Vom Garten zum Gral
Wenn ich das Patriarchat/Puerarchat kritisiere, will ich mich
nicht gegen die Spiritualitt wenden, sondern nur zeigen, dass sie auf Weisen
praktiziert werden kann, die das Schenken hindern. Eines unserer
Missverstndnisse, was das Schenken anlangt, kommt daher, dass wir eine
mnnliche Gottheit als den größten Schenkenden sehen. So vermischen wir
schenkende Charakteristika mit Charakteristika der Maskulisierung.
Wenn wir eine weibliche Gottheit htten, kmen
wir vielleicht leichter zum Bewusstsein des Schenkprinzips. Ich denke, dass die
Gottheit wirklich reiner Altruismus ist, dem Geist des "Du zuerst!" folgt und
deshalb unsichtbar bleibt. Die Gottheit schafft Dinge, liebt sie auf eine Weise
des "Du zuerst!" und setzt diesen Prozess ewig fort. Wenn wir einander nicht lieben,
blockieren wir diesen Prozess. Vielleicht sind Naturgeister, Feen und Engel nur
etwas schwchere Ausdrücke des Prinzips des "Du zuerst!".
Wenn das Schenken in den Bereich des mnnlichen
Modells gerückt wird, wird die Tatsache verschleiert, dass Frauen schon seit je
her überall schenken. Selbst das Opfer des Lebens Christi lenkt unsere
Aufmerksamkeit von den Opfern ab, die Frauen seit je her überall bringen: für
ihre Kinder, für ihre Mnner, für andere. Unsere Dankbarkeit wendet sich also einem
mnnlichen Schenker anstelle des Muttermodells zu.
Ich glaube, dass der schdlichste Aspekt des
Christentums in der Glorifizierung des Opfers liegt, da es die Bedingungen
nicht berücksichtigt, die ein Opfer notwendig machen. Das System, das Mangel, Krieg,
Naturzerstörung und menschliches Leid schafft, muss gendert werden, und diese
Notwendigkeit darf nicht verdeckt werden von den Opfern derjenigen, die das Beste
aus der furchtbaren Situation zu machen versuchen. Wir müssen den soziopolitischen
Mut haben, uns nicht zu opfern, und stattdessen die Gründe der Probleme angehen
und uns miteinander vereinen, um sie zu ndern. Dies wre ein Geschenk an alle.
Wenn wir das uns leitende Prinzip ndern – was eine nderung des
Belohnungssystems und der Egostruktur des Tausches beinhalten würde –,
würde es möglich werden, ohne Selbstaufopferung zu schenken. Wir müssen
alternative Organisationen schaffen und dazu unsere Energie, unsere
Vorstellungskraft und unsere Ressourcen einsetzen. Letzten Endes geht es darum,
zu entscheiden, ob wir unsere Zerstörung zulassen wollen oder ob wir den
gegenwrtigen Prozess aufgeben und uns als Beispiele von Schenkenden etablieren,
die nicht opfern.
In einer Situation des Mangels kann es leicht
dazu kommen, bis zur eigenen Erschöpfung zu schenken, da das Schenken nicht von
allen praktiziert wird und den Schenkenden selbst oft keine Geschenke zukommen.
Wir Frauen sind immer Schenkende gewesen, da die Bedürfnisse unserer Kinder das
verlangen. Im Tauschprinzip wird dies jedoch oft soweit getrieben, dass wir
gleichsam gekreuzigt werden: wir werden dazu gebracht, unser eigenes Leben zu
schenken, um weiter Bedürfnisse befriedigen zu können. Derart feindlich ist die
Situation, in der wir uns befinden. Frauen haben recht, das Schenken ist der
Weg. Aber wir müssen es zu einem Prinzip für alle machen und den Kontext
unserer eigenen Schenkens ndern. Wenn wir damit fortsetzen, es nur individuell
zu praktizieren, wird es uns umbringen.
Die Maskulisierung und der Tausch rücken sich
selbst in den Vordergrund, besttigen sich selbst und bringen andere dazu,
ihnen zu schenken. Diejenigen, die schenken, können so nicht wirklich sehen,
was sie selbst tun. Sie können ihrem Tun keinen Wert zuschreiben oder es als
Norm verstehen. Sie haben die ego-orientierten Werte der Maskulisierten
akzeptiert. Sie haben paradoxerweise nicht den Mut, der ihren altruistischen
Werten und Handlungen innewohnt. Dies mag soweit gehen, dass Frauen das
Schenken als falsch erachten, whrend sie es selbst praktizieren. Sie fürchten
sich vor ihrem eigenen Prinzip und verwechseln die Gefahr der Selbstaufopferung,
die der Mangel mit sich bringt (die Gefahr des sozialen Kontexts, in dem sie
sich bewegen), mit der Unterstellung, dass das Schenken den Mangel produziert. Sich
für etwas aufzuopfern und ihm Wert zu schenken, mag ein Weg sein, dieses Etwas
in Form einer Anerkennung oder Wertzuschreibung vor Zerstörung zu bewahren. Doch
kann diese Form der Selbstaufopferung auch eine erzwungene sein.
Maskulisiertes Schenken
Das Einzige, was wir am Anfang falsch machten,
war der Wechsel vom Schenkprinzip zum Tauschprinzip. Vielleicht ist es das,
worum es in der Geschichte vom Garten Eden geht. Im Schenkprinzip ist keine
Wiedergutmachung notwendig. Nur wenn wir zum Tauschprinzip wechseln, finden wir
es notwendig, wiedergutzumachen. Indem sie das Essen des Apfels als eine Sünde
darstellt, als einen Ungehorsam, der Wiedergutmachung erfordert, zeigt die
Bibel, wie Menschen in das Tauschprinzip mit Gott eintreten und ihm die Rolle des
Strafenden zukommt, der "gerechte" Vergeltung übt. Eine Gottheit, die eine
schenkende wre und gemß des Schenkprinzips handeln würde, htte keine Wiedergutmachung
gebraucht. Sie htte ihren Kindern das Schenken durch Beispielhaftigkeit
gelehrt.
Das Opfer Christi mag ein Versuch gewesen sein,
uns Schenken und Vergeben zu lehren, doch dieser Versuch beruhte nicht auf dem
Beispiel der Göttin bzw. der Mutter. Dieses Beispiel war bereits ausgelöscht
worden vom mnnlichen Modell des Vaters und des Sohns. (Die Bilder der Madonna
mit dem Kind htten uns noch danach erinnern können, dass Buben ihren
fürsorglichen Müttern folgen sollten. Doch das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein der
Mutter wurde niemals besttigt. Wir machten niemals diesen logischen Schritt.
Der Fokus lag immer auf "ihrem Anderen".) So scheint der einzig angemessene
Platz für das Schenken in der Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem
mnnlichen Kind zu liegen.
Als mnnliches Modell des Schenkens wurde das
Opfer Christi unweigerlich im Kontext des Tauschprinzips interpretiert und
verstanden: Es wurde uns gelehrt, dass es darum ging, dass er für die Sünden
der Menschheit "bezahlt" htte. Sein Tod "beglich die Rechnung". Aber dies kann
die Menschheit nie aus dem Tauschprinzip befreien. Selbst wenn Christus im
voraus für alle Sünden gezahlt htte, die je begangen würden, würde dies immer
noch der Logik des Tausches folgen. Der Archetyp des Tausches liegt hinter
allem, was wir tun. Er formt unser Bewusstsein. Selbst wenn unsere spirituellen
Intuitionen und unsere Herzen auf der Seite des Altruismus liegen, ziehen uns
die Tauschmuster und unsere entsprechenden religiösen Interpretationen immer wieder zum maskulisierten Modell. Wie
wir bereits mehrfach festgestellt haben, sind unser Bewusstsein und die Realitt, in der wir leben, gemß der
Werte der Maskulisierung geformt. Bevor das Schenken – das weibliche
Modell – überhaupt in unser Bewusstsein kommen kann, wurde es bereits durch
die Maskulisierung und den Tausch gefiltert. Glücklicherweise erlaubt uns der
Feminismus und die weltweite Frauenbewegung immer mehr, das Bild der Mutter von
der Dominanz des Bildes des Buben zu befreien und uns Frauen als die
Trgerinnen der altruistischen Werte der Spezies zu sehen.
Kommunizieren mit der Gottheit
Menschen haben immer versucht, mit der Gottheit
zu kommunizieren. Sie haben ihr endlose Geschenke gemacht: von Tieropfern zu
Menschenopfern, von Novenen zu Zehnten. Das "Geschenk" des Lebens Christi an
Gott kann auch als Kommunikationsakt interpretiert werden – als das Wort.
Da wir die Rolle des Schenkprinzips in der Kommunikation nicht begreifen, mögen
wir unseren Versuch der Kommunikation mit den Göttern und Göttinnen als etwas
sehen, das der Logik des Tausches folgt. Unsere Kommunikationsversuche nehmen
demnach die Form von Bestechungen an: "Ich werde dir dies geben, wenn du mir
jenes gibst!"
Wir denken – vielleicht aufgrund unseres
Leidens an der Maskulisierung, vielleicht aufgrund der Ideologie des Tausches, vielleicht
sogar schlicht aufgrund mangelnder Vorstellungskraft – dass Opfer die Art
der Geschenke sind, die die Bedürfnisse der Gottheit befriedigen können.
Vielleicht machen wir dadurch unsere Kommunikation mit der Gottheit jedoch nur
noch schwieriger. Vielleicht fügen wir der Gottheit mit unseren Opfern genauso
viel Leid zu wie uns selbst. Der Schrei des geopferten Tieres, dessen Kehle
durchschnitten wird, erschreckt sie – oder hum (siehe Kapitel 6). Wir müssen uns
andere, gütigere und einfachere Geschenke einfallen lassen. Geschenke, die
unseren Geschenken von Wörtern entsprechen, von Weihrauch, Musik, Blumen,
Speise. Unsere Grausamkeit schafft eine vergiftete Atmosphre, in der der Geist
nicht frei fließen kann.
Vielleicht erlaubt unsere Maskulisiertheit
einfach keine kollektiven Einheiten, die sich als kommunizierendes Subjekt formen
könnten, das groß genug wre, hum zu hören und von hum gehört zu werden können. Wenn wir
wirklich zum Schenkprinzip wechseln und die Logik der Kommunikation von der
Logik des Tausches loslösen können, dann können wir vielleicht auch den Garten Eden
wiederfinden. Dies könnte das kommende Königreich der Gottheit sein. – Ich
glaube allerdings nicht, dass es sich um ein Königreich handeln wird, oder
selbst um eine Demokratie, sondern um eine völlig neue Art von Regierung.
Vom Komplex zur Kategorie
In unseren Weihnachtsfeiern geben wir unserer
Freude darüber Ausdruck, dass Babys geboren werden, aber auch unserem Wunsch,
gute Menschen zu sein, oder unserer Hoffnung auf Erlösung. Wir betonen selbst
die Wichtigkeit der Lösung unsere sozialen Probleme. All dies sehen wir im
Christuskind reprsentiert. Tatschlich handelt es sich hier um ein Resultat
des Kampfes zwischen Schenkprinzip und Tauschprinzip. Die Frau schenkt das Kind.
Der Mann schenkt den Namen, das Erbe. Das Kind nimmt den Platz der Eltern ein.
Die Zukunft wird für die Gegenwart ausgetauscht. Der Konflikt wird
weitergereicht von Generation zu Generation. Dieses Vermchtnis ist eine
seltsame Art von "Geschenk", die eine künstliche Arbeitsteilung beinhaltet, die
jener zwischen lohnarbeitenden Mnnern und nicht-lohnarbeitenden Frauen
entspricht.
Wir tauschen in der Gegenwart, um anderen in
der Zukunft zu schenken. Werden diese anderen in der Zukunft tauschen oder
schenken? Jetzt, am Ende des 20. Jahrhunderts, machen wir sowohl die Gegenwart
als auch die Zukunft zu Teilen des Tausches. Wir machen die Zukunft zu einem
Geschenk an uns – indem wir ihr eine zerstörte Erde hinterlassen. Wir
schaffen Mangel und verhindern die Schenkökonomie für unsere Kinder und zukünftige
Generationen. Wir besttigen das System, geben ein Meta-Urteil zugunsten des
Tausches ab und zerstören somit die Möglichkeit des Schenkens.[1]
Die Mutter hat das Geschenk ihrer Kinder an den
Mann weitergeschenkt. Das alte Recht des Erstgeborenen war eine Form, die die
Maskulisierung in reichen und mchtigen Familien angenommen hat. In der Logik
des Christentums – wenn Christus Gottes Sohn und selbst ein Mann war und
wenn Mnner Brüder sind – entsprach Christus' Eines-Viele-Beziehung mit
anderen Mnnern der Beziehung des ersten Sohnes zu seinen Brüdern. Die
Eines-Viele-Beziehung von Gott, dem Schöpfer, zur Menschheit ist der
Eines-Viele-Beziehung von Christus zur Menschheit gleich. Beide Beziehungen
werden bestimmt vom Prototypen und dem Wort.
Obwohl die Beziehung von Handwerker zu Produkt
(das er in seinem Bild fertigt), oder von Vater zu Kind, ein
Familiennamenkomplex ist (vgl. Kapitel 5), kann sie zu einer Kategoriebeziehung
werden, wenn die gemeinsame Qualitt der Objekte erkannt wird. Im Christentum
wird die gemeinsame Qualitt von Menschen in ihren "geretteten" Seelen
ausgedrückt, die auf Christus als Prototypen bezogen sind. Christus ist Gott gleich
und sein leibhaftiges Wort (sein Reprsentant) auf Erden. Wenn Christus Gott
ist und der Sohn der Vater, dann steht er auf beiden Seiten der Gleichung von
Wort und Prototyp. Der christliche Mythos kann auch als eine Erforschung des
Kategorieformierungsprozesses gelesen werden. (Siehe Figuren 39 und 40.)
Auch manche der anderen Elemente des Tausches,
die wir diskutiert haben, sind hier deutlich zu erkennen. Zum Beispiel ist
Christus das allgemeine quivalent und sein Leben das Mittel des Tausches (das
Geld), das für die Sünden der Menschheit zahlt. Wenn Menschen sündigen, sind
sie einander ungleich und können nicht in eine Eines-Viele-Kategoriebeziehung
zu Gott eintreten, da ihnen die gemeinsame Qualitt fehlt. Viele Geschichten der
Bibel beschreiben menschliches Sündigen. Die Sünde von Adam und Eva trennte sie
von Gott und machte ihnen darüber hinaus bewusst (indem sie ihre Nacktheit
offenbarte), dass sie voneinander verschieden waren. Der Mord Abels durch
seinen Bruder Kain trennte Kain von anderen Mnnern. Das alte Testament ist gewissermaßen
eine Chronik menschlicher Unterschiede. Indem er für die Menschheit "zahlte"
und ihr vergab, implizierte Christus, dass Menschen einander wieder gleich
geworden waren und von nun an fhig seien, in eine Kategoriebeziehung mit ihm
selbst als (dem Vater identischen) Prototypen einzutreten.
Der Ungehorsam Adam und Evas schien eine Schuld
gegenüber Gott zu schaffen. Die Idee der Schuld ist Teil des Tauschprinzips.
Die Schuld macht Menschen glauben, dass sie Gott schenken (mit ihm
kommunizieren) müssen. Dabei hat jedoch nur die Motivation mit dem Schenken zu
tun, tatschlich handelt es sich um eine Bezahlung (für die begangenen Sünden).
Wir glauben, dass wir, wenn wir für unsere Sünden bezahlen, keine Schulden mehr
haben und dass das Schenkprinzip dann zurückkehren wird. Doch es ist nicht die
Sünde, die dazu geführt hat, dass wir das Schenkprinzip verloren haben. Es ist
keine Schuld, die wir auf uns geladen haben, kein versumter Akt des Schenkens
von Gehorsam an Gott. Wir haben das Schenkprinzip verloren, weil wir uns davon
überzeugen ließen, dass wir "zurückzahlen", dass wir "tauschen" müssen. Auch Christus
"bezahlte" und konnte somit das Tauschprinzip nicht überwinden – auch
wenn er selbst vergebend war.
Für die Sünden der Menschheit zu zahlen, war also
ein Tausch, obwohl das Opfer von Christus' Leben vielleicht ein Versuch war,
das Schenkmodell in einer Situation von Mangel an Gerechtigkeit und Mangel an
Güte zu demonstrieren. Frauen bringen in hnlichen Situationen stndig Opfer
– aber nicht, um irgendetwas zu bezahlen, sondern um Bedürfnisse zu
befriedigen.
Dass er von einer Jungfrau geboren wurde, zeigte
Christus vielleicht als Kind des Schenkprinzips, außerhalb der genitalisierten
Sexualitt, und auch jenseits des mnnlichen Egos.[2]
Doch es ist gefhrlich, zu suggerieren, dass das Schenkprinzip von einem
mnnlichen Beispiel kommt. Kirchen, die organisiert wurden, um Christus' Lehre
zu ehren, etablierten misogyne, maskulisierte religiöse Hierarchien, die
politische und ökonomische Hierarchien stützten, in andere Territorien
eindrangen und Menschen mit anderem Glauben töteten, um sie "Altruismus" zu lehren.
Wenn wir wirklich vom Tauschprinzip zum
Schenkprinzip kommen wollen, müssen wir das Schenkprinzip mit den Frauen identifizieren
und ihrem Beispiel folgen. Wir dürfen nicht die maskulisierten
Eines-Viele-Strukturen wiederholen, die sich selbst reproduzieren, Hierarchien schaffen
und Konkurrenz und Herrschaft stützen. Das überbewerten der Position des
Kategorieprototypen, des Einen, ist ein zentraler Aspekt des Problems. Es ist
ein Element im Prozess der Maskulisierung, das abgebaut werden muss, um zum
Schenkprinzip als Norm zu gelangen. Leider haben sich jedoch sowohl die
logischen als auch die organisatorischen Aspekte des Christentums mit dem Bild
eines schenkenden mnnlichen Gottes in der Position des Einen und mit den
maskulisierten Charakteristika des übernehmens und der Herrschaft verbunden.
Das Schenken auf der gesellschaftlichen Ebene
wird kontinuierlich fehlinterpretiert, whrend das Schenken auf der
individuellen (inneren) Ebene nicht wahrgenommen wird. Wie wir in Zusammenhang
mit dem homunculus
gesehen haben (vgl. Kapitel 14), ist inneres Schenken nicht statisch. Doch wird
es durch das Fehlen allgemein anerkannter Modelle des Schenkens oft gelhmt und
unbewusst gemacht. Vielleicht schaffen die Modelle des Opfers Christi und des
Opfers der religiösen Heiligen einen Kontext, der (zumindest zum Teil) individuelles
Schenken fördern kann. Dadurch jedoch, dass das Schenken als Opfern
interpretiert wird und das Schenkprinzip als "heilig" (anstatt es als etwas zu
begreifen, das Frauen und auch viele Mnner tagtglich tun), machen wir seine
Etablierung als allgemeines soziales Modell unmöglich.
Der autoritre Vater
Die patriarchale Religion schafft eine Reihe
falscher Bilder mnnlichen Schenkens. Der Vater, der angeblich seinen Kindern
nie Leid antun würde, verbannt sie gleichzeitig aus dem Garten Eden, nur weil
sie einen Apfel gegessen haben. Wie unsere menschlichen Vter verbittet er es
sich, ihm dies als Ungerechtigkeit anzurechnen. Seine Autoritt erlaubt es ihm,
seine Rolle als schenkender Prototyp zu missbrauchen. Wie viele Kinder haben
darunter leidern müssen? Wie viel Gewalt ist gegen sie verübt worden im Namen
der "Heiligkeit" ihres Vaters und der Notwendigkeit, ihn zu "ehren"? Der Gott
dieser Vter kann nicht "gut" genannt werden. Mitgefühl scheint höchstens
zweitrangig für das zu sein, was hier als "richtiges Handeln" verstanden wird;
wichtig ist diesem Handeln einzig die Besttigung des maskulisierten Egos. Mnner
projizieren ihre Werte auf einen allmchtigen Patriarchen, um damit ihre Egos
und ihre Autoritt zu strken.
Wenn wir nach dem Grund für das Böse und das
Leid in der Welt fragen, wird uns erklrt, dass dies jenseits unseren Wissens
liegt. In der Zwischenzeit besttigt das autoritre Bild Gottes den Missbrauch
autoritrer Mnner. Die Fürsorge und das Mitgefühl der Frauen werden
abgewertet. Anstelle dessen wird der autoritre mnnliche Gott "gut" genannt
und alle weiblichen Darstellungen der Gottheit verboten. Dies ist ein Teil des Grundes
für unser Leiden. Die Behauptung, dass die Frage nach dem Bösen nicht zu
beantworten ist, verleugnet nur den Missbrauch. Der Gedanke, dass unser Bild
von Gott die Mnner darin unterstützt, autoritr und gewaltttig zu sein bzw.
die Einsicht, dass dieses Bild Leiden schafft, wurden tabuisiert.
Selbst Mütter weigern sich oft, den Missbrauch,
den Mnner an ihren Kinder begehen, anzuerkennen. Sie glauben an die "guten
Seiten" der Mnner und an den "unergründlichen Willen" Gottes. Dies erlaubt den
Mnnern, weiter zu missbrauchen, ohne dass sich die Mütter dagegenstellen
würden. Das Bild der schenkenden Person wird also entweder assimiliert in das
Bild des autoritren maskulisierten Egos oder es bleibt weiblich und damit machtlos
und dient nichts außer der Versorgung des Mannes. Im besten Falle gelingt es
der weiblichen Schenkenden mnnliche Entscheidungen zu beeinflussen, wie im
Falle der Jungfrau Maria, die bei mnnlichen Autoritten um ihr Kind fleht.
In der Zwischenzeit ist der Sohn, den sie
aufzieht, die mnnliche Autoritt im Kleinen. Unsere innere Mutter wird darauf
reduziert, zu gelegentlichen altruistischen Handlungen anzuregen oder
gelegentlich schlechtes Gewissen zu erzeugen, das ein bisschen an den rmeln
unseres maskulisierten Willens zur Macht zupft. Wir werten ihren Einsatz für andere
als irrationales Mitleid ab, als das Flattern eines blutenden Herzens. Und wenn
es ihr doch gelingt, einen Moment des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins in uns zu
erwecken, wird dies "Gott, dem Vater" angerechnet, dem "wohlttigen"
maskulisierten Ego.
Wir müssen dieses illusorische Vaterbild
löschen und Maria zu unserem Modell machen. Doch wir müssen auch unser Bild von
ihr ndern: ihr Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein muss vom Gehorsam und dem Flehen
befreit werden und sich ganz der Bedürfnisbefriedigung der Menschheit –
speziell der Frauen und Kinder – und der Erde zuwenden. Glücklicherweise
haben in jüngerer Vergangenheit spirituelle Bewegungen, die sich auf das
Weibliche konzentrieren, andere Bilder der Gottheit (wieder)geschaffen –
Bilder schenkender, starker Göttinnen.
Der Heilige Gral und die Alchemie
Der Heilige Gral ist die freie Quelle des
überflusses. Symbolisch ist der Gral (der Kelch) auch das Füllhorn oder der Mutterbauch.
Vielleicht besttigt der spirituelle Aspekt dieser Geschichte, in der legendre
Helden nach dem Kelch des letzten Abendmahl suchen, dass das Problem nicht
biologisch, sondern sozial ist. Der Gral ist nichts Materielles – nicht
Mutterbauch oder Vagina, nicht Brust oder Penis, nicht Instrument oder Schwert,
nicht Kelch oder Klinge –, sondern eine Logik, ein Weg, unser
ökonomisches Verhalten zu organisieren. Er ist das Schenkprinzip. Er ist eine
Weigerung, den Mikrokosmos und den Makrokosmos zu trennen, eine Weigerung,
einen Wechsel zu schaffen hin zur artifiziellen Struktur des Tausches und
seines Egos. Der Heilige Gral steht für überfluss und Fürsorge. Er ist das
Geschenk, das schenkt – das Geschenk des Schenkprinzips, das wir alle von
unseren Müttern erhalten. Doch wir müssen sowohl unsere Kindheitskomplexe wie
unsere maskulisierten Konzepte der Sprache und des Leben überwinden, um dieses
Geschenk auch empfangen zu können.
Unsere Interpretation des Heiligen Grals kann durch
eine Analyse der Alchemie in marxistischen Begriffen gestützt werden. Jede Ware
htte zum allgemeinen quivalent werden können, zum Geld, auch wenn es
letztlich das Gold war, das dazu wurde. Die Alchemie sah sich wirklich mit
weitreichenden gesellschaftlichen Fragen konfrontiert. Der Versuch, aus
Grundmetallen Gold zu machen, ist die physische Projektion des Problems: "Wie
wird etwas zu Geld?" Diese Frage reicht wiederum zurück zur Frage: "Wie wird
ein Baby mnnlich?", oder die Frage: "Wie wird ein Körperteil zum Penis, zum
Kennzeichen der Kategorie ‚mnnlich'?", oder selbst die noch weniger beachteten
Fragen: "Wie wird ein Körperteil zur Vagina, zum Mutterbauch oder zur Brust, zu
Produzentinnen von Leben und Fürsorge?", oder: "Wie könnten der Mutterbauch
oder die Brüste zum Prototyp werden?"
Sowohl die Alchemie als auch die Geschichte des
Heiligen Grals zeigen Aspekte des sozialen Problems der Maskulisierung auf,
interpretiert auf einer materiellen Ebene. Wir haben gesehen, dass die Position
des Prototypen sozial zugeschrieben wird und dass sie keine Qualitt ist, die
materiellen Objekten selbst innewohnt. Der spezielle Wert des Goldes kommt
nicht vom Metall, sondern von der sozialen Bestimmung des Goldes als
allgemeines quivalent (als Wertprototyp) im Tausch.
Diese Rolle htte genauso gut dem Blei
zugeschrieben werden können – in etwa so, wie wir sie dem Papier
zugeschrieben haben, das – bedruckt auf eine bestimmte Art – zum
allgemeinen quivalent wird. Natürlich hat seine relative Knappheit das Gold zu
einem praktischen Tauschmittel gemacht. Der gleiche Effekt wird durch den
limitierten Druck von Geld erreicht. Wir könnten jedoch tatschlich genauso gut
Bleistücke drucken, nur wren diese schwerer zu tragen. Es ist ironisch zu
bedenken, was passiert wre, wenn es den Alchemisten wirklich gelungen wre,
Blei in Gold zu verwandeln: es htte soviel davon gegeben, dass es nicht mehr
lnger als das allgemeine quivalent htte dienen können. Die Transformation htte
somit ihre Bedeutung verloren.
In einem gewissen Sinne sind Grundmetalle
tatschlich zu Gold verarbeitet worden. Doch hat dies nichts mit der
materiellen Identitt der Metalle zu tun. In der Transformation, die geschah,
war die materielle Identitt der Metalle irrelevant. Was essentiell war, war
die Gleichheit der Objekte, die als Geldmaterial verwendet wurden (Geldscheine,
Münzen, usw.) und ihre limitierte Produktion. Dies erlaubte ihren sozialen
Gebrauch als allgemeines quivalent. Das Blei, das relevant war, war das Blei
des Druckers, das dafür verwendet wurde, Papiergeld zu drucken. Die Wahl des
Goldes oder gedruckten Papiers als allgemeines quivalent beruht auf vielen
sozialen und historischen Faktoren. Die Tatsache, dass wir irgendein Objekt als
Prototyp des Tauschwerts whlen können, beruht auf der Maskulisierung und ihrem
psychoökonomischen Ausdruck im Tausch.
Die Suche nach dem Heiligen Gral demonstriert
ein hnliches Problem: Es ist eine Suche nach einer nderung auf der falschen
Ebene. Das physische Objekt, der Gral, ist nicht die Quelle allen überflusses.
Genauso wenig ist es der Mutterbauch als das symbolische quivalent des Kelchs.
Whrend uns der Mutterbauch an die Mutter denken lsst, und der Gral an ein
privilegiertes Objekt, liegt die Lösung des Problems weder darin, über den
Mutterbauch nachzudenken oder dieses Objekt zu finden, noch darin, Mnnern
einen physischen Mutterbauch zu schaffen oder sie zu kastrieren (oder ihnen
einen "Vagina" in Form einer Wunde zu schaffen). Die Antwort ist nicht die
Suche selbst.
Die Antwort liegt eher im Wechseln der Ebenen
vom Physischen und Metaphysischen zum Sozialen und Psychologischen. Wenn der
soziale Prozess der Maskulisierung verstanden und abgebaut wird, können wir das
mütterliche Modell wieder etablieren und eine fürsorgliche ökonomie schaffen (ein
soziales Füllhorn oder einen sozialen Gral), die im Rahmen eines überflusses
Bedürfnisse befriedigt. Eine fürsorgliche ökonomie würde keiner Vernderungen
in mnnlichen oder weiblichen Körpern bedürfen – keiner Kastration oder
Hinzufügung von Organen. Alles, was eine fürsorgliche ökonomie bruchte, wren
andere Interpretationen der körperlichen Unterschiede bzw. eine überwindung ihrer
psychologischen, ökonomischen und sozialen Projektionen. Wir wurden dazu
gezwungen, nach der Quelle des Guten zu suchen, da wir nicht die richtigen
Fragen gestellt hatten. Die richtige Frage war nicht: "Was schmerzt den
Ritter?" (Auch wenn sie in ihrer Verbindung mit der Suche nach dem Schenken die
Frage der Kastration aufwarf. Tatschlich ist diese Frage sehr wie unser Gruß:
"Wie geht es dir?", der möglicherweise eine kommunikative Interaktion
initiieren kann.) Die richtige Frage wre gewesen: "Wie können wir überfluss
für alle schaffen?" Die Antwort, damals wie heute, wre symbolisch der Gral
gewesen: "Folge dem Leben spendenden und fürsorglichen Beispiel der Mutter!"[3]
Die letzte Frage des Parsifal: "Wem dient der Gral?" ist der Frage hnlich: "Für
wen ist er?" Diese Frage bildet die Grundlage für die Trennung zwischen
Schenken und Tausch. Ist der Gral für die Anderen oder für das Ego, ist er für
den gegenwrtigen oder zukünftigen Fischerkönig oder für Gott? Oder sollen wir den
Gral so sehen wie Marx die Sprache gesehen hat? Das würde bedeuten, seine
unendliche Kreativitt in der auf Andere ausgerichteten Logik menschlicher
Sozialisierung zu sehen. In einer Logik, die den Schluss impliziert: "Für
andere existierend, also auch für mich selbst!"
Graham Philips vergleicht in seinem Buch zum
Heiligen Gral[4] die
mittelalterliche französische Geschichte, La Folie Perceval, mit dem Tarot, im Speziellen mit
der Karte der Ppstin (der Figur einer Frau in der Position des ppstlichen
Einen). Philips macht auch den Versuch einer Identifikation des Grals mit dem
geheimen gnostischen Evangelium des Thomas, von dem angeblich eine komplette
Kopie 1945 in gypten entdeckt wurde. Ein Teil des Textes, den Philips zitiert,
scheint sich auf das mütterliche Modell und die Befreiung von der
Maskulisierung zu beziehen:
"Jesus sah Kleine, die gesugt wurden. Er sprach zu seinen Jüngern:
Diese Kleinen, die gesugt werden, gleichen denen, die ins Königreich eingehen.
Sie sagten zu ihm: Wenn wir also Kinder werden, werden wir (dann) in das
Königreich eingehen? Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr aus zwei eins macht und
wenn ihr das Innere wie das ußere macht und das ußere wie das Innere und das
Obere wie das Untere und wenn ihr aus dem Mnnlichen und dem Weiblichen eine
Sache macht, so dass das Mnnliche nicht mnnlich und das Weibliche nicht
weiblich ist und wenn ihr Augen macht statt eines Auges und eine Hand statt
einer Hand und einen Fuß statt eines Fußes, ein Bild statt eines Bildes, dann
werdet ihr in das Königreich eingehen."[5]
Einige Elemente dieser Passage erinnern an die
Restaurierung des fürsorglichen Modells der Mutter, speziell der
nicht-maskulisierten Einheit von mnnlich und weiblich und der Rolle der
Mutterbrust. Die Einheit der Gegenstze und die Rückkehr zur Ersetzung von Dingen
durch Dinge sind Ausdruck materieller Kommunikation.
Mnnliche Fürsorge
Die Transsubstantion beweist die Alchemie
vollkommen, indem sie definiert und benennt: "Dies ist mein Körper! Dies ist
mein Blut!" Gott bzw. Christus als Prototyp für die Kategorie der Menschheit
transformiert auch das Brot und den Wein in einen Prototypen. Als der
fürsorgliche Prototypmann macht er sich selbst zu Speise und Trank.[6]
Die Transsubstantion demonstriert die Macht der Definition auf die gleiche
Weise wie die Maskulisierung. Der Effekt des Benennens ist kein materieller,
wie es in einem Wunder der Fall wre (zum Beispiel im Wechsel von Wasser zu
Wein), sondern ein sozialer. Der Heilige Gral, das Muttersymbol, ist der Ort
dafür, einen fürsorglichen Mann zu schaffen, indem der soziale Mechanismus des
Benennens neu interpretiert und reformiert wird – im Speziellen das
Benennen des Geschlechts. Substanz ist Verstehen.[7]
Die Kirche schenkt dem allgemeinen Prototypcharakter
in der Transubstantion wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit als dem materiellen Charakter
des Brotes und des Weins. Vom materiellen Brot und Wein müssen wir zu Gott als
Prototypcharakter übergehen, nicht zu einem anderen physischen Material. Gott
ist dabei "göttliche menschliche Form", ein Begriff mit sozialer Dimension, der
anderen Begriffen mit sozialen Dimensionen entspricht, egal ob Gott wirklich
als "menschliche Form" existiert oder nicht.
Die Transsubstantion unterscheidet
sich jedoch auch vom Tausch und der Maskulisierung. Sie ist ein Wechsel
zwischen Seinszustnden, der sich vollzieht, indem etwas auf ein neues Wort als
seinem Namen bezogen wird. Der "Prototyp der Prototypen" (Gott, Christus) nennt
bzw. verweist auf etwas als es selbst (das Brot und den Wein) und der Priester
wiederholt diesen Prozess. Wenn der mnnliche Gott das allgemeine quivalent
des Einen ist, dann macht sein "Brot-Werden" erstens das Brot (als materielles
Ding) zum Prototypen und zweitens sich selbst als mnnlichen Prototypen fürsorglich.
Die Hostie ist dabei nur ein Geschmack, eine Probe. Zur selben Zeit da Brot und
Wein zu Leib und Blut werden, wechselt das Modell von Mnnlich zu Weiblich, von
übernahme zu Fürsorge. Dies lsst uns wirklich eine bessere Welt erahnen, auch
wenn diese bessere Welt in den Tabernakeln autoritrer patriarchaler Religion
verborgen ist.
Die symbolische Form des Grals trifft auf seine
Inhalte, verschiebt wirkliches zu symbolischem Opfer und schenkt ein Geschenk,
das leicht geschenkt werden kann (Brot und Wein), anstatt eines Geschenks, das
nicht geschenkt werden kann (Leib und Blut). Mnnliche Priester haben damit
etwas zu schenken und ihre Wörter werden denen fürsorglicher Frauen hnlicher.
Durch die Worte: "Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut", die im Ritual
gesprochen werden, transformieren die Priester die Substanz von Brot und Wein.
Auf die gleiche Weise könnten wir die Substanz bzw. das Verstehen (siehe
Fußnote 7) der Mnner hin zur Fürsorglichkeit ndern, wenn wir nur unsere
Geschlechtsnamen ndern würden. Die Kommunion verweist auf den geschlechtslosen
Menschen, der im Modell des fürsorglichen Mannes versteckt ist.
Was wir brauchen, ist die Restaurierung des
Modells der fürsorglichen Frau. Eines der beiden fürsorglichen Modelle (des
Mannes oder der Frau – oder auch beide zusammen) muss uns dabei helfen,
das maskulisierte System zu ndern, dem das Opfer dient. Wir müssen ein System
schaffen, das es uns erlaubt, nicht nur Symbolisches, sondern Wirkliches zu
teilen (auf lokaler wie globaler Ebene) und dadurch unsere Realitt zu ndern.
Wir werden die Wörter als die Macht des Kollektivs verstehen, die unser Bild der
Welt transformieren kann. Und wir werden die Einen als Elemente unserer
konzeptuellen Prozesse verstehen, was unseren Geist vom Patriarchat befreien
wird.
Menschliche Opfer
Gegenwrtig verschwenden wir Reichtum an Dinge,
die unsere Bedürfnisse nicht befriedigen. Wir tun dies, um die ökonomie
anzuregen. Unsere Geschenke kommen daher nicht unseren Mitmenschen zugute,
sondern der ökonomie. Das Verschwenden und Zerstören von Produkten schafft Mangel.
Es kommt zu hohen Preisen, weil Güter nicht akkumuliert werden können und damit
nicht den überfluss schaffen, der das gesamte System überflüssig machen würde.
Die Hauptagenten der Tauschökonomie, die falsche künstliche Bedürfnisse und
Verschwendung produzieren, erhalten dafür Profit. Dies einerseits in Form des
Mehrwerts der Arbeit, andererseits in Form all der Geschenke des Schattens, dessen
Bedürfnisse nicht befriedigt werden. (Auf einer globalen Ebene schenken
manchmal ganze Lnder anderen Lndern. Dies wird von einer Kombination
unterschiedlicher Lebensstandards bestimmt, sowie von Tauschkursen, die bereits
privilegierte Lnder noch weiter begünstigen.)
Der Reichtum kann sich dabei nicht nach unten
zu den Armen hin verteilen, da dem Kelch (den der Gral womöglich symbolisiert)
nie erlaubt wird, sich zu füllen und überzulaufen. Bevor die Geschenke auf
diese Weise vielleicht allen zufließen könnten, wird der Kelch durch ein Loch
angezapft und die Richtung der Geschenke abgelenkt: hin zu den Einen. Gleichzeitig
bleiben die Bedürfnisse von Millionen von Menschen unbefriedigt, inklusive jene
der vierzigtausend Kinder, die tglich weltweit an Hunger und vermeidbaren
Krankheiten sterben – menschliche Opfer, die den "Wert" des freien Marktes
(und dessen "Bedürfnisse") besttigen. Bei den rituellen Menschenopfern, die
die pyramidale Gesellschaft der Maya aufrechterhielten, wurden ein paar Ausgewhlte
stellvertretend für alle getötet. Vielleicht haben wir noch weniger Bewusstsein
und Mitgefühl als die Maya.
Wir opfern Millionen von Menschenleben, um den
Mangel zu schaffen, der für das Funktionieren unseres Systems notwendig ist.
Wir opfern Millionen von Menschenleben, damit die sozialen Pyramiden,
Hierarchien, nach oben gerichteten Geschenkketten und nach unten gerichteten Definitions-
und Befehlsketten aufrechterhalten werden. Doch das Opfern geschieht dort, wo
wir es nicht sehen müssen. Dass unser Reichtum von Geschenken kommt, bleibt
verborgen – und dort, wo wir nicht wegsehen können, wird der Zusammenhang
mit unserer Form der ökonomie verleugnet. Rebellionen finden "woanders" statt
und werden mithilfe des wahnwitzigen Waffenarsenals niedergeschlagen, dessen
Produktion unsere Energie und unser Geld in den Dienst der Zerstörung und des
Profits stellt, whrend es Bedürfnisbefriedigung und Fürsorge hindert, ja oft genug
unmöglich macht.
Wenn wir in den Lndern der "Ersten Welt" die
Bilder der Verhungernden und Versehrten in anderen Lndern (oder auch nur "auf
der anderen Seite des Flusses") sehen, schreiben wir die Ursachen dafür ihnen
selbst, Naturkatastrophen oder vielleicht der "grausamen menschlichen Natur" zu.
Doch in einem alternativen System, einem System des überflusses für alle, gbe
es diese Bilder nicht. Es gibt sie nur als Konsequenz eines künstlich erzeugten
Mangels und unserer Ausbeutung der Vielen. Es gibt sie nur, weil die Vielen
gezwungen wurden, unserem System Wert zu schenken, anstatt ihre eigenen
Bedürfnisse zu befriedigen. Die Behauptung, dass unser eigenes Wohl davon kommt,
dass wir es "verdienen", oder vielleicht davon, dass wir "Glück" hatten, ist
dieselbe Lüge, nur andersherum formuliert. Wir verleugnen, was wirklich
geschieht: wir verleugnen den Transfer von Reichtum und Wert von anderen
Lndern und Klassen zu uns.
Die Zivilisation der Maya endete. Die
menschlichen Opferrituale wurden irgendwann nicht mehr lnger ausgeführt. Es
gibt viele Spekulationen darüber, warum das so war. Dürre wird als Möglichkeit
angeführt, Krankheit, Eroberung. Ich ziehe es vor zu glauben, dass irgendjemand
schließlich zu Sinnen kam, die heiligen Worte sprach: "Dies funktioniert nicht;
lasst uns jetzt damit aufhören!", und dass sich daraufhin die gesamte Gruppe,
in einem Akt wirklicher Zivilisiertheit, dazu entschloss, auf das Land
zurückzukehren, in Frieden miteinander zu leben und den Pyramiden nicht lnger zu
opfern und zu schenken.
Die Maya opferten ursprünglich einen
reprsentativen Einen als Geschenk im Zuge einer vermeintlichen materiellen
Kommunikation mit den Göttern, von denen angenommen wurde, dass sie als Gegenleistung
überfluss schenken würden. Auch wurden Blut von der Zunge des Königs (das Wort)
und seinem Penis (das Kennzeichen der Position des Einen) beigemischt.
Whrend also die Maya – wie viele andere
Kulturen – Reprsentanten ihrer selbst den Göttern opferten, opfern wir
heute das Leben von Millionen anderen dem maskulisierten System, von dem wir
glauben, dass es uns versorgt und dass es die natürliche und einzige Quelle
unseres überlebens ist. Der kulturelle Wert, den wir heute dem Profit und dem Besitz
schenken, wird auch von den Kindern und den Müttern der Zukunft geschenkt. Sie
werden zu diesem Geschenk gezwungen, da ihre Mittel der Fürsorge heute zerstört
werden. Der Krebs, der auf nuklearer Strahlung und toxischen Chemikalien
beruht, greift sogar das Symbol und die Quelle des Schenkens der Frauen, die
Brüste, an. In den USA gibt es bereits eine Epidemie. Es wird erwartet, dass
bald eine von acht Frauen an Brustkrebs erkranken wird.
Wenn wir andere Formen von Krebserkrankungen
dazurechnen, wird sogar die Hlfte der Bevölkerung an einer dieser Formen
erkranken. Auch das Kennzeichen der Maskulisierung selbst wird durch den
Prostatakrebs bedroht. Die Anzahl der Spermien hat, speziell unter weißen
Mnnern, in den letzten Jahren drastisch abgenommen. Wahrscheinlich aufgrund
der Vergiftung unserer Umwelt.
Da wir die unzureichenden Berichte zum Krebs,
die von Apologeten des freien Marktes wie der American Cancer Society oder der American Medical
Association
prsentiert werden, nicht in Frage stellen, opfern wir unsere Brüste, unsere
Reproduktionsfhigkeit und damit unser Leben der Tauschökonomie. Die nukleare
Strahlung und die toxischen Chemikalien, die den Krebs verursachen und die von
den Industrien des freien Marktes produziert werden, bleiben verleugnet und
können somit im Verborgenen damit fortfahren, die Ressourcen unseres Lebens zu
zerstören.
Diejenigen, die versuchen, die Krankheiten, die
das System schafft, zu heilen, werden selbst vom System erhalten und schenken
ihm gewöhnlich ihren Dank und ihr Vertrauen. Damit wird es unwahrscheinlich,
dass sie jemals die wirklichen Ursachen dieser Krankheiten begreifen werden. Wie
Frauen, die der Maskulisierung Wert schenken, schenken sie genau dem Prozess
Wert, der das Problem verursacht, whrend sie gleichzeitig versuchen, die Opfer
des Prozesses zu heilen. Das System ist kein wohlttiger, aber manchmal
strenger, Ehemann, den wir schtzen und dem wir folgen müssen, um
Schadensbegrenzung zu betreiben. Das System ist ein gefhrlicher Mechanismus,
den wir erkennen, verstehen und Schritt für Schritt abbauen müssen, um nicht
alle zu zerstören, die in ihm leben.
Nur wenn wir dies tun, werden wir unser
Bewusstsein ndern und damit beginnen können, nicht dem Tausch Wert zu schenken,
sondern den Bedürfnissen aller. Dann werden wir damit aufhören, uns selbst,
sowie unsere Kinder und unbekannte Milliarden von Menschen, zu opfern, um Pyramiden
aufrechtzuerhalten. Stattdessen werden wir schenken, um mit allen im überfluss
zu kommunizieren. Wir werden einen Heiligen Gral für die gesamte Gesellschaft schaffen,
ein Füllhorn der Kommunikation. Wir werden die heiligen Worte der
Transsubstantion sprechen: "Lasst uns diese Zerstörung jetzt beenden!"[8]
[1] Vielleicht
versuchen das Space Shield der so genannten Star Wars und die Nuklearisierung des
Weltalls den Tausch vor dem Schenken auf einer (buchstblichen) Meta-Ebene
("ganz oben") zu schützen. Diese Meta-Ebene wurde deshalb so extrem "Meta" (für
Milliarden an Dollars), weil wir nicht verstehen, was wir tun.
[2] Tatschlich
erinnert die Beziehung zwischen Gott, Maria/Josef und Jesus an die
Gesellschaften, in denen der Bruder der Mutter (eine Person, die keine
sexuellen Beziehungen mit der Mutter hat) elterliche Aufgaben für den Buben
übernimmt.
[3] Der Gral (oder
der "Becher" – cup – des überflusses) ist das symbolische Gegenteil der "Mütze"
– cap
– des Kapitalismus ("the cap of capitalism").
[4] Dr. Graham Philips, The Search
for the Holy Grail.
Dr. Graham Philips behauptet auch, das tatschliche
materielle Objekt gefunden zu haben, das der Heilige Gral gewesen sein soll.
[5] übersetzung von Wieland Willker.
[6] Diese
christliche Idee war keine neue. Zum Beispiel wurde in der Tradition der großen
Göttin auch der Sohn-Gott Dionysios in vielen Formen rituell verspeist. "Als
Fruchtbarkeitsgott wurde er rituell geopfert, gewöhnlich an einem Baum
(Prototyp des spteren Kruzifixes). Sein Fleisch wurde als Brot gegessen, sein
Blut als Wein getrunken..." (Monica Sjoo / Barbara Mor, The Great Cosmic Mother: Rediscovering
the Religion of the Earth, S. 121).
[7] Anm. d. übers.: Im Original: Sub-stance is only under-standing. Sowohl sub als auch under können "unter" bedeuten, whrend stance "Stand"
und standing "Stehen" bedeuten kann.
[8] Es ist
markant, dass die Atombombe, die auf Hiroshima abgeworfen wurde, "Kleiner Junge"
(Little Boy) genannt
wurde. Gleiches gilt für den Namen "El Niņo" ("kleiner Junge" auf Spanisch) für
das von ihm bezeichnete klimatische Phnomen.