Sprache und Schenken
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Wir verwenden Sprache jeden Tag und es ist die Sprache, die unsere Gedanken prägt. Der Einfluss der Sprache auf unser Leben ist allgegenwärtig – nicht nur als Prozess oder Mittel, sondern auch als Modell. Die Sprache wurde uns dabei von den Vielen (den Anderen) geschenkt. Sie bezeugt, dass wir tief mit anderen Menschen verbunden sind. Sie ist ein wesentlicher Teil unserer Sozialisierung.
Die Tatsache, dass alle menschlichen Gemeinschaften Sprache kennen, impliziert nicht zwangsläufig, dass Sprache genetisch veranlagt ist. Es gibt etwas anderes, das alle Gemeinschaften teilen: die Fürsorge der Mutter. Diese soziale Konstante hängt dabei nicht so sehr von der biologischen Natur der Mutter ab, sondern von der des Kindes: dieses ist zur Gänze von der Fürsorge anderer abhängig. Wenn nicht irgendjemand seine Bedürfnisse befriedigt, leidet und stirbt es. Diese Bedürfnisbefriedigung muss dabei ohne Gegenleistung geschehen, da Kinder nicht zurückgeben können, was sie erhalten.
Diejenigen, die die Kinder versorgen, werden zu etwas gezwungen, das wir eine Art „funktionalistischen Altruismus“ nennen können. Die biologischen Fähigkeiten von Frauen – wie die Schwangerschaft, das Gebären oder die Laktation – werden gewöhnlich als „Funktionen“ interpretiert, denen zufolge es die Frauen sein müssen, die die Rolle der Fürsorgenden einzunehmen haben. Mädchen werden in diesem Sinne von Anfang an zu altruistischem Handeln ausgebildet.
Wenn wir Kommunikation als materielle Fürsorge oder als Schenken betrachten, das Gemeinschaft formt, dann können wir die Fürsorge der Frauen als die Basis der Gemeinschaftlichkeit der Familie betrachten. Die Nuklearfamilie – im besonderen die Beziehung zwischen Mutter und Kind – erinnert daran, wie eine auf extensivem Schenken beruhende Gemeinschaft einmal ausgesehen haben mag bzw. aussehen kann. Momente wahrer Gemeinschaft sind in unserer Gesellschaft so rar geworden, dass sich das Schenkprinzip nicht entfalten kann. Die Prekarität, in der die meisten von uns leben, macht das Schenken schwierig (ja verlangt oft genug Opfer) und daher „unrealistisch“.
Es gibt jedoch etwas, das wir im Überfluss haben und für dessen „Produktion“ beinahe alle die entsprechenden „Produktionsmittel“ besitzen. Dieses im Überfluss vorhandene Gut ist die Sprache, mit der wir ständig neue Sätze schaffen können. Auch wenn unser Vokabular begrenzt sein mag, sind dessen Verkettungsmöglichkeiten beinahe unbegrenzt. Wir erhalten Wörter und Sätze von anderen, ohne für sie bezahlen zu müssen, und reichen sie ebenso frei an andere weiter. Sprache funktioniert als Schenkökonomie. Wir erkennen sie jedoch nicht als solche, da wir dem Schenken in unserer Ökonomie keine Bedeutung beimessen. Die Aktivität der Fürsorge selbst nehmen wir für gewöhnlich nur in der Mutter-Kind-Beziehung wahr. Die Parallelen zwischen dem Schenken und der Sprache werden uns daher nicht bewusst. Dabei schaffen wir mithilfe der Sprache immer noch jene menschlichen Verbindungen, die wir über materielle Kommunikation (materielles Schenken) nicht mehr herzustellen wissen. Sprache erlaubt uns zu erfahren, was es heißt, einander im Überfluss zu schenken – eine Fähigkeit, die wir materiell verloren bzw. die wir uns noch nicht wieder angeeignet haben.
Sprache so zu denken, hat mich zu folgender Überlegung gebracht: Wenn es die Sprache ist, die die Entwicklung des Menschen ausmacht, dann liegt das Wesen der Sprache vielleicht im Aspekt des Schenkens-im-Überfluss und nicht in einem abstrakten System. Vielleicht würden wir uns weiterentwickeln, wenn es uns gelänge, wieder eine materielle Gemeinschaftlichkeit zu schaffen, die auf dem Schenken beruht – so wie es in der New-Age-Bewegung und von vielen anderen gehofft wird. Was dieser Entwicklung im Wege steht, ist die Tauschökonomie.
Die Logik der Mütterlichkeit verlangt, dass die Fürsorgenden sich der Bedürfnisse anderer bewusst werden. Die Belohnung dafür ist das Wohlbefinden der anderen. Es gibt viele unterschiedliche Arten von Bedürfnissen, und es ist manchmal eine Herausforderung, sie zu verstehen und zu befriedigen. Kontinuierliches Schenken und Empfangen schafft Erwartungen und Belohnungen, eine Kenntnis anderer und dessen, wie ein Bedürfnis befriedigt werden kann; es schafft außerdem ein Versprechen weiterer Fürsorge und die Erwartung, dass dieses gehalten wird. Es handelt sich um eine allumfassende Beziehung. Alle Beteiligten werden auf die ein oder andere Weise von der Erfahrung des Schenkens berührt.
Selbst dort, wo materielle Güter nicht erhältlich sind oder nicht verwendet werden, kann es ein Bedürfnis danach geben, sich mit einer anderen Person zu verbinden. Ich würde dies ein Bedürfnis nach Kommunikation nennen, nach Verbindung, nach Beziehung. Wörter sind die verbalen Güter, die kommunikative Bedürfnisse befriedigen. Wenn wir also Wörter zur Befriedigung kommunikativer Bedürfnisse verwenden, dann können wir Wörter als Geschenke betrachten. Die Mutter versorgt ihr Kind mit Gütern und Diensten, aber sie versorgt es auch mit Wörtern. Das Kind ist dabei sogar befähigt, mit der Mutter die Rolle zu wechseln: es kann ihr kommunikative Geschenke geben, bevor es ihr materielle geben kann.
Viele der Wörter, die wir verwenden, um über Sprache zu sprechen, verweisen auf Schenkprozesse: eine Eigenschaft kann „zugeschrieben“ werden, eine Bedeutung oder Nachricht „gesendet“, eine Information „übertragen“. Sprache als kollektives Ausdrucksmittel sagt viel über sich selbst, aber wir hören nicht hin, weil wir dem Patriarchat zuhören. Anstatt die Sprache zu verstehen, sehen wir sie demnach als postale Metapher für das Packen oder Codieren von Informationen, die geschickt und dann wieder ausgepackt bzw. dekodiert werden. Das Geschenk bleibt dabei verborgen.
Wir betrachten die Welt durch die Brille des Tausches und können daher auch einen solchen Rollenwechsel nur als Tausch sehen. Die Motivation des Rollenwechsels ist jedoch nicht erzwungene Reziprozität, sondern Teilen, alternierendes Schenken/Beschenkt-Werden und Kommunikation.
Wörter als Geschenke
Natürlich stellt sich das Problem der Materialität des verbalen Geschenks. Auch wenn wir ein Wort als wiederholbare Lauteinheit erkennen – und obwohl es diese Qualität mit anderen Wörtern teilt – kann es nur dazu verwendet werden, kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen. Materielle Bedürfnisse können von ihm nicht befriedigt werden. Das Wort „Brot“ stillt kein Hungerbedürfnis. Kommunikative Bedürfnisse können der Befriedigung materieller Bedürfnisse jedoch indirekt dienlich sein. Zum Beispiel kann der Satz: „Es ist Brot im Kasten“ als eine Hilfeleistung für die Befriedigung eines Hungerbedürfnisses gesehen werden. Oder wenn wir „Brot!“ als Forderung aussprechen, so können wir das Wissensbedürfnis anderer danach befriedigen, was wir haben wollen. Unser Wortschatz könnte in diesem Sinne als Sammlung von Geschenken verstanden werden, die verschiedene kommunikative Bedürfnisse befriedigen. Jedes Wort ist eine Reihe von Phänomenen, eine Kette vokaler Verhaltensweisen, das von den kommunikativen Bedürfnissen, die es befriedigt, erkannt wird.
Wir können folgendermaßen unterscheiden: Ein Ei zu kochen ist eine Folge von Verhaltensweisen, die mit einer Reihe materieller Objekte zu tun haben und das Bedürfnis befriedigt, ein gekochtes Ei zu essen. Das Wort „Ei“ zu äußern ist eine Reihe vokaler Verhaltensweisen, die ein kommunikatives Bedürfnis befriedigen und über ein Ei (oder Eier) Beziehungen zu anderen herstellen.
Die Fähigkeit, Information zu vermitteln, kommt von der Beschreibung einer Erfahrung mithilfe dieser Wortgeschenke. Es werden dabei nicht nur Verbindungen zwischen den Wörtern selbst hergestellt, sondern auch zwischen unterschiedlichen Realitätsebenen: verbalen wie materiellen. Die Fähigkeit, Information zu erhalten, die auf der Verwendung von Wörtern beruht, erlaubt den Wörtern nicht nur kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen, sondern auch materielle.
Ob Wortgeschenke nun Güter oder Dienste sind, gleicht der Frage, ob das Licht aus Teilen oder Wellen besteht. Die Arten der kommunikativen Bedürfnisse, die von den Wortgeschenken befriedigt werden, haben sich entwickelt, um von ihnen Gebrauch zu machen, so wie das Auge und der visuelle Cortex sich entwickelt haben, um vom Licht Gebrauch zu machen. Die Materialität von Wörtern irgendwo zwischen Gütern und Diensten anzusiedeln, macht auch insofern Sinn, als dass die Geschenke der nonverbalen Ebene, die von den Wörtern re-präsent-iert (Präsent = Geschenk) werden, ebenso von unterschiedlichen Materialitätsgraden sein können.
Vom Liebesakt bis zur Farbe Grün – vom Mond bis zum Kapitalismus: alle möglichen nonverbalen Dinge werden von verbalen repräsentiert. Dies schafft verbale Kommunikation, Linguistik, und manchmal materielle Gemeinschaft. Genauso wie materielles Schenken-und-Empfangen die physischen Körper der Menschen der Gemeinschaft formt, so trägt verbales Schenken-und-Empfangen zur Bildung der Menschen als soziale Subjekte bzw. zu deren psychologischer Identität bei.
Beziehungen
Das Schenken und Empfangen von Wortgeschenken – organisiert in Sätzen und Diskursen – schafft Beziehungen zwischen Menschen mit Bezugnahme auf Objekte. Das kommunikative Bedürfnis ist das Bedürfnis für eine Beziehung zu anderen Menschen mit Bezugnahme auf ein Drittes. Wir können uns nur selbst und nicht für eine andere Person auf dieses beziehen. Die andere Person hat diesen Bezug selbst herzustellen. Was wir allerdings tun können, ist, erstens, das Bedürfnis einer Person zu erkennen, sich auf etwas beziehen zu wollen, und zweitens, ihr entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Wenn Menschen über etwas sprechen, befinden sie sich unentwegt in solchen Situationen. Eine Person gibt einer anderen Wortgeschenke, welche für diese Person relevante Teile der Welt repräsentieren (wiedergeben). Sprache erlaubt uns also als soziale Wesen, andere in unsere Erfahrung der Welt mit einzubeziehen.
Wenn ich: „Schau dir den Sonnenuntergang an!“ sage, befriedige ich das Bedürfnis der Zuhörenden zu wissen, dass die Sonne gerade untergeht, und dass ich denke, dass es wert ist, sich das anzusehen. Indem ich ihnen dies mitteile, befriedige ich ihr vermutetes Bedürfnis nach einer Beziehung zu mir und zum Sonnenuntergang, genauso wie ich mein eigenes Bedürfnis nach einer Beziehung zu ihnen und zum Sonnenuntergang befriedige. Nachdem ich den Sonnenuntergang bereits erlebe, ist die Motivation meiner Aussage jene, die anderen Personen in dieses Erlebnis mit einzubeziehen bzw. das, was ich als ihr Bedürfnis verstehe – nämlich einen schönen Sonnenuntergang zu sehen – auf diese Weise zu befriedigen. Das Wort „Sonnenuntergang“ selbst stellt dabei ein Wortgeschenk dar, das uns allen geschenkt wurde, um unsere kommunikativen Bedürfnisse in Bezug auf Sonnenuntergänge befriedigen zu können.
Die Notwendigkeit der kreativen Aufnahme dieses Wortgeschenkes auf Seiten der Zuhörenden rückt diese – im gleichen Moment, in dem sich ihre Aufmerksamkeit auf den Sonnenuntergang richtet – in eine enge menschliche Beziehung zu mir. Schließlich finden wir uns alle verbunden in der gemeinsamen Bezugnahme auf ein nonverbales Ereignis.
Eine solche Bezugnahme ist in gewissem Sinne selbst ein Geschenk – jenes, das wir gewöhnlich „Information“ nennen. Während jedoch das gemeinsame Betrachten eines Sonnenuntergangs ein positives Erlebnis für alle Beteiligten sein kann und damit eine bedürfnisbefriedigende ästhetische Erfahrung, gibt es viele Informationen, die eindeutig negativ scheinen. Eine Aussage wie: „Ich hasse euch!“ setzt uns zum Beispiel in eine Beziehung mit anderen, die auf einer negativen Emotion beruht. Diese Emotion selbst ist mit Sicherheit kein Geschenk, aber es kann trotz allem nützlich sein zu wissen, dass sie existiert – insofern kann die vermittelte Information, trotz der Negativität des Inhaltes, immer noch als Geschenk verstanden werden.
Ich glaube, dass es viele Formen von Geschenken in unserem Leben und in der Sprache gibt, doch bleiben uns die meisten verschlossen. Wir können einander schenken, indem wir fürsorglich miteinander umgehen bzw. uns gegenseitig Positives mitteilen. Doch selbst wenn wir Negatives oder Neutrales sagen, gibt es für die Zuhörenden Wege, das, was ihnen gesagt wurde, in ein Geschenk zu verwandeln. Es hängt alles von unserem kreativen Vermögen ab.
Das Zitat Karl Marx’, mit dem ich dieses Buch eingeleitet habe, erkennt die Logik des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins als Logik der Kommunikation: „Die Sprache ist so alt wie das Bewusstsein – die Sprache ist das praktische, auch für andre Menschen existierende, also auch für mich selbst erst existierende wirkliche Bewusstsein...“ Das Zitat erinnert auch an die zweite Gralsfrage: „Wem dient der Gral?“, oder einfach: „Für wen ist er?“ Diese Frage – immer zentraler Teil des Schenkens – bleibt in unserer profitorientierten Gesellschaft oft ungefragt und damit auch unbeantwortet.
Das Oxford English Dictionary sagt, dass das Wort „thing“ (Sache) vom alten norwegischen Wort für „court“ (Gericht) kommt. Dies impliziert für mich ein kollektives kulturelles Werturteil. Ich denke, dass wir sowohl Wörter als auch Dinge im Sinne der kollektiven Werturteile, die ihnen zuteil werden, analysieren müssen.
Auf ähnliche Weise schreibt die Aussage: ”die kranke Frau”, einer Frau Krankheit zu und schafft dabei ein Thema, das „geschenkt“ werden kann, obwohl Krankheit selbst kein Geschenk ist.
Karl Marx / Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie, MEW 3, S.30.
Allgemeine und partikuläre Prozesse
Ein Aspekt sprachlicher Kommunikation ist, dass sie den unendlichen Möglichkeiten menschlicher Erfahrung in einem gemeinsamen Hier und Jetzt Ausdruck verleiht. Es kann dabei jedoch auf andere Orte und Zeiten verwiesen wird. Im Hier und Jetzt kann ein Thema berührt bzw. eine Geschichte erzählt werden, im Zuge derer wir uns vergangener Erfahrungen wieder erinnern und sie gemeinsam teilen können. Diese Themen und Geschichten sind Geschenke, insofern sie eine gemeinsame Basis schaffen, auf der unsere vielfältigen Subjektivitäten zueinander finden.
Ich glaube, dass Sprache über die Kombination allgemeiner und konstanter Elemente auf partikuläre und kontingente Weise funktioniert. Wir können die allgemeinen und konstanten Elemente erkennen, wenn wir sie aus dem Sprachfluss herausnehmen und isoliert betrachten. Ihr allgemeiner Charakter wird deutlich, wenn sie alleine stehen. „Hunde sind vierbeinige Schwanzwedler, die bellen“ lässt uns sowohl an Hunde als auch an das Wort „Hunde“ in deren jeweiliger Allgemeinheit denken. Gleichzeitig ist es die vielfache Verwendung ein- und desselben Wortes in unzähligen partikulären Sätzen, die ihm seine Allgemeinheit verleiht. Wörter werden kollektiv produziert, genauso wie die allgemeinen kommunikativen Bedürfnisse.
Wenn etwas innerhalb einer Gemeinschaft so wichtig oder wertvoll wird, dass es Menschen zum Bilden einer Beziehung veranlasst, wird dafür in sozialem Miteinander ein Wort geschaffen, das das entsprechende (Beziehungs)Bedürfnis befriedigt. Dieses Wort ist allgemein und konstant: es kann immer wieder angewandt werden, um ein kommunikatives Bedürfnis zu befriedigen, das sich auf das Etwas (das „Ding“), für das es steht, bezieht. Wenn ein Bedürfnis nur kontingent und flüchtig ist und wir kein eigenes Wort zur Befriedigung dieses Bedürfnisses haben, formen wir einen Satz: wir verbinden Wörter, die wir haben, zu einer Kombination, die die Bedürfnisse in Bezug auf das, worüber wir gerade sprechen wollen) befriedigen können.
Ein kontingentes und flüchtiges kommunikatives Bedürfnis kann jederzeit entstehen. Im Satz: „Nach dem Sturm brachte die Sonne die Wassertropfen zum Glitzern“ wird beispielsweise ein kontingentes kommunikatives Bedürfnis, das sich auf eine spezifische flüchtige Situation bezieht, erfüllt. Dies geschieht, indem Wörter verbunden werden, die auch in anderen Sätzen und mit Bezugnahme auf andere kontingente Situationen verwendet werden können. Dies kann wiederum deshalb geschehen, weil diesen Wörtern konstante Elemente innewohnen. „Die Sonne“ verweist nicht nur in dem flüchtigen Moment unseres Beispiels auf die Sonne und nicht nur Wasser kann „glitzern“. Diese Wörter sind immer wieder von Bedeutung für unsere Kommunikation, ungeachtet der unendlich vielen kontingenten und flüchtigen Kontexte, in denen sie verwendet werden können. Allgemein formuliert, kommen unsere Wörter davon, dass sich kollektive kommunikative Bedürfnisse in Bezug auf Dinge/Situationen entwickelt haben, und wir Wörter schufen, die diese Bedürfnisse befriedigen. Dabei kann ein einzelnes Wort auch verwendet werden, um sich auf verschiedene Objekte zu beziehen (Homonyme), und ein- und dasselbe Objekt kann von verschiedenen Wörtern wiedergegeben werden (Synonyme).
Bedürfnisse bauen aufeinander auf und kommunikative Bedürfnisse können sich auf verbale wie auf nonverbale Kontexte beziehen. Wenn es sich um eine komplexe Situation handelt, kann ein ganzer Diskurs geschaffen werden, um die entsprechenden kommunikativen Bedürfnisse zu befriedigen. Dies geschieht, indem wir Ausdrücke miteinander verbinden, die wir zur Befriedigung einer Reihe kontingenter kommunikativer Bedürfnisse verwenden, die für die in Frage stehende Situation von Relevanz sind. In Diskursen arbeiten Ausdrücke zusammen, um ein gemeinsames Thema zu diskutieren und eine Reihe kommunikativer Bedürfnisse zu befriedigen, die in diesem Zusammenhang entstehen.
Schenken als Ur-Logik
Linguisten und Philosophen haben manchmal versucht, Sprache anhand logischer Strukturen zu erklären, die ihr zugrunde liegen sollen – entweder in Form einer relativ einfach strukturierten Universalsprache (was immer noch nicht erklären würde, wie Sprache funktioniert) oder einer anderen elementaren Struktur bzw. eines anderen elementaren Prozesses. Ein solches zur Erklärung herangezogenes Modell war jenes von Ursache und Wirkung. Es wurde behauptet, dass es möglich sei, Strukturen von Subjekt, Verb und Objekt auf eine ihnen zugrunde liegende Struktur von Ursache und Wirkung zurückzuführen. Ein Beispiel, das oft verwendet wurde, war der Satz: „Johann tötet Maria“. Im Sinne der Ursache-Wirkung-Theorie wurde er „übersetzt“ als: „Johann war der Grund, warum Maria starb“. Ich bin oft entsetzt über die (wahrscheinlich unbewusste) Frauenfeindlichkeit, die in Beispielen von Linguisten zum Ausdruck kommt. Vielleicht zeigt dies die Schuld, die sie fühlen, das Prinzip der Mütterlichkeit (Maria?) nicht als Erklärung der Sprache anzuerkennen.
Die Ursache-Wirkung-Theorie wurde schließlich von den meisten Linguisten als ungenügende Erklärung des Phänomens Sprache verworfen. Sie war schlicht nicht besonders aussagekräftig. In jedem Fall implizierte sie Konsequenzen für unsere menschlichen Beziehungen, die nicht jene des Schenkprinzips sind.
Ich denke, dass das Schenken jener Prozess ist, mit dem wir Sprache erklären können. Nicht nur können auf diese Weise Wörter als bedürfnisbefriedigende Geschenke gesehen werden, sondern die syntaktische Struktur von Subjekt, Prädikat und Objekt lässt sich als Struktur von Schenkende-Geschenk-Beschenkte verstehen. Nehmen wir zum Beispiel den Satz: „Das Mädchen warf den Ball“. „Das Mädchen“ ist hier die Schenkende, „warf“ das Geschenk, „der Ball“ das Beschenkte. Die „Übersetzung“ wäre: „Das Mädchen schenkte dem Ball einen Wurf“.
Die Intentionalität des Schenkens spiegelt sich in vielen menschlichen Handlungen wider und auch in der Intentionalität des Sprechens. Das Gefühl von Bewegung und Ganzheit, das ein einfacher transitiver Satz in uns erwecken kann, ist der Bewegung und Ganzheit ähnlich, die sich im Schenken ereignen. Schenken ist in der Tat transitiv: etwas wird von einem Ort oder einer Person zu einem anderen/einer anderen bewegt. In dem passiven Satz: „Der Ball wird von dem Mädchen geworfen“, liegt die Betonung beispielsweise auf dem Beschenkten, nicht der Schenkenden.
Mütterlichkeit als sozialer Prozess ist am Beginn des Lebens unabdingbar. Zur gleichen Zeit findet das Lernen der Sprache statt. Mütterlichkeit ist kulturell universal. Sie wird, wie wir gesehen haben, von der Natur des Kindes verlangt, nicht jener der Erwachsenen. Während Mütterlichkeit von vielen als quasi natürlich begriffen wird, ist die Aufgabe der Fürsorge für die Mütter eine soziale. Die Fürsorge geschieht intentional. Die Fähigkeit der Frauen, Milch zu schenken, ist ein biologischer Aspekt, der die Betreuung der Kinder einfacher macht, doch findet diese trotzdem in einem kulturellen Kontext und unter bestimmten sozialen Bedingungen statt. Mütterlichkeit bedeutet einen intentionalen Transfer von Gütern und Diensten von Erwachsenen zu Kindern, von Schenkenden zu Beschenkten.
Für Kinder ist diese Erfahrung grundlegend, da buchstäblich ihr Leben von ihr abhängt. Sie ist jedoch auch wichtig und lehrreich für jene, die für die Kinder sorgen. Alleine schon wegen des Zeitaufwands. Es überrascht nicht, dass die Hälfte der Menschheit von Geburt an zur Fürsorge von Kindern ausgebildet wird, da diese Aufgabe ein großes Maß an Aufmerksamkeit und Hingabe erfordert. Das Buch The Language Instinct von Steven Pinker schrieb vor einigen Jahren unsere sprachliche Fähigkeit biologischen Faktoren zu. In ähnlicher Weise wurde Mütterlichkeit bis vor kurzem als Instinkt gesehen. In beiden Fällen ist es die Logik des Geschenks, die verleugnet wird.
Die Erfahrung der Fürsorge ist grundlegender als jede „Objektivität“. Die Erfahrung der Geschenke, die von der Mutter geschenkt und vom Kind empfangen werden, ist grundlegender für uns Menschen als jedes Wissen um Ursache oder Wirkung. Die Mütter sind die Schenkenden, ihre Fürsorge ist das Geschenk, und die Kinder sind die Beschenkten. Dieser Prozess ist derselbe, anhand dessen das Kind Sprache als syntaktische Struktur von Subjekt (das Schenkende), Prädikat (das Geschenk) und Objekt (das Beschenkte) erlernt.
Wenn Wörter sprachliche Geschenke sind, die im Rahmen einer zwischenmenschlichen Sprachsituation kommunikative Bedürfnisse befriedigen, dann sind die Sprechenden die Schenkenden, die Wörter/Sätze die Geschenke, und die Zuhörenden die Beschenkten. Sätze sind Kombinationen von Wörtern und befriedigen kontingente kommunikative Bedürfnisse. Es scheint nicht vermessen, auch den Kombinationsprozess der Wörter als einen Prozess zu sehen, der der Logik des Geschenks folgt.
Die Hypothese, dass Sprache auf Schenken und Beschenkt-Werden beruht, erlaubt uns, uns viele Ebenen des Schenkens näher anzusehen. Aspekte der Sprache, die zuvor mysteriös erschienen, können nun als Elemente eines Schenkprozesses erklärt werden. Zunächst gibt es die Ebene materieller Kommunikation: die Mutter schenkt dem Kind. Dann gibt es verbale Kommunikation: die Mutter spricht mit dem Kind. Drittens sind Wörter soziale Geschenke, die allgemeine kommunikative Bedürfnisse befriedigen. Viertens werden Wörter zu Sätzen kombiniert, die kontingente kommunikative Bedürfnisse befriedigen. Fünftens können auch die Nachricht oder das Thema eines verbalen Austausches als Geschenke betrachtet werden, etwa wenn wir jemandes Bedürfnis, etwas zu wissen oder über etwas zu sprechen, befriedigen. Sechstens spiegelt auf einer syntaktischen Ebene (innerhalb eines Satzes) die Beziehung zwischen Subjekt, Prädikat und Objekt die Beziehung zwischen Schenkenden, Geschenk und Beschenkten wider.
Es ist wichtig, diese syntaktische Beziehung als eine zu betrachten, die sich auf der Ebene der Wörter selbst vollzieht. Auf der Ebene der von den Wörtern repräsentierten Dinge kann das Geschenk nämlich durchaus negativ sein, wie in: „Der Junge schlug das Mädchen“ oder: „Johann tötete Maria“ (Übersetzung: „Johann schenkte Maria den Tod“). Auf der Ebene materieller Kommunikation ist solche Gewalt natürlich fürchterlich und verursacht schmerzhafte Bedürfnisse anstatt Bedürfnisse zu befriedigen. Nichtsdestotrotz kann sich der Schenkprozess auf der Ebene der Satzstruktur unabhängig davon vollziehen, was sich auf der Ebene der Erfahrung vollzieht. In diesem Sinne haben die Sätze: „Das Mädchen stieß den Ball“, „Die Mutter hat einen Kuchen gebacken“ oder „Johann tötete Maria“ alle dieselbe Struktur von Schenkende-Geschenk-Beschenkte – auch wenn sie auf der materiellen Ebene äußerst unterschiedliche Ereignisse beschreiben.
Auf der syntaktischen Ebene können wir auch die Beziehungen zwischen Adjektiv und Substantiv bzw. zwischen Adverb und Verb als Beziehungen zwischen Geschenken und Beschenkten betrachten. Im Satz: „Der braune Hund lief schnell zum Tor“ wird das Adjektiv „braun“ dem Substantiv „Hund“ geschenkt und das Adverb „schnell“ dem Verb „lief“. Philosophen pflegten zu sagen, dass „braun“ ein „Eigentum“ des Hundes sei, und „schnell“ ein Eigentum des Laufens. Aber „braun“ kann nur ein „Eigentum“ genannt werden, weil es dem Hund geschenkt wird. Dies geschieht, indem dem Wort „braun“ erlaubt wird, das Wort „Hund“ zu spezifizieren, wodurch beide Wörter als Geschenk und Beschenktes vereint werden – sie befriedigen dadurch ein kontingentes kommunikatives Bedürfnis, das von einem Hund dieser Farbe geschaffen wird.
Linguisten sind es gewohnt, einem mathematischen, algebraischen oder wissenschaftlichen Modell zu folgen, nicht einem des Lebens. Doch selbst sie sprechen von Wörtern als etwas, das zwischen anderen Wörtern in einem Satz „die Lücken füllt“. Wir können diese „Lücken“ als Bedürfnisse betrachten, und die Wörter als Geschenke, die sie befriedigen. Wenn ein Wort nur auf bestimmte andere Wörter bezogen werden kann (Artikel wie „der/die/das“ können zum Beispiel nur auf Substantiva bezogen werden), ist es auch ein Geschenk, dass nur bestimmten Wörtern gemacht werden kann, da nur diese ein Bedürfnis nach ihm („eine Lücke für es“) haben. Einige Wörter bzw. Wörtergruppen haben sich an andere anzuhängen, da sie nicht alleine schenken können, sondern dafür einer anderen Wörtergruppe dienen oder von einer anderen Wörtergruppe bedient werden müssen. Zum Beispiel muss der Ausdruck: „zum Tor“, dienen. Er kann nicht alleine stehen. Alleine „sagt er nichts“, ist er kein Geschenk, ja noch nicht einmal ein Schenkendes, sondern ein Geschenk an ein Geschenk.
Wie wir gesehen haben, werden zwischen Geschenken und Beschenkten Verbindungen geschaffen. Ähnliches geschieht zwischen Wörtern. Wenn etwa das Adjektiv „braun“ einem „Hund“ geschenkt wird, um das kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen, das von einem braunen Hund kommt, so verbindet sich „Hund“ in diesem Augenblick mit dem Geschenk „braun“.
Die Bedürfnisse, die Idiome entstehen lassen, sind irgendwo zwischen der Beständigkeit des Wortes und der Kontingenz des Satzes angesiedelt.
Die Tatsache, dass es Variationen gibt, was die Formen anlangt, in denen diese Funktionen in verschiedenen Sprachen in Wortstellung und Syntax ausgedrückt werden, relativiert nicht die Hypothese, dass Schenken und Empfangen universelle Verhaltensstrukturen darstellen, auf denen diese Variationen beruhen.
Es gibt eine Reihe nonverbaler Kommunikationsmuster, die das Spektrum zwischen materiellem Versorgen und verbalem Teilen abdecken. Wir müssen zunächst allerdings das abstraktere Ende des Sprachspektrums verstehen, um später auch nonverbale Kommunikationsformen entsprechend verstehen zu können.
Transparenz und Ausweichen
Es werden auf der verbalen Ebene Geschenke gemacht, die die Wirklichkeit interpretieren, indem sie diese in Begriffen des Schenkens repräsentieren. Tatsächlich sind diese Geschenke jedoch transparent. Im Beispiel des braunen Hundes hat der Hund bereits die Farbe, die wir anderen als „braun“ mitteilen. Die Transparenz der Schenkstruktur erinnert uns an ein weiteres Charakteristikum des Schenkens: die Schenkenden weichen aus, sie verschwinden, um den Beschenkten Wert zukommen zu lassen. Wir erkennen oft nur das, was wir sagen, als Geschenk (etwa wenn Information, die wir weiterreichen, von den Zuhörenden verstanden und verwendet wird). Wir erkennen nicht, dass auch die Weise, auf die wir etwas sagen, viele Aspekte des Schenkens impliziert.
Auf der Wirklichkeitsebene weichen materielle Dinge, die kommunikative Geschenke hätten sein können, großzügig aus, um für Wortgeschenke Platz zu machen. Viele von ihnen – abstrakte Ideen, materielle Objekte einer bestimmten Größe, Phantasiegebilde oder subjektive Zustände – hätten dabei niemals materiell von einer Person zu einer anderen übertragen werden können. Sie geben ihre Position ohne Widerstand auf und verleihen den Wörtern, die sie ersetzen, Wert.
Auf einer anderen Ebene werden die Emotionen, die sowohl in unserer Sprache als auch im Akt des Sprechens selbst ausgedrückt werden, jenen zugetragen, zu denen wir sprechen. Auch damit werden Verbindungen geschaffen. Allerdings bemerken wie gewöhnlich keine Schenkstrukturen in der Sprache, weil auch diese selbst ausweichen. Sie weichen aus, sowohl um dem Wert zu verleihen, das gesagt wird, als auch den Zuhörenden (denen, die verbale Geschenke erhalten). Ein weiterer Grund dafür, warum wir oft keine Schenkstrukturen sehen, ist, dass diese von definitorischen Tauschstrukturen verschieden und ihre Dimensionen andere sind. Definitorische Strukturen überwältigen Schenkstrukturen wie Militäreinrichtungen, die an Orten errichtet werden, die Frauen heilig sind.
Die interpretatorischen Möglichkeiten des Schenkens sind geleugnet worden, indem Interpretation als eine Art Penetration des Gehirns gesehen wurde. Phrasen wie: „die Art, in der Wörter an die Welt gekuppelt sind“ oder „Lücken-Füllen“ suggerieren Metaphern männlicher Sexualität. Von einer mütterlich-feministischen Perspektive aus können wir stattdessen die Beziehungen zwischen Wörtern und Welt als Beziehungen zwischen Geschenken auf verschiedenen Ebenen sehen. Die „Wirklichkeit“ ist dabei selbst ein Geschenk – in jeder Hinsicht, von „sensuellen Empfindungen“ zu „empirischen Tatsachen“. Die Welt wird Menschen eröffnet durch die vielfältigen Geschenke der Sprache: dem Senden von Nachrichten, dem Teilen von Ideen und Information, dem Weiterreichen von Kultur. In diesem Sinne könnten wir unsere Spezies homo donans anstatt homo sapiens nennen. Schenken und Empfangen stehen am Anfang unseres menschlichen Wissens und sind für dieses notwendig. Das Schenken ist die Basis einer universellen Grammatik – nicht nur der Sprache, sondern des Lebens.
Transitivität
Eine weitere Weise, auf die wir das Schenken betrachten können, ist die logischer Transitivität. Der Syllogismus, auf dem die wissenschaftliche Disziplin der Logik beruht, ist: „Wenn A B ist, und B C, dann ist A C.“ Dies kann gesehen werden als Verlagerung der Transitivität des Geschenks: „Wenn A B schenkt, und B C, dann schenkt A C.“ Wie die Sprache kann die Logik damit als etwas gesehen werden, das auf der Mütterlichkeit beruht, nicht auf der Abstraktionsfähigkeit. Verbale Konjunktionen (Artikel, Präpositionen, Präfixe, Suffixe, usw.) ändern die Art der Geschenke, die Wörter sind, indem sie mit ihnen verbunden werden. In diesem Sinne stehen Antworten auf Fragen nach dem Wie, Wo oder Wann von Ereignissen in direkter Verbindung zu den Fähigkeiten des Schenkens und Empfangens.
Auch wenn eine Erfahrung, die vermittelt wird, selbst keinen abgeschlossenen Schenkprozess darstellt, stellt ihre Mitteilung immer noch ein Geschenk dar. Die Botschaft des Satzes: „Der braune Hund lief schnell zum Tor“, ist beispielsweise nicht-transitiv. Niemand wird hier vom Hund beschenkt. Der Satz selbst schenkt uns jedoch nach wie vor die Vorstellung einer bestimmten Situation. Die zusätzliche Information, die von „zum Tor“ kommt, macht den Satz nützlicher, indem sie uns mitteilt, wohin sich das Laufen richtet. Die Wörterkombination „zum Tor“ dient dem Wort „lief“, indem sie ihm einen Referenzpunkt gibt und es spezifischer macht.
Das Patriarchat hat die Aktivität den Männern zugeschrieben und die Passivität den Frauen, da es der Kreativität des Schenkens und Empfangens gegenüber blind ist. Sowohl Schenken als auch Empfangen sind kreative Prozesse. Die Anwendung dessen, was uns geschenkt wird, ist notwendig, um es wirklich zu einem Geschenk zu machen. Wenn wir ein Geschenk nicht anwenden, ist es vergeudet, leblos. Die Tatsache, dass die Fähigkeit zu empfangen, genauso wichtig ist wie die Fähigkeit zu schenken, zeigt sich in unserem Vermögen, Sätze von der aktiven in die passive Form und umgekehrt zu übertragen. Die, die in einem Moment die Beschenkten sind, können dabei im nächsten Moment die Schenkenden sein: „Das Mädchen warf den Ball, der das Fenster durchschlug.“
Wir können sagen, dass Sprechende eine Erfahrung, die sie an Zuhörende weiterreichen, zuvor selbst als Geschenk erhalten haben. Sie sind Vermittelnde in einem Schenkprozess: „A schenkt B, und B schenkt C.“ Indem die Sprechenden (B) eine Erfahrung beschreiben, reichen sie ein Geschenk des Lebens (A) an die Zuhörenden (C) weiter. Das Geschenk beinhaltet dabei auch die Kreativität der Sprechenden: sie bearbeiten ihre Erfahrung in ihrer verbalen Repräsentation und trennen die für sie wichtigen Aspekte der Erfahrung von den für sie unwichtigen. Ihre Repräsentation verleiht somit den Teilen, die sie zur Mitteilung ausgewählt haben, einen besonderen Wert.
Die Zuhörenden selbst trennen wiederum Aspekte der ihnen als Mitteilung geschenkten Erfahrung in für sie wichtige und weniger wichtige. Auch sie arbeiten somit aktiv an der Gestaltung des Geschenks mit, das sie erhalten. Die Geschlechtsstereotypisierung und die Fixierung auf den Tausch, die unsere Gesellschaft kennzeichnen, verleihen einem großen Teil menschlicher (männlicher) Aktivität keinen Schenkcharakter, da diese Aktivität nicht bedürfnisorientiert ist. Wenn wir dem Schenkprinzip allerdings wieder zu seinem zentralen Platz innerhalb der Gruppe interpretatorischer Register verhelfen, anhand derer wir die Welt verstehen, dann werden wir sehen, dass der Großteil menschlicher Aktivität nach wie vor auf die Befriedigung von Bedürfnissen ausgerichtet ist. Sprache entsteht in jedem Fall nicht als mechanische Verkettung (verbaler) Aktivitäten, sondern als eine Sammlung von Geschenken und Formen des Schenkens und Empfangens. Diese stehen mit kommunikativen Bedürfnissen in Verbindung, die von unseren Erfahrungen geweckt werden und sich stetig vermehren, da sie auf unzählige Weisen befriedigt werden können.
Geschenke – egal ob verbal oder nonverbal – sind nicht willkürlich. Sie werden gezielt gegeben, um Bedürfnisse zu befriedigen und Verbindungen zu schaffen. Ersatzgeschenke (z.B. Wörter – siehe Kapitel 3) haben dabei allerdings nicht wie die Originale auszusehen oder zu klingen.
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