Schenken und Liebe
Ich denke, dass der englische Ausdruck carnal
knowledge (carnal = körperlich, knowledge = Wissen – Anm. d. übers.)
für Geschlechtsverkehr gut gewhlt ist. Ein großer Teil unserer Erfahrung von
Liebe und Sex hat damit zu tun, die andere Person nicht nur spirituell, sondern
auch körperlich kennen zu lernen und wahrzunehmen – gemß dem Saatkorn
des Schenkens und Empfangens. Dieses Wissen impliziert ein Ausgerichtet-Sein
auf die andere Person, die zum Teil die Grundlage für die – aus der Liebesliteratur
sehr bekannte – Erfahrung ist, "sein Selbst zu verlieren". In einer
Gesellschaft, die nach dem Muster des Tauschprinzips aufgebaut ist, haben viele
von uns jedoch gelernt, nicht auf Andere ausgerichtet zu sein. Liebe kann somit
zu einer überwltigenden Erfahrung werden, zu einer Erforschung der
Schenkökonomie, einer Möglichkeit, die Welt neu wahrzunehmen und eine menschliche
Gemeinschaft – wenn auch nur von Zweien – zu schaffen.
In der Liebesbeziehung verbinden wir uns gemß des
Schenkens. So wie Adam die Geschöpfe Edens benannte und mit Eva über sie sprach,
so werden wir der spezifischen wie allgemeinen Charakteristika der geliebten
Person bewusst, aber auch des Bewusstseins, dass sie von sich selbst haben. Die
Liebe verndert unsere individuellen Einstellungen des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins,
zumindest für den Augenblick. Wir beginnen, einander zu brauchen, und wir
wollen einander schenken. Ja wir beginnen sogar, das Bedürfnis der anderen
Person nach uns zu brauchen, danach, dass wir ihr schenken. Damit verbinden wir
uns mit ihren Begierden. Vielleicht ist es der auf Andere ausgerichtete Aspekt
der Liebe, der uns in dieser Gesellschaft, in der wir leben, dazu bringt, über
sie zu singen, zu reden und uns so sehr nach ihr zu sehnen. Selbst PredigerInnen
und FriedensaktivistInnen sagen: "Liebe ist der Weg!" Die einzigen, die das
nicht tun, sind ökonomen. (Und Therapeuten, die sich um co-dependency Sorgen machen).
Es gibt einen Teil unseren Verstandes (unseres wirklichen Verstandes), der uns sagt, was wir
tun sollen. Er verwendet dazu oft die Beziehungen, in denen wir uns befinden. Ich
denke, es ist für diesen Teil des Verstandes schwierig, allgemeine Bedeutung zu
erhalten. Ich brauchte eine Zeit, um zu erkennen, dass es sich dabei wirklich
um ökonomie handelt. Was uns unser Verstand sagt, ist: "Schenke! ndere das
Ego! Sorge für die andere Person im überfluss!" Freud und Autorinnen wie Nancy
Friday, die fanden, dass wir in den Beziehungen, die wir mit Mnnern eingehen,
nach unseren Müttern suchen, haben das Lodern der Schenkökonomie gesehen, das
für die meisten unsichtbar geworden ist.
Tatschlich kann die Liebesbeziehung einen Mann
dazu bringen, auf eine fürsorglichere Weise zu handeln, als er das je zuvor
getan hat. Sie kann ihn dazu bringen, sein Ego beiseite zu schieben und wie
eine Mutter ihrem Kind gegenüber zu handeln ("I love you, Baby!"), insbesondere
wenn die Mutter es auch gewöhnt war, in der Tauschökonomie zu leben und ihre
Werte angenommen hat. Das Gefühl des Glücks, das von reziproker Fürsorge in der
Liebesbeziehung kommt (die auf dem Rollenwechsel und nicht auf dem Tausch beruht),
ist die Erfahrung der Schenkökonomie zwischen Erwachsenen. Diese Erfahrung wird
weiter bestrkt von der Tatsache, dass die Liebesbeziehung eine Gemeinschaft von
Zweien ist, da in den ökonomien unserer meisten gegenwrtigen Gemeinschaften
die Fürsorge keine Rolle spielt. Es mag so aussehen, als würde die
Liebesbeziehung einen Ort des Glücks in einer verrückt gewordenen Welt bilden
– und sie tut es.
Doch auch die Gemeinschaft der Zweien wird bald
von ihrer feindseligen Umwelt gendert und ihr Fortbestehen wird bedroht. Wie
eine tropische Blume, die in einem nördlichen Klima wchst, braucht sie zum
überleben spezielle Bedingungen, harte Arbeit, Aufmerksamkeit, Schutz –
all dies kann Gefühle der Wrme und des überflusses bald verdrngen, sodass die
zarte Pflanze zu fühlen beginnt, dass sie wirklich am falschen Ort ist. Dies
passiert auch mit der Liebe. Doch dies ist nicht ihre Schuld, sondern jene des allgemeinen
Mangels an Liebe bzw. des allgemeinen Mangels überhaupt. Je mehr vom Mangel
geschaffenes Elend es in der Welt gibt, desto feindseliger werden die
Bedingungen für die Liebesbeziehung in ihrer Mitte.
Die Liebenden werden dazu gezwungen, sich an
die ökonomische Bedingungen anzupassen. Gewöhnlich teilen sie die Arbeit nach heterosexuellen
Mustern auf: der Mann tritt zur Gnze in die Tauschökonomie ein, whrend die
Frau fürsorglich ist (selbst wenn auch sie in die Tauschökonomie involviert ist).
Ihre Egos verndern sich entsprechend. Frauen geben uns nach wie vor unser
größtes Geschenk, indem sie Kinder auf die Welt bringen und sie in das
Schenkprinzip einführen. Die völlige Abhngigkeit der Kinder erfordert dies. Den
in der Tauschökonomie konkurrierenden Mnnern fehlt der Rettungsanker der
Kinder bzw. der Notwendigkeit, sie versorgen zu müssen, um sich wenigstens zum
Teil psychologisch vom Tauschprinzip abgrenzen zu können. Die Anteilnahme an
der Tauschökonomie scheint die einzige überlebensmöglichkeit für sie und ihre
Familie zu sein. Auch die Frauen glauben dies oft und beginnen daher, in ihren
Partnern (und manchmal in sich selbst) jene Charakteristika zu strken, die
ihnen helfen, in der Tauschökonomie erfolgreich zu sein. Die Liebe und Fürsorge
wird bis zu einer passenderen Zeit aufgeschoben. Schlussendlich mag die Erfahrung
der Liebe sogar als kindisch erscheinen, als "Illusion". Der vermeintlich
kindische Charakter kommt dabei freilich daher, dass die Beziehung zwischen
Mutter und Kind die einzige merkliche Erfahrung der Schenkökonomie ist, die die
meisten von uns je erlebt haben.
Das Schenken, umgeben vom Tausch
Frauen erfüllen oft sowohl Schenk- als auch
Tauschrollen. Im Rahmen der Tauschökonomie bekommen sie für ihre Arbeit weniger
bezahlt als Mnner. Dies nicht nur deshalb, damit ihre Unterlegenheit und die
des Schenkprinzips demonstriert wird, sondern auch damit sie weiterhin von
ihrem Mann ökonomisch abhngig bleiben. Das Geld, das sie von ihrem Mann
bekommen, scheint eine Art Entlohnung für ihre Fürsorge zu sein. Mit anderen
Worten, die Fürsorge, die die Frau sowohl ihrem Mann als auch ihrer Kindern
zukommen lsst, soll durch das Geld des Mannes kompensiert werden. Damit wird
die Fürsorge dem Tauschprinzip einverleibt, von ihm eingenommen und beinahe selbst
zu einem Tausch verkehrt. Das Geld, das die Frauen erhalten, ist jedoch in den
seltensten Fllen genug, um wirklich die materiellen Mittel zur Fürsorge der
Familie sicherstellen zu können. Im Rahmen des Mangels scheint die freie Arbeit
der Frauen eine Art Sklaverei zu sein – und manchmal ist sie es wirklich.
Es wird uns erklrt, dass das Gegenteil der Sklaverei die Lohnarbeit ist. Doch
das wirkliche Gegenteil der Sklaverei ist das Schenken in einer Gesellschaft
des überflusses.
Heute ist die Möglichkeit, überfluss zu
schenken, nur eine Möglichkeit für reiche Menschen. Meist für Menschen in
Familien, in denen der Mann in der Tauschökonomie Geld verdient und die nicht
direkt in die Tauschökonomie eingebundene Frau Zeit hat, Fürsorge auf einer gesellschaftlichen
Ebene zu praktizieren. Sie mag Voluntrsarbeit leisten oder Geld spenden
– auch ihr Mann mag das tun. Doch Wohlttigkeit dieser Art unterminiert
den Status quo nicht. Sie erleichtert es, Probleme auszuhalten, ohne deren
Ursachen zu ndern. Außerdem verstrkt Wohlttigkeit im Rahmen
patriarchal-kapitalistischer Logik nur den Eindruck, dass es zum Tauschmodus
keine Alternative gibt – ja dass das Schenken vom Tauschen abhngig ist.
Wohlttigkeit besttigt den Tauschmodus also,
indem sie ihn als Voraussetzung sieht. Selbst die erfolgreichen Beispiele des cause-related
marketing[1] tragen diesen Fehler in sich. Was
gendert werden muss, ist das gesamte System. Wir müssen das Schenkprinzip für
alle richtungsweisend werden lassen – und wir müssen dies durch das Schenken
tun.
Whrend es für uns psychologisch gut ist, andere
im überfluss zu versorgen, kann das Schenken im Rahmen des Mangels als ungewöhnlich
erscheinen, sogar als Geste "Heiliger". Dies kann dazu führen, dass geschenkt
wird, um das eigene Ego zu befriedigen. Den Beschenkten kommt dann weder
Respekt noch Wert zu. Dies entmenschlicht die Handlungen der Schenkenden und
der Empfangenden. Bedürfnisbefriedigung darf nicht die Muster von Haben und
Nicht-Haben reproduzieren, von "höheren" und "niedrigeren" Menschen. Bedürfnisbefriedigung
ist Teil eines menschenwürdigen Lebens. Etwas, das sowohl die Personalitt wie
das materielle Wohlbefinden der Schenkenden und der Beschenkten pflegt. Etwas, das
von der Demütigung und der Egomanie des Tauschprinzips befreit. Bedürfnisbefriedigung
bedeutet Gemeinschaftlichkeit.
Die Art, auf die in unserer Gesellschaft Arbeit
organisiert ist, verhindert die Entfaltung des Schenkmodus und der Schenkmentalitt.
Güter und Dienste werden für den Tausch produziert und ihr Wert wird – wie
jener der Menschen selbst – monetr gemessen. Mit anderen
Beziehungsformen experimentieren, können wir höchstens in unseren persönlichen
Beziehungen. Dort können wir anderen schenken. Die Bedürfnisse anderer bleiben
schließlich immer spürbar. Verhungernde Menschen starren uns von
Fernsehbildschirmen an. Obdachlose schlafen frierend in Hauseingngen.
Es gibt einen zynischen, aber wahren Gedanken
in Bezug auf das Schenken: "Wenn ich alles, was ich habe, einer anderen Person
gebe, wird diese bloß genauso ego-orientiert, wie ich es jetzt bin." Solange
das Tauschprinzip vorherrscht, werden tatschlich immer irgendwelche haves die have-nots unterdrücken – dies hat mit
der Logik des Systems zu tun, nicht mit der persönlichen Identitt der haves. Wenn eine Person, die etwas mehr
auf Andere ausgerichtet ist als gewöhnlich, einer anderen Person ihr Geld gibt,
mag dies tatschlich dazu führen, dass diese Person schlicht ego-orientierter
wird und sich die Rollen gewissermaßen nur vertauschen.
Das Geheimnis bleibt zu schenken, um das System
zu ndern und das Schenkprinzip zu besttigen. Jede bedürfnisbefriedigende Handlung,
die im Bewusstsein dieses Prinzips vollzogen wird, hilft dabei.
Sexuelles Schenken
Ich denke, dass wir versuchen, kommunikatives
Schenken auch in unseren Liebesbeziehungen zu praktizieren. Etwa durch
Promiskuitt. Auch wenn wir aufgrund des Mangels, in dem wir leben, materiell
nicht schenken können oder überzeugt wurden, dass materielles Schenken unserem
Wohl nicht zutrglich ist, regt uns unser Unbewusstes immer noch dazu an zu schenken
und wir tun dies sexuell. Diese Form des Schenkens erlaubt es uns, die
Emotionen des Schenkens und Empfangens auf unserer Haut zu spüren. Es erlaubt
uns, etwas für jemand anderen zu tun bzw. das Bedürfnis einer anderen Person zu
befriedigen, ohne Güter vermitteln zu müssen. In der Tat wird es oft als
peinlich empfunden, wenn sexuelles Schenken mit einem Austausch von Gütern oder
Geld verbunden wird. Die meisten von uns denken, dass sexuelles Schenken und
Empfangen eine normale Begierde sei. Promiskuitt erlaubt es uns, mehreren
Person auf dieser Ebene zu schenken, auch wenn uns der Mangel nicht erlaubt,
ihnen materiell zu schenken.
Wir erleben die Probleme unserer Gesellschaft
in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. Zum Beispiel schenken Frauen ihren
Kindern oft zuviel oder sie schenken gewaltttigen Ehemnnern. Ich denke, dass das
Problem darin liegt, dass wir einerseits unbewusst realisieren, dass das
Schenken der Weg zur Lösung unserer Probleme ist, dass wir andererseits jedoch
nicht verstehen., wann und wo wie geschenkt werden soll. Auch verstehen wir
nicht, dass es schwierig ist, angemessen zu schenken, solange das Schenkprinzip
das Tauschprinzip nicht allgemein als das soziale und gesellschaftliche
Paradigma abgelöst hat. Ich denke, dass es gegenwrtig eine Verwechslung zwischen
materieller Fürsorge und Liebe gibt. Dies führt dazu, dass wir meinen, Menschen
zu lieben, jedes Mal, wenn wir versuchen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Jede
Bedürfnisbefriedigung scheint dann ein Ausdruck von Liebe zu sein, selbst wenn es
das Bedürfnis eines Gewalttters ist, uns weh zu tun.
Aber vielleicht ist der Grund für dieses
Missverstndnis auch die Verwechslung zwischen dem
Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein, wie es sich im Sex und in der Liebe ausdrückt,
und dem materiellen Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein, wie es sich in der Praxis
angemessenen Schenkens ausdrückt. Wir könnten damit beginnen, dieses jetzt
gleich zu praktizieren, wenn wir nur unsere Zeit, unser Geld und unsere Energie
dafür aufwenden könnten, die Strukturen der Unterdrückung zu ndern. Wenn wir uns
vom Schenkprinzip leiten lassen, dann wird die gesamte Gesellschaft auf Andere und
auf gegenseitige Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet, sodass wir den Ruf der
Bedürfnisse anderer immer vernehmen werden.
In diesem Falle würden sich auch unsere
Bedürfnisse selbst verndern, inklusive die unserer Liebesbeziehungen. Wenn wir
beginnen würden, die Bedürfnisse aller Menschen zu berücksichtigen, dann
könnten wir auch die Bedürfnisse unserer Geliebten besser befriedigen. Wenn wir
ihnen auf verschiedenen Ebenen schenken können, dann wren wir für
"bedeutungsvolle" Kommunikation nicht vom Sex abhngig. Ein wirklich
bedeutungsvolles Leben ist eines, indem wir einander durch Schenken und Empfangen
Wert zuschreiben – und in dem diesem Prozess selbst Wert zugeschrieben
wird.
Gegenwrtig sind wir in unseren Beziehungen
deshalb so voneinander abhngig, da sie der einzige Ort sind, an dem die
meisten von uns wenigstens in irgendeiner Form schenken und empfangen können,
selbst wenn dies keine perfekte Form ist. Wir empfinden unser Beziehungsleben
deshalb oft als den "menschlichsten" Teil unseres Existenz und klammern uns an
ihn. Eine Beziehung zu verlieren, wird zur Bedrohung unserer Menschlichkeit. In
diesem Sinne bildet das sexuelle Schenken und Empfangen, das verschiedene
Bedürfnisse in unserem Körper schafft und befriedigt, eine Gemeinschaft, die
schwer aufzugeben ist.
Unser Selbst entwickelt sich in dieser
Gemeinschaft auf hnliche Weise, wie es sich in unseren Familien entwickelte, als
wir als Individuen unterschieden und kategorisiert wurden. Das maskulisierte
bzw. auf dem Tausch beruhende Ego neigt immer dazu, ausschließend, feindselig
und Intimitt verleugnend zu sein. Es ist immer bereit, andere zur Besttigung
der eigenen Größe und Wichtigkeit auszunutzen. Nachdem vor allem Mnner so
sozialisiert werden, erlaubt ihnen dies oft die Zerstörung der sexuellen
Gemeinschaft. Verführen und Verlassen ("love 'em and leave 'em") ist der Ausdruck dieser
machistischen Störung – manchmal selbst, wenn es Frauen sind, die dies
tun. Der in der Konkurrenz der Tauschökonomie ausgebildete Herrschaftswunsch
kann sich in persönlichen Beziehungen in Form von physischer Gewalt, psychischem
Terror oder sozialem Ausschluss manifestieren.
Das Versorgen des Wettbewerbs
Das Schenk- und das Tauschprinzip funktionieren
Seite an Seite und stellen zwei unterschiedliche Rahmen dar, in denen sich
unser Leben ereignet. Was in einem Rahmen als adquat gilt, gilt im anderen als
zerstörerisch. Die Sache verkompliziert sich, wenn der Tauschrahmen mit seinem
Diktum des "überlebens des Strkeren" als Unterstützung für den
familir-fürsorglichen Rahmen gesehen wird. Dies führt zu Vorstellungen wie
jenen, dass es die Familien der Strksten sind, die in der Tauschökonomie
überleben werden. Dies ist jedoch eine Illusion, da der tauschökonomische
Rahmen fürsorgliches Verhalten nie stützen kann, sondern es stattdessen
permanent bedroht. Es ist die Fürsorge, die den Tausch erhlt – nicht umgekehrt!
Ohne Fürsorge gbe es keinen Tausch, da der Tauschmodus die Geschenke der
Fürsorge braucht, um existieren zu können.
Auch Tauschende (Konkurrierende) selbst gbe es
ohne die Fürsorge nicht. Oft ist es sogar die individuell erfahrene Fürsorge,
die darüber entscheidet, wer sich in den Konkurrenzkmpfen der Tauschökonomie
durchsetzt und wer nicht. Insofern beruhen auch die Belohnungen, die die in der
Tauschökonomie Erfolgreichen erhalten, auf der Fürsorge, die ihnen zuteil wird.
Oft beinhalten diese Belohnungen diejenigen, die die Fürsorge leisten, selbst. Sowohl
schöne und sexuell begehrenswerte Frauen als auch so genannte "gute Ehefrauen"
werden oft als Preise erfolgreicher Mnner gesehen.
Auf der individuellen Ebene nehmen wir diese
Verbindungen zwischen Tausch- und Schenkprinzip nicht wahr und unser Handeln
scheint persönlich und willkürlich zu sein. Wenn wir allerdings den
gesellschaftlichen Kontext betrachten, dann können wir sehen, wie die beiden
Prinzipien miteinander verbunden sind und wie sie sich ergnzen. Doch ist es vorteilhaft
für die dem Tauschprinzip verhafteten Privilegierten, wenn diese
gesellschaftliche Ebene nicht betrachtet wird. Schließlich würde dies den
unterprivilegierten Fürsorgeleistenden unter Umstnden erlauben, zu Bewusstsein
zu gelangen und sich zu befreien. Die Privilegierten versuchen vielmehr –
wie viele Parasiten – sich mimetisch den Anschein zu geben, selbst die
Fürsorgenden zu sein.
Wertakzente
Die beiden Prinzipien werden auch deshalb
unterschieden, da die Fhigkeit der Definition und ihrer Reproduktionen –
das Messen und Einschtzen von Wert, das Vermitteln von Privateigentum durch
Ersetzung, das Etablieren von quivalenzen – post hoc als Aufgabenbereich der
Maskulisierung gesehen werden. Von Frauen wiederum heißt es, dass sie der
Erfahrung verhaftet sind, wobei Erfahrung dem Schenkmodus zugerechnet wird. Dies
auch nicht zu unrecht. Schließlich sind unsere Wahrnehmungen und Erfahrungen
frei, im Sinne dessen, dass sie uns geschenkt werden. Obwohl wir manchmal
selbst initiativ werden müssen, um eine bestimmte Erfahrung zu machen (zum
Beispiel müssen wir aus dem Haus gehen, um die Sonne sehen zu können), gibt es
immer etwas Gegenwrtiges, das erfahren wird. Unser Weltbild und unsere
Bedürfnisse bestimmen, welcher dieser Wahrnehmungen wir besondere Bedeutung
schenken, auf welche Gegebenheiten wir uns konzentrieren. Unser Weltbild hngt dabei
zu einem großen Teil von vergangenen Erfahrungen und dem Grad unserer
jeweiligen Involviertheit in den Tausch- oder den Schenkmodus ab, sowie von Wertakzenten,
die von Sprache und Kultur vermittelt werden.
Frauen werden von Mnnern der Seite des Lebens
zugeschrieben, auf die in ihrer Zuschreibung auch Wahrnehmung, Körperlichkeit
und Emotionalitt fallen. Nachdem wir so identifiziert wurden, verfügen Mnner
über uns und machen uns zu einem Mittel, über das sie kommunizieren können. Ich
habe davon gesprochen, dass sich Frauen auf der Seite des Schattens befinden,
der Seite der Mater(ie) und der Vielen. Hier liegt die Grenze der Schenkökonomie
– genauso wie die Sprache die Grenze der Tauschökonomie ist.
Die Seite der Mater(ie) und der Vielen geht
jedoch verloren, da wir uns nur auf die Sprache konzentrieren. Hinter der
Sprache und dem empirisch Gegebenen liegt die unbezahlte Arbeit der Jahrhunderte.
Diese wurde von Frauen getan, die die Aufrechterhaltung und Vermittlung sowohl
der materiellen wie der kulturellen Güter der Gesellschaft gewhrleisteten. All
diese Geschenke der Vergangenheit bestimmen, worauf sich unsere heutige
Erfahrung konzentriert – das heißt, welche Teile unserer Kultur wir
bestehen lassen, wie wir unsere Welt gestalten, usw. Sogar uns selbst können
wir als Geschenke sehen, da auch wir von anderen kommen. Im gleichen Sinne
wren unsere Kinder Geschenke an die kommenden Generationen. Unsere auf Andere
ausgerichteten Egos sind weniger selbsthnlich als die Egos maskulisierter Einer.
Sie sind transparenter und gehen direkter auf andere zu. Sie filtern ihre
sozialen Wahrnehmungen nicht. Wir sind die Kinder, die sich unserer Mütter
erinnern. (Und die Mütter, die sich ihrer Kinder erinnern – und von
diesen erinnert werden).
Unsere "mnnlichen" und "weiblichen" Seiten
sind – zumindest in der ausgeprgten Form, in der sie uns in den westlichen
Gesellschaften erscheinen – eine Reflexion der Opposition von
maskulisiertem Tauschego bzw. der Tauschökonomie auf der einen Seite und einem
auf Andere ausgerichteten Selbst bzw. der Schenkökonomie auf der anderen.
Nachdem die beiden ökonomien in der Gesellschaft Seite an Seite bestehen,
können auch beide Egostrukturen gleichzeitig internalisiert werden. Dies
schafft eine Art hybride Persönlichkeit, die – auch wenn sie Aspekte
einer Vermittlung und Vorteile von beiden Seiten beinhalten mag – in
zahlreichen Paradoxa gefangen ist. Zum einen konzentriert sich die schenkende
Seite in uns auf Bedürfnisse und vermag starke Emotionen zu erwecken –
auf der anderen geht es dem maskulisierten Ego in uns um Unabhngigkeit und
Herrschaft. Dies kann sich weder innerlich noch ußerlich vertragen.
Das maskulisierte Ego (und sein Denken) ist auf
Vorteile für sich selbst und seine Familie bedacht. Ihm geht es um seine eigene
Ausdehnung. Es sieht seine Erfahrung als objektiv – ohne Dimension des
Schenkens, ohne Verantwortung seiner natürlichen wie kulturellen Umwelt und
ihrer Bewahrung gegenüber. Dementsprechend nimmt es die Bedürfnisse anderer
kaum wahr und verbindet nichts mit ihnen – dies gilt vom nicht gemachten
Bett über das hungrige Kind zum Atommülllager. Das maskulisierte Ego schenkt
seine Aufmerksamkeit der Sprache, Bürokratie und sozialen wie materiellen
Mitteln, die es dazu verwenden kann, andere zu beherrschen bzw. ihnen zu
befehlen, ihm zu schenken. Es ignoriert sogar seine eigenen Bedürfnisse, die daher
von anderen befriedigt werden müssen – wie im Stereotyp des "lebensunfhigen",
"weltfremden" Professors. Wenn es keine anderen gibt, die uns schenken können,
kümmert sich die schenkende Seite in uns ausschließlich um uns selbst bzw.
unser Ego. Die Folge ist, dass gar keine Teile unserer Persönlichkeit mehr auf
Andere ausgerichtet sein können und wir immer noch selbstzentrierter werden.
Das Selbst der meisten Frauen ist immer zum
Teil auf Andere ausgerichtet, da sie als fürsorgliche und schenkende Wesen
sozialisiert wurden. Dies ndert sich auch durch den Eintritt in die Tauschökonomie
nicht. Vielleicht ist dies die Erklrung für die Popularitt von "Ich-zuerst!-Therapien" unter Frauen. Von co-dependency-Selbsthilfegruppen zu
Selbstbewusstseinstrainings lehrt uns die Gesellschaft des Tausches, uns selbst
an die erste Stelle zu setzen. Glücklicherweise sind diese Therapien selten zur
Gnze erfolgreich und wir Frauen können uns das Schenken als einen Teil unseres
Selbst bewahren. Es mag dem Status quo opportun erscheinen, gegen das Schenken
und seine Ideale und Ideen aufzutreten und für seine Auslöschung zu pldieren,
aber in Wirklichkeit würde die Tauschökonomie dadurch zerstört werden.
Es gibt natürlich pathologische Flle des
Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins, aber die Ego-Orientiertheit ist viel pathologischer.
Sie schadet dem Leben des Planeten in all seinen Variationen – auch wenn
sie als ein Modell der Gesundheit gepriesen wird. Niemand von uns versteht, in
welcher Form wir an diesen schdlichen Prozessen teilhaben, da wir das Schenken
nicht als eine Alternative zum Tausch begreifen. Doch es muss darum gehen,
diese beiden Modelle vergleichbar zu machen – und nicht die Geschlechter
gleich.
Die Gleichheit, die von der Maskulisierung und
dem Tausch kommt, ist eine Gleichheit der Quantifizierung – eine
quantifizierte Gleichheit. Das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein betont qualitative
Vielfalt. Die Schenkökonomie strkt individuelle Eigenheiten mehr, da sie diese
nicht an einem uniformen quantitativen Standard misst. Wenn wir uns wirklich
der Schenkökonomie als Prinzip verpflichten – anstatt sie abzuwerten und
ihre Manifestationen zu dekontextualisieren – wird uns das auch dazu
dienen, das Tauschprinzip wirklich verstehen zu können. Behauptungen wie:
"Frauen sind so gut wie Mnner", könnten dann als Meta-Behauptungen gelesen
werden, die sagen: "Das Schenkprinzip ist so gut wie (oder besser als) das
Tauschprinzip."
Urteile
Unter die Charakteristika des Tauschprinzips fllt
das Urteil: die Macht, jemanden kategorisieren zu können. Der Tradition der
Heirat entsprechend, der zufolge Frauen den Namen ihres Ehemannes annehmen,
werden auch die Handlungen und Begierden von Frauen von Mnnern mit Namen
belegt: sie werden als "gut" oder "schlecht" beurteilt, als "angemessen" oder "unangemessen",
usw. Wir Frauen akzeptieren diese Urteile aufgrund unserer (sich ansonsten
positiv auswirkenden) Ausgerichtetheit auf Andere. Es fllt uns nicht leicht,
unsere eigenen Qualitten zu beurteilen (auch wenn unser eigenes
internalisiertes Ego das eigentlich für uns tun könnte). Fragen wie: "Bin ich
intelligent?", "Bin ich schön?", "Bin ich gut?" können zu unendlichen Martern
werden. Auch dies kann zur Ego-Orientiertheit führen, die schließlich selbst
die Form unseres Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins bestimmen mag. Unsere Fhigkeit,
uns selbst durch die Augen anderer zu sehen, erlaubt uns, deren Definition zu
verinnerlichen und uns selbst auf die gleiche Weise zu beurteilen.
Wenn wir diese Definition dann ausleben, werden
wir zum Definiens eines mnnlichen, auf uns selbst bezogenen Definiendums. Wir
heischen um seine Anerkennung; um das Verdienen seines positiven Urteils. Wir
verwechseln Bescheidenheit mit der Abwertung unseres Selbst und erlauben
Stereotypen die Rolle von self-fulfilling prophecies anzunehmen. Auch die Trennungen
zwischen Wort und Ding oder Geist und Körper werden von uns verinnerlicht,
selbst wenn wir diese Trennungen heute, als Teilhabende an der Tauschökonomie, vielleicht
etwas anders leben. Doch haben Frauen zum Beispiel die Linguistik aufgegeben,
wie sie die Mathematik oder die Finanzwissenschaften aufgegeben haben, da sie
diese als mnnliche Domnen und nicht als ihre sahen. Dies zeigt, dass es
selbst heute vielen Frauen darum geht, unsere eigene positive Beurteilung über
das Messen an einem mnnlichen Standard zu verdienen – einem Standard,
der von maskulisierten Egos für Schenkende geschaffen wurde.
Ein Grundsatz des Schenkens ist, dass es nicht für
Belohnung getan wird. Wenn wir also danach streben, von anderen beurteilt zu
werden – oder auch, wenn wir uns selbst als "gut" oder "schön" beurteilen
– dann befinden wir uns an der Grenze zum Tauschprinzip. Wenn wir jedoch
von anderen abseits von mnnlichen Standards gelobt oder bestrkt werden, mag
dies durchaus ein Geschenk sein, das wir mit Dankbarkeit empfangen können.
Natürlich können uns Urteile wie "gut" oder "schön" auch geschenkt werden, wenn
wir nicht danach gestrebt haben. In der Regel tun wir dies jedoch, da es uns
schwer fllt, innerlich ganz dem Schenkprinzip verbunden zu bleiben. Wir
streben nach diesen Urteilen von anderen, da es für uns schwierig ist, die
Schenklogik in uns selbst aufrechtzuerhalten. Sind jedoch unsere eigenen
Standards einmal manipuliert, entwickelt der Versuch, ihnen zu entsprechen,
eine Dynamik, im Zuge derer wir uns immer mehr selbst manipulieren.
Vielleicht könnte uns die Selbstkritik, in der
viele von uns schwelgen, erlauben, wieder eigene Standards zu etablieren, die
dem Schenkprinzip entsprechen. Wir könnten uns eher für etwas, das wir falsch
gemacht haben, kritisieren, als darauf abzuzielen, uns selbst als "gut" zu
beurteilen. Dies könnte zur Folge haben, dass wir unser Handeln nicht mehr so
sehr von Belohnungen abhngig machen. Egotrips und maskulisiertes Verhalten
könnten so vermieden werden und es könnte uns vielleicht gelingen, weiter dem
Schenkprinzip zu folgen. Letzten Endes ist die Frage, welchem Prinzip wir
folgen, wahrscheinlich weniger eine Frage von Manipulation oder
Selbstbehauptung, sondern davon, wie wir uns in unzhligen verschiedenen
Situationen verhalten. Welchem Prinzip unser Verhalten entspricht, zeigt sich
in seinen Konsequenzen.
Wenn wir es brauchen, gebraucht zu werden
Wenn wir Frauen versuchen, unsere Attraktivitt
für Mnner zu steigern, geht es darum, dass sie uns Aufmerksamkeit schenken,
unsere Geschenke verwenden und uns das Geschenk ihres positiven Urteils zuteil
werden lassen. Die Drohung der "alten Jungfer" als einer Frau, die "nicht gut
genug" war, hngt als Damoklesschwert über uns. Das heißt, dass wir das
Bedürfnis anderer brauchen, da wir nur durch die Bedürfnisbefriedigung das
erfüllen können, was von uns erwartet wird: nmlich zu schenken, und zwar
sowohl Güter wie Dienste als auch uns selbst. Whrend das Bedürftig-Sein also
einerseits als ein Von-Anderen-Abhngig-Sein in unserer Gesellschaft abgewertet
wird, ist es andererseits ein wesentlicher Aspekt der Widersprüche, die von der
Koexistenz des Schenkens und Tauschens geschaffen werden.
"übermütter" kümmern sich manchmal zu lange um
ihre Kinder. Sie tun dies, weil sie ein Bedürfnis danach haben, von ihren
Kindern gebraucht zu werden. Dieses Bedürfnis rührt wiederum daher, dass ihr
Schenken in der Familie gefangen bleibt. Es ist ihnen nicht möglich,
Bedürfnisse außerhalb der Familie zu befriedigen. Sie können ihr Schenken nicht
darüber ausdehnen, dass sie sich zum Beispiel für soziale Vernderung einsetzen.
Paradoxerweise gibt es in einer Situation des Mangels auch einen Mangel an
Bedürfnissen, die auf sozial akzeptierte und bedeutungsvolle Weise befriedigt
werden können. Wenn die Schenkökonomie die Norm wre, würden hingegen alle der
Hilfe anderer bedürfen.
In einer Schenkökonomie würde das Schenkprinzip
und die mit ihm verbundenen Persönlichkeitsstrukturen durch unser alltgliches
Handeln unentwegt besttigt werden. Allen Menschen stünden alle Möglichkeiten
offen, ihre Fhigkeiten und Energien zur Befriedigung der Bedürfnisse anderer
einzusetzen. Auch die Güter könnten frei fließen. Schenken und Empfangen würde
nicht mehr lnger als erniedrigend gelten, sondern als normal. Die Erde zieht
uns zu ihr hin, das Wasser rinnt abwrts, der Wind bewegt sich gemß
atmosphrischen Drucks. Es gibt auch eine Schwerkraft und einen Druck in den
menschlichen Beziehungen und dies muss respektiert werden. Der Tausch arbeitet
wie ein Stausystem, das Wasser dazu bringt, aufwrts zu rinnen, weg von den
Bedürfnissen und hin zu jenen, die ohnehin bereits mehr als genug haben. Unser
Altruismus wird manipuliert und auf seinen eigenen Kopf gestellt. Wir müssen uns
dagegen wehren und dem Wasser erlauben, dorthin zu fließen, wohin zu fließen es
ursprünglich bestimmt war.
Leider lsst sich der Fluss jedoch sogar in
unseren persönlichen Beziehungen manipulieren. Dies mag damit beginnen, dass
wir voraussetzen, dass die Aufgabe einer anderen Person die ist, uns zu
versorgen, und dass wir diese Fürsorge verdienen. Wir setzen diese Beziehung
als "natürliche" fest und bestehen auf sie. Wenn die andere Person nicht bereit
ist, ihre Rolle zu spielen, zwingen wir sie dazu. Es ist furchtbar einfach innerhalb
der Tauschökonomie in diese Logik zu verfallen. Schließlich ist dies, was in
ihr als "normal" gilt. Wenn wir in der Schenkökonomie leben würden, würden wir nicht
nur die Bedürfnisse anderer wahrnehmen, beachten und befriedigen, sondern wir
könnten auch darauf vertrauen, dass andere unsere Bedürfnisse befriedigen
werden. Für eine maskulisierte Egostruktur gbe es keine Notwendigkeit.
Das berechtigte Vertrauen darauf, dass unsere
Bedürfnisse von anderen befriedigt werden, würde auch eine viel größere
Transparenz unseres Alltags und seiner Erfahrungen erlauben. Es würde viel
weniger Angst, Intoleranz und Hass geben, da wir uns nicht andauernd
verteidigen müssten: gegen Gewalt, Vernachlssigung, Manipulation. Gleichzeitig
würden wir das schlechte Gewissen verlieren, das oft damit kommt, anderen diese
Dinge anzutun, um selbst überleben zu können. Mit anderen Worten, der
natürliche Fluss unseres Mitgefühls würde nicht mehr lnger blockiert. Auch
unsere Angst, unser Selbstmitleid (die Ego-Orientiertheit des Mitgefühls) und unser
Schmerz würden verschwinden. Es gbe Klarheit.
Ich möchte hier noch einmal betonen, dass ich
nicht denke, dass irgendjemand für die gegenwrtigen Bedingungen persönliche
Schuld trgt, die ego-orientierten Personen eingeschlossen. Es ist das
patriarchale System, das diese Bedingungen schafft. Darüber hinaus sind
Begriffe wie Schuld und Büße Begriffe, die vom Tausch kommen und daher das Tauschprinzip
besttigen, selbst wenn sie vermeintlich gegen dieses angewendet werden. Was
geschehen muss, ist, dass die selbsthnlichen sozialen Strukturen, die die
Herrschaft des maskulisierten Egos aufrechterhalten, als künstlich und
lebensfeindlich erkannt werden. Wir müssen begreifen, dass die Maskulisierung
und ihre Projektionen sowohl für die Gesellschaft als auch das Individuum
schdlich sind – aber auch, dass sie verndert werden können. Wenn wir
die Bedürfnisse einer Person befriedigen, die ein maskulisiertes Ego besitzt (oder
von einem solchen besessen wird), können wir oft merken, dass sie tatschlich ein
Bedürfnis danach hat, dieses Ego auseinander zu nehmen und neu
zusammenzusetzen. Es wird deutlich, dass der Mensch ohne dieses Ego glücklicher
wre und dass das Glück davon kommen würde, sich mit anderen in gegenseitiger
Bedürfnisbefriedigung zu verbinden.
Eine Gesellschaft, die das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein
für alle zulsst – und weder einem "inneren Anderen" noch einem externen
Herrscher erlaubt, es zu manipulieren – ist möglich. Es muss nur der
Maskulisierung ein Ende gesetzt werden und das Schenkprinzip das Tauschprinzip
ablösen. Dann könnten wir jenen Werten folgen, denen die meisten Frauen (und auch
manche Mnner) bereits seit langem folgen.
Geld und Moral
Die Monetarisierung der Arbeit reproduziert
nicht nur einige Aspekte der Definition (wie die Ersetzung oder die quivalenz),
sondern sie wird auch zum Maßstab, an dem der gesellschaftliche Wert einer
Person gemessen wird. Das Geld und der freie Markt machen uns glauben, dass der
dazu verwendete Standard für alle gleich und objektiv sei, was eine negative
Bewertung oder gar den Ausschluss aus der monetarisierten ökonomie umso
schlimmer macht. Nachdem die Gehlter von uns Frauen niedriger als jene der
Mnner sind, werden wir von Anfang an als für die Gesellschaft weniger definiert.
Der ökonomische Bewertungsprototyp reproduziert sich stndig in allen möglichen
Arten von gesellschaftlichen Urteilen und besttigt immer wieder die Macht der
Mnner über uns. Schließlich bewerten wir uns selbst anhand monetrer
Standards, die uns (und anderen) Attribute wie "gut", "gescheit", "effizient",
usw. zuschreiben.
Wie gesagt, der Standard, auf dem diese Urteile
beruhen, scheint objektiv zu sein. Er entspricht den quantitativen Bewertungen
des maskulisierten Egos. Wir sind eine Gesellschaft, die von solchen Bewertungen
besessen ist – dies zeigt sich von Schulnoten über das Zhlen von
Kalorien oder den Wetterbericht bis zu psychologischen Tests, deren Resultaten
wir erlauben, unser Verhalten zu beurteilen und zu bestimmen. Schließlich verinnerlichen
wir diese Logik. Unser Gewissen wird zur Kontrollinstanz unseres Handels. Die
negativen Effekte dieser Prozesse liegen auf der Hand. Es nimmt nicht Wunder,
dass ein enormer Markt für Ideologien und Therapien entstanden ist, die eine
Strkung unseres Selbstvertrauens versprechen.
Wenn wir uns Bewertungen unterwerfen, schenken
wir ihnen (und ihren Kriterien) Wert. Autoritre Erziehung, Moral und Religion sollen
sicherstellen, dass dies geschieht. Wenn wir uns diesen Bewertungen nicht
unterwerfen, wird es für andere schwieriger – vor allem psychologisch
– Herrschaft über uns auszuüben.
In unserem Streben nach Anerkennung wird eine Art
sekundres Tauschsystem geschaffen. Wir setzen unsere Handlungen der Bewertung
anderer aus und deren positives Urteil ist unsere Belohnung. Selbst das
Schenken geschieht dann oft mit diesem Hintergedanken. Wir sehnen uns nach
einem Urteil anderer, das und als "gut", "gescheit" oder "kompetent" besttigt.
Unsere Selbstidentitt baut auf solchen Urteilen auf.
Zu bewerten ("Urteile zu schenken") erlaubt
Menschen, Macht über andere auszuüben. Ein Grund, warum wir den Urteilen
anderer soviel Bedeutung beimessen, ist, dass sie dem monetren Urteil des
Lohns entsprechen, das wiederum dem monetren Urteil entspricht, das in der
Festlegung eines Preises für ein Produkt impliziert ist. Selbst unsere Liebesbeziehungen
folgen Mustern solcher bewertender Urteile. Jede von uns wird von ihrem
Liebhaber beurteilt, ausgewhlt als "bestes Produkt" unter vergleichbaren.
(ökonomen sprechen sogar vom "Heiratsmarkt".) All dies sollte nicht so sein. Die
unbewussten Archetypen des Tausches bestimmen unser Leben. Wir wren um vieles
glücklicher ohne sie.
Wie wir gesehen haben, kommt es selbst zur Internalisierung
des Bewertungsprozesses und wir legen uns selbst die gesellschaftlichen
Erwartungen, die an uns gestellt werden, auf. Wir beherrschen uns selbst. Wir
besttigen uns selbst als "gut", usw., und erfüllen somit die Aufgabe der
Moral, "richtiges Verhalten" sicherzustellen. Allerdings heißt im Rahmen
unserer Gesellschaft "richtig" nur "richtig im Sinne des Tausches".
Nachdem wir unfhig sind, existierende Probleme
wirklich zu lösen oder einen sozialen Paradigmenwechsel herbeizuführen, kann
die Moral – wie die Wohlttigkeit – vielleicht immer noch das Beste
aus einer unglücklichen Situation machen. Vielleicht werden manche Individuen
sogar psychisch gerettet, wenn sie sich wirklich darauf konzentrieren,
"richtig" anstatt "falsch" zu handeln. Doch bleibt auch eine solche Rettung
ego-orientiert. Das Tauschprinzip bleibt an seinem Platz.
Mitgefühl
Der Preis dafür, nicht für den Herrscher zu
sorgen, kann in physischer Gewalt bestehen. Das "Geschenk", für den Herrscher
zu sorgen, ist damit ein erzwungenes – wie das "Geschenk" der freien Arbeit
der SklavInnen. Menschen im Patriarchat leben seit Jahrhunderten mit dieser
Bedrohung. Die Vielen werden von den Einen bzw. den herrschenden Hierarchien
bestraft, wenn sie nicht kooperieren wollen – und erst recht, wenn sie zu
rebellieren wagen. Gehorsam wird unter solchen Verhltnisse zur
überlebensstrategie.
In einer solchen Situation mag persönliche
Großzügigkeit wirklich als das einzige Mittel erscheinen, etwas gegen das
Leiden zu tun. Wenn Menschen jedoch nur auf einer individuellen Ebene schenken,
lassen sie das System als Ganzes unberührt. Wahrscheinlich würden viele dieser individuell
fürsorglichen Menschen das System gerne ndern. Doch sie sehen die
Zusammenhnge nicht oder denken, dass dies unmöglich sei.
Auf der Ebene der Familie ist viel an
individueller Fürsorge in die Bewegungen gegen husliche und sexuelle Gewalt geflossen.
Diese Bewegungen richten zwar unsere Aufmerksamkeit nicht direkt auf andere
Aspekte des Patriarchats – wie die Zerstörung der Natur oder den
Militarismus – doch sie konzentrieren sich auf einen wichtigen Bereich, praktizieren
die Werte der Fürsorge und sind organisiert. Andere Bewegungen – wie diejenigen
für Frieden, Naturschutz, ökonomische Gerechtigkeit oder die Befreiung
unterdrückter Völker – haben eine sozial weitere Perspektive, doch
verstehen sie oft nicht, dass das Problem das Patriarchat ist und die Lösung in
den Werten der Frauen liegt.
Selbst manche Regierungsvorschlge zur Lösung
sozialer Probleme mögen gute Absichten haben. Vielleicht haben sie kurzfristig
sogar Erfolg. Doch operieren sie auf der Grundlage des Tausches. Der Appell an
die individuelle Verantwortlichkeit als Mittel, die Zahl der
SozialhilfeempfngerInnen zu verringern und sie stattdessen in den Markt zu
integrieren, ist zum Beispiel eine vermeintliche Lösung, die das Problem in
Wirklichkeit nur vergrößert. Hier werden die Werte, die das Problem geschaffen
haben, nur verstrkt.
Das Schenken des paternalistischen Staats ist
erniedrigend und uneffektiv. Es schreibt dem Akt des Empfangens Schuld zu. Das
Empfangen wird als Ausdruck von Passivitt und Dummheit gesehen und verchtlich
gemacht. Der Staat ersetzt kreatives Schenken und Empfangen mit der individuellen
Integration in die Tauschökonomie und der Besttigung maskulisierter
kapitalistischer Werte.
Individueller Altruismus kann manchmal dazu
führen, sein eigenes Schenken sozial weiter auszudehnen. Wenn es dabei jedoch
keinen Versuch gibt, zu den Wurzeln des Problems zu gelangen, verbleiben wir in
jedem Fall innerhalb des Tauschprinzips. Alles, was das Schenken dann tun kann,
ist unser Leben und das anderer ertrglicher zu machen. Radikal gendert wird
nichts. Wenn Mitgefühl, Wohlttigkeit und Moral nur individuell praktiziert
werden, können sie keinen Paradigmenwechsel herbeiführen. Ein solcher kann nur
kollektiv herbeigeführt werden.
Darum ist es wichtig, dass Bewusstwerden der
Frauen – die internationale Frauenbewegung – im Lichte des
Schenkprinzips zu sehen. Die fürsorglichen Werte der Frauen sind die Werte des
Schenkprinzips. Wenn sich Frauen demnach ihrer eigenen Werte bewusst werden und
die Werte des Patriarchats zurückweisen, haben wir bereits ein Kollektiv, das
mehr als die Hlfte der Menschheit mit einschließt. Das Schenkprinzip ist nicht
anerkannt, aber nichtsdestotrotz tief und weit verbreitet.
Mnner werden früh maskulisiert. Frauen werden
von diesem Prozess erst spter ergriffen – nmlich wenn sie beginnen, die
Welt nicht durch ihre eigenen Augen, sondern durch die der privilegierten Einen
zu sehen; durch die Augen derjenigen, die sich von uns entfremdet haben und die
wir versorgen.
Indem wir Frauen uns unserer altruistischen
Werte als richtungweisend bewusst werden, können wir für wirklichen
gesellschaftlichen Wandel arbeiten, den Werten der Fürsorge folgen und uns von den
Werten der Maskulisierung befreien. Indem wir das Schenkprinzip zum Leitprinzip
für alle Menschen machen, können wir die Mnner und die Gesellschaft von den
Spiegeln des Tauschprinzips erlösen. Es ist sowohl für Frauen als auch für Mnner
möglich, den entfremdenden und unnotwendigen Charakter der Maskulisierung zu erkennen,
ihn zurückzuweisen und auf nicht-maskulisierte, gewaltfreie Weise abzubauen.
Unser größter Vorteil ist, dass wir eine alternative Lebensweise nicht erst
schaffen müssen. Diese existiert bereits. Sie existiert im Schenken, das bereits
aktiv von der Hlfte der Menschheit praktiziert wird und das die verborgene
Matrix der anderen Hlfte ist.
Die Restauration der Menschlichkeit im Bilde
der Mutter
Die Art des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins, auf
der die Fürsorge unserer Kinder beruht, hat zwischenmenschlichen Charakter und
unterscheidet sich von der Moral, die von uns (und anderen) "richtiges Handeln"
und "richtige Einstellungen" fordert. Gelegentlich kann die Moral die Fürsorge
fördern. Speziell in Zeiten des Mangels oder hohen psychischen Drucks –
wenn es also schwierig ist, Bedürfnisse zu befriedigen. In diesen Zeiten mag sich
eine Person zur Bedürfnisbefriedigung zwingen müssen, das heißt: die Fürsorge als
moralische Aufgabe annehmen.
Reaktionre und machistische Philosophen haben
die Verbindung von Mutter und Kind als eine "natürliche" bezeichnet. Den
Bedürfnissen anderer Wert zu schenken, ist jedoch nicht "natürlich", wenn das
heißen soll, das es "ohne Verstand" geschieht. Genauso wenig ist es Teil einer
auf Regeln basierenden Moral. Es ist ein Wert sui generis – ein Wert seiner selbst. Doch
verhindert unsere selbst reflektierende Egostruktur oft, ihn als solchen
wahrzunehmen, da nichts an ihm dieser Egostruktur entspricht. Diese
Entsprechung ist jedoch gewöhnlich unser wichtigstes Kriterium dafür, etwas als
wirklich anzuerkennen. Ein weiterer Ausdruck eines in der Maskulisierung
gefangenen Denkens.
Wenn unsere Egos und unsere Bilder der
Wirklichkeit ego-orientiert sind und vom Tausch und der Maskulisierung
produziert werden, gilt alles, das nicht ego-orientiert ist, als nicht-wirklich.
Das Nicht-Wirkliche wird uns nicht bewusst, oder zumindest nicht auf dieselbe
Weise wie das, das als wirklich gilt. Es gehört zu den Eigenschaften des
Egoismus, dem Wert zu schenken, das er für nützlich hlt und nichts anderem. Wenn
das Ego seine eigenen Strukturen wiedererkennt, definiert es das vertraute Bild
als real, whrend ihm die Zusammenhnge, die diese Strukturen nicht aufweisen, fremd,
irrelevant und "unreal" erscheinen. Das selbsthnliche Ego ist ein bisschen wie
das Tier, das sein Territorium mit Urin markiert und es dann als sein eigenes wiedererkennt.
Schenken hat im Gegensatz dazu nichts mit territorialen Markierungen zu tun,
sondern damit, anderen zu Wohlbefinden zu verhelfen.
Wenn die Sprache auf dem Schenken beruht, dann kann
das Schenken nicht als nonverbal und infantil gesehen werden. Wenn wir der
Sprache andere Momente des Schenkens hinzufügen – wie das Trumen, die
Kunst und das Streben nach sozialer Vernderung – dann beginnen wir, die
Bedeutung des Schenkens als des großen unanerkannten Prinzips der menschlichen
Spezies zu begreifen. Wir beginnen zu verstehen, dass die Mutter für das
Schenken ist und dass sowohl Frauen wie Mnner für das Schenken sein können.
Der von den Prozessen des Benennens und Definierens kommende Tausch kann die
Bedürfnisse der Vielen nicht befriedigen. Nur indem wir das Prinzip der Mutter
annehmen – nicht als "biologisches" oder "instinktives", sondern als
bewusst kreatives – wird es uns möglich werden, die vielfltigen
materiellen und kulturellen Bedürfnisse der fünfeinhalb Milliarden Menschen,
die heute leben, zu befriedigen.
Unsere zunchst wichtigste Aufgabe liegt
vielleicht darin, den Schenkmodus in das Bewusstsein der Menschheit zu rücken.
Nur dann können alle seine Bedeutung erkennen. Um dies zu erreichen, müssen wir
die Verhltnisse von einer Meta-Ebene aus betrachten. Wir müssen eine globale
Perspektive einnehmen und in holistischen Begriffen denken. Tatschlich fallen
das Interesse des Egos und das Interesse der Anderen auf einer Meta-Ebene
zusammen. Das überleben des Planeten und das überleben des individuellen Egos –
und selbst das überleben des komplementren Systems von Schenken und Tausch
– sind eins. Nachdem alle von uns durch die Zerstörung des Planeten
bedroht werden, müssen wir unsere Energie der Lösung der Probleme widmen, die
diese Zerstörung verursachen – egal ob unsere Motivationen egoistisch
oder altruistisch oder eine Kombination von beidem sind. Für die
ego-orientierten Menschen bedeutet dies einen Moment des übergangs zum
Schenken. Wenn wir uns alle auf einer Meta-Ebene vereinen, von der aus wir
beide Prinzipien sehen können, können wir uns gemeinsam zum Paradigmenwechsel
aufmachen. Das ist der Anfang der Lösung.
Die spirituellen Praktiken, die die Einheit des
Lebens betonen, suchen diese Meta-Ebene. Allerdings formulieren sie diese oft
in Begriffen, die an die überlegenheit des Einen erinnert. So fordern sie
einerseits ein zusammenführendes Eines (die Zusammenführung ist ein Aspekt der
Schenklogik) und reproduzieren andererseits patriarchale Verhltnisse zwischen
dem Einen und den Vielen.
Wie gesagt, wichtig an der Meta-Ebene, die wir
brauchen, ist, dass sie beide Prinzipien (Schenken und Tausch) einsehen kann.
Beide Prinzipien erhalten so denselben Grad an Bedeutung. Das selbst reflektierende
Tauschprinzip ist nicht lnger wichtiger als das Schenkprinzip, auch wenn seine
selbsthnliche Form diese Illusion schaffen mag. Tatschlich ist es einzig das
Schenkprinzip, das alleine existieren kann. Wenn wir beide Prinzipien wirklich
vorurteilsfrei von dieser Ebene aus betrachten, kann es keinen Zweifel geben,
dass das Schenkprinzip uns glücklicher macht.
Unser individuelles Streben nach der Position
des Prototypen muss dem Schenken weichen – nur das Schenken selbst kann
Prototyp sein. Dann würde sich vieles ndern. Wenn etwa die Sprache –
inklusive der Prozesse des Benennens und Definierens – einmal von der
Maskulisierung befreit ist, kann sie endlich wieder der kreativen Vermittlung zwischen
Individuen und Kulturen dienen. Materielles Schenken wird wieder die Norm sein.
Tatschlich ist es so, dass wir, wenn wir den Tausch, das Ego und seine
Elemente einmal gut genug analysiert und verstanden haben, jeden ihrer Aspekte
auf eine Weise anwenden können, der uns nützlich ist – genauso wie wir die
Technologie auf eine friedliche und ökologisch behutsame Weise zum Schaffen von
überfluss und der Versorgung aller anwenden können, wenn sie einmal von den
Werten des Patriarchats befreit ist. Wollen wir also Elemente des Tausches und
des ego-orientierten Bewusstseins behalten, weil sie uns nützlich erscheinen,
steht dem nichts im Weg.
Eine Neuinterpretation der Moral im Sinne des
Schenkprinzips würde so aussehen, dass das Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein zum
Leitprinzip unseres Handels und das entsprechende Bewusstsein paradigmatisch
wird.[2]
Bedingte und bedingungslose Liebe
Gegenwrtig kann die Moral kaum positiv wirken,
da sie immer wieder auf Herrschaftsstrukturen trifft. Wie wir gesehen haben,
kann sie uns manchmal helfen zu schenken, wenn dies schwierig ist. Doch ein erzwungenes
Geschenk verliert viele der positiven Aspekte des Geschenks. Außerdem geraten
wir in eine Position, in der wir manipuliert werden können. Gegenwrtige Moral
reproduziert die Bewertungsmuster der Maskulisierung und der monetren
Definition. Anstatt um die Inhalte und Auswirkungen unserer Handlungen geht es um
ihre Beurteilung durch andere. In unseren Liebesbeziehungen mögen wir um
gegenseitige Aufmerksamkeit kmpfen, anstatt unsere Bedürfnisse gegenseitig zu
befriedigen. Dies hngt eng mit den Urteilen, die wir erfahren, zusammen. Je
besser das Urteil, desto mehr Recht darauf, Aufmerksamkeit zu empfangen als zu
schenken. So versuchen wir positive Urteile darüber zu gewinnen, dass wir uns
"schön" machen. Unsere Liebe anderer wird dann ein reziproker Akt: wir lieben sie
dafür, dass sie uns lieben. Das Tauschego bestimmt, was wir als Liebe begreifen.
Wir verinnerlichen und verußerlichen Tauschprinzip und Schenkprinzip
gleichzeitig – in unseren Beziehungen mit uns selbst und mit anderen.
In unserer therapiegesttigten Gesellschaft
wird viel von bedingungsloser Liebe gesprochen. Vielleicht haben die
TherapeutInnen die heilende Kraft altruistischer, geschenkter Liebe in einer
Tauschgesellschaft verstanden, in der Liebe oft nur mit Reziprozitt,
Wenn-Dann-Mustern oder gar Bestechung zu tun hat. Menschen, die sich anders,
außerhalb des Tauschprinzips, lieben, können sich als VorbotInnen einer
besseren Welt fühlen.
Besondere Umstnde können auch heute das
Geschenk bedingungsloser Liebe hervorrufen. Etwa wenn sich uns Nahestehende in
Not befinden. Die tragische AIDS-Epidemie hat viele Menschen zum Schenken
angeregt. Die Bewegungen gegen Kindesmissbrauch, Gewalt und Suchtverhalten, die
Friedens-, Umwelt- und Anti-Nuklearbewegungen, die Freiheits- und Unabhngigkeitsbewegungen
verlangen alle enorme Hingabe, Energie und Ausdauer.
Das Aufgeben von Erwartungshaltungen gegenüber
anderen (wie es von VertreterInnen des "positiven Denkens" empfohlen wird) kann
tatschlich helfen, zu einem bedingungslosen Auf-Andere-Ausgerichtet-Sein zu
gelangen. Gleichzeitig wre eine so extreme Position wie einseitig zu lieben
nicht notwendig, wenn die Gesellschaft nicht so tief im Tausch stecken würde. Der
Rollenwechsel zwischen aktivem Schenken und Empfangen ist das angemessene zwischenmenschliche
Verhalten. Es kann praktiziert werden, ohne dass sich Erwartungen an das
Schenken knüpfen müssen.
Erst wenn uns der Tausch und die Herrschaft
verletzt haben, sodass uns das Vertrauen in diesen natürlichen Rollenwechsel
abhanden gekommen ist, glauben wir, dass es notwendig ist, bedingungslos
geliebt zu werden. Nur bedingungslose Liebe scheint dann wirkliche Liebe zu
sein – egal wie sehr uns von Eltern, PdagogInnen und TherapeutInnen
Reziprozitt immer als Lebensprinzip eingeblut worden ist. Eine widersprüchliche
Situation entsteht: Wir wollen bedingungslose Liebe geschenkt erhalten, glauben
aber an den Tausch als die einzig menschenwürdige Art, sich zu verhalten. Die
geschenkte Liebe wird damit zu einer Art Machteinsatz, der die erste Hlfte eines
Tausches ist, der uns aufgezwungen wird (wir werden geliebt, ohne dass wir
etwas dafür getan htten) und dessen zweiten Teil wir nie leisten können.
Elterliche Erziehung (Parenting)
Viele unserer elterlichen Erziehungspraktiken
sind barbarisch. Wir bringen Kinder zum Gehorchen, indem wir damit drohen, sie
zu schlagen oder zu verstoßen. Damit lehren wir sie Tausch und das Denken im
konditionellen Wenn-dann: "Wenn du dies tust, dann wirst du jenes bekommen!"[3]
Auf diese Weise bringen wir Kinder dazu, uns und unseren Worten Wert zu
schenken, so wie wir das wollen. Hier schaffen das Aufgeben des eigenen Willens
und die Befriedigung der elterlichen Bedürfnisse groteske Formen von Fürsorge.
Selbst als Erwachsene verfolgt uns die
Bedrohung der Verstoßung. Die Gesellschaft macht mit uns, was früher unsere
Eltern mit uns machten. Die Drohung der Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit oder
Einsamkeit bedroht jedes Heim, jeden Arbeitsplatz, jede Familie und jedes
Individuum. Es gibt eine permanente Bedrohung von Mangel an Liebe und Zuwendung,
die der permanenten Bedrohung von Mangel an Geld und fürsorglichen Gütern
entspricht. Produkte, für die es keinen Markt bzw. keine Verwendung im
Produktions-Tausch-Konsumptions-Zyklus gibt, werden von unserer Gesellschaft
abgestoßen. Genauso können wir jederzeit abgestoßen werden. Wir werden aus den
privilegierten Marktkategorien ausgeschlossen und finden uns im Abfalleimer von
Zeit und Raum wieder. Diese Bedrohung wirkt sich sowohl auf Mnner als auch
Frauen aus und zwingt sie in Herrschaftsverhltnisse, Don-Juan-Modelle, monetre
Eines-Viele-Strukturen oder eine Supermutter-Rolle (die der Rolle eines
nützlichen Produkts gleicht).
Die phallischen Bilder und Strukturen unserer
Gesellschaft, sowie der Mangel an bedeutungsvollen Ritualen und bedeutungsvoller
Arbeit außerhalb derselben, besttigen das maskulisierte Ego unentwegt. Alles
– von der Armee zur ökonomischen Ausbeutung – verbindet die Maskulinitt
mit Aggressivitt. Mnnliche Teenager lernen, dass sie andere beherrschen
können, wenn sie sich entsprechend aufspielen: zum Beispiel mit großen
phallischen Autos oder vielen Freundinnen. Teenagerinnen lernen, den großen
Autos Aufmerksamkeit zu schenken und die Möglichkeit, verführt und verlassen zu
werden, zu akzeptieren. Von der Rakete bis zur Nummer 1, vom Trump Tower bis zum
Elfenbeinturm zieht das selbsthnliche phallische Bild Aufmerksamkeit auf sich
und schafft kristallisierte Rituale, auf die wir alle stndig bezogen werden, gemß
unserer spezifischen Positionen und Rollen. Die phallischen Objekte sind in
unserem tglichen Leben so prsent, dass wir ihrer Macht gar nicht mehr bewusst
sind. Unbewusst beeinflussen sie unser Verhalten jedoch in jedem Augenblick.
Der Kompromiss (oder das Hybrid), den die
Gesellschaft zwischen Tausch- und Schenkprinzip vorgeschlagen hat, ist, zu
tauschen, um zu schenken. Dies schlgt sich auch auf unsere persönlichen
Beziehungen nieder. Wenn wir beginnen, Zuneigung zu messen und als Tausch zu
begreifen, kann das dazu führen, dass wir eine Beziehung aufgeben, wenn wir
meinen, nicht genug zu erhalten. Dies scheint eine "vernünftige" Maßnahme zu
sein. Das Bleiben in der Beziehung schiene "selbst zerstörerisch". Das, was wir
nicht erhalten, kann sowohl monetr definiert sein (der/die PartnerIn "trgt
nicht genug zum Haushalt bei") als auch emotional (der/die PartnerIn gibt nicht
genug oder "tauscht" mit anderen anstatt mit uns selbst). TherapeutInnen und
FreundInnen werden zu Rate gezogen, um das Tun des/der PartnerIn zu beurteilen
und die Zweckmßigkeit abzuschtzen, ihn/sie zu verlassen oder nicht.
In Beziehungen, die auf dem Schenken basieren,
ist das Schenken selbst ein Gegebenes, das nicht durch den Tausch verdient
werden muss. Dies schafft für beide PartnerInnen eine Atmosphre der Sicherheit
und mehr Spielraum für Entwicklung. Sexuelle Attraktivitt erregt viel wechselseitige
Aufmerksamkeit. Es kommt zu einem Teilen von Energien. Auch dies entspricht dem
Schenkprinzip.
Ich glaube, dass die meisten Beziehungen auch
heute noch im Grunde dem Prinzip des Schenkens folgen – zumindest zu
Beginn. Doch werden sie in dem Moment schwierig, in dem sie vom Tauschdenken
infiltriert werden. Dann beginnen wir, Schenken und Empfangen gegeneinander
aufzuwiegen und unserem eigenen Schenken Grenzen zu setzen, wenn wir meinen,
dass wir nicht genug dafür zurückerhalten.
Die materielle Kommunikation des Schenkprinzips
würde die bedingungslose, einseitige Liebe wohl leichter machen. Vielleicht ist
das der Grund, warum Frauen ihre Kinder lieben und mit ihnen sein wollen,
whrend Mnner sie oft aufgeben. Oder warum Frauen selbst untreuen Mnnern treu
bleiben.
Das Schenkprinzip vermag sich selbst in einer
feindlichen Umgebung zu behaupten (zumindest für eine Zeit). Wenn wir das
Schenken im überfluss praktizieren würden, nicht nur im eigenen Heim, sondern
auch kollektiv, als Modell unserer ökonomie und unserer sozialen Institutionen,
dann würden sich zweifellos unsere menschlichen Beziehungen verbessern und unsere
inneren Konflikte leichter heilen.
[1] Anm. d. übers.: Der Begriff cause-related marketing wird heute oft verwendet, um Geschftsstrategien zu beschreiben, die
ökonomische Gewinne für "gute Zwecke" erzielen sollen. Oft handelt es sich
dabei um Kollaborationen zwischen Wirtschaftsunternehmen und gemeinnützigen
Organisationen.
[2] In einem gewissen Sinne würde dies eine Umarbeitung des Kategorischen
Imperativs Kants bedeuten: Es ginge nicht nur darum zu fragen, ob das Prinzip,
das unseren Handlungen zugrunde liegt, verallgemeinert werden könnte, sondern
auch darum, so zu handeln, dass wir die Allgemeinheit des Prinzips bewusst
machen und institutionalisieren können. Das Tauschprinzip könnte auf diese Art
nie verallgemeinert werden, da es der Geschenke der Vielen bedarf, um zu
funktionieren. Das heißt, es verlangt von manchen, das Schenken zum Prinzip
ihres Handelns zu machen. Diejenigen, die den so genannten freien Markt für
alle schaffen wollen, scheinen dies nicht zu begreifen.
[3] Der Fall eines
modernen "wilden", sprachlosen Kindes wurde vor kurzem von Russ Rymer in Genie beschrieben. Rymers Buch zeigt, wie
wenig das Mdchen Genie je beschenkt wurde. Zuerst Opfer von Isolation und
Missbrauch durch ihre Eltern, dann Spielball bürokratisch-akademischer
Interessen, war sie beinahe so weit von direkter Fürsorge entfernt wie Victor
von Averyon, das "Wolfskind", das ein Jahrhundert früher der Autoritt von Jean
Marc Gaspard Itard unterworfen war. Genie war in der Lage zu kategorisieren,
lernte aber nie Syntax. Ihre Sammlung von Behltern (Sandkübel und
Plastikbecher) füllte einen ganzen Raum, was ich als eine Analogie zu
Wortkategorien ohne Geschenke lese. Ich denke, dass die Idee des
"Zu-etwas-Gehörens" oder des Eigentums nicht genug war, um ihr das Erlernen von
Sprache zu ermöglichen. Sie htte dazu die fürsorgliche Kommunikation gebraucht,
die der Sprache vorausgeht. Sie hatte nicht genug Schenkerfahrung, um in der
Lage zu sein, das Schenken zur Sprache in Beziehung zu setzen und Dingen auf
diese Weise Wert zuzuschreiben. Rymer zeigt, wie Genie, nachdem sie aus ihrer
Gefangenschaft befreit worden war, von ihren akademischen FürsorgerInnen als
Forschungsobjekt ausgenutzt wurde. Genie erreichte eine gewisse Stufe der
Entwicklung, konnte jedoch nicht über diese hinaus gehen. Sie konnte
Schenkbeziehungen nicht auf Wörter projizieren. Dies zeigt die
Unzulnglichkeiten des Tauschprinzips. Zum Beispiel, dass der Kategorie mehr
Wert zukommt als dem Inhalt. Oder dass Menschen (speziell maskulisierte Mnner)
für das geschtzt werden, mit dem sie ausgestattet sind bzw. mit dem sie
angeblich geboren wurden: mnnliches Geschlecht, Seele, Persönlichkeit,
Identitt und (so glauben manche) Sprache. In Wirklichkeit werden alle diese
Attribute vom Schenken geschaffen. Genie wurde nie geschenkt und so war es ihr
nicht möglich, das Modell des Schenkens dazu heranzuziehen, ihre Kategorien mit
den Werten des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins zu versehen oder ihr Selbst
linguistisch zu konstruieren.