Der Übergang zum Tausch
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Wenn wir, um zu kommunizieren, Wörter anstelle materieller Geschenke gebrauchen, wechseln wir zwar auf eine andere Ebene (die Ebene der Sprache, die wir selbst geschaffen haben), doch unsere kommunikativen Prinzipien bleiben sehr ähnlich. In unserem Wechsel vom materiellen Schenken zum ökonomischen Tausch wechseln wir jedoch unsere Logik: wir wechseln von der Logik des Schenkens zu der Logik des Ersetzens. Tatsächlich handelt es sich um zwei parallele Ersetzungen: nicht nur wird eine Logik mit einer anderen ersetzt, sondern auch ein Produkt mit Geld. Der Übergang, der hier stattfindet, reicht somit weiter als wir oft denken. Die Kluft zwischen Schenken und Tauschen ist weiter als jene zwischen Dingen und Wörtern. (Die erste Kluft wird mit Vorstellungen von „Verdienen“ gefüllt; die zweite mit Vorstellungen von Korrespondenzen zwischen Wörtern und Dingen: dem, was wir manchmal „Wahrheit“ nennen.) Die selbstähnlichen Strukturen der Ersetzung und des Tausches verursachen eine Bewegung vom Mikroskopischen zum Makroskopischen. (Siehe Graphik 15.)
Die selbstähnlichen Strukturen schaffen eine Art Verwirrung des Geistes, einen Sog, der uns hineinzieht in die neue Mentalität des Tausches. (Die Mentalität des Tausches ist neu in Bezug auf das Schenken, das ihm ontogenetisch und phylogenetisch vorausgeht.) Dieser neuen Mentalität gelingt es, Wertzuschreibungen auf sich zu ziehen.
Aufgrund ihrer Ähnlichkeit und Verwandtschaft (auf unterschiedlichen Ebenen) schenken wir der Ersetzung der Logik des Schenkens durch die Logik des Ersetzens genauso viel Vertrauen, wie wir der einfachen Ersetzung eines Dings durch ein anderes Vertrauen schenken. Was sich nunmehr auf der neuen, grobkörnigen, materiellen Ebene abspielt, ist uns durchaus bekannt, da wir auf der feinkörnigen Mikroebene im Erlernen der Sprache und Definieren von Dingen ständig unbewusst Ersetzungsprozesse verwenden. Auch das Wechseln von Ebenen haben wir bereits erlebt, nämlich mit unserer Aneignung von Sprache – das „Haben von Sprache“ hat letztlich alles vermittelt, was wir jetzt sind.
Viele Implikationen des Übergangs zum Tausch entsprechen dem Prozess der Maskulisierung: der Erhalt eines neuen Namens in Form eines Preises; das Aufgegeben-Werden seitens des „Produzenten“ (im Maskulisierungsprozess: seitens der Mutter); oder der aufgezwungene Wechsel vom Prinzip des Schenkens zum Prinzip des Ersetzens. Alle diese Aspekte bestätigen sich gegenseitig und tragen dazu bei, dass wir in den Tausch hineingezogen werden. Das Tauschprinzip reißt die Kontrolle an sich und nimmt den Platz aller anderen möglichen Modelle menschlicher Interaktion ein.
Wenn dem Tausch nicht kontinuierlich mehr Wert als allem anderen zugeschrieben würde, würde er nicht weiter existieren können. Genauso wenig würde der maskulisierte Mann weiter existieren können, wenn ihm nicht mehr Wert als allen anderen Menschen zugeschrieben würde. Das Schenken bzw. die Ausdehnung und Wertschätzung des Schenkprinzips würden den Tausch unnotwendig machen. Im Moment jedoch trägt das Schenken seinen „Konkurrenten“ gewissermaßen auf seinen Schultern (Konkurrenz ist natürlich ein Aspekt des Tauschprinzips, nicht des Schenkprinzips). Die Logik und die Praxis des Tausches brauchen diese Unterstützung. Und sie wird von allen geleistet. Selbst von jenen, die das Schenken praktizieren. Indem dem Tausch der höchste Wert zugeschrieben wird, wird er zum einzigen Weg, unsere Existenz zu sichern. Er besetzt das soziale Feld, durchdringt unser Leben und marginalisiert seine Alternativen.
Die soziale Institution des monetären Tausches zwingt uns, jedes Mal, wenn wir kaufen und verkaufen, unsere Prinzipien zu wechseln. Der Wechsel selbst wird so gewöhnlich, dass wir ihn nicht bemerken. Er begleitet unser Leben in jedem Moment. Sowohl das neue Prinzip des Tausches als auch dieser Wechsel werden natürlich und normal für uns. Das frühere Prinzip des Schenkens, das Prinzip der freien Güter und Dienste, wird bagatellisiert und wertlos gemacht – obwohl es weiterhin funktioniert.
Ego-orientierte Menschen schreiben dem Tausch nicht nur Wert zu, weil sie meinen, ihn zum Überleben zu brauchen, sondern auch, weil sie sich über ihn individuellen Extra-Wert verschaffen wollen. Dieser soll „selbst gemacht“ erscheinen bzw. als Beweis des eigenen Ursprungs ihrer Überlegenheit dienen. Das maskulisierte Tauschmuster wiederholt diesen Prozess. Aber auch Menschen, die auf Andere ausgerichtet sind, schreiben dem Tausch Wert zu. Dies als logische Folge dessen, dass sie in ihrem Schenken nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen Wert zuschreiben, inklusive den Tauschenden. Der Tausch nimmt somit die zentrale Position in unseren Beziehungen ein und erregt durch das Fördern der Konkurrenz weitere Aufmerksamkeit, da Konkurrenz wesentlich auf der Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu erregen, beruht. Schließlich müssen die Verkaufenden die Kaufenden auf ihre Produkte aufmerksam machen, um sie zum Kauf derselben animieren zu können.
Die Ersetzung des Schenkens – bzw. seine Verunmöglichung – macht die Transaktion des Tausches zu einer Transaktion zwischen Feinden. Nachdem die andere Person im Tausch dasselbe tut, das wir tun (indem sie uns etwas gibt, das dem, das wir ihr gegeben haben, gleichgestellt ist), ist sie unsere verzögerte oder antizipierte Widerspiegelung, und sie ist dabei, wie wir selbst, stets bereit – vor allem in einer Situation des Mangels – unser Produkt für weniger zu erstehen oder ihr eigenes Produkt für mehr zu verkaufen. Kurz, sie ist bereit, uns zu betrügen. Wenn wir uns im Tausch „an die Stelle der anderen versetzen“, dann heißt das, dass wir unseren eigenen feindlichen Interessen ins Auge sehen müssen. Unser „Altruismus“ negiert sich im Tausch also selbst durch die Realisierung, dass die andere Person uns betrügen will, so wie wir sie betrügen wollen – im Sinne unserer sich gegenseitig ausschließenden „Interessen“.
Der Wechsel zum Tausch und die Maskulisierung bestätigen sich gegenseitig und verschaffen einander Wert. Wie die Maskulisierung verleugnet der Tausch die schenkende Quelle, erklärt sie für wertlos und versucht, die Schenkenden zu isolieren. Der Tausch setzt den Standard für das ökonomische Feld und oft sogar für die Wirklichkeit selbst. Was dem Tausch entspricht, gilt nicht nur als wertvoll, sondern auch als wirklich und normal, während alles andere als verdächtig und unsicher gilt (ein weiterer Weg, um Frauen und das Schenken abzuwerten). Der Tausch handelt offen mit ökonomischem Wert, er benennt ihn, akkumuliert ihn, lagert ihn als Geld und versucht seine Entwicklung vorherzusehen. Der Tausch erscheint als Dreh- und Angelpunkt von allem. Es gelingt ihm an dieser Stelle, sich das Geschenk des Werts anzueignen. Wir bewegen uns von nun an zwischen Wertschätzung und Wertzuschreibung für den Tausch und leben in dem Widerspruch, von ihm zu erhalten und ihm zu schenken. Wir hauchen dem Tauschprozess das Leben ein, so wie Gott Adam das Leben einhauchte. Der Wert, der dem Tausch sowohl von den Tauschenden wie den Nicht-Tauschenden geschenkt wird, unterliegt dabei dem Einfluss von Marktkräften und wird schließlich im Kapital akkumuliert. Dieses schafft Belohnungen für das Haben, während es Strafen für das Nicht-Haben schafft. Wir können diese Mechanismen als die Triebfeder des Tausches bezeichnen.
Die Wichtigkeit des Tausches ist – wie wir erwarten konnten – kulturell bestimmt. Wenn seine Geschenke und sein Wert nicht in den Tausch fließen würden, würde dem Schenken selbst von überall Wert und Bestätigung zukommen. Viele Lebensprozesse können als Prozesse des Schenkens und Empfangens interpretiert werden – von der Sexualität oder der Geburt über das Stillen oder das Atmen bis hin zur Mutter Natur (die ihr Taschentuch fallen lässt, damit wir es aufheben können – sowohl in Form von Fallobst wie Synchronizität ) oder den vielen Wegen der Fürsorge, die wir nach wie vor auf den verschiedensten Ebenen beobachten können. Diese Wege der Fürsorge lassen sich auf viele verschiedene Weisen symbolisieren, was auch getan wird: beginnend mit Mutter Erde und der Schwester Wasser oder dem Füllhorn und dem Gral. Allerdings bleibt das Schenken oft verborgen, da der Tausch (wie die Maskulisierung) in Konkurrenz zu ihm steht. Gleichzeitig hängt der Tausch jedoch parasitär vom Schenken ab, da es den Wert benötigt, der ihm vom Schenken gegeben wird. Der Tausch muss dies jedoch verschleiern und damit im Vordergrund bleiben, um das Schenken unsichtbar zu machen, es zu negieren und den Anschein zu erwecken, dass er selbst die Ursache seines Werts ist – dass er sich seinen Wert „verdient“ hat.
Dieser Anschein ist von zentraler Bedeutung für den Tausch. Der Tausch muss behaupten können, dass der Wert, der ihm zukommt, in ihm selbst liegt und ihm nicht von anderen zugeschrieben wird. Er muss den Anschein erwecken, dass sich die Quelle seines Werts in seiner eigenen Doppellogik findet, so als würde er nur eine gerechte Entlohnung dafür erhalten, was er selbst geschenkt hat. Er versucht also, sich auf seiner eigenen Meta-Ebene den Anschein des Schenkens zu geben, und es gelingt ihm dabei tatsächlich, viele glauben zu machen, dass der Tausch ein segensreiches Geschenk an die Menschheit ist. Menschen in so genannten „Entwicklungsländern“ bestätigen dies oft, wenn sie beginnen, Nahrungsmittel anzupflanzen, um sie zu verkaufen, anstatt sie selbst zu konsumieren. Anfangs mag es dabei durchaus zu einer Steigerung von materiellem Wohlstand und Gefühlen von „Unabhängigkeit“ kommen, die manchmal sogar beinahe magisch erscheinen mögen – doch wird dies bald überschattet von den negativen Konsequenzen marktökonomischer Abhängigkeit. Denn diese Abhängigkeit privilegiert letzten Endes immer nur einige Wenige, während die meisten zum Scheitern verurteilt sind. Dies wird dann gewöhnlich mit Verweisen auf angebliche persönliche Mängel erklärt: unzureichende Intelligenz, ineffektive Strategie, falsche Entscheidungsfindung, Pech, usw. Die Verantwortung für ihren mangelnden Erfolg innerhalb des Systems den Individuen selbst zuzuschreiben anstatt dem System, erlaubt das Fortsetzen exzessiver Wertzuschreibung an den Tausch und den Markt.
Nachdem der Tausch als die einzige Quelle für Güter erscheint, erscheint er auch als Notwendigkeit, um überleben zu können – vor allem in einer Ökonomie des Mangels. Der Mangel wird daher vom System des Tauschs als seine eigene Voraussetzung geschaffen. Überfluss steht mit dem Schenken in Zusammenhang und würde den Tausch somit untergraben und unnotwendig machen. Also dehnt sich die monetarisierte Ökonomie aus, besetzt den Raum, in dem zuvor Geschenkproduktion und Geschenkkonsumption stattfanden, und macht es für die, die sich nicht am Tausch beteiligen, schwierig zu überleben. So werden etwa natürliche Ressourcen zerstört (absichtlich oder unabsichtlich), die damit jenen nicht weiter als Existenzquelle dienen können, die ihre Existenz traditionell auf ihnen aufgebaut hatten. Die ökonomische Marginalisierung der amerikanischen Indianerkulturenund die Zerstörung der enormen Büffelherden der nordamerikanischen Prärie – die die freie Existenzquelle vieler Stämme waren – sind nur ein tragisches Beispiel unter vielen.
Nur wenn wir erkennen, dass der Tausch in Wirklichkeit ein Parasit des Schenkprinzips ist, welches von ihm versteckt und verleugnet wird, können wir auch erkennen, dass der Tausch nicht die primäre Quelle unseres ökonomischen Wohls ist und dass er – selbst nach seinen eigenen Kriterien – nicht die Aufmerksamkeit und den Wert verdient, den wir ihm schenken. Wenn wir jedoch eine Meta-Perspektive einnehmen, die wirklich das Wohl aller in Betracht zieht, dann können wir vom Tauschprinzip wieder zum Schenkprinzip zurückkehren.
Das Sagen der Wahrheit sollte als Kommunikation gesehen werden, die auf Andere ausgerichtet ist, da es die kommunikativen Bedürfnisse anderer in Bezug auf eine Situation befriedigt, die die Befriedigung weiterer komplexer Bedürfnisse impliziert. Das Lügen ist hingegen ego-orientiert. Wie der Tausch verwendet es andere nur zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse – der Bedürfnisse des Egos. Manipulierende Werbung ist zum Beispiel eine Lüge, die einen Tausch provoziert. Um jedoch Missverständnisse zu vermeiden: Das Sagen der Wahrheit hat nicht unbedingt mit der Vorstellung einer „objektiven Wahrheit“ zu tun (im Sinne einer Korrespondenz zwischen Wörtern und Dingen). Diese Vorstellung muss vielleicht als eine Widerspiegelung des „gleichen Tauschs“ gesehen werden, die außerhalb des Saatkorns des Schenkens und Empfangens liegt.
Neue Namen dieser Art gibt es auch im fundamentalistischen Christentum, das die Vorstellung vertritt, dass wir im Zuge einer Taufe „wiedergeboren“ werden. Es wird dabei eine Art neuer (Tausch)Wert verliehen, über den sich eine Person auf ein allgemeines Äquivalent (hier: Gott) beziehen kann. Der Prozess ist der Maskulisierung ähnlich und schafft beinahe eine dritte Geschlechtsidentität mit eigenen Verhaltensanforderungen.
Anm. d. Übers.: Von C.G. Jung geprägter Begriff, der auf das Erleben eines Zusammenhangs zwischen einem „inneren“ (emotionalen oder intellektuellen) Ereignis und einem „äußeren“ (physischen, materiellen) Ereignis verweist, ohne dass dieser Zusammenhang kausal erklärt werden könnte.
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