleugnet jedoch den kommunikativen Charakter des Schenkens und Empfangens (das sich ohne Reziprozität vollzieht) und erlaubt diesen Forschern nicht, eine klare Unterscheidung zwischen Schenken und Tauschen als zwei sich widersprechenden Prinzipien zu machen.

Für diese Forscher stellt das Schenken somit nur eine Variante des Tausches dar – eine mit einer längeren Rückzahlzeit und weniger Betonung auf Gleichheit. In ihren Augen liegt dem Schenken immer noch eine reziproke Verpflichtung zugrunde, nicht der einfache Wunsch, ein Bedürfnis zu befriedigen. Wie die meisten Männer sind diese Forscher in ihrem Denken limitiert, da sie nicht dazu sozialisiert wurden, menschliche Bindungen im Sinne der (auf direkte Bedürfnisbefriedigung ausgerichteten) Mütterlichkeit zu schaffen. Das Schenken erscheint somit als etwas Seltsames und wird nicht als die auf der Mutter (als Fürsorgerin) beruhende Logik des Lebens selbst bzw. als Modell für soziale Transformation gesehen.

Vor Jahren initiierte Claude Lévi-Strauss’ Beschreibung des symbolischen „Frauentausches“ zahlreiche Studien, die sich dem Tausch widmeten. Die darin involvierten Wissenschaftler reichten von Anthropologen über Psychoanalytiker und Linguisten bis hin zu Semiotikern. Von der Warte des Schenkprinzips aus sind Frauen selbst die Quelle der Schenkens, sodass es sich um ein „Geschenk von Schenkenden“ handelt, wenn Frauen geschenkt werden – um ein Meta-Geschenk. Der Inhalt des von Lévi-Strauss beschriebenen „Tausches“ (aus der kapitalistischen Perspektive gesehen) bzw. „Rollenwechsels“ (anders gesehen) ist das Schenken selbst.

Es ist das Schenken und Empfangen – und nicht erzwungene Reziprozität – die Verbindungen zwischen Menschen schaffen. Der entscheidende Faktor ist dabei die Kreativität, die im Wechseln der Rollen von Schenkenden und Beschenkten (von Fürsorgenden und Versorgten) liegt – es geht in keinem Fall um die Verabschiedung oder das Einhalten eines Gesetzes oder die Gleichheit eines Tausches oder den Zwang der Reziprozität. In Gesellschaften, die weniger stark vom Tausch geprägt sind als die unsere, dienen Schenkpraktiken definitorischen Absichten und definieren die Beziehungen zwischen den Einzelnen. Diese Schenkpraktiken leiten sich von der Logik der Sprache ab – einer Logik, die wesentlich von jener des Tausches verschieden ist. Es ist das Schenken und Empfangen von Geschenken – Ko-muni-kation – das soziale Rollen definiert.


The International Association for Feminist Economics (IAFFE).

Vgl. etwa die Arbeiten von Jacques Godbout, Serge Latouche und der Zeitschrift MAUSS (Mouvement Anti-utilitariste des Sciences Sociales).

In einem einflussreichen Vorwort für die Neuausgabe von Marcel Mauss’ The Gift (in der Ausgabe von W.W. Norton, New York 1990) diskutiert Mary Douglas den Tausch – oder die Reziprozität – als den Aspekt des Geschenks, der für das Schaffen menschlicher Bindungen verantwortlich ist. Sie bezieht sich dabei auf ihre Erfahrung in einer Wohltätigkeitsorganisation, in der sie anscheinend gelernt hatte, dass „die Beschenkten die Schenkenden nicht leiden können, egal wie freundlich diese sind“. Douglas kommt zu dem Schluss, dass wir keine freien Geschenke geben sollten, da „die Ablehnung einer Gegenleistung den Akt des Gebens außerhalb wechselseitiger Verbindungen stellt“ (S. VII). Auch Frauen können also so vom Tauschprinzip eingenommen werden, dass sie glauben, dass Reziprozität und nicht die Befriedigung von Bedürfnissen die Grundlage menschlicher Bindungen bildet. Das einzige, was ich hier anmerken möchte, ist, dass das Schenken ein psychologisch komplexer Akt ist und dass Wohltätigkeitsorganisationen es oft auf eine paternalistische Weise praktizieren, die für die Beschenkten durchaus kränkend und erniedrigend sein kann – vielleicht war dies ein Grund, warum die Beschenkten die „freundlichen Schenkenden“ Douglas’ nicht leiden konnten.

Claude Lévi-Strauss, Anthropologie Structurale.

Frauen sind die Avantgarde

Es gibt Autoren, die, wie Lews Hyde oder Jerry Martien, historische und anthropologische Literatur neu interpretiert und in ihren Arbeiten zum Tausch die Idee des Geschenks wenigstens zum Teil von den Zwängen des Kapitalismus befreit haben. Gleichzeitig – vielleicht weil ihnen die Erfahrung der Mütterlichkeit fehlt – tendieren sie dazu, das Geschenk als etwas Poetisches und Vergangenes aufzufassen, als etwas, das vergessen, marginalisiert und begraben wurde. In sehr ähnlicher Weise wird die eigene Erfahrung des Schenkens (das wir als Kinder von unseren Müttern erfahren) begraben und bleibt nur im Unbewussten sowie in Mythen und Geschichten präsent. Wenn wir das Schenken weiterhin ausschließlich in Begriffen von Reziprozität verstehen – mit anderen Worten: in Begriffen des Tausches – halten wir den Diskurs des patriarchalen status quo aufrecht.

Frauen können die Allgegenwart des Schenkens besser erkennen, weil wir es in der Ausübung unserer sozialen Rolle als Erwachsene erleben (wie sehr diese auch sozial abgewertet sein mag). Das ist der Grund, warum Frauen die Avantgarde sind, die Trägerinnen des Schenkens als sozialen Programms, eines Wegs, die Gesellschaft jetzt und zukünftig zu organisieren.

Das Fehlen einer auf dem Schenkprinzip basierenden Sprachtheorie macht das Verstehen des Schenkens als eines Lebensprinzips schwieriger. Martien schafft wenigstens eine Brücke zwischen Sprache und materiellem Schenken, wenn er Geld als „Geschenk“ analysiert und das Wampum (das selbst eine solche Brücke war) als „Wort“ und „Sprechakt“. Martiens Arbeit erlaubt uns, das Wampum als ein Mittel materieller Kommunikation zu sehen (während es von europäischen Siedlern bloß als „primitive“ Form von Geld angesehen wurde). Die Bänder mit Muschelperlen wurden von Ort zu Ort geschickt, um dabei zu helfen, soziale Situationen zu definieren und spezielle Bedürfnisse nach Bindung, Aufmerksamkeit und Fürsorge zu befriedigen. So erhielten Menschen, die trauerten, spezielle Perlen, um ihr Bedürfnis nach Trost zu befriedigen, während spezielle Perlen gegeben wurden, um Abkommen zu schließen oder Versprechen zu halten. Das Wampum war eine materielle Sprache, die aus vielen Wörtern bestand und über die Definition hinaus ging, um Solidarität und Einheit zu schaffen. Geld hingegen bleibt auf einer Stufe, auf der alles quantitativ definiert wird, um (in ironischem Widerspruch des europäischen Urteils in Bezug auf das Wampum) „primitivere“ menschliche Beziehungen zu ermöglichen, die auf einem wechselseitigen Ausschluss basieren: zwischen denen, die privates Eigentum besitzen – und denen, die das nicht tun.

Genauso wie in der Erforschung anderer Kulturen taucht in unserem eigenen Leben die Frage auf, ob es möglich ist, dem Schenkprinzip zu folgen und es zu stärken, oder ob jede Form zwischenmenschlichen Gebens dem Prinzip des Tausches verpflichtet ist, weil wir alles, das wir geben, zurückhaben wollen. Dieses Problem ist ein Problem zweier unterschiedlicher Logiken, auch wenn es oft als moralisches Problem gesehen wird. So mögen wir etwa angesichts eines Geschenkes fragen: „Ist diese Person wirklich altruistisch oder will sie uns nur manipulieren?“ Doch dies verdunkelt das Bild – oder lässt uns gar für Akte der Liebe mit Scham bezahlen. Wir sagen mit Bitterkeit, dass „keine gute Tat jemals unbestraft bleibt“ (no good deed ever goes unpunished). Selbstinteresse erscheint als die grundlegende Motivation aller Menschen und die Armut als sein notwendiges Pendant. Adam Smith zufolge besteht das Gute für die Mehrheit aus der Summe aller Selbstinteressen, während das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein als unrealistisch und selbst aufopfernd gesehen wird. Reziprozität erscheint somit als Mittel, im Rahmen sozialer Interaktion den Selbstinteressen aller Genüge zu tun.

Der Brauch, ein bisschen mehr zurückzugeben als das, was wir bekommen haben, ist ein weiteres Merkmal unseres Alltagslebens, in dem das Schenkprinzip durchscheint (selbst wenn das Prinzip der Reziprozität auch diesen Akt oft als Teil des Tausches erscheinen lässt). Vom Tauschprinzip vereinnahmt wurde dieser Brauch in Form des Kreditzinses. Diejenigen, die Kredite gewähren, gewähren diese einzig in Erwartung dessen, dass ihnen mehr zurückgegeben wird, als sie gegeben haben. (Dies ist so normal geworden, dass dieser Tage ein zinsloser Kredit als Geschenk begriffen wird.)

AnthropologInnen haben – wie wir alle im Patriarchat – Schwierigkeiten, die Spiegelbrillen des Tauschprinzips abzulegen. Sie sprechen vom „Tausch von Geschenken“ und bringen damit die beiden Prinzipien von Anfang an durcheinander. Das Schenken erscheint ihnen bloß als eine unterentwickelte Version des Tauschens – in keiner Weise als ein anderes und lebenswürdigeres Prinzip sozialer Organisation. In so genannten primitiven Gesellschaften hat das Schenken oft eine symbolische Funktion. Ich glaube, das ist deshalb so, da – wie wir im Falle des Wampum gesehen haben – in der Imitation der Sprache spezielle materielle Ersatzgeschenke (in der gleichen Form wie verbale Ersatzgeschenke) auf organisierte Weise gegeben werden. Dies geschieht in der Absicht, spezifische Bindungen zwischen Schenkenden und Beschenkten zu schaffen.

Mit anderen Worten, sowohl der Austausch von Waren für Geld als auch der symbolische Tausch von Geschenken sind Variationen des Themas der Kommunikation. Sie stellen zwei alternative Gebrauchsweisen ineinander verwobener Modelle dar. Tatsächlich lassen sich sowohl Sprache als auch die Produktion und Verteilung materieller Güter in allen Gesellschaften finden und haben für Millennien zusammen existiert. Gesellschaften haben gelernt, ihre eigenen Prozesse in einer Vielfalt von Wegen zu nutzen, um neue Kommunikationsprozesse zu schaffen.

Sprache ist eine zweite (verbale) Schenkökonomie und Definitionen und Namensgebungen sind spezielle dekontextualisierte Sprachprozesse. Diese dekontextualisierten Sprachprozesse entwickeln sich zum Tausch, wenn sie auf die materielle Ebene verlegt werden, auf dem Menschen ein Produkt für ein anderes ersetzen und die beiden quantitativ vergleichen.

Die Einführung des Geldes stellt dabei ein allgemeines Äquivalent zur Verfügung: ein einzelnes Ersatzgeschenk, das die Rolle eines Wortes in der Sprache übernimmt und mit dem die Werte aller Produkte des Marktes ausgedrückt und bewertet werden können. Das Geld stellt allerdings nur ein zusätzliches abstraktes Moment im Tauschprozess dar. Es ändert nicht dessen grundlegende Logik. In diesem Sinne ist die direkte Tauschwirtschaft (barter) keine Lösung für die Probleme, die das Tauschprinzip schafft. Sie folgt derselben Logik wie monetäre Tauschwirtschaften – nur ohne Geld. Nur wenn wir die Unterscheidung zwischen Schenken und Tauschen als die grundlegende Unterscheidung zwischen zwei Prinzipien menschlichen Miteinanders verstehen, können wir eine Reihe verschiedener und scheinbar unzusammenhängender Probleme deutlich machen.

Viele Geschenke

Viele der irrationalen und schädlichen Aspekte des patriarchalen Kapitalismus kommen vom Aufeinandertreffen des Schenk- und des Tauschprinzips. Die Mehrarbeit (der Teil der Arbeit, der nicht bezahlt wird und dem Profit des Kapitalisten zugute kommt) kann als erzwungenes Geschenk der ArbeiterInnen verstanden werden. Die Praxis, Frauen für die gleiche Arbeit weniger zu zahlen als Männer kann als Versuch gewertet werden, Frauen auf eine Rolle des Schenkens festzuschreiben: es wird von ihnen erwartet, noch mehr unbezahlte (geschenkte) Arbeit zu leisten als ihre männlichen Kollegen. Aufgrund der Gleichheit des Tausches und des Wertes, dem wir ihm zukommen lassen (ihm „schenken“), haben wir die Tendenz, den Markt als „gerecht“ zu sehen, selbst wenn er uns bestraft (in etwa nach dem Motto: „der Vater hat immer recht“).

Es gibt Rechnungen, denen zufolge die unbezahlte Haushaltsarbeit von Frauen 40% oder mehr des Bruttosozialprodukts einzelner Nationen ausmacht. Diese Arbeit ist eines der augenscheinlichsten Beispiele nicht anerkannter geschenkter Arbeit. Dazu kommen die Geschenke von den Armen an die Reichen, vom Süden an den Norden, von (zumindest partiellen) Schenkökonomien an Tauschökonomien. Wechselkurse, unterschiedliche Lebensstandards ökonomische Unausgewogenheiten bedingen einen ständigen Fluss von Geschenken von den so genannten „Entwicklungsländern“ zu den „Industrieländern“.

Doch bleibt dieser Fluss nicht nur unerkannt – er wird oft genug im gegenläufigen Sinne interpretiert. Oft scheint es so als wäre es der Norden, der dem Süden schenkt: Materialien, Know-How, Technologie, Arbeitslöhne, Märkte, Schutz, sogar „Zivilisation“. Doch anstelle davon, aufgrund dieser „Geschenke“ reicher zu werden, wird der Süden immer mehr ausgebeutet und zerstört, da er das „Mehr“ zurückzugeben versucht, den Zins dessen, was ihm „geschenkt“ wurde. In Wahrheit sind die „Geschenke“ des Nordens nur Mittel, dem Süden mehr und mehr seiner wahren Geschenke zu entlocken. Die Verunmöglichung starker eigener Ökonomien ist das zwangsläufige Resultat.

Die Senkung des Lebensstandards in der so genannten Dritten Welt dient der so genannten Ersten Welt zum Beispiel dazu, Löhne niedrig zu halten. Das Differential von Billigarbeit und Rohmaterialien wird gleichzeitig in kollektive Geschenke transformiert, die von der Mehrheit im Süden über eine Minderheit im Süden an eine Minderheit im Norden gelangen. Der manipulative Gebrauch des Schenkens für Profit (der nie schenkt, aber immer Geschenke fordert) ist selbst ein Tausch. Wir vermischen die beiden Prinzipien, wenn wir Schenken als Tausch und Profit als „verdient“ verstehen. Dies geschieht nicht nur in der akademischen Welt, sondern überall. Diese Vermischung ist ein wesentlicher Beitrag zur Aufrechterhaltung ausbeuterischer Praxis.

Die vielen Beispiele der Sklaverei, die die Geschichte der Menschheit kennzeichnen, sind Beweise für die Neigung, Gruppen von Menschen in erzwungenen Schenkpositionen zu halten bzw. sie zu „besitzen“. Frauen aller Kulturen haben sich oft in dieser Position befunden – egal ob sie von ihren Männern offiziell besessen wurden oder nicht. Um Kapital zu akkumulieren, müssen von irgendwoher Mehrwertgeschenke kommen. Etwa (wie es in den Südstaaten der USA der Fall war) von der Ausbeutung von SklavInnen – ungeachtet des Leids, das dadurch erzeugt wird.

Tausch schafft einen effizienten Mechanismus für Akkumulation, indem er die Geschenke, die er erhält, hinter der Fassade einer Gleichung versteckt, die als „gerecht“ angesehen wird, bzw. hinter einer Transaktion, die auf einer „freien Wahl“ zu beruhen scheint (wobei die Tatsache, dass das Fehlen von Alternativen die Armen oft in eine Position rückt, die der Sklaverei nicht unähnlich ist, unbedacht bleibt). Kapital kann gesehen werden als eine Sammlung von Geschenken der Vielen: jener Geschenke, die ihnen vom Tauschprinzip entrissen wurden. (Das Tauschprinzip sieht sie freilich noch nicht einmal als Geschenke, sondern als den „gerechten Profit“ einer Investition. Gleicher Tausch produziert jedoch keinen Profit. Nur geschenkte Arbeit tut dies.)

Geschenkte Arbeit ist leicht zu übersehen, weil – wie wir es in Bezug auf die Sprache gesehen haben – das Schenken transitiv ist. Wenn A B schenkt, und B C, dann schenkt A C. Also: Wenn eine Frau ihrem Mann ihre (unbezahlte) Arbeit schenkt, und dieser seine Mehrarbeit einem Kapitalisten, dann wird die Arbeit der Frau transitiv (durch ihren Mann) dem Kapitalisten geschenkt. Darüber hinaus wird geschenkte Arbeit leicht übersehen, weil wir unseren Blick von der ursprünglichen Quelle des Geschenks abwenden. Wenn überhaupt, dann sehen wir wie B C schenkt. Gleichzeitig lassen wir uns hier jedoch von dem so genannten „gerechten Tausch“ zwischen B und C täuschen: dem Lohn, der vom Kapitalisten an den Arbeiter gezahlt wird. Dieser ist vom Marktpreis der verrichteten Arbeit determiniert.

Wenn wir unsere gesamte Aufmerksamkeit auf den Lohn als einen „gerechten“ Preis für Arbeit richten, können wir das Schenken, das gewissermaßen hinter ihm stattfindet, nicht erkennen. Der Tausch legitimiert und bestätigt sich selbst über die Tauschprozesse des Marktes. Er treibt auf der Oberfläche eines Sees, der aus verleugneten Geschenken besteht. Diese kommen von Frauen, ArbeiterInnen, den Unbezahlten, den Unterbezahlten, den Armen, den Arbeitslosen (die mit ihrem Bedarf nach Arbeit den Lohn niedrig halten) und all jenen Klassen und Ländern, die zu ständigen Geschenken an die privilegierten Klassen und Länder gezwungen werden.

Darüber hinaus gibt es weitere Geschenke, die das Tauschprinzip und den Kapitalismus aufrechterhalten: Zunächst die zahlreichen Geschenke der KonsumentInnen, die für vieles überhöhte Preise bezahlen, wie etwa für Öl, das relativ niedrige Produktionskosten hat, aber einen hohen Nutzen für Leute, deren Bedürfnisse von den Transportindustrien bestimmt werden. Dann die Geschenke der Vergangenheit, die zum einen im Mehrwert bestehen, der im gebundenen Kapital enthalten ist, und zum zweiten in den (meist von Frauen erbrachten) Geschenken, die die Aufrechterhaltung sowohl materieller (Immobilien oder Waren) wie kultureller (Sprache oder Kunst) Güter sicherstellen. Der Fluss unerkannter Geschenke von der Vergangenheit in die Gegenwart ist ebenso enorm wie jener, der von den Ländern des Schenkens in die Länder der Ausbeutung läuft.

Und schließlich gibt es die Geschenke der Natur – die Luft, das Wasser, den Sonnenschein –, zu deren kreativen Nutzen uns die Evolutionsgeschichte ausgebildet hat. Diese Geschenke werden heute zerstört und erschöpft. Sie werden dem Tauschprinzip geopfert, damit dieses Kosten sparen kann. Ungeborene Generationen werden gezwungen, ihren potentiellen Gebrauch der Geschenke der Natur an uns abzutreten. Profit zu machen ist für uns wichtiger als der Zukunft zu schenken. Die Kommerzialisierung infiltriert die letzten Bereiche, die noch Bereiche des Schenkens sind: von Fast-Food-Restaurants bis zu Waschsalons. In der Tat wird alles kommerzialisiert – die Industrie der Bio-Genetik versteht sogar, unsere biologischen Geschenke zum Profit für eine Minderheit auszubeuten.


Lewis Hyde, The Gift, Imagination and the Erotic Life of Property; Jerry Martien, Shell Game: a True Account of Beads in North America.

Anm. d. Übers.: Perlen, die in indianischen Kulturen des Ostens Nordamerikas spezielle zeremonielle Bedeutung innehatten.

Jack Weatherford beschreibt in Indian Givers die Auswirkungen, die das Gold und Silber der Amerikas auf den europäischen Kapitalismus hatten, gemeinsam mit den zahllosen anderen (als solche nicht anerkannten) Geschenken, die die Welt von den indigenen Völkern der Amerikas erhalten hat.

 

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