Kastrationsneid
Es herrscht Krieg zwischen den haves und den have-nots. Ich denke, dass die Wurzeln des Problems in dem
liegen, was ich Kastrationsneid nennen will. Das Privateigentum ist ein Produkt
einander ausschließender Geschlechtskategorien, verbunden mit der
privilegierten Position des Kategorieprototyps. Die Buben finden sich in der
Kategorie, die dem Schenken gegenübersteht, weil sie etwas haben (den Penis),
whrend die Mutter als weiblich definiert wird, weil sie schenkt (fürsorglich
ist) und keinen Penis hat. Eine Kategorie des Habens steht einer Kategorie des
Schenkens gegenüber. Schenken und Nicht-Haben werden miteinander identifiziert
und damit, weiblich zu sein. Nachdem der Bube in derselben Kategorie wie sein
Vater ist, in der dieser den privilegierten Kategorieprototyp, das Eine,
darstellt, muss der Bube zunchst einer der Vielen sein, einer der Dinge, einer
derer, die Platz machen, einer der Schwachen. Erst spter kann er als Erwachsener
selbst ein Prototyp bzw. ein Eines werden. Die Rolle des Buben gleicht jener
der Ware, die wieder und wieder mit einem allgemeinen quantitativen Standard
verglichen wird. Doch whrend das Haben den Buben in eine Konkurrenzsituation rückt,
die durchaus schwierig sein kann, wird er von der Tatsache getröstet, dass er
zu dem privilegierten Geschlecht gehört, dem unentwegt geschenkt wird.
Eigentum und Geld
Geld ist das materielle Ersatzgeschenk für die Ware und der Prototyp für
die Kategorie des Wertes. Es ersetzt alle anderen Kategorien, wenn es um die
Wertbestimmung von Produkten im Tausch geht. Der Besitzer verhlt sich dabei zum
Eigentum wie das Geld zur Ware, wie der Vater zu den Kindern, wie der Penis des
Vaters zum Penis des Buben und wie der Prototyp zu den Vielen, die mit ihm
verglichen werden.[1]
Es ist der Mann, der das Kennzeichen hat, das ihn sowohl als potentiellen
Prototypmann als auch – in der Form einer Beziehung des Einen zu den
Vielen – als potentiellen Eigentümer markiert. Der Penis ist vielleicht
das Paradebeispiel des Eigentums. Aber er ist unübertragbar – der Mann
kann und will ihn nicht aufgeben.[2]
In Bezug auf seine Familie befindet sich der patriarchale Vater in einer
hnlichen Besitzbeziehung. In gewissem Sinne kann sich seine Kontrolle über die
Familie daraus erklren, dass in Zeiten des Mangels die Schenkenden nichts
haben werden, wenn sie nicht selbst beschenkt werden, whrend jene, die nicht
schenken, in jedem Fall das haben, was sie nicht herzugeben bereit sind. (Es
gibt hier auf jeden Fall auch einen analfixierten Aspekt.) Der Vater kann zudem
Mütter und Kinder dazu bringen, nicht außerhalb der Familie zu schenken, die
Bedürfnisse anderer weder sexuell noch materiell zu befriedigen. Die, die
haben, werden demnach wahrscheinlich auch Zeiten des Mangels überleben. Indem
er große Summen an Geld besitzt, stellt der Prototyp (das Eine, der have) mehr Fürsorge für sich selbst und die
ihm Nahen sicher.
Im Tausch wird ein Objekt mit einem Standard verglichen. Es wird quivalenz
verlangt. Das Objekt tritt damit in den Prozess der Kategorisierung ein. Dieser
Prozess reproduziert sich in vielen Lebensbereichen: in der Maskulisierung der
Buben, in Messungen und Tests aller Art, in Schulzeugnissen, in sportlichen
Rekorden, in Schönheitswettbewerben, in Vorbildsrollen. Die Beziehungen von
PrsidentInnen zu BürgerInnen, von Musik- und Filmstars zu Fans oder von preisgekrönten
Ebern zu Ferkeln sind alle Variationen dieses Themas.
Der Struktur des Tausches entspricht auch das westliche Hochzeitsmodell, in
der die Frau als Objekt von jener Familiengruppe, die sich auf ihren Vater als
den Prototypen/das Eine bezieht, in eine neue getauscht wird, in der ihr
Ehemann dieselbe Rolle einnimmt. Dieses Hochzeitsmodell ndert sich ein
bisschen in den USA, aber es beeinflusst uns trotz allem weiterhin. In vielen
Teilen der Welt reglementiert es den Familienbildungsprozess nach wie vor
streng. Obwohl ihr Hochzeitstag der glücklichste Tag ihres Lebens sein soll
– ein "Prototyptag" – und obwohl die Frau an diesem Tag als Prototyp
für andere Frauen gesehen wird, spielt sie die Rolle des Prototyps nur im Kontext
des Ausweichens für ihren neuen Ersatz, den Ehemann. Dieser nimmt als solcher
die Rolle des Wortes ein. In diesem Sinne scheint es nur logisch, dass die Frau
auch seinen Namen annimmt.
Eine neue sich selbst reproduzierende Familieneinheit wird geformt, in der Buben
wieder lernen werden, eine mnnliche Identitt anzunehmen und den Schenkprozess
zu verleugnen (und manchmal zu bestrafen und abzuwerten), und in der Mdchen weiterhin
lernen werden, ihre Geschenke und ihre Treue dem mnnlichen Beispiel zukommen
zu lassen. Wie das Eigentum basiert die Ehe auf dem gegenseitigen Ausschluss
der Einen.[3]
So wie sich alle Eigentümer zu ihrem Eigentum als das Eine zu den Vielen verhalten,
so verhalten sie sich auch zueinander auf diese Art. Alle Eigentümer stehen in
sich gegenseitig ausschließenden Beziehungen mit allen anderen Eigentümern. Das
Geld vermittelt als Prototyp des Wertes, auf den Produkte bezogen und anhand
dessen sie ersetzt werden, zwischen den Eigentümern auf ziemlich hnliche Weise
wie der Priester zwischen Vater und Ehemann vermittelt, um die übergabe der schenkenden
Frau von einer Familienkategorie zur anderen zu regulieren. Ein Objekt vom
Beispiel der Kategorie, der es zugerechnet wird, zu lösen, um es einer anderen
(oppositionellen) Kategorie bzw. einem anderen Prototyp zurechnen zu können,
verlangt ein bestimmendes Wort – dieses kann im einen Fall vom Priester
ausgesprochen werden, whrend es im anderen Fall die Form des materiellen Wort-
und Wertbeispiels, kurz: die Form des Geldes anzunehmen hat. Urkunden, Lizenzen
oder Vertrge sind bleibende Reprsentationen des materialisierten bestimmenden
Wortes.
Arbeit und Geld
Der Verkauf von Arbeitszeit vollzieht sich auf sehr hnliche Weise, obwohl Familienmitgliedern
und FreundInnen Arbeit meist geschenkt wird. überhaupt charakterisieren
Geschenke und freie Dienste viele Bereiche des Lebens, sodass Arbeit im
Allgemeinen flexibler ist als Privateigentum. In Zeiten von Prekaritt scheinen
ironischerweise Arbeitspltze (monetarisierte Tauscharbeit) Geschenke zu sein. Dies
deshalb, da wir uns im Tauschprinzip über Geld definieren müssen, um unser
überleben zu sichern. Viele Frauen und Mnner erhalten dabei keine
Arbeitspltze geschenkt. Monetarisierung (bzw. ihr Fehlen) ist ein
Machtinstrument. Es schreibt einer Gruppe von Menschen ökonomische Relevanz
(einen Tauschwert) zu, einer anderen nicht. Diejenigen, die nicht der
ökonomisch privilegierten Kategorie angehören, könnten ihr durchaus angehören
(so wird behauptet), wenn sie nur vertrauenswürdig, effizient und gut genug
ausgebildet wren. Der Erfolg oder das Scheitern von Menschen scheint von
Qualitten abzuhngen, die sie haben oder nicht haben.[4]
Die Wichtigkeit des Tauschwerts liegt darin, das er Zugang verschafft zu jener ökonomischen
Kategorie, die genug Geld zum überleben verspricht. Allerdings wird
gleichzeitig Mangel (Nicht-Haben) produziert, der notwendig ist, damit der
Tausch als Prozess bestehen und die monetarisierte Kategorie (die Kategorie des
Habens) privilegiert bleibt.
Maskulisierte Mnner wünschten sich traditionellerweise Frauen, die nie
gefördert wurden und denen nie das Geschenk zukam, zu einer privilegierten
Kategorie zu gehören oder ein akademisches Diplom oder einen Titel zu haben
(eine weitere verbale Maskulisierung). Ja noch nicht einmal eine bezahlte
(monetarisierte) Arbeit sollten Frauen haben, was ihnen dabei geholfen htte,
sich im Konkurrenzkampf um die am höchsten bezahlten (monetarisierten)
Kategorien besser behaupten zu können. Genau hier ist der Punkt, an dem der
Kapitalismus und das Patriarchat mit jenen eine Einheit bilden, die sie als
"anders" definieren. Das gesamte patriarchal-kapitalistische System braucht und
gebraucht die individuellen
Bedürfnisse derer, die außerhalb der Kategorie der bezahlten Arbeit stehen. Zum
Beispiel braucht der Berufsmarkt Arbeitslose, um die Arbeitslöhne niedrig halten
zu können. Weiters brauchen diejenigen, die bezahlter Arbeit nachgehen, die
freie Arbeit derer, die das nicht tun – sie leben von dieser freien Arbeit
und diese erlaubt es ihnen, ihrer eigenen bezahlten Arbeit freie (geschenkte)
Arbeit hinzuzufügen (z.B. in Form der überstunde). Die bezahlten Arbeitenden
sind bereit, dies zu tun, aufgrund der Angst, andernfalls entlassen und Teil
der have-nots zu werden.
Das System belohnt diejenigen, die bezahlter Arbeit nachgehen, indem sie ihr
relatives Wohlergehen mit dem Leiden der Arbeitslosen vergleicht, deren
Bedürfnisse nicht befriedigt werden.[5]
Auf hnliche Weise wird die Zugehörigkeit zur maskulisierten Kategorie für
Mnner (jene, die das Kennzeichen haben) noch bedeutender aufgrund der Misshandlungen,
die Frauen und Mdchen erfahren (und die in manchen Kulturen bis zum Aussetzen
und Sterben-Lassen neugeborener Mdchen reichen), da sie Angst haben, ansonsten
hnliches erleiden zu müssen wie die weiblichen have-nots.
Der ursprüngliche Fehler
Wir können den folgenden unbewussten Prozess vermuten: Wenn ein Bube
aufgrund seines Penis der nicht-fürsorglichen Kategorie zugeschrieben wird, dann
könnte er diese Entfremdung durch Kastration wiedergutmachen. Der Bube wünscht
sich daher seine Kastration, um wie seine fürsorgliche Mutter zu sein. (Freud
zeigte, dass wir oft das fürchten, was wir begehren.) Gleichzeitig zeigt ihm
die Gesellschaft in ihrer Misogynie, dass Mdchen – die bereits
"kastriert" geboren werden – noch hrter als er bestraft werden und dass
er demnach das, was er hat, wertschtzen muss. Sein Kastrationsneid wird in
diesem Sinne geheilt durch die schlechte Behandlung der have-nots. Und je mehr Güter er von diesen erhlt,
desto größer ist sein Haben und desto weniger will er vermutlich sein wie sie bzw.
desto weniger beneidet er sie vermutlich um ihren angeblichen Mangel.
Wir können einen weiteren Prozess vermuten: Vielleicht will der Bube –
als Konsequenz des eben beschriebenen Prozesses – zunchst seiner Mutter
seinen Penis schenken, damit auch sie Teil der überlegenen Kategorie sein kann.
Doch schlussendlich behandelt er ihn als einen unentbehrlichen Besitz bzw. als etwas,
das zuviel Wert hat, um hergeschenkt zu werden. Kurz, er behlt seinen Penis,
und es ist in diesem Moment, in dem er dem Schenkprinzip entsagt. Er zeigt,
dass er das Schenkprinzip für entbehrlich hlt bzw. als weniger wichtig erachtet
als seinen Penis. Diesen zu behalten, nicht kastriert zu werden und fest in der
Kategorie des "Mannes" verankert zu sein, wird seine Prioritt. Er stellt seine
genitale Identitt über das Prinzip der Fürsorge, so wie die Gesellschaft
insgesamt den ökonomischen Tausch über das Prinzip des Schenkens stellt.
Als Erwachsener kommt dem jetzt zum Mann gewordenen Buben die Möglichkeit
zu, über das Verteilen seines Geldes und Besitzes fürsorglich zu sein.[6]
Wenn er wirklich wohlhabend wird, kann er in solchen Mengen schenken, dass er sich
als noch fürsorglicher vorkommen kann als seine Mutter, die ihm, wie er meint, ohnehin
nur als Kleinkind half. Manche Mnner machen sich diese Möglichkeit, als
Fürsorgende zu erscheinen, zunutze. Sie schenken dabei jedoch in der Regel nur
einigen Wenigen; solchen, denen sie helfen wollen, in die Kategorie der
Privilegierten einzutreten, so wie sie selbst es einst getan haben. Die von der
Tauschlogik getragene patriarchal-kapitalistische Struktur bleibt damit
aufrecht: die Kategorie der haves steht jene der have-nots gegenüber.
Ein weiteres Problem des mütterlichen Ausweichens bzw. des Aufgebens ihrer
Beispielrolle ist, dass der Bube sich als nicht besonders wertvoll empfinden
muss, da er offenbar als aufgegeben werden konnte (schließlich wird er im
Ausweichen der Mutter dem Vater übertragen). Es mag sogar so aussehen, als
htte die Mutter ihren Penis aufgegeben, ja sogar, als htte sie ihm dem Buben
geschenkt. Der Vater hat diesen Mangel nicht. Er hat seinen Penis behalten und
so kann der Bube in seine Geschlechtskategorie eintreten. Es sieht so aus, als
htte der Vater gewusst, dass er nichts herschenken sollte. Wenn der Vater nur
die Mutter gewesen wre – so mag der Bube denken – dann htte sie
den Penis und der Bube würde noch immer wie sie und immer noch ein potentieller
Fürsorger sein.
Diese überlegungen sind natürlich rein hypothetisch, da es letztlich nicht
der Penis selbst ist, der den Buben der Kategorie der Mutter entreißt, sondern
dessen soziale Interpretation und die sich daran hngende Geschlechtskonstruktion
bzw. die Opposition der geschlechtlichen Kategorien. Es ist ein sozialer
Prozess, indem der Bube aufgrund seines Penis als "mnnlich" bezeichnet wird.
Fürsorge hat nichts mit körperlichen Voraussetzungen zu tun. Wenn ein Bube fürsorglich
bleiben will – was er als kleiner homo donans auch tun sollte – muss er dazu seinen
Körper nicht ndern oder seinen Penis aufgeben. Alles, was er tun müsste, wre
die gesellschaftlichen Geschlechtsbenennungen und -kategorien zu ndern –
eine beschwerliche Aufgabe, aber sicherlich weniger beschwerlich als das
Verlieren eines Körperteils. Diese sprachliche Befreiung würde den Buben auch davon
abhalten, das zu wollen, was er fürchtet: seine Kastration. Die Gesellschaft würde
damit aufhören, dem Haben Wert zuzuschreiben und das Nicht-Haben zu bestrafen
– sowohl in Hinsicht auf mnnliche Genitalien wie auf Geld oder alle
anderen Formen von Besitz.
Puerarchat
Reiche Menschen fürchten sich meist davor, nichts zu haben. Gleichzeitig
wollen sie von der Schenkökonomie der have-nots profitieren. Dieselben Privilegien, welche Buben über
Mdchen stellen, stellen Reiche über Arme. So befllt die Furcht vor der (symbolischen)
Kastration auch die Reichen als Gruppe. Sie nehmen die Bedürfnisse anderer als Verlangen
wahr, ihnen (den Reichen) ihre Besitztümer zu nehmen, sie in diesem Sinne zu
kastrieren und sie in die Kategorie der Unterprivilegierten zu verbannen.
Reiche Frauen sind in einer widersprüchlichen Lage, da sie zwar Geld und
Eigentum haben, aber nicht das mnnliche Kennzeichen des Privilegs. Das mag der
Grund sein, warum sie sich oft teurer sichtbarer ußerlichkeiten (wie Schmuck)
bedienen, um zu signalisieren, dass sie Mitglieder der privilegierten Kategorie
sind.
Waffen sind Kennzeichen, die die phallische Gleichung wiederherstellen und
es armen Menschen manchmal ermöglichen, den Reichen Geschenke durch Raub
abzuverlangen. Die Reichen verlangen den Armen oft Geschenke mithilfe der Macht
niederer Löhne und anderer Ausbeutungsmechanismen ab. Allerdings definieren sie
das nicht als Raub, sondern als Profit. Dieses Profitsystem wird dann von
polizeilichen und militrischen Hierarchien verteidigt, die selbst mit Waffen
ausgestattet sind. Whrend die Armen für ihr Nicht-Haben bestraft werden, werden
die Reichen für ihr Haben belohnt.
Der zunehmende Mangel der Bedürfnisbefriedigung der Armen demonstriert die
Notwendigkeit einer umfassenden Schenkökonomie. Allerdings bedeutet das
Aufgeben des Geldes das Aufgeben des Penis (Kastration) sowie das Aufgeben der
privilegierten Kategorie und damit der Möglichkeit, in überfluss zu leben. überfluss
selbst ist eine gute Sache, aber nicht dann, wenn er nur dazu genutzt wird, das
Haben bzw. das Nicht-Schenken zu belohnen. Das Gleiche gilt für die Arten der
Kategorisierung, der Definition und des Verdiensts, die von der Maskulisierung
kommen. Indem er weit verbreitet Mangel schafft, schafft der Kapitalismus
gleichzeitig die Bedingungen, in der die Tauschökonomie sich behaupten kann. Das
Geburtsrecht aller auf ein Leben im überfluss wird zur Belohnung einiger glücklicher
Auserwhlter – genauso wie das großzügige Schenken der Mütter aufgrund
der Maskulisierung nicht mehr allen gleich, sondern vor allem den als Buben
kategorisierten Kindern zukommt. Die Beziehung zwischen den haves und den have-nots reflektiert das Verhltnis von Furcht
vor und Verlangen nach Kastration, das von den falschen
Kategorisierungen der Maskulisierung herrührt. Die Besorgnis unserer Buben hat
sich über unsere gesamte Gesellschaft ausgebreitet und richtet unglaublichen
Schaden an. Es ist schwierig für uns, diese Situation anzuerkennen, und wir fühlen
unbewusst, dass wir für den Schaden, der angerichtet wird, zahlen müssen. Dies heißt
jedoch, weiterhin im Sinne des Tauschprinzips zu denken. Denn es gibt keine
Bezahlung, die den Schaden, der angerichtet wurde, wiedergutmachen könnte. Wir
müssen auf jeden Fall vergebend sein, wenn wir in das Schenkprinzip eintreten
wollen. Beginnen müssen wir damit, das System neu zu definieren, als etwas, das
gendert werden muss, und nicht nur als etwas, das "so ist, wie es ist". Dann
können wir unser Bedürfnis nach Vernderung explizit machen und das Patriarchat
im Licht des Schenkprinzips als einen bösen Traum reinterpretieren und ganz von
neuem beginnen. Vielleicht sollten wir das System, das auf dem Kastrationsalptraum
der Buben beruht, neu benennen: "Puerarchat" statt "Patriarchat" – die Herrschaft
des Buben (lat. puer =
der Bube). Oder sogar: "‚Puer'-archat" – die Herrschaft des Wortes "Bube".
Misogynie
Die Unterdrückung der Frauen kann als eine Vergeltungsmassnahme gegen die
Mutter gesehen werden – eine Vergeltung dafür, dass sie den Buben dem
anderen Geschlecht überlassen hat. Dieser Tausch (als ein "Begleichen von
Rechnungen") ist nicht nur eine Söldnerattacke, sondern Teil des Versuchs, Kategorien
zu schaffen, die körperlichen Eigenschaften folgen und nach Prinzipien von
Einbeziehung und Ausschluss funktionieren.
Dieser Versuch war nie zur Gnze erfolgreich, obwohl die Verbannung der have-nots aus der Kategorie der haves immer größere Dimensionen annahm. Die haves sind heute knapp 250 Millionen Menschen,
die have-nots
fünfeinhalb Milliarden. Ein Grund für diese Entwicklung ist, dass die übertragung
des Habens bzw. Nicht-Habens des Penis in die ökonomischen Begriffe des Habens
und Nicht-Habens überlebensnotwendiger Güter unzhlige neue Probleme geschaffen
hat. Außerdem hilft diese übertragung dabei, die gemeinsamen Ursprünge aller
Menschen (haves wie have-nots) vor der kindlichen Geschlechtskategorisierung
zu verschleiern. Hier – anders als im Alptraum der Buben, in dem die Mütter
ihnen ihre Penisse schenken – schenken die ökonomischen have-nots den ökonomischen haves tatschlich, auch wenn dies von der überbetonung
des angeblichen Werts und Verdiensts der haves verschleiert werden mag. Diese behalten in jedem
Fall ihre auf der Basis von Konkurrenz und Herrschaft erworbenen und von
hierarchischen Strukturen gesicherten Positionen als Eine.
Die falschen Konzeptionen, die von dieser Travestie der Werte geschaffen
werden, reichen tief, aber sie wirken in ihrer Offensichtlichkeit gleichzeitig
so unschuldig, dass sie praktisch nicht wahrgenommen werden. Dabei ist das
Problem im Prinzip einfach: es ist die Maskulisierung und das Abwenden von der
Mütterlichkeit, die uns lehren, den Tod und die Zerstörung über das Leben und
das Wohlergehen aller zu stellen. Was geschehen müsste, ist, dass die haves damit beginnen, den have-nots zu schenken, um deren Bedürfnisse zu
befriedigen. Die Verbannung oder gar das Morden der have-nots als Strafe dafür, dass sie nichts haben (oder
als Garantie für die haves, dass ihre Besitztümer, Jobs, Geldmengen und Phallusse noch mehr wert
sind) muss aufhören.
Ich versuche hier nur, Strukturen zu beschreiben, von denen ich denke, dass
sie unseren Problemen zugrunde liegen. Ich will damit nicht leugnen, dass viele
Mnner ihre Kinder lieben oder dass Buben fürsorglich sein können (vielleicht "greift"
die Maskulisierung bei manchen einfach nicht). Ich denke jedoch, dass diese
Strukturen für die tiefen Grben in unserer Kultur, für die Befangenheit ihrer
Institutionen und für das erschreckende Ausmaß ihrer Zerstörung verantwortlich
sind.
Das Pflegen des Tausches
Die Abstraktion: Bube = Vater, wird in der internen (marginalen[7])
Priorittsliste der Eltern wichtiger als die konkrete, fürsorgliche Beziehung.
Ein sichtbares physisches Kennzeichen wird für die Identitt des Buben wichtiger
als seine Verhaltensweisen oder als auf der Liebe basierenden Konstruktionen
seines Selbst. Stattdessen konstruiert der Bube sein Selbst nun im Zuge der Unterwerfung
seiner Mutter und dem Beanspruchen ihrer Dienste. Die Gleichheit des Buben mit
dem Vater wird sowohl durch Spiegeleffekte besttigt (der sich bereits selbst
reflektierende Vater reflektiert sich noch einmal im Kind, wodurch er seine
Rolle als Prototyp/Eines erfüllt, auf das sich der Bube zu beziehen hat) als
auch durch weitere kategorisierende Mechanismen.
Schenken besttigt die Anderen. Gegenwrtig versorgt es jedoch leider den
Tausch als sein Anderes und besttigt somit die Prinzipien der quivalenz und
des Ersetzens. Das Schenken versorgt somit das ihm widersprechende Prinzip, es
versorgt die Prozesse seiner eigenen Ersetzung durch die phallische Gleichung.
Die schenkenden Mütter schenken dem Tauschprozess als dem, das sich zu ihnen
als das Andere verhlt. Sie machen weiters ihre Buben zu ihrem Anderen, indem
sie dem Vaters erlauben, sie als Prototyp zu ersetzen und den Buben Prozesse
der Maskulisierung aufzuzwingen. Kurz, ein Prozess des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins
schenkt einem selbstzentrierten Prozess.
Die Mutter anerkennt, stützt und pflegt die Gleichheit des Buben mit dem Vater
und sie besttigt damit die Wichtigkeit beider als Mnner. Dies vielleicht auch
deshalb, da sie selbst (offensichtlicher aber auch unerkannter Weise) keine
Gleichheit mit dem Buben einfordern muss, um ihm nahe zu sein –
schließlich steht sie in einer konkreten Beziehung zu ihm: sie nhrt und
versorgt ihn – ihn, der von ihr verschieden ist, erstens, weil er ein
Kind ist, und zweitens, weil er zur Mnnlichkeit gezwungen wird.
Die Privilegien des Buben und die Aufmerksamkeit des Vaters hngen von
seiner Gleichheit mit dem Vater ab, vielleicht von seiner Größe und vielleicht
sogar von der Größe seines Penis, der in jedem Fall nicht wirklich jenem des
Vaters gleicht (die Gleichung ist rein "programmatisch" – sie war nie
"faktisch"). Der Vater wiederum versucht seine Vaterschaft zu unterstreichen,
und somit können auch andere physische hnlichkeiten des Buben – wie
Gesichtszüge, Haar- und Hautfarbe – besondere Aufmerksamkeit (Privilegiertheit)
erfahren. Dies kann selbst für Verhaltenscharakteristika gelten.
Das Gehorsam dem Wort des Vaters gegenüber garantiert, dass der Bube sich dem
Gesetz des Vaters gemß verhlt. Auf diese Weise wird gezeigt, wem das Kind
gehört. Der Aspekt des Gehörens ist auch für das Mdchen wichtig. Auch das
Mdchen muss dem Vater gehören und seinem Gesetz gehorchen (selbst wenn sie
schlussendlich wie die Mutter sein soll). Dies wird deshalb verlangt, da sich
das Eigentum und die Kategorisierung als Strukturen des Einen und der Vielen gleichen.
Nachdem der Vater nicht der geschlechtliche Prototyp für das Mdchen sein kann,
wird hier seine Rolle als Eigentümer sogar noch wichtiger. Mdchen folgen als
Eigentum des Vaters dem Beispiel ihrer Mutter und setzen damit fort, die
mnnlichen Beziehungsstrukturen des Einen und der Vielen zu pflegen und ihnen
Wert zu geben.
Um das gegenwrtige Verhltnis des Schenkprinzips und des Tauschprinzips aufrechtzuerhalten,
ist es für die Tauschenden oft notwendig, sogar den bloßen Anschein des
Schenkens zu vermeiden. Doch wird innerhalb des Tauschprinzips andauernd
geschenkt, etwa in Form von überstunden, von Hilfsleistungen, oder einfach aufgrund
betrügerischer Ausbeutung. Selbst Inflation, Wechselkurse oder das Drucken
neuer Geldscheine schaffen für manche Geschenke. All dies wird aber vom Anschein
des Tausches verdeckt, der unseren Blick an den Anschein der Gleichheit bindet,
der die wirklichen Geschenke und das überbrücken von Differenzen im Verborgenen
hlt. Und was den geschlechtlichen Kategorienwechsel, den der Bube
durchzumachen hat, betrifft, so hlt seine angebliche Gleichheit mit dem Vater das
verborgen, was er aufgeben musste, um zu seinem Privileg zu gelangen: nmlich
das Schenkprinzip. Dieses wurde ihm genommen – und damit auch die Quelle
dessen, was wirklich wertvoll ist.
Wenn das Schenken einmal aufgegeben ist, dann verhlt sich die Gesellschaft
so, als würde sie versuchen, ihre Verluste durch Kompromisse in Grenzen zu
halten. Der "gleiche Tausch" erscheint nun als das Bestmögliche, und so richten
wir unsere Aufmerksamkeit auf dessen Geschenke. Diese reprsentieren jedoch nur
die Werte des Patriarchats: Sicherheit unter der Herrschaft des ehrwürdigen und
(zumindest manchmal) wohlwollenden Patriarchen bzw. Sicherheit in "Gleichheit"
und "Gerechtigkeit". Die wirklichen Werte des Schenkens und des Reichtums für
alle werden dabei verleugnet und unterdrückt: das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein,
Güte, Toleranz, Vielfalt, und der Sprung der Liebe über den Abgrund.
[1] Im Tausch nimmt das Geld solange den
Platz des Eigentümers für Waren (also den Platz des Kategorieprototypen, auf
den Waren als Werte bezogen werden) ein, bis diese auf ihren tatschlichen
neuen Eigentümer bezogen werden. Wir können sagen, dass hier eine Eigentumsbeziehung des Einen und der Vielen
vorübergehend von einer Wertbeziehung des Einen und der Vielen ersetzt wird.
[2] Siehe Annette Weiners Buch zu der transkulturellen
ökonomischen Logik des Nicht-Schenkens: Inalienable Possessions, The Paradox
of Keeping-While-Giving.
[3] Ich denke, dass das Old Boys Network (siehe Kapitel 7) genauso wie die Gruppe
von Grundeigentümern den Differenzialwert von Wörtern verkörpert, die einander
in der langue gegenüberstehen.
Frauen und Kinder wurden historisch auf ihre Ehemnner und Vter bezogen wie
Eigentum auf seine Eigentümer und Dinge auf Wörter, die für sie stehen. Jedes
Mitglied der Kategorie der Ehemnner/Vter steht in einer differenziellen, sich
gegenseitig ausschließenden Beziehung mit allen anderen, whrend sie in
Hinsicht auf ihre eigene Familie das Eine in einer Beziehung von Einem und
Vielen sind. Der Ehemann/Vater muss die anderen Einen davon abhalten, seinen
Platz einzunehmen. Grundbesitzer müssen sich derselben Herausforderung stellen.
Und in der langue
steht jedes Wort in einer differenziellen Beziehung zu allen anderen, whrend
es als Name, auf den sich Dinge beziehen, auch das Eine in einer Beziehung von
Einem und Vielen ist. Wir haben oben gesehen, dass, wenn der Prototyp für das
Formen einer Kategorie nicht lnger notwendig ist, selbst nur zu einem ganz
normalen Teil dieser Kategorie wird. Es kann seine Position als Prototyp jedoch
auch deshalb verlieren, weil es von einem Wort vereinnahmt oder von ihm
subsumiert wird, was einer Art Logifizierung gleichkommt. Mnner (speziell
solche in "überlegenen" Kategorien) scheinen Wörter zu sein, whrend Frauen
(und andere in "unterlegenen" Kategorien) Dinge zu sein scheinen, die
"vergegenstndlicht" wurden. (Siehe Graphik 12.)
[4] Die Idee des Kaufens und Verkaufens von
Arbeitszeit scheint einfach genug, aber es gibt viele Unterschiede zwischen der
Verfügung über unser Leben und dem Besitzen von Eigentum. Unsere Beziehung zu
unserem Leben ist nicht die von Einem zu Vielen, wie es unsere Beziehung zum
Eigentum ist – selbst wenn wir unser Leben in verschiedene Zeitperioden unterteilen
können und wir markttaugliche Qualitten oder Fhigkeiten haben mögen.
[5] Die Institution der Wohlfahrtsfürsorge
definiert die ausgeschlossene Kategorie als "arm" und administriert minimales
Schenken von Seiten des patriarchalen Staates. Dies ist eine paradoxe
Maskulisierung von Menschen als have-nots, die zwangslufig erniedrigend ist, da die
Unterklasse glauben gemacht wird, dass ihre Armut auf persönlichen Fehlern bzw.
Mngeln beruht.
[6] Vielleicht ist die monetre Unterstützung,
die er seiner Frau zukommen lsst, ein Weg, ihr etwas zu schenken, nachdem er
seiner Mutter nichts hatte schenken können.
[7] Marginalitt in ökonomischer Theorie
basiert auf der überlegung der relativen übertragbarkeit und Nicht-übertragbarkeit
von Besitztümern. Tauschende haben vermutlich sich selbst zu fragen, was sie
gewillt sind aufzugeben.