Dieser Artikel wurde veröffentlicht als “The exemplar and the gift” in Ideology, logic, and dialogue in semioethic perspective, Spezialheft von Semiotica. Journal of the International Association for Semiotic Studies, 148-1/4, 2004, hrsg. von Susan Petrilli.
Der Prototyp und das Geschenk
Genevieve Vaughan
Übersetzung: Gabriel Kuhn
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Der Prozess des Tauschs von äquivalenten Werten auf dem Markt, do ut des, wird von unserer Gesellschaft als eine Metapher oder „Metaform“ (Danesi & Sebeok 2000: 38) für viele verschiedene Arten von Interaktionen verwendet, inklusive dem „Tausch“ von Nachrichten. Ich glaube, dass die Logik des Tauschs nur eine Variante der grundlegenderen Logik des Schenkens darstellt. Diese grundlegendere Logik ist die Basis des Lebens vor und jenseits des Markts. Der Markt ist letztlich nur eine vergleichsweise junge Einrichtung in der Geschichte menschlicher Gemeinschaften. Es ist demnach wichtig, die Logik des Tauschs zu hinterfragen und ihr die Logik eines bedingungslosen Schenkens gegenüberzustellen, wenn es um eine Metaform bzw. Erklärung für das Senden von Zeichen und Nachrichten geht. Eine entsprechende Studie sollte damit enden, die Ersetzung der Tauschökonomie mit einer Schenkökonomie zu fordern.
Ich denke, dass das, was wir oft als „Tausch“ vor dem Markt oder außerhalb des Markts sehen, letztlich eine Reihe von bedingungslosen Akten von Schenken bzw. von Bedürfnisbefriedigen ist. Es geht dabei eher um einen Wechsel von Rollen zwischen Schenkenden und Empfangenden als um einen Tausch. Geschenke – und die mit ihnen verbundene Funktion und Kreativität – sind nicht abhängig davon, dass etwas zurückgegeben wird. Waren und Dienstleistungen werden zu Geschenken, wenn die Empfangenden fähig sind, sie zu nutzen. Die Bedeutung von Geschenken hängt von dieser Fähigkeit der Empfangenden genauso ab wie die Bedeutung eines Zeichen von dem, worauf es sich bezieht. Jedes Mal, wenn wir etwas empfangen, das für unser Leben nützlich ist, kann dies als Geschenk betrachtet werden; vorausgesetzt unser Bezugrahmen ist das Schenken und nicht der Tausch.
Die Empfangenden sind also für die Interaktion des Schenkens ebenso wichtig wie die Schenkenden. Alle von uns beginnen das Leben als die Empfangenden bedingungsloser Geschenke von unseren Müttern oder FürsorgerInnen, da Babys abhängig geboren werden und unfähig sind zu tauschen. Selbst in einer Marktgesellschaft muss jemand den Bedürfnissen der Kinder schenken. Viele – oder die meisten – Frauen sind daher nach wie vor sozial orientiert. Tausch und Markt schaffen jedoch einen Kontext, der dem Schenken kontradiktorisch gegenübersteht. Sie durchdringen alle Lebensbereiche. Die Perspektive des Markts fungiert praktisch immer als Grundlage für unsere Analysen der verschiedenen Aspekte menschlichen Lebens, inklusive der Semiotik. Ich bin jedoch der Überzeugung, dass das, was ich das „Tauschprinzip“ nenne, eine falsche Perspektive ist, und dass wir eine bessere schaffen können, wenn wir der Existenz und der Wichtigkeit des Schenkens wieder verstärkt Geltung verschaffen. Auch glaube ich, dass unsere Ökonomie von einem Schenken von Waren und Dienstleistungen geprägt sein sollte und nicht vom Markt. Wenn wir das Schenken und nicht den Tausch als die grundlegende Metapher oder „Metaform“ der Kommunikation betrachten, können wir außerdem zu einem alternativen Verständnis der Semiotik gelangen, die auf einer ideologischen Ebene eine friedliche Transformation der Ökonomie anregen kann. Zur selben Zeit müssen wir Tausch und Markt als etwas betrachten, das auf der Basis von Widerspruch, Geheimhaltung und der Vereinnahmung des Schenkens beruht. Wenn wir den Zusammenhang zwischen Schenken und Tauschen richtig verstehen, können wir den Einfluss des Tauschs kollektiv und friedlich vermindern und schließlich zum Verschwinden bringen, während wir den Einfluss des Schenkens immer mehr steigern werden.
Um das Schenken zu beschreiben, lasst mich damit beginnen, es mit dem Tausch zu vergleichen. Geschenke verlangen, dass die Schenkenden ihre Aufmerksamkeit auf die Empfangenden richten, deren Bedürfnisse identifizieren und etwas produzieren, was diese Bedürfnisse befriedigen kann. Jede Bedürfnisbefriedigung erzeugt dabei neue Bedürfnisse, damit neue Geschenke, usw. Das Schenken ist also auf Andere ausgerichtet, während der Tausch egoistisch ist, da er ein Äquivalent für das verlangt, was gegeben wird. Während das Schenken der Bedürfnisbefriedigung Anderer dient, dient der Tausch der eigenen Bedürfnisbefriedigung. Schenken ist vorwiegend qualitativ, Tausch ist vorwiegend quantitativ. Der Tausch verlangt eine Gleichung zwischen dem, was gegeben wird, und dem, was empfangen wird, gemäß den Eigeninteressen der jeweils Tauschenden. Der Tausch impliziert ein feindseliges Verhältnis: jede Person versucht mehr aus der Transaktion zu gewinnen als die andere. Das Schenken hingegen ist kooperativ: Es schafft Beziehungen von Solidarität und Gemeinschaft. Es hilft dabei, die Subjektivitäten von Schenkenden und Empfangenden zu entwickeln und zu gestalten. Empfangende sind oft genug selbst Schenkende. Sie schenken Anderen außerhalb des do ut des. Der Tausch verursacht Trennung und angebliche „Unabhängigkeit“ auf der Basis einer Abhängigkeit vom Markt. Das Schenken ist transitiv: Anderen zu schenken verleiht Anderen Wert. Der Tausch hingegen ist intransitiv: die Tauschenden verleihen sich selbst Wert. Während das Schenken auf vielfache Weise Gemeinschaft schafft, schafft der Tausch isolierte Individuen. Der Tausch ist ein Geschenk, das zu sich selbst zurückführt und den Wert auslöscht, der dem Anderen im Schenken verliehen wird.
Tausch objektiviert, während qualitatives Schenken subjektiviert, das heißt: das Schenken schafft, als kreativer Prozess, Subjektivität. Dies gilt für die Schenkenden genauso wie für die Empfangenden. Nachdem es auf Andere ausgerichtet ist, schafft das Schenken eine Vielfalt an Beziehungen, die der Vielfalt an menschlichen Bedürfnissen angemessen ist. Es ermöglicht daher, menschliche Bedürfnisse in ihrer gesamten Breite zu befriedigen. Im ego-orientierten Tausch spielen die Beziehungen zwischen Menschen eine untergeordnete Rolle. Die vom Tausch geschaffenen Beziehungen sind Beziehungen zwischen Waren. Wesentlich sind hier Wertbestimmungen, formale Gleichungen und der Zwang zu Reziprozität.
Es scheint so, als hätte der Tausch eine logische Struktur, während dem Schenken diese Dimension fehlt. Es sind die für den Tausch notwendigen Gleichungen zwischen zwei Produkten bzw. zwischen einem Produkt und Geld, die diesen Eindruck entstehen lassen. Auf der Basis solcher Gleichungen wurde eine symbolische Logik geschaffen und dabei die einfachere, aber kreative und transformatorische Logik des Schenkens ignoriert. Der Transfer einer bedürfnisbefriedigenden Ware – „A gibt X an B“ – ist bereits eine logische Struktur, die eine bestimmte menschliche Beziehung ausdrückt. Reziprozität ist nicht notwendig, um eine solche Beziehung herzustellen. Schenken und Empfangen alleine konstituieren eine Beziehung zwischen Personen und eine Beziehung zu dem, das geschenkt und empfangen wird. Reziprozität – die in erzwungener Form zum Tausch wird – ist nur eine Verkomplizierung des grundlegenden Verhältnisses von Schenken und Empfangen. Der Syllogismus des Schenkens hat die einfache Form: Wenn A B schenkt und B C, dann schenkt A C.
Es sind möglicherweise die Gleichungen des Tauschs, die dazu führen, dass wir in unserem Verständnis von Geist und Sprache Korrespondenz und Selbstreflektierung betonen anstatt Bedürfnisbefriedigung. Wie ich unten genauer ausführen werde, glaube ich, dass die Wertgleichung im Tausch eine materielle Ableitung der Definition bzw. des Benennens ist. Als solche ist sie zugleich eine Anwendung und eine Entstellung des Schenkens, wie es materiell und in verbalen Zeichen funktioniert. Dies ist einer der Gründe, warum der Tausch so leicht unser Denken infiziert, sowie die Wahrnehmung der Welt, in der wir leben, oder unsere Ethik. Zum Beispiel isolieren wir unsere Lebensbedingungen im Markt voneinander, anstatt sie im Schenken gemeinsam zu konstruieren.
Das Schenken ist nicht nur ein grundlegender Aspekt der Mütterlichkeit, sondern ein zentraler sozialer Aspekt vieler indigener Kulturen. Es ist demnach unabdingbar, die Ökonomien indigener Kulturen aus der Perspektive des Schenkens und nicht des Tauschs zu betrachten, dem ansonsten unangemessene Aufmerksamkeit zukommt. Es wird nicht nur geschenkt, um Bedürfnisse zu befriedigen, sondern auch um Beziehungen zu schaffen, die sich aus dem Befriedigen von Bedürfnissen ergeben. Was in der Anthropologie „symbolisches Schenken“ genannt wird, darf daher nicht als Antizipation des Markttauschs verstanden werden, sondern ist zu begreifen als materielles Schenken im Dienste der Kommunikation und dem Schaffen von Gemeinschaft.
Schulden oder Verpflichtungen zurückzubezahlen ist wichtig, aber dazu kommt es auf der Basis der kreativen Logik des bedürfnisbefriedigenden Geschenks, ob es sich nun um ein Bedürfnis nach einem materiellen Geschenk oder um einem symbolischen oder um beides handelt. Wenn, wie es oft in indigenen Kulturen passiert, die Schuld mit einem „Aufschlag“ zurückgezahlt wird, so kann dieser gesehen werden als eine Zulage zum bedingungslosen bedürfnisbefriedigenden Geschenk. Im Fall des Tauschs fällt hingegen das Geschenk auf sich selbst zurück und wird ein konditionelles, quantitatives und erzwungenes, das mit bestimmten Bedingungen verknüpft ist. In der Tauschökonomie wird der Aufschlag denaturalisiert und zu „Zins“. Die Beziehungen, die der Tausch schafft, sind damit eine Umkehrungen der vom Schenken geschaffenen Beziehungen.
Mauss (1923), Malinowski (1922), Lewis Hyde (1979) und, in jüngerer Zeit, Alan Caille und Jacques Godbout (1992), betonen die beziehungsschaffenden Aspekte dessen, was sie „Schenktausch“ nennen. Der Feminismus erlaubt uns, Mütterlichkeit als bewusste und intentionale Praxis zu begreifen. In Marktgesellschaften ist die mütterliche Praxis genauso notwendig für das Überleben der Kleinkinder wie in indigenen Gesellschaften. Mit Kleinkindern lassen sich keine „gleichen Werte“ tauschen. Die Mutter kümmert sich um das Kind, indem sie ihm bedingungslos Geschenke und Dienstleistungen schenkt, welche die materiellen und psychologischen Bedürfnisse des Kindes befriedigen. Ich glaube, dass Mütterlichkeit ein wichtiges Modell für das Schenken im Allgemeinen ist, und dass das Schenken Beziehungen von gegenseitiger Hilfe und Gemeinschaft auf allen Ebenen schafft. Schenken kann als materielle Kommunikation – als „Kommunikation ohne Zeichen“ – charakterisiert werden; als die Kommunikation, die menschliche Körper ebenso schafft wie den materiellen und psychologischen Gehalt des menschlichen Geists.
Auch wenn in diesen Prozessen Zeichen eine Rolle spielen, ereignet sich der entscheidende kommunikative Austausch hier, im unmittelbaren Schenken und Empfangen materieller Objekte und Dienstleistungen. In der Mütterlichkeit geht dieser kommunikative Prozess den Empfangenden voraus. Es ist für das Überleben und Aufwachsen des Kindes notwendig, dass die Schenkenden Produkte schaffen oder erwerben, die sie an die Empfangenden weitergeben. „Kommunikation ohne Zeichen“ bedeutet, dass hier dem Transfer von Objekten eine logische und psychologische Priorität im Verhältnis zum Zeichen zukommt, zumindest im Fall der Empfangenden. Selbst Wahrnehmungen können als „Geschenke“ gesehen werden, ob sie nun Schenkende haben oder nicht. Sie werden in jedem Fall kreativ empfangen. Wenn die schenkende Interaktion zwischen Mutter und Kind auf die Welt um uns projiziert wird, verorten wir uns selbst in einem mütterlichen Universum, in dem zuerst „Nicht-Zeichen“ und dann Zeichen Geschenke sind – auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Komplexitäten. Wenn die Projektion des Schenkens zerstört und mit der Projektion von abstrakten kategorisierenden Prozessen ersetzt wird, die auf dem Tausch und der Wertgleichung basieren, verorten wir uns in einem Universum, das als neutral oder gar feindlich wahrgenommen wird. Wir trennen Denken von Fürsorge. Wir berauben Zeichen ihrer Grundlage und machen sie mysteriös. Auf diese Weise ignorieren wir das Schenken und schaffen eine Gleichgültigkeit, die Misogynie und Herrschaft widerstandslos hinnimmt. Dadurch wird das gesellschaftliche Universum tatsächlich feindselig und verliert seinen fürsorglichen Charakter.
Die gegenseitige Bedürfnisbefriedigung ist das grundlegende beziehungsschaffende Moment der Kommunikation auf materieller Ebene. Dieses Moment konstituiert ein logisches Muster, das auf anderen Kommunikationsebenen wiederholt wird, inklusive der Ebenen des Zeichens bzw. der Sprache. Auch wenn es wahr sein mag, dass Zeichen das Universum durchdringen, sind es wir Menschen, die Zeichen produzieren und empfangen. Die Fähigkeit dazu wird allen Menschen in ihrer Kindheit vom Prinzip der Mütterlichkeit gegeben. Es ist die Mütterlichkeit, die Menschen lehrt, Zeichen als Geschenke zu empfangen und dazu zu gebrauchen, soziale Beziehungen zu schaffen. Wir können Schenkbeziehungen auf Andere projizieren, ebenso wie auf Dinge und verbale wie nonverbale Zeichen. Die Beziehungen zwischen nonverbalen Dingen und Wörtern können ebenso wie die Beziehungen zwischen Wörtern als das Schenken und Empfangen von bedürfnisbefriedigenden Geschenken und Dienstleistungen verstanden werden. Die logischen Muster des materiellen Schenkens und ihre Implikationen werden auf die verbale Ebene als Syntax übertragen. Die Reproduktion des Schenkens auf verbaler Ebene schafft Verbundenheit. Wörter werden repräsentierbar – Ersatzgeschenke, die selbst schenken und voneinander empfangen. Sie werden begleitet von logischen Verbindungen und grammatikalischen Einrichtungen. Diese sind verbale Geschenke, die anderen verbalen Geschenken geschenkt werden und diesen erlauben, wiederum auf verschiedene Weisen weitergeschenkt zu werden. Sie befriedigen dabei kommunikative Bedürfnisse, die auf den Erfahrungen der Kommunizierenden beruhen. Diese konstruieren (versorgen, entwickeln) sowohl ihre eigenen Subjektivitäten als auch die Anderer über ihre Beziehung zur Welt. Da die Phase der Abhängigkeit bei Menschen bzw. die Phase, in der sie von mütterlicher Fürsorge abhängig sind, besonders lange ist, haben sie komplexe Schenkfähigkeiten entwickelt. Die Ausdehnung dieser Fähigkeiten auf die Ebene sprachlicher Zeichen könnte der Grund für die Ausschließlichkeit menschlicher Sprache sein.
Selbst wenn Tausch und der Markt praktisch alle Bereiche der materiellen Güterproduktion und Güterverteilung dominieren, kann innerhalb der familiären Einheit von einer Schenkökonomie gesprochen werden. Um die Gründe der verheerenden ökonomischen Lage zu verstehen, in die uns der patriarchale Kapitalismus geworfen hat, reicht es nicht, ihn nur innerhalb seines eigenen ideologischen Rahmens zu kritisieren. Wir müssen eine Position außerhalb dieses Rahmens finden. Ich glaube, dass wir uns dabei auf die verbleibenden Bereiche des Schenkens stützen können. Diese schaffen eine Grundlage, um gemeinsam Alternativen zu entwerfen und wertzuschätzen. Darüber hinaus können wir auf dieser Grundlage Kommunikation als Schenken auffassen. Sowohl die schenkende Praxis von Frauen als auch die schenkende Praxis sprachlicher Kommunikation deuten auf die Möglichkeit einer anderen Welt hin. Die schenkende Praxis der Frauen ist die Grundlage einer alternativen Ökonomie. Diese existiert bereits, ist aber versteckt. Sie ist gewissermaßen der Überbau des Unsichtbaren und wartet nur darauf, erkannt zu werden.
Wenn wir Kommunikation als Schenken verstehen, können wir auch den Körper und Geist der Mutter als Teil unserer „Muttersprache“ sehen. Dies wird den Unterschied deutlich machen, der zum hegemonialen patriarchalen Tausch besteht, und uns erlauben, dessen Machtstrukturen zu begreifen. Dies wiederum wird Rechtfertigung dafür schaffen, die Ökonomie wieder mit der Logik des Geschenks auszustatten.
Obwohl alle Menschen mütterlicher Fürsorge bedürfen, werden praktisch alle unsere Perspektiven von Tausch und Markt bestimmt. Anstatt den ökonomischen Prozess des Tauschs als etwas Natürliches zu akzeptieren, müssen wir seine gesellschaftlichen Ursprünge untersuchen. Dann können wir erkennen, dass der Tausch von der Übertragung sprachlicher Prozesse auf die materielle Ebene kommt, von illiquid stet pro alliquod, einer Art Inkarnation des Benennungsprozesses.
Auf dem Markt nimmt eine Quantität materiellen Geldes den Platz der Ware (1) in den Händen der Verkaufenden ein, sobald die Ware in die Hände der Kaufenden übergeht. Dies wird vom Tauschwert bestimmt, wie er im Preis bzw. im „Geldnamen“ der abstrakten Arbeit (Marx) ausgedrückt wird. Ein sozio-materielles Produkt nimmt den Platz eines Produkts-im-Tausch ein auf der Basis seines Werts. Wir sind diesen Prozess so gewohnt, dass er natürlich wirkt, und wir ihn nicht in Frage stellen. Die tägliche (Re)Produktion eines Moments des sprachlichen Zeichenprozesses auf einer materiellen Ebene kann in jedem Fall unseren Geist entsprechend beeinflussen. Außerdem beeinflusst bzw. untergräbt dieser Prozess unsere Analysen und bringt sie dazu, dem Markt zu dienen und ihm Wert zuzuschreiben. Es ist nicht nur der Kapitalismus, sondern der Markt selbst, der als ökonomische Struktur fähig ist, den ideologischen Überbau zu bestimmen. Er tut dies durch die Betonung, die er auf die sprachlichen Prozesse des Benennens legt, indem er sie immer und immer wieder auf der Ebene materieller Waren reproduziert. Gleichzeitig bringt er uns dazu, das Schenken vom Markt zu trennen, von den Verhaltenswesen, die gesellschaftlich erkannt und anerkannt werden, und von der Sprache selbst. An die Stelle des Schenkens tritt hierarchische Kategorisierung, die auf den Prinzipien der Repräsentation und der Bewertung aufbaut; kurz, auf Geld. Die Metaform der Kommunikation, die in einer Marktgesellschaft produziert wird, wird bestimmt von der Logik des Tauschs, nicht von der Logik des Schenkens. Die Metaform des Tauschs – wie der Tausch selbst – impliziert die Abwertung und das Verbergen des Schenkens.
Der Grund, warum in einer Marktökonomie Waren für Geld getauscht werden müssen, ist, dass wir Privateigentum besitzen; Eigentum, das wir nicht der Bedürfnisbefriedigung Anderer zukommen lassen. Ein Grund, warum wir dies nicht tun, ist Angst vor Mangel. Tatsächlich kann es in einer Gesellschaft, in der das Schenken nicht die vorherrschende Art von Verteilung ist, vorkommen, dass ein Individuum alles verschenkt – und ihm danach nichts mehr bleibt, weil Andere ihm nichts schenken. Mangel dient dem Tauschprinzip also insofern, als dass er Schenken schwierig und in manchen Fällen sogar lebensbedrohlich macht.
Patriarchaler Kapitalismus schafft den Mangel, der für die Hegemonie des Tauschprinzips notwendig ist, auf vielfache Weise: indem Reichtum in die Hände einiger weniger gelenkt wird; indem Reichtum verschwendet wird für Aktivitäten, die dem Prinzip der Fürsorge widersprechen, wie etwa militärische Aufrüstung (18 Milliarden Dollar werden dafür jede Woche weltweit ausgegeben – dies wäre genug, um alle Menschen der Erde ein Jahr lang mit Essen zu versorgen) (2); indem Existenzbedingungen bzw. lokale Ökonomien und Infrastrukturen in Kriegen zerstört werden; und indem ökonomische Schocks geschaffen werden, wie etwa Börsenstürze. Der Markt bedarf des Mangels, da niemand tauschen müsste oder wollte, wenn es Überfluss gäbe, und alle für sich selbst sorgen könnten. Die Unterwerfung unter die Kontrolle des Markts wäre dann nicht notwendig.
Die gegenwärtig noch existierenden Bereiche des Schenkens werden alle dem Markt untergeordnet. Die freie Hausarbeit von Frauen würde etwa 40% des Bruttosozialprodukts der USA ausmachen, wenn es monetär berechnet würde – und noch mehr in vielen anderen Ländern. Freie Hausarbeit ist ein Geschenk, das Frauen dem Markt zukommen lassen – und besonders den KapitalistInnen, die diese Arbeit ansonsten in die Löhne mit einrechnen müssten, die sie an die Frau (oder ihren Mann) bezahlen. Mehrarbeit, als jener Teil der Arbeit der ArbeiterInnen, der nicht entlohnt wird, ist ein Geschenk, das ArbeiterInnen den KapitalistInnen zukommen lassen. Was als Mehrwert bekannt ist, ergibt sich aus der Kombination freier Hausarbeit und Mehrarbeit.
Tausch und Markt beruhen auf dem Privateigentum und dem Verleugnen des Schenkens. In einer selbstbestätigenden Dialektik verhält sich der Markt parasitär zum versteckten Schenken, das weiterhin existiert. Er beutet das Schenken aus und erzeugt Mangel, der wiederum Privateigentum notwendig macht. Um diese Situation zu ändern, müssen wir eine Meta-Perspektive einnehmen und dem Prinzip des Schenken wieder Geltung verschaffen, um Weltanschauungen und Gemeinschaften zu bilden und zu verteidigen, in denen Waren und Dienstleistungen frei und im Überfluss zirkulieren und Bedürfnisse befriedigen können, getragen von den Geschenken, die von allen beigesteuert werden.
Es ist nicht nur der Tausch für Geld, sondern der Tausch selbst, mit dem jene Probleme beginnen, die mit dem Verleugnen des Schenkens verbunden sind. Geld verstärkt die Probleme des Tauschs und fügt eine Reihe weiterer Probleme hinzu, die in der Tauschstruktur alleine nicht enthalten sind. Doch es ist der Tausch selbst, der Geld zu einem kommunikativen Bedürfnis in der pervertierten widersprüchlichen materiellen Kommunikation des Markts macht; einer Kommunikation von Menschen, die nicht (mehr) schenken.
In einem gewissen Sinne ist das Bedürfnis nach einem Tauschmittel innerhalb des Tauschs ein kommunikatives Bedürfnis – ähnlich dem kommunikativen Bedürfnis in der Sprache, das ein Mittel zur Etablierung zwischenmenschlicher Beziehungen fordert. Um das kommunikative Bedürfnis des Tauschs zu befriedigen, wird ein materielles „Wort“ immer weitergereicht in einem widersprüchlichen Prozess von Verteilen ohne Teilen, von Geben ohne Schenken. Auch geldloser Tausch, barter, widerspricht dem Schenkprinzip, da er immer noch die Befriedigung der Bedürfnisse Anderer abhängig macht von der Befriedigung eigener Bedürfnisse. Obwohl er weniger abstrakt und komplex ist als der Tausch für Geld, ist barter keine Lösung für die Probleme des Markts, weil er ähnliche zwischenmenschliche Beziehungen schafft. Schenken ist die Lösung. (3)
Manche glauben, dass die Gründe hinter dem globalisierenden Markt, hinter Kolonialismus und Imperialismus, in Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur zu finden sind. „Wir“ sind gierig, aggressiv und kriegslustig; „wir“ wollen akkumulieren; „wir“ wollen andere dominieren. Dies sind Generalisierungen männlicher Herrschaft. Alle, die nicht entsprechend handeln, werden als VerliererInnen gesehen, auch wenn sie einfach nicht an den Wettbewerb glauben bzw. wenn sie nicht mit dieser Krankheit infiziert sind. Wir sollten eher nach gesellschaftlichen Gründen für Gier und Aggression suchen. Diesen Gründen auf die Spur zu kommen, ist wichtig für uns, wenn wir fähig sein wollen, ein System zu ändern, dass eine große Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten leiden lässt. Wenn uns dies nicht gelingt, werden wir uns immer und immer wieder mit denselben Problemen konfrontiert sehen, weil männlicher Dominanz immer nur mit noch mehr männlicher Dominanz, und Krieg immer nur mit noch mehr Krieg begegnet wird. (4)
Vor vielen Jahren, als ich die Parallelen zwischen der Sprache und der Ökonomie mit Ferruccio Rossi-Landi (1982) studierte, war ich verblüfft über die Ähnlichkeiten zwischen der Bildung von Kategorien gemäß Lew Wygotski (1986) und dem Geld als allgemeinem Äquivalent gemäß Karl Marx (Vaughan 1980, 1981). Sowohl die Bildung von Kategorien als auch der Charakter des Geldes schienen von der Fähigkeit des Subjekts abzuhängen, ein ausgewähltes Objekt zu einem konstanten Vergleichsmaßstab zu machen. Sowohl in Wygotskis Experiment als auch in Marx’ Erklärung des Geldes bedarf es eines „Prototyps“, der konstant bleibt, während andere Objekte mit ihm verglichen werden. Es muss zwischen dem „Einen“ und den „Vielen“ das geben, was Marx „Polarität“ nennt. Das Eine, das gewählt wurde, muss konstant bleiben, damit das Viele (die vielen anderen Objekte) mit ihm verglichen werden können, um entweder in die vom Einen bestimmte Kategorie mitaufgenommen oder aus ihr ausgeschlossen zu werden. Wenn der Prototyp diese Position nicht halten kann, kommt es, wie Wygotski demonstrierte, zu anderen Formen von vereinheitlichenden Beziehungen, etwa dem „Kettenkomplex“ oder dem „Familienkomplex“. Hier entwickelt der ursprüngliche Prototyp keine Allgemeinheit. Im diesem Sinne kann es ohne Polarität weder Kategorien noch die Geldform geben. Im Fall von Wygotskis Kettenkomplex etwa können einige Objekte gesammelt werden, weil sie alle quadratisch sind, bevor plötzlich die Farbe zum Prototyp wird, wodurch nunmehr, zum Beispiel, alle gelben Objekte – ungeachtet ihrer Form – gesammelt werden, usw. Ähnliches geschieht im Familienkomplex: hier werden alle Objekte gesammelt, die eine Eigenschaft des Beispiels teilen, was bedeuten kann, dass sie untereinander überhaupt nichts teilen. Marx beschrieb die Entwicklung des Geldes als allgemeinem Äquivalent auf sehr ähnliche Weise.
Zu jener Zeit las ich auch Jean Josef Goux’ Theorien zur Ausdehnung der Form des allgemeinen Äquivalents (1990) auf zahlreiche gesellschaftliche Strukturen: die Familie, wo der Vater das allgemeine Äquivalent ist; die Monarchie, wo der König als allgemeines Äquivalent fungiert; die Sprache, wo sprachliche Zeichen als allgemeine Äquivalente dienen; die Sexualität, wo der Phallus die Position des allgemeinen Äquivalents einnimmt. All diese Strukturen sind „Eines-Viele-Strukturen“, geprägt von der „polaren“ Beziehung, die Marx beschrieb. Die polare Beziehung kann auch als binäre Beziehung bezeichnet werden. Zwar scheinen die sich gegenüberstehenden Elemente quantitativ definiert, doch hat ihr Verhältnis auch klar qualitative Dimensionen. Das Verhältnis ist nicht statisch, sondern dynamisch, da sich die Allgemeinheit des Einen nur aus seinen je spezifischen Beziehungen zu den unter ihm vereinten partikulären Objekten ergibt. Für Marx ist das Geld das allgemeine Äquivalent und die Ware das partikuläre Objekt, das mit ihm verglichen wird.
Marx vergleicht diese Polarität mit der Beziehung zwischen dem Papst und KatholikInnen. Marx meint, dass wir ein Produkt aus allen möglichen Produkten auswählen – in diesem Fall Gold –, um es zum „allgemeinen Äquivalent“ zu machen. Während alle anderen Waren auf der relativen Seite der Gleichung enden, findet sich das Gold auf der Seite des Äquivalents. Geld wird zur Form des Warenwerts und wenn es im Tausch den Platz der Waren einnimmt, definiert es deren Wert darüber, wie sie aufeinander bezogen sind. Ähnliches geschieht in Wygotskis Experiment: Ein Objekt wird aus allen möglichen Objekten ausgewählt, um als Prototyp für eine bestimmte Kategorie zu fungieren. Die Kategorie wird darüber konstruiert, dass andere Objekte mit dem Prototyp verglichen werden. Ihre „Gleichheit“ untereinander ist das Resultat ihrer gemeinsamen Beziehung zum Prototyp als ihrem polaren Äquivalent. Gleichzeitig entwickelt sich eine Polarität zwischen ihren relevanten und irrelevanten Eigenschaften. In der Kategorienbildung befindet sich – wie im Markt – jedes Objekt in einem relativen Verhältnis zu einem Objekt, das die Position des Äquivalents einnimmt. Im Markt wird der Wert aller Waren als Quantität desselben Prototyps, Geld, ausgedrückt, weil dieser alle Gleichungen und Transaktionen bestimmt.
In diesem Zusammenhang begann ich mich zu fragen, wie etwas so „Geistiges“ wie die Kategorienbildung etwas so „Materiellem“ wie dem Tausch von Waren so ähnlich sein konnte. In Wygotskis Experiment wurde Sprache dazu verwendet, um Subjekte zur Kategorienbildung zu bewegen. Jedes Objekt wurde mit einem Namen ausgestattet. Kategorien konnten voneinander aufgrund unterschiedlicher Namen unterschieden werden. Die Sprache half also dabei, jene Objekte auszusortieren, die nicht zur Kategorie gehörten. Geld hat nun sowohl die Eigenschaft des Prototyps als auch des Worts, nachdem es dazu verwendet wird, Platz der Waren einzunehmen, sie zu repräsentieren und zu benennen bzw. ihnen, gemäß interner quantitativer Klassifikation, Wert zuzuschreiben. Es gibt keine langue von Geldern, in der das „eigentliche“ Geld die Semantik bestimmt. Das allgemeine Äquivalent steht hier alleine. Es gibt keine anderen „Prototyp“ auf derselben Ebene, der es erlauben würden, Werte anders denn als Tauchwerte auszudrücken.
Ich begann mir auch die Frage zu stellen, ob die verschiedenen Formen des allgemeinen Äquivalents, die Goux identifizierte – der Vater, der König, der Phallus, usw. – nicht, wie das allgemeine Äquivalent selbst, Prototypen waren, die vom Prozess der Kategorienbildung kamen, aber anders verwendet wurden, ausgestattet mit anderer Macht. Mir schien es so, als könnte so etwas nicht einfach „nur passieren“. Es musste einen Grund dafür geben. Ich entwickelte mich gerade zu einer Feministin und studierte das Patriarchat. Dabei entdeckte ich den patriarchalen Charakter aller Eines-Viele-Strukturen.
Ich begann, den Tausch von Waren für Geld als einen gigantischen kollektiven Sortierungsprozess zu sehen, dominiert von dem Geld-Wort-Prototyp. In diesem Prozess werden Objekte zunächst ausgewählt oder ausgeschlossen, je nachdem ob ihnen monetärer Wert zugeschrieben wird oder nicht. Danach werden die ausgewählten Objekte gemäß des spezifischen Tauschwerts, der ihnen zugeschrieben wird, sortiert. Geschenke finden hier keinen Platz, selbst Produkte, die zu billig sind, können abgestoßen oder zerstört werden, um die Preise hoch zu halten. Eine andere Möglichkeit ist es, kollektive Geschenke zu privatisieren, zu kommerzialisieren und in den Markt als Waren einzugliedern. Die Beispiele der Kommerzialisierung des Wassers oder des Saatguts machen dies deutlich.
Wir dürfen die Bedeutung dieses Sortierungsprozesses, der den Tausch von Waren kontrolliert, nicht unterschätzen. Er ist der Schlüssel für eine Reihe wichtiger Analysen. Die Auswahl eines Prototyps und sein Gebrauch im Kategorienbildungsprozess (als Kriterium für das Aussortieren irrelevanter Objekte) ist die archetypische Struktur vieler – scheinbar nicht miteinander verbundener – Prozesse. Diese Prozesse reproduzieren die Dominanz des Prototyps ebenso wie die Abwertung, Verdrängung und Vereinahmung des Schenkens und etablieren aufeinander bezogene Systeme von Unterdrückung.
Wenn Kinder klein sind, ist die fürsorgliche Mutter der Prototyp für die Kategorie des Menschen. Kleinkinder empfangen kreativ die bedingungslosen Geschenke ihrer Mütter. Selbst schenken sie einige kommunikative Geschenke, indem sie ihre Mütter imitieren (Chodorow 1985). Wenn Buben merken, dass sie einer Geschlechtskategorie zugeschrieben werden, die im Gegensatz zu ihrer fürsorglichen Mutter steht, werden sie gezwungen, die Mutter als Prototyp für ihre Identität aufzugeben und damit auch das Schenkprinzip. Für Kleinkinder ist das Schenkprinzip – aufgrund des Kontakts mit ihren Müttern – unmittelbar. Doch zeigt sich das Schenkprinzip nach wie vor auch in anderen Bereichen unseres Lebens, auch wenn wir gelernt haben, es nicht zu sehen. Buben wird sogar gelehrt, nicht schenken zu dürfen. Patriarchale Väter werden durch die männlichen Modelle definiert, die sie repräsentieren: Herrschaft, Strafe, Distanz, „Unabhängigkeit“ und das Vermögen, die Kategorie „männlich“ auf die Kategorie „menschlich“ auszudehnen. Die Allgemeinheit der Eines-Viele-Strukturen kann von Kindern kaum verstanden werden. Für sie schlagen sie sich schlicht in Form von Macht nieder. Die Missverständnisse, die der männlichen Identität unterliegen, werden von Generation an Generation weitergereicht. Frauen lernen, den männlichen Weg über ihren eigenen zu stellen. Das Resultat ist, dass sie der nicht-schenkenden Kategorie mehr schenken als ihrer eigenen. Sie privilegieren mit ihrem Schenken paradoxerweise das Nicht-Schenken.
Der Wechsel von einer Kategorie zu einer anderen ist ein Akt von Gewalt, die dem Buben angetan wird und gegen die er sich nicht wehren kann. Er muss sich sicher oft wünschen, in die Schenkkategorie seiner Mutter zurückkehren zu dürfen. Der Wechsel der Kategorie ist mit einer Macht ausgestattet, die in vollständigem Widersprich zu der Machtlosigkeit des Kindes steht. Das Kind kann sich seiner Geschlechtskategorisierung kaum verweigern. Es ist aussortiert worden. (5) Von nun an wird die Identität des Buben vom männlichen Modell und seiner Geschlechtskategorie bestimmt. Dies wird nicht zuletzt sprachlich vermittelt. Der Geschlechtskategorie „männlich“ fungiert als binäre Opposition zu „weiblich“. Er repräsentiert auch die Macht, die den Buben von seiner Mutter und ihrer Schenkkategorie getrennt hat. Die Erwartungen, die an sein Leben gestellt werden, sind nunmehr völlig andere. Dem Wort „männlich“ kommt Macht zu. Um die mit diesem Namen verbundene Prophezeiung zu erfüllen, wird gesellschaftlich ein „Männlichkeitsprogramm“ (Gilmore 1990) geschaffen. Anstatt zu versuchen wie die Mutter zu sein, muss der Bub seine Mutter nunmehr dominieren. Anstatt andere zu pflegen, muss er andere dazu bringen, ihn zu pflegen. Anstatt Gemeinschaft und Intimität zu schaffen, muss er ein einsamer Jäger werden. Anstatt zu schenken soll er schlagen, um nicht weiblich zu wirken. Das Schlagen ist eine Perversion des Schenkens: es berührt Andere und schafft eine zwischenmenschliche Beziehung; aber eine von Herrschaft, nicht von gegenseitiger Hilfe. Schlagen wird zum „männlichen“ Weg und wird in Gewalt aller Art reproduziert, von verbaler Beleidigung über sexuellen Missbrauch zu ökonomischer Ausbeutung, von Tyrannei zu Krieg. Das Männlichkeitsprogramm fordert auch die Mutter selbst auf, ihren Buben als einen „Anderen“ zu sehen, als jemanden, der von ihr unterschieden, vielleicht sogar ein kleiner Fremder ist, dem sie nun immer mehr schenken muss auf seinem Weg, ein Teil der Gemeinschaft zu werden (Hyde 1979) Das Mädchen, das in der Kategorie der Mutter verbleibt, sieht, dass die Kategorie des Buben die privilegierte Kategorie ist. Wie ihre Mutter beginnt es daher, dieser zu dienen. Wie die Ware, die in den Markt eintritt, lässt der Bube das Schenken hinter sich und nimmt eine neue Identität als Teil einer privilegierten Kategorie an. Er hat nunmehr einen qualitativ anderen Wert als seine Mutter. Er hat außerdem einen quantitativen Wert, der davon abhängt, wie sehr er „Mann“ sein kann.
Kinder sind Opfer eines gesellschaftlichen Sortierungsprozesses, der entlang von Geschlechtskategorien funktioniert und dabei auch die Kategorie des Menschen bestimmt. Buben werden in eine Kategorie gerückt, die sie zum Gegenteil ihrer Mütter und deren Aktivitäten macht. Dies geschieht bereits zu einer Zeit, zu der sie noch vollständig von den Geschenken ihrer Mütter abhängig sind und die Mütter für sie die Kategorie des Menschen bestimmen. Es ist eine falsche und unnotwendige Geschlechtskategorisierung, die sie dieser ursprünglichen fürsorglichen Identifizierung entreißt und sie mit einer künstlichen nicht-fürsorglichen Identifizierung ersetzt.
Der Vater – oder signifikante Mann – wird zum Prototyp des Menschen, und der Bube wird zum kleinen potentiellen Prototyp. Seine Gleichheit mit dem Vater ist wichtiger als seine Beziehung zu der fürsorglichen Mutter, die nicht mehr als Prototyp fungiert. Indem sie dem Nicht-Schenken schenken, finden sich die Frauen in einer unterlegenen Position. Die Männer, mit ihrem Nicht-Schenken und ihrem Sortieren, sind überlegen und privilegiert. Beurteilen und Benennen sind Ableitungen von Nicht-Schenken und Sortieren und definieren zwei Prozesse, die eine entscheidende Rolle in der Kategorisierung spielen, welche die Geschlechter teilt. Sortieren, Kategorisieren, Beurteilen und Benennen sind die Eigenschaften des dominanten männlichen Prototyps, und es scheint so, als müsse der Bube wie der Vater sein, „ein Mann “. Er muss darum kämpfen, die Position des Prototyps selbst einzunehmen.
Gesellschaftliche Strukturen, die auf der Eines-Viele-Struktur beruhen, vermehren sich unentwegt. Politische, religiöse, militärische und ökonomische Hierarchien demonstrieren ihre Macht über die Gesellschaft. Der Prototyp selbst – der Mann – dominiert. Er gibt Befehle und trifft Entscheidungen. Er sortiert, und die, die von ihm sortiert werden, schenken ihm und festigen seine Macht. Dasselbe gilt für alle „Einen“ in allen Hierarchien. Die Werte des Männlichkeitsprogramms sind die gleichen wie die Werte des Profits (der Akkumulation von Geschenken), des Wettbewerbs, der Unabhängigkeit und der Selbstprivilegierung – Werte, die die Grundlage des Markts bilden.
Der Grund, warum es so schwierig ist, unsere gesellschaftlichen Probleme zu lösen – und ich schreibe dies zu einem Zeitpunkt, zu dem die Gefahr eines Kriegs zwischen G.W. Bush und Saddam Hussein die Welt bedroht; eines Kriegs, der einem Wettstreit zwischen zwei wichtigen Prototypen der Kategorie „Mann“ gleichkommt –, ist, dass aufgrund der ursprünglichen Geschlechtskategorisierung, die in jedem Leben reproduziert wird, die Probleme der Kategorisierung zum Teil unserer Geschlechtsidentitäten geworden sind und sich in unseren psychologischen, familiären und sozialen Strukturen festgesetzt haben. Diese werden als „gegeben“ hingenommen und dann wieder in die Geschlechtskategorisierung zurückgeführt. Sie bestätigen einander und scheinen „menschliche Natur“ zu sein, in der Frauen nicht als vollständig menschlich gelten, weil sie zuwenig wettbewerbsorientiert sind, um als Prototyp für die Kategorie des Menschen fungieren zu können, und weil sie die irrationale Eigenschaft haben, sich um andere zu sorgen. Das Patriarchat wird auf allen Ebenen bestätigt.
Die Projektion des Problems der Kategorisierung in den Markt erlaubt uns, die fatalen Kategorisierungsstrukturen in einem Bereich aufzudecken, der für alle sichtbar ist. Im Markt ist die Eines-Viele-Beziehung so deutlich wie in unserer Kindheit. Das Geld ist hier der Prototyp des Werts. Es findet ein Sortierungsprozess statt, und manchen Waren wird erlaubt, in den magischen Zirkel des Tauschwerts einzutreten, während andere – als Teil des Schenkens – ausgeschlossen bleiben. Tausch für Geld ist ein Weg, der Ware Wert zuzuschreiben (sie „als Wert zu benennen“). Ihr wird nicht deshalb Wert zugeschrieben, weil ihr geschenkt wird, sondern weil etwas für sie getauscht wird. Geld funktioniert hier als der „Name“ und nimmt eine ähnliche Funktion wie das Wort „Mann“ ein, und die Quantität an Geld, die für ein Produkt getauscht wird, offenbart uns, wie „männlich“ das Produkt eingeschätzt wird.
Geld ist etwas, das jemand besitzt, und der Besitz von großen Summen von Geld gibt uns die Macht, ein Prototyp zu sein. (Es gibt hier auch einen deutlichen phallischen Symbolismus.) Der Markt erlaubt auch Frauen, die Position eines Prototyps einzunehmen, zumindest in manchen Hierarchien. Etwa, wenn sie prominent werden und/oder Geld haben. Dies zeigt, dass es kein biologisches Vorrecht von Männern ist, Prototyp zu sein. Im Markt können beide Geschlechter sich um die Prototypposition streiten, ohne dabei andere Menschen schlagen oder töten zu müssen.
Auch das Privateigentum ist eine Eines-Viele-Beziehung. Sie entspricht dem, was Wygotski den „Familienkomplex“ nannte. Dieser beruht nicht auf Gleichheit, sondern auf „funktionalen Beziehungen“ – entsprechend der Beziehungen zwischen verschiedenen Mitgliedern einer Familie, die auf je unterschiedliche Weise auf deren Oberhaupt bezogen sind. Hier ist der Eigentümer der Prototyp, und seine Besitztümer sind die auf ihn bezogenen Objekte. Der Eigentümer steht in einer wechselseitig ausschließenden Beziehung zu allen anderen Eigentümern und deren Eigentum. In Bezug auf sein Eigentum kann jeder Mann seine Prototyprolle ausspielen, auch wenn er innerhalb der Kategorie „männlich“ keine Prototypposition erreichen kann. Dies betrifft nicht nur sein Hab und Gut, sondern dehnt sich auch auf den „Besitz“ von Frauen und Kindern – und manchmal Sklaven – aus. Der Eigentümer erwartet von diesen Geschenke und Dienstleistungen, um seinen ihnen gegenüber privilegierten Status zu demonstrieren.
Die Hypothese, dass der Markt eine materielle Manifestierung der Kategorisierung ist, hat mehrfache Bedeutung für uns. Erstens erlaubt sie uns, Kategorien und Zeichenprozesse sowie Prototypen und Wörter außerhalb des intellektuellen Bereichs zu untersuchen. Zweitens erlaubt sie uns, die Bildung des männlichen Geschlechts mit der Kommerzialisierung zu vergleichen, einem künstlichen gesellschaftlichen Kategorisierungsprozess, der in Widerspruch zum Schenken steht. Drittens erlaubt sie uns, die Einflüsse des Markts auf alle gesellschaftlichen Bereiche zu korrigieren. Viertens erlaubt sie uns, den Wert, den wir der Kategorisierung zuschreiben, kritisch zu reflektieren und wieder mehr Wert dem Schenken zu verleihen. Fünftens erlaubt sie uns, einen Standpunkt einzunehmen, von dem aus wir die Legitimation des Markts in Frage stellen können, der im Moment über Leben und Tod auf diesem Planeten bestimmt. Sechstens schließlich erlaubt sie uns damit, unsere gegenwärtige globale Krise zu begreifen und zu heilen – sowohl auf einer individuellen wie auf einer gesellschaftlichen Ebene.
Der Markt selbst ist ein Prozess, in dem Produkte produziert werden, um als Tauschwerte kategorisiert zu werden; als Nicht-Geschenke, die, sobald sie gekauft wurden, zu Gebrauchswerten werden. Es gibt in diesem Prozess keinen Platz für Geschenke und Werte, die Anderen durch Fürsorge verliehen werden (Vaughan 2008: 173ff). Schenken existiert ontogenetisch vor der Kategorisierung und sowohl ontogenetisch als auch phylogenetisch vor dem Markt. Danach existiert es neben diesen. Der Markt vereinnahmt Geschenke und verwandelt sie in Profit, was nicht erkannt wird. Profit wird stattdessen gesehen als „verdientes“ Geld, das dem Marktprozess selbst entstammt und vom Kapital „produziert“ wird (Kennedy 2003). Alle Aufmerksamkeit kommt der Kategorisierung des Tauschwerts zu, und das Schenken, das überall passiert, wird als das binäre Gegenteil des Tauschs ignoriert. Deshalb kann es als „Profit“ vereinnahmt und versteckt werden. Ein permanenter Bestandteil unseres Lebens wird dadurch unsichtbar gemacht. Ein anderer Bestandteil, der Markt, wird überbetont aufgrund des Gebrauchs des Kategorisierungsprozesses als Teil seiner funktionalen Identität. Es wird damit außerordentlich schwierig, die Verhältnisse richtig im Auge zu behalten.
Menschen kommt Bedeutung zu als Kategorisierende und Sortierende, nicht als Schenkende und Empfangende. Die Distanz zwischen uns und Anderen, der Mangel, der vom Markt und dem Privateigentum geschaffen wird, sowie wie der Gebrauch von Geld (sowohl um monetäre als auch nicht-monetäre Werte zu klassifizieren) führt zu der Überbetonung der Kategorisierung. Wir meinen, dass Wissen nur von Kategorisieren kommen kann. Das Wissen, das durch Schenken und Empfangen erworben wird, wird vergessen. Dies schafft einen blinden epistemologischen Fleck.
Patriarchale Prototypen (Kategorisierende und Sortierende) und deren Kategorien werden von der entsprechenden blinden Epistemologie gestärkt. Dies hat auch einen blinden moralischen Fleck zur Folge. Das wird etwa dort deutlich, wo ganze Bevölkerungen sich dafür entscheiden, Beherrschungskriege gegen jene zu unterstützen, die als Feinde kategorisiert werden, während niemand an die Möglichkeit denkt, sich mit Menschen außerhalb der eigenen Kategorie durch Schenken zu verbinden und Gemeinschaft zu kreieren. Selbst diejenigen, die individuell als Prototypen keinen Erfolg haben, können immer noch Mitglieder einer Prototypnation, Prototypklasse oder Prototypreligion sein. Dies erlaubt ihnen zu herrschen; genauso wie der einfache Status der „Männlichkeit“ im Patriarchat.
Auf der individuellen Ebene suchen Menschen, die nach Prototypstatus streben und das Schenken negieren, nach dem Sinn des Lebens, der – wie der Sinn der Sprache – mit dem Schenken und nicht mit der Kategorisierung verbunden ist. Das Männlichkeitsprogramm macht uns glauben, dass der Sinn des Lebens darin liegt, zu einem Prototyp zu werden, Andere anzugreifen und zu beherrschen. Dies kann soweit führen, dass manche ihre MitschülerInnen oder MitarbeiterInnen erschießen, um an die Spitze zu gelangen bzw. um der Eine zu sein, mit dem die Vielen verglichen werden. Nachdem sich dasselbe auf anderen Ebenen ereignet, zum Beispiel in internationalen Beziehungen, wo ein Land anderen den Krieg erklärt, sie mit Bomben angreift und die „Vielen“ tötet, um sich selbst als Prototyp zu etablieren, erscheint es dem Individuum so, dass dies auch auf individueller Ebene ein akzeptabler Weg ist, die Prototypposition zu erreichen. In Wirklichkeit liegt der Sinn des Lebens in der Subjektivierung durch Schenken, Kommunizieren und dem Schaffen von Gemeinschaft.
Auch auf der Ebene der Wahrnehmung spielen sich ähnliche Prozesse ab, wie die oben erläuterten. Tiere und selbst Mikroorganismen erkennen Dinge derselben Art. Diese Fähigkeit liegt auch der Entwicklung der menschlichen Sprache zugrunde (Danesi & Sebeok 2000:20). Auch Wörter – als phonetische Kombinationen – sind Prototypen. Wir können dasselbe Wort wieder erkennen, auch wenn es anders verwendet wird, und jedes Mal, wenn wir ein Wort verwenden, wissen wir, dass viele andere Menschen es in anderen Momenten und Kontexten verwendet haben und verwenden werden. Das gegenwärtige Wort – gesprochen, gehört, geschrieben oder gelesen – ist ein Prototyp und schafft eine Polarität zu allen anderen Anwendungen dieses Worts. Sein Prototypstatus deckt sich mit demjenigen des vorgestellten, erinnerten oder wahrgenommenen nicht-verbalen Objekts innerhalb einer materiellen Kategorie. Beide Prototypen teilen die polare Position, auch wenn die Polarität des Worts sich auf andere Anwendungen seiner selbst bezieht, und die Polarität des nicht-verbalen Objekts auf andere Objekte seiner Kategorie. Ich glaube, dass menschliche Sprache unsere Erkenntnisfähigkeit steigert, indem sie dem Erkennen eine Ebene verbaler Erfahrung schenkt, die wir reproduzieren können. Die verbalen und nicht-verbalen Ebenen, Wörter und Dinge, kreuzen und vereinigen sich, da es auf beiden um eine Gleichsetzung der Objekte zum Prototyp geht.
Die Fähigkeit von Wörtern, für Objekte zu stehen, kommt von unserem Gebrauch eines verbalen Prototyps, der den Platz eines nicht-verbalen Prototyps einnimmt. Beide halten dabei ihre polare Beziehung zu den Objekten ihrer Kategorie aufrecht und decken einander. Ihre gemeinsame Kategorie wird mit dem nicht-verbalen Prototyp identifiziert, doch ist dieser, in dem Moment, in dem das Wort seine Prototypposition ersetzt hat, nicht mehr notwendig, um die Kategorie zu definieren. Das Wort – der „Name“ – alleine reicht. Und wenn wir vergessen, was das Wort bedeutet, können wir uns des ursprünglichen nicht-verbalen Prototyps erinnern oder andere bitten, einen angemessenen nicht-verbalen Prototyp für die vom Wort definierte Kategorie zu beschreiben.
Wenn wir an die langue denken, die eine Sammlung von Wörtern darstellt, die sich in einer Beziehung wechselseitigen Ausschlusses befinden, können wir sehen, dass der Name die Kategorisierung gewissermaßen hin zu Homogenität weiterentwickelt. Dies gilt sowohl für das Etablieren wechselseitigen Ausschlusses zwischen Kategorien, die dem wechselseitigen Ausschluss von Wörtern entspricht, als auch für das Korrigieren von falschen Anwendungen eines Worts (beispielsweise wenn ein Kind zu einer Katze „Hund“ sagt und von Anderen auf das richtige Wort verwiesen wird). Beide Faktoren stärken eine homogene Kategorisierung. (Derselbe Mechanismus konnte oben in der Geschlechtskategorisierung beobachtet werden.) Die Fähigkeit des Worts, Kategorien zu homogenisieren, beruht zu einem großen Teil auf der gleichzeitigen Präsenz anderer Wörter und seiner Beziehung zu diesen. Die polare Eines-Viele-Beziehung wird ergänzt von einer Eines-unter-Vielen-Beziehung, die das Wort in der langue zu allen anderen Wörtern einnimmt.
Es gibt eine weitere Funktion, welche die verbale mit der nicht-verbalen Ebene teilt, nämlich die kommunikative Funktion des Schenkens. Wir haben gesehen, dass Schenken durch die Bedürfnisbefriedigung auf der materiellen Ebene menschliche Gemeinschaft bzw. auf Andere ausgerichtete Subjektivitäten schafft. (Siehe auch Marx zur Produktion und Konsumption in Grundrisse.) Essen, Kleidung, Unterkunft, selbst die Temperatur und Luftfeuchtigkeit, die wir in unserer Kindheit erfahren, haben eine spezielle Bedeutung für uns, weil sie Teil unserer ersten Erfahrung von Bedürfnisbefriedigung sind. Die Geschenke, die wir dabei erhalten, schaffen unseren Körper und unseren Geist. Unsere Neigungen, Sensibilitäten und Ideen rühren alle von dieser Erfahrung her. Das Empfangen und Schenken von materiellen Objekten verbindet uns mit den Generationen, die vor uns waren. Wir werden dabei auch von der Sprache und ihren Geschenken versorgt, die – auch wenn sie für uns zunächst unverständlich sein mögen – bald das zu vermitteln beginnen, was wir tun und wissen (schenken, empfangen und haben). Wörter sind nicht nur Ersatzprototypen, sondern auch Ersatzgeschenke, mit denen wir uns selbst als Schenkende und Empfangende schaffen.
Wenn das Schenken und Empfangen materieller Waren und Dienstleistungen gemeinschaftliche Beziehungen und vielfältige Subjektivitäten schafft, dann kann auch das Schenken und Empfangen von verbalen Objekten und Dienstleistungen gemeinschaftliche Beziehungen und Subjektivitäten schaffen. Bedürfnisse entstehen für diese Beziehungen en masse auf der Basis (oder jenseits) der materiellen Bedürfnisse und/oder wenn die materiellen Geschenke nicht zugänglich sind. Wir können diese Bedürfnisse nach Beziehungen „kommunikative Bedürfnisse“ nennen. Sie entstehen immer zwischen Menschen ungeachtet der Kontexte, in denen diese sich befinden. Die kommunikativen Bedürfnisse lassen sich befriedigen, indem verbale Wortgeschenke, Sätze und Diskurse, geschenkt und empfangen werden. Langfristig veranlassen dauerhafte kommunikative Bedürfnisse, die sich auf unsere natürlichen oder kulturellen, externen oder internen Kontexte beziehen, die gesellschaftliche Produktion von Wörtern. Kurzfristig veranlassen flüchtige Bedürfnisse die Produktion von Sätzen, in denen die gesellschaftlich produzierten Wörter verwendet werden.
Als ein Ersatzprototyp hält das Wort die Beziehung von Objekten in einer Kategorie aufrecht, genauso wie der eigentliche Prototyp. (7) Das Wort kann als Ersatzprototyp auch als Ersatzgeschenk gesehen werden, in dem Sinne, dass Menschen es anderen Menschen schenken werden können, um gemeinschaftliche Beziehungen zu schaffen – Beziehungen unter Gleichen zu einem Teil oder Aspekt der Welt, der als Geschenk oder Dienstleistung erfahren wird. Aufgrund dieser Funktionen des Worts – Ersatzprototyp und Ersatzgeschenk – kann Sprache auf kreative Weise unsere Beziehungen zur Welt und zueinander stärken ebenso wie unsere Wahrnehmungen und unsere Fähigkeit zu denken und bewusst und gemeinschaftlich zu handeln. Die beziehungsformende Schenkqualität des nicht-verbalen Objekts wird übertragen auf andere Menschen, indem ihnen Wörter als Ersatzprototypen und Ersatzgeschenke gegeben werden gemeinsam mit einer Syntax, die ebenfalls auf dem Schenkprinzip basiert. Es ist das Schenken auf verschiedenen Ebenen, das es uns erlaubt, Nachrichten und Informationen zu teilen.
Die beiden beschriebenen Funktionen erlauben uns auch die Signifikation in einem doppelten Sinne zu verstehen. Schenken schafft Beziehungen zwischen nicht-verbalen Objekten und Wörtern ebenso wie zwischen Menschen. Dies entspricht dem Schaffen von Beziehungen auf der verbalen Ebene – das, was wir Syntax nennen. Die Gleichsetzung von Wörtern und nicht-verbalen Objekten wird möglich, weil Objekte – wie Wörter – potentielle, auf Andere gerichtete Geschenke sind. Es gibt hier eine Ikonizität auf zwei Ebenen. Eine weitere Ikonizität kommt vom gleichzeitigen Gebrauch von Wörtern und nicht-verbalen Objekten als Prototypen. Indem Wörter als Ersatzprototypen an Andere geschenkt werden, können wir die Aufmerksamkeit der Anderen auf deren eigene nicht-verbale Prototypen lenken und auf die Objekte, die auf sie bezogen sind. Wir schenken Prototypen, aber wir verstehen das nicht, weil wir den Prototyp des Schenkens nicht mehr erkennen.
Unsere Untersuchung der Sprache hängt wesentlich von der Weise ab, auf die Menschen die Welt interpretieren. Wenn unsere Einstellung zur Welt und zur Sprache dem Schenken gegenüber nicht offen ist, begreifen wir dies nicht und die Ikonizität geht verloren. Wenn wir aber unser Erbe als mütterlich versorgte Kinder nicht verlieren, also als homo donans (und nicht nur als homo sapiens), werden wir fortsetzen zu schenken und zu empfangen, in unserer Wahrnehmung und Kommunikation wie in unseren materiellen Beziehungen. Wir werden dies tun, selbst wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Unsere negative Einstellung zum Schenken kommt hauptsächlich von der Überbewertung der Prototypen des Patriarchats und des Markts, die, wie wir gesehen haben, auf der Negation und Vereinnahmung des Schenkens basieren.
Da das Schenken nicht sichtbar ist, mag die Bedeutung des Prototyps automatisch oder instinktiv wirken, Teil des hardwiring unserer Gehirne. Das Modell des Modells, der Prototyp des Prototyps, übernimmt die Kontrolle und verdeckt das Geschenk. Das Vermächtnis der Mütter wird hirnphysiologisch erklärt. Das Männlichkeitsprogramm und der männliche Prototyp beherrschen die Identität sowohl von Männern als auch von Frauen und formen Staaten wie Konzerne nach ihrer Logik. Nicht-Schenken, Wettbewerb, Feindseligkeit und Akkumulation bestimmen alle Lebensbereiche. Alles wird beherrscht vom Kampf darum, das Eine zu sein, das die Vielen beherrscht. Oft genug wird dies mit Verweisen auf das dominante Verhalten männlicher Tiere legitimiert – anstatt Menschlichkeit über die Evolution mütterlicher Fürsorge zu begreifen.
In beiden Fällen – dem des Prototyps wie dem des Geschenks – hängt die Ikonizität von „Zuschreibungen“ ab, die Menschen individuell wie kollektiv vornehmen. (In gewissem Sinne sind diese Zuschreibungen auch Anerkennungen, da es geschehen mag, dass etwas zugeschrieben wird, das bereits existiert.) Die ersten Zuschreibungen, die wir machen, betreffen die Relevanz verschiedener Aspekte unserer Wirklichkeit für das Schenken bzw. die Bedürfnisbefriedigung. Dies erlaubt uns, die damit verbundenen Wörter als Ersatzgeschenke zu verwenden, um die kommunikativen Bedürfnisse Anderer in Zusammenhang mit diesen Aspekten zu befriedigen. Wir befriedigen ihr Bedürfnis nach einer Verbindung mit uns, indem wir ihnen die gesellschaftlichen Ersatz-Wort-Geschenk-Prototypen geben, die in unserer Sprachgemeinschaft für die Objekte stehen, über die unsere Verbindung hergestellt wird. (8) Dieses kommunikative bedürfnisbefriedigende Geschenk schafft eine Beziehung zwischen Schenkenden und Empfangenden und dem nicht-verbalen Objekt oder Ereignis. Es schafft auch eine Beziehung der Schenkenden zu dem nicht-verbalen Objekt als etwas, das eine Parallele in der Beziehung hat, welche die Empfangenden jetzt zu ihm haben. Damit – auch wenn es sich um das kommunikative Bedürfnis Anderer handelt, das wir befriedigen – schaffen wir ebenso eine Beziehung für uns selbst.
Auch auf einer anderen Ebene schreiben wir Wörtern Schenkcharakter zu. Dies erlaubt ihnen, ihre Bedürfnisse gegenseitig zu befriedigen bzw. sich gegenseitig in der Syntax zu modifizieren. „Rot“ modifiziert „Apfel“, weil einem Apfel auf der Realitätsebene eine Eigenschaft (rot) zugeschrieben wird. Mit anderen Worten, das Substantiv „Apfel“ (ein Ersatzgeschenk) empfängt das Adjektiv „rot“ als Geschenk. Die beiden Wörter verbinden sich, weil eines dem anderen für einen Moment zugeschrieben wird und sie damit zusammen das Ersatzgeschenk für das mögliche nicht-verbale Geschenk sind, auf das in diesem Moment verwiesen wird. In jedem Fall wird ein kommunikatives Bedürfnis befriedigt, egal ob der Apfel nun selbst wirklich geschenkt und empfangen wird.
In jeder Sprache können bestimmte verbale Geschenke bestimmte andere verbale Geschenke empfangen bzw. ein Bedürfnis nach diesen ausdrücken – diese Beziehung gilt jedoch nicht zwischen allen verbalen Geschenken. Im Englischen können Substantiva Adjektiva empfangen, aber keine Adverbien. Sie können Singularendungen oder Pluralendungen empfangen. Sie können bestimmte und unbestimmte Artikel empfangen – was abhängt von den Arten des Geschenks, die sie im Moment ersetzen. Sie können positive oder negative Suffixe und Präfixe empfangen. Die Substantiv-Verb-Struktur verhält sich ikonisch zu der Interaktion von Schenkenden und Geschenk oder von Dienstleistung und Empfangenden. In aktiven Sätzen wird die Aufmerksamkeit auf die Schenkenden gerichtet: „Das Mädchen trat den Ball.“ In passiven Sätzen richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Empfangenden: „Der Ball wurde vom Mädchen getreten.“ Präpositionen und Konjunktionen erlauben es, Geschenke, die an Wörter gegeben werden, daraufhin an andere Wörter weiterzugeben. Alle Teile eines Sprachbaums können als genau das gesehen werden: als Inputs, das heißt: als Geschenke.
Schenken ereignet sich auf vielen Ebenen. Es beginnt mit mütterlichem materiellem Schenken und dem Empfangen des Kindes und wird danach ausgedehnt auf viele Arten materieller Schenkbeziehungen. Dies setzt sich fort im Schenken und Empfangen der Wahrnehmung. Es folgt das Schenken nicht-verbaler und verbaler Zeichen sowie das Schenken zwischen verbalen Zeichen. Jeder Satz ist ein komplettes, einfaches oder komplexes Geschenk, das Beziehungen zwischen Sprechenden und Hörenden oder Schreibenden und Lesenden schafft. Diese Beziehungen variieren mit den unendlichen Möglichkeiten externer und interner Bedingungen. Die Geschenke der verbalen Ebene machen Beziehungen zwischen Objekten auf der nicht-verbalen Ebene möglich und demonstriert, dass diese als bedürfnisbefriedigende Geschenke angewandt werden können. Ein gemeinsamer Grund oder ein gemeinsames Thema werden geschaffen, dem alle Sprechenden schenken können und von dem sie alle empfangen können. Im Prozess des Dialogs werden alle Sprechenden zugleich Schenkende wie Empfangende. Sprechende und Hörende schaffen ihre Subjektivitäten als Schenkende und Empfangende in sprachlicher Praxis, selbst wenn sie auf der materiellen Ebene nichts schenken oder empfangen.
Es ist nicht nur so, dass Menschen kommunizieren müssen, um zusammenarbeiten zu können. Kommunikation ist nicht nur etwas, das „fertigen“ Menschen hinzugefügt wird. Wir müssen kommunizieren, um überhaupt Menschen zu werden und zu sein. Dies gilt von unserer Kindheit an. Wir sind gezwungen zu kommunizieren – kom-muni-zieren: gemeinsam schenken.
Die relationale Ikonizität des Schenkens verbindet die verschiedenen Bereiche und Ebenen der Kommunikation. Es gibt auch eine Ikonizität des Prototyps auf verschiedenen Ebenen. Wir können jedes Objekt als einen Prototyp nehmen, außer wenn wir bereits einen Prototyp für dieses Objekt haben, in welchem Fall es eines der Vielen einer Kategorie wäre. Wenn Wörter in ihrer Rolle als Prototypen nicht-verbale Objekte ersetzen, die auf der nicht-verbalen Ebene Prototypen sind, können wir die Objekte ihrer Kategorie direkt auf das Wort beziehen, ohne dass wir an den nicht-verbalen Prototyp selbst denken müssen. Das Wort kann hier als Ersatzprototyp fungieren. Wenn wir einmal unsere Kategorien konstruiert haben, kann jedes Objekt dieser Kategorie als Prototyp der Kategorie fungieren, solange es eine polare Äquivalenzposition allen anderen Objekten der Kategorie gegenüber einnimmt. Ein Ersatzprototypwort wie „Katze“ kann in jeder seiner Anwendungen für eine Kategorie insgesamt oder für ein Objekt der Kategorie stehen. Die Wortgeschenke, die ihm gegeben werden, um es zu modifizieren – zum Beispiel „alle Katzen“ oder „die schwarze Katze“ –, können die Polarität ausdehnen oder reduzieren, die es in diesem Moment zu berücksichtigen gilt. Das allgemeine Äquivalent wird konstruiert im Zuge wiederholter Vergleiche von jedem der Objekte einer Kategorie zum Prototyp. Jede einzelne Katze kann zu dem Wort „Katze“ in Beziehung gesetzt werden, das Wort kann aber auch als allgemeines Äquivalent bzw. Ersatzprototyp für alle Katzen stehen. Das kognitive Problem, dass wir nicht alle immer die Vorstellung, Wahrnehmung oder Erinnerung desselben Prototyps teilen, kann durch das Schenken und Empfangen des Worts als Ersatzprototyp gelöst werden.
Die Polarität des allgemeinen Äquivalents, die, wie von Marx beschrieben, auf der makroskopischen Ebene des Geldes besonders ausgeprägt ist, findet sich auch in der Sprache. Wir leben in einer Welt, in der wir über alles sprechen können, und wenn wir aus irgendeinem Grund nicht sprechen können, dann können wir an die Wörter denken, die als Ersatzprototypen für etwas stehen. Als Erwachsene verwenden wir Wörter in ihrer ausschließlichen Funktion als allgemeine Äquivalente jedoch selten, weil wir bereits wissen, welche Objekte als Teile derselben Kategorie aufeinander bezogen sind über ein spezifisches Wort, das als ihr Ersatzprototyp funktioniert. Im Definieren und Benennen sind wir allerdings auf die Funktion des Worts als allgemeinem Äquivalent angewiesen. Hier konzentrieren wir uns auf spezifische Wort-Geschenke und ihre Allgemeinheit wird deutlich. In der langue Saussures geschieht Ähnliches: hier handelt es sich um eine Sammlung von verbalen Prototypen als allgemeinen Äquivalenten, die durch eine Reihe von logischen Bindewörtern und grammatikalischen Mitteln (Werkzeugen) verbunden werden, die das Schenken von Wörtern an andere Wörter ebenso erleichtern wie das Aufeinander-Abstimmen der verschiedenen Weisen, auf die Wörter geschenkt werden können – einzeln oder gemeinsam. Wortgeschenke (Ersatzprototypen) zu kombinieren, indem sie einander geschenkt werden, erlaubt uns, Polarität aufrechtzuerhalten und eine verbale Ebene zu schaffen, die einer materiellen oder empirischen Ebene entspricht. Das Schenken und Empfangen von Wörtern ist viel leichter und vollzieht sich viel schneller als das Schenken und Empfangen von materiellen Geschenken und schafft gemeinschaftliche Beziehungen zwischen Individuen genauso wie das Schenken und Empfangen auf der materiellen Ebene.
Ein Ereignis – zum Beispiel: „Die schwarze Katze sprang auf meinen Schoß“ – könnte in manchen Sprachen als ein Prototyp fungieren, auf den ähnliche Ereignisse bezogen werden können. Im Englischen funktioniert das nicht, aber Elemente des Ereignisses können auf Prototypen bezogen sein, welche die Elemente definieren. Diese Prototypen werden im Beispiel des obigen Satzes ersetzt durch die Wortgeschenke „schwarz“, „Katze“, „gesprungen“, „Schoß“, usw. Ergänzt werden die angemessen (schenkenden) Werkzeuge: ein bestimmter Artikel, eine Präposition und ein Possessivpronomen, eine Zeitendung. Die verschiedenen Elemente des Satzes passen zusammen als Geschenke, die einen vorübergehenden verbalen Ersatzprototyp schaffen, ein zusammengesetztes Wortgeschenk, auf welches das Ereignis als ein Objekt seiner Kategorie bezogen werden kann. Dieses Objekt selbst besteht aus mehreren Objekten, die auf ihre eigenen verbalen Prototypen bezogen sind: „schwarz“, „Katze“, „springen“, etc. „Schwarz“ ist eine Eigenschaft der Katze, da die Katze schwarz ist. Die Mutter Erde, das Universum, ihre Eltern, genetische Veranlagung haben ihr diese Farbe geschenkt. Die Tatsache, dass ihr dieses Geschenk/diese Eigenschaft gegeben wurde, wird darin ausgedrückt, dass dem Wort „Katze“ in diesem Satz das Wort „schwarz“ geschenkt wird. Die Tatsache, dass die Katze mein Eigentum ist – etwas, das ich empfangen habe und dessen Bedürfnisse ich befriedige –, wird darin ausgedrückt, dass dem Wort „Katze“ das Possessivpronomen „meine“ geschenkt wird.
Für Zwecke der Kategorisierung können wir auch die gemeinsamen Eigenschaften von Katzen betonen, indem wir die Gleichung umdrehen und einen individuellen oder idealisierten Katzenprototyp, oder das Wort als Ersatzprototyp, gebrauchen als das einzig relative Objekt, während alle anderen Katzen die äquivalente Position einnehmen. Dies wäre Marx’ „entfalteter relativer Wertform“ ähnlich. In unserem Beispiel würde dabei die Allgemeinheit des Prototyps in den gemeinsamen Eigenschaften von Katzen reflektiert, nachdem von besonderen Unterschieden abstrahiert wurde. Es gibt jedoch gewöhnlich keinen Grund dies zu tun, außer im Fall philosophischer Untersuchungen.
Im Benennen gibt es eine Ikonizität zwischen dem Prototypcharakter des Worts im Verhältnis zu den vielen verschiedenen Anwendungen des Worts und dem Prototypcharakter des nicht-verbalen Prototyps; etwas, das betont wird (oder das erinnerte oder vorgestellte Bild dieses Etwas) in Beziehung zu anderen Anwendungen des Objekts. (Die Beziehung zwischen dem Prototyp und den Vielen lässt sich auch ikonisch illustrieren anhand des Verhältnisses zwischen dem zeigenden Finger und den anderen Fingern einer Hand, die zurückgezogen werden, sowie des Verhältnisses zwischen dem einzelnen Objekt, auf das gezeigt wird, und seinem Hintergrund bzw. allen anderen Objekten seiner Kategorie (Vaughan 1997: 287-289).)
Die Ikonizität der kategorischen Beziehungen zwischen Prototyp und gesellschaftlich etablierten Mustern von Hegemonie, Klassifikation und Kontrolle wendet diesen Aspekt der Kommunikation gegen sich selbst und schafft Herrschafts- und Unterwerfungsbedingungen innerhalb sich gegenseitig stützender Hierarchien, die das Schenken der Vielen ausbeuten. Dies führt zu einem parasitären Verhältnis der wenigen Prototypen zu den Geschenken der Vielen, die als „Wirte“ fungieren. Obwohl die individuellen Leben von Frauen wie von Männern in vielerlei Hinsicht von Schenken und Empfangen durchdrungen sind, haben die gesellschaftlichen Strukturen des Patriarchats und des Markts die Kontrolle übernommen. Ihre Hegemonie ist heute global so weit ausgedehnt, dass die Menschheit und das Leben auf dieser Erde gefährdet sind. Es nimmt nicht Wunder, wenn in dieser entfremdeten Situation die Funktion des Zeichens, speziell des sprachlichen Zeichens, „natürlich“ und als Teil unseres „biologischen Erbes“ erscheint, anstatt als Variation und Aneignung der notwendigen gesellschaftlichen Praxis eines funktionalen Altruismus, mit anderen Worten: des Schenkens.
Der Schenkcharakter des verbalen Prototyps und der Schenkcharakter des nicht-verbalen Prototyps ergeben ein doppeltes Geschenk oder ein Geschenk auf zwei Ebenen. Tatsächlich glaube ich, dass der Gebrauch des Prototyps und des Namens in der Kategorisierung (9) hauptsächlich damit zu tun hat, auf die Ebene der Sprache zu gelangen, wo Schenken praktiziert werden kann, selbst dann, wenn materielle Geschenke nicht zugänglich sind. Dies ist der Grund dafür, warum der Tausch – der in gewissem Sinne auch ein Doppelgeschenk ist – der Sprache so ähnlich ist, speziell der Definition und dem Benennen. Das Schenken auf der verbalen Ebene demonstriert die enormen Möglichkeiten, die entstehen, wenn wir uns wirklich miteinander verbinden. Der Wechsel hin zum Tausch, wo wir Geld für Waren (gemäß ihrem Tauschwert) ersetzen, schafft eine monolithische Realität. Eine Realität, die diesen Wechsel legitimiert und die von einem einzigen – „holophrastischen“ – Wort, dem Geld, dominiert wird. Sowohl das Geld als auch die Waren sind Nicht-Geschenke und richten sich gegen das Schenkprinzip. Sie gleichen einander als Nicht-Geschenke genauso wie sich Wörter und materielle Objekte als Geschenke gleichen.
Nicht-Schenken, Ersetzen und Verdrängen sind die Hauptaktivitäten des Markts. Wir können uns das Ersetzen im Prozess des Benennens als „vertikales“ Ersetzen vorstellen: ein Wortgeschenkprototyp nimmt den Platz eines materiellen Geschenkprototyps ein. Im Tausch wird daraus ein „horizontales“ Ersetzen: der materielle Geldprototyp nimmt den Platz der materiellen Ware ein. Das Bedürfnis nach Geld ist ein metalinguistisches, metakommunikatives Bedürfnis nach einem Kommunikationsmittel, das, wie ein Wortgeschenk, wieder geschenkt werden kann. Daher die Ähnlichkeit zwischen dem Definieren und Benennen und dem Tausch für Geld. Dieses „Wortgeschenk“ kann allerdings nie gelernt werden, weil die „Hörenden“ nicht die Mittel haben, um es zu reproduzieren. Außerdem wird es nur gegeben, um einen äquivalenten Wert zu empfangen; also wird es nicht wirklich geschenkt.
Die Ersetzung einer Ware anhand des materiellen Prototyps des Tauschwerts schafft keine neue Ebene des Schenkens (in der Sprache hängt eine neue Ebene des Schenkens von der gleichzeitigen Präsenz einer langue anderer Ersatzobjekte ab). Alles, was der Tausch als Verteilungssystem schafft, ist ein immer weiterer Kontext der Ersetzung, in der der Markt den Platz der Schenkweise einnimmt und eine gesellschaftliche Struktur schafft, die sich ikonisch verhält zu jedem individuellen Moment des „Den-Platz-Einnehmen-von“, zu dem es im Tausch kommt. Wenn wir dies bedenken, überrascht es nicht, dass die Logik und die Werte des Markts selbst in die kleinsten Nischen unseres Denkens eindringen; eines Denkens, das geprägt ist von den Zeichenprozessen, die den Markt bestimmen.
Die Konsequenz dieser Überlegungen muss meiner Ansicht nach sein, dass zahlreiche der Entweder-oder-Situationen, die wir in unserem Leben schaffen (entweder mein oder nicht mein, entweder männlich oder weiblich, entweder Geld oder Ware, entweder gekauft oder verkauft, entweder Geschenk oder Tausch) nicht unser ursprüngliches Denken reflektieren, sondern Resultate einer Spaltung im Denken sind, die in der Trennung des Weiblichen vom Männlichen und der Trennung des Schenkens vom Nicht-Schenkens zu finden ist, genauso wie von der Identifikation des Prototyps „Mensch“ mit „Männlichkeit“ und „Nicht-Schenken“. Diese Probleme charakterisieren den Markt und werden von dort wieder in unsere Identität und unser Denken zurückgeführt. Das Privateigentum wird damit zur Metaform der Kategorie, und der Tausch zur Metaform der Kommunikation. Indem wir diese Metaformen und die von ihnen bedingte „Realität“ in Frage stellen und dem Schenken wieder den ihm gebührenden Wert zukommen lassen, können wir den ideologischen Überbau öffnen und gesellschaftliche Veränderung ermögliche. Außerdem können wir zu einem adäquateren Verständnis von Sprache und Denken gelangen. Nachdem es die Frauen sind, die der frühen Maskulisierung entkommen und immer noch Mütterlichkeit demonstrieren (die auch von ihnen erwartet wird), dürfte es für sie am leichtesten sein, die Logik des Schenkens zu erkennen und zu verteidigen, um die Befreiung aller aus den Fesseln des Tauschprinzips und der Herrschaft des Prototyps voranzutreiben.
Fußnoten
1 In jüngerer Zeit hat es eine weitere Abstraktion gegeben, eine „De-Inkarnation“ des Geldes in der Form von Kreditkarten und Onlinebanking. Dennoch ist es wesentlich, das Geld in der Form zu begreifen, in der es tausend Jahre lang existiert hat. Außerdem kann auch der Wechsel von Gold zu Papiergeld bereits als eine Form von „De-Inkarnation“ begriffen werden.
2 Diese und ähnliche Statistiken können auf www.osearth.com gefunden werden.
3 Die Form des Markts und des Privateigentums hat sich in den letzten Jahren verändert, nachdem immer mehr Zeichen (verbale wie nonverbale) zu Waren geworden sind, in der Werbung wie in Copyright- und Patentrechten. Selbst Saatgut, sauberes Wasser und saubere Luft, der Atem des Lebens und der Sprache werden verschmutzt. Sie werden damit kommerzialisierbare „Mangelware“. Es gibt einen strukturellen Wandel, der es noch notwendiger als vorher macht, Zeichen wieder als Geschenke zu begreifen und sich all der freien (geschenkten) Aspekte des Lebens zu entsinnen, inklusive aller Spezies von Pflanzen und Tieren.
4 Ich nenne dies „männliche Herrschaft“, auch wenn sie von Frauen ausgeübt wird. Das entsprechende Wertesystem, das dem Handeln vieler Individuen und Konzerne zugrunde liegt, ist der „patriarchale Kapitalismus“.
5 Homosexualität mag eine Ausnahme darstellen, obwohl viele homosexuelle Männer dem Männlichkeitsprogramm folgen, wenn wir von ihrer Sexualität absehen. Manche homosexuelle Frauen folgen dem Männlichkeitsprogramm in ihrer Sexualität, doch die meisten folgen den Werten des Schenkens.
6 Frauen erhalten zehn Prozent des globalen Einkommens aller Arbeitenden und besitzen weniger als ein Prozent des globalen Eigentums. Siehe www.osearth.com (Global Primer: Women).
7 Eine einzelne phonetische Kombination kann als Ersatzprototyp dienen, der die Beziehung von Objekten verschiedener Kategorien in der Polysemie aufrechterhält. Ihr Prototypcharakter kann außerdem metaphorisch auf ähnliche Kategorien ausgedehnt werden.
8 Es ist wichtig festzuhalten, dass wir den Hörenden/Lesenden hier etwas schenken, das sie bereits haben, insofern als dass sie die Wörter erkennen und möglicherweise reproduzieren können. In einer Marktgesellschaft ist es nicht leicht, das Konzept des Schenkens im Überfluss zu verstehen. In der Sprache gibt es jedoch ständig einen Überfluss an sprachlichen Geschenken, weil uns allen die Mittel gegeben wurden, Wörter zu produzieren und zu schenken. Wenn uns etwas geschenkt wird, das wir bereits haben oder das wir selber produzieren können, wissen wir, dass uns dieses Geschenk nicht gegeben wurde, um einen Mangel zu beheben. Es wurde uns gegeben, um eine Beziehung zu schaffen, die über das materielle Bedürfnis hinausgeht. Vielleicht ist es das, was mit der Unterscheidung zwischen einer Kommunikation des Überflusses (jenseits der Bedürfnisse) und einer „utilitaristischen“ Kommunikation gemeint wird.
9 Die Definition und das Benennen sind Dienstleistungen von Sprechende an Hörende/Lesende. Sie befriedigen dabei metasprachliches Bedürfnis nach einem verbalen Prototyp, der wieder als verbales Geschenk gegeben werden kann anstelle des nonverbalen Prototyps. Die Dienstleistung behebt einen Mangel, während der Gebrauch des Worts ein kommunikatives Bedürfnis befriedigt anhand eines Wortgeschenks, das die Hörenden/Lesenden bereits „haben“. Sätze, die mit Bindewörtern gebildet werden, vereinen den Prototyp und die Schenkfunktion (Vaughan 1997: 137-149).
Literatur
Caille, Alain and Jacques T.Godbout. 1992. L’Esprit du don. Paris. Editions La Decouverte.
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