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Geschenkewirtschaft oder Tauschwirtschaft
(eine Diskussion für Frieden anstatt Krieg)
von Genevieve Vaughan

 

Während ich hier zu ihnen spreche, geht mein Land im Glauben, die Leitnation der Welt zu sein, daran, verheerende apokalyptische Kriege mit riesigen Verlusten an Menschenleben und ökologischer Zerstörung zu inszenieren. Das von den Demokraten dominierte Abgeordnetenhaus, dessen Mitglieder von den Menschen gewählt wurden, damit sie dem Krieg im Irak ein Ende setzen, hat sich nicht klar genug eingesetzt für eine Beendigung des Wettlaufs der Zerstörung. Was ist der Grund für diese Tragödie? Wie kann es sein, dass so viele Menschen in den USA und anderswo immer noch diese Projekte des Schreckens unterstützen, das Tun einer Gruppe von Tyrannen, nämlich des Präsidenten und seines BeraterInnenstabes?

Ich glaube, dass dies der Fall ist, weil unsere pyramidenförmig strukturierte Gesellschaft zwar eine logische Grundlage für den Krieg, jedoch nicht für den Frieden kennt. Ich hoffe, dass es mir gelingt, ihnen eine logische Grundlage für den Frieden zu vermitteln, eine logische Grundlage, die sowohl aufzeigt, wie wir sie umsetzen können als auch was wir bisher falsch gemacht haben. Durch sie wird sichtbar, warum wir anstelle des Krieges den Frieden wollen sollen und warum dieser Wunsch stark genug sein sollte, um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Am kommenden Wochenende wird hier in Graz eine Veranstaltung stattfinden, der Schwarzmarkt, bei der über die Geschenkewirtschaft gesprochen werden soll. Leider kann ich nicht daran teilnehmen, aber wie ich der Liste der ReferentInnen entnehmen kann, ist niemand dabei wie ich, der die Verbindung herstellt zwischen dem Schenken, dem Hegen und Pflegen, der Sprache, und einer grundlegend neuen Weltsicht. Der Grund dafür liegt meiner Überzeugung nach darin, dass wir alle in einem System des patriarchalen Kapitalismus leben, der uns mit seinen Werten einer viel wirkungsvolleren Gehirnwäsche unterzieht als uns bewusst ist. Dies wird klar, wenn wir die Geschenkewirtschaft als eine radikale Alternative zum patriarchalen Kapitalismus betrachten, und erkennen, dass diese Alternative lange vor dem Kapitalismus existiert  hat und wirksam ist – sowohl historisch als auch lebensgeschichtlich gesehen – und dass sie unerkannt weiter besteht, von allen Menschen in gewissem Masse, jedoch unsichtbar, ausgeübt.

Wie Marcel Mauss vor vielen Jahren festgestellt hat, ist die Geschenkewirtschaft ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, und ich möchte hinzufügen, dass wir verstehen müssen, wie dieses Phänomen mit den Frauen und dem Hegen und Pflegen zusammenhängt. Ein Diskurs über die Geschenkewirtschaft trägt darüber hinaus nur dann wirklich zur Veränderung der Gesellschaft bei, wenn damit eine grundlegende Kritik der Tauschwirtschaft einhergeht.

Heute existieren auf der Welt zwei logische Grundlagen für das Wirtschaften, die Tauschwirtschaft, d.h. man gibt um dafür ein Äquivalent des Gegebenen zu erhalten, und die Geschenkewirtschaft, d.h. Geben um ein unmittelbares Bedürfnis zu erfüllen. Es ist sehr wichtig, zwischen diesen beiden Systemen zu unterscheiden, weil sie oft verwechselt werden. Man spricht von einem „Austausch von Geschenken“, aber ich bestehe darauf, das Schenken und das Tauschen klar auseinander zu halten, denn sie verlaufen entgegengesetzt und führen zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Folgen. 

Zum einen ist der Modus der Geschenkewirtschaft transitiv und orientiert sich auf ein Gegenüber. Der Modus der Tauschwirtschaft ist intransitiv, auf das Ego ausgerichtet und misst dem Ich einen hohen Wert bei, indem das Gegenüber als Mittel zum Zweck eingesetzt wird. Schenken heißt, die Bedürfnisse meines Gegenübers wahrzunehmen, während beim   Tauschen das Augenmerk auf den eigenen Bedürfnissen liegt. Die empfangende Person ist ein wichtiger Teil des Schenkvorganges und muss das Geschenk auf kreative Art und Weise in Empfang nehmen, bevor die Transaktion abgeschlossen werden kann. In der Tauschwirtschaft müssen die Tauschpartner das Produkt nur kaufen, ob sie es zu ihrem Nutzen einsetzen oder nicht, ist für den Prozess irrelevant. Schenken ist integrierend und kooperativ, während die Tauschwirtschaft ausschließt und von einer Gegnerschaft ausgeht. Denn in Wahrheit versuchen alle, einen größeren Vorteil auf Kosten des Gegenübers  aus der Transaktion zu ziehen. Während Schenken Verbindung und Verbindlichkeit sowie Vertrauen schafft, zerstört das Tauschen bestehende Bindungen durch Wettbewerb, reziproke Abhängigkeiten und Gleichgültigkeit. Schenken schafft Gemeinschaft, wie durch den Syllogismus „wenn A etwas an B schenkt und B wiederum C etwas schenkt, dann schenkt A an C. Im Gegensatz dazu steht die quantitative Identitätslogik, die im System der Tauschwirtschaft benötigt wird für „Menge x von A = Menge y von B. Die Gleichsetzung entsteht durch den Ersatz eines Gegenstandes durch einen anderen. In der Tat ist das Tauschen selbstreflexiv, während das Schenken auf die Andere/den Anderen ausgerichtet und für sie oder ihn erkennbar ist.

Beide logischen Grundlagen koexistieren und interagieren fortwährend. Eben die der Geschenkewirtschaft eigene Transparenz gegenüber der anderen Person verhindert den Selbstverweis, während die selbstreflexive Funktion der Tauschwirtschaft diesen Verweis auf sich selbst in den Vordergrund stellt. Als kooperative Interaktion steht die Geschenkewirtschft nicht im Wettbewerb mit der Tauschwirtschaft, die ihrerseits als kompetitive Interaktion sehr wohl mit der Geschenkewirtschaft im Wettbewerb steht ...... und gewinnt, auch wenn der Gegner nicht mitkämpft. Um die paradoxe Situation aufzulösen, die durch die Koexistenz dieser beiden logischen Grundlagen entstanden ist, muss man auf die Metaebene gehen und sie als allgemeine Verhaltensweisen und Weltsichten miteinander vergleichen und beurteilen. Dazu ist es erforderlich, der Geschenkewirtschaft einen Wert beizumessen und sie auf einer Ebene mit der Tauschwirtschaft sichtbar werden zu lassen. Ich glaube, dass die Geschenkewirtschaft überall in der Gesellschaft aufzufinden ist und dass vieles, das wir als tauschwirtschaftliche oder neutrale Prozesse interpretieren, in Wahrheit der Geschenkewirtschaft zuzuordnen ist. Ich möchte zum Beispiel das Kommunizieren als eine Form der Geschenkewirtschaft bezeichnen, und ich arbeite seit vielen Jahren an einer Theorie der Sprache als Schenken. Die akademische Welt ist sowohl von der Tauschwirtschaft als auch vom Patriarchat beeinflusst, und unterlässt es deshalb, das Schenken als einen Interpretationsschlüssel zu verwenden. Diesen Schlüssel wieder zurückzuholen und dadurch eine umfassendere Weltsicht zu schaffen, ist sowohl ein Projekt des Feminismus als auch eine Herausforderung an ihn – eine Weltsicht zu schaffen, in der der Mensch nicht nur als homo sapiens oder homo economicus sondern homo donans gesehen wird.

Obwohl wir vielleicht nicht glauben, dass wir uns dieser beiden Wirtschaftslogiken bewusst sind, sind wir in Wahrheit sehr sensibel dafür. Der Konflikt zwischen den beiden belastet uns sehr. Hat xy das getan, um mich auszunutzen? Hat sie gelächelt, weil sie mich gern hat? War es ein Tausch oder ein Geschenk? Wir können zynisch werden wie Pierre Bourdieu oder übertrieben puristisch wie Derrida und behaupten, dass ein einseitiges Geschenk ein Ding der Unmöglichkeit oder ein Akt der Hinterlist ist.

Dennoch haben Stephen Post und Jill Niemark soeben ein Buch geschrieben – „Warum guten Menschen Gutes widerfährt“, in dem es heißt, dass Altruismus der Gesundheit wirklich zuträglich sei. Es gibt Menschen, die jedoch behaupten, dass das Wohlgefühl die Entschädigung sei, und deshalb die Menschen, die Gutes tun in Wirklichkeit  Tauschwirtschaft betreiben.

Ich glaube, dass die Logiken des Schenkens und des Tauschens in uns allen in einem gewissen Ausmaß koexistieren, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der so vieles auf der Tauschwirtschaft beruht. Die meisten Frauen sind jedoch auf eine gewisse Zeit in ihrem Leben sozialisiert, in der sie die Logik des Schenkens befolgen, und diese Zeit bricht mit der Mutterschaft an. Sie sind normalerweise immer noch so sozialisiert, ob sie nun tatsächlich Mutter werden oder nicht. In Wirklichkeit werden alle Kinder als EmpfängerInnen von Geschenken und Dienstleistungen geboren, weil sie abhängig sind und über nichts verfügen, was sie im Tausch für das Erhaltene geben könnten. Jemand muss ihnen ohne Gegenleistung etwas geben, sonst sterben sie. (Es ist nicht die biologische Veranlagung der Mütter, die sie dazu treibt, sich mütterlich zu verhalten, sondern die biologische Veranlagung von Babies, die es erfordert, dass sie jemand hegt und pflegt.)

Andererseits schafft die Tauschwirtschaft selbst einen Rahmen, in dem Beziehungen zwischen Menschen als Tauschgeschäfte und Manipulationen verstanden und gestaltet werden, was sich auf das Schenken tödlich oder im besten Falle neutral auswirkt.  Die Tauschwirtschaft ist in der Tat der Parasit, der sich die Geschenke einverleibt, die ihr von allen ohne Gegenleistung gemacht werden. Sie werden ihr zugerechnet, während die Geschenke überhaupt nicht als solche erkannt werden. Stattdessen werden sie umbenannt - in Profit.

Die Fülle ist die beste Voraussetzung für das Schenken. Im Mangel wird das Schenken schwierig und kann zur Selbstaufopferung führen. Der Tausch folgt seiner Logik des Wettbewerbs und führt den Mangel herbei, den er braucht, um die Kontrolle zu behalten und zu verhindern, dass die SchenkerInnen die Oberhand gewinnen. Dies wird erreicht, indem der Reichtum von den Vielen zu den Wenigen umgeleitet wird und indem ‚überflüssiger’ Reichtum für Rüstung verschwendet wird. Auf der Welt werden heuer 1 Trillion US Dollar für Rüstung ausgegeben, während lediglich 80 Milliarden US Dollar ausreichen würden, um die Grundbedürfnisse aller Menschen dieser Erde zu erfüllen. Die Tauschwirtschaft ist nicht nur ein gutartiger Weg, um Güter von einem Ort an den anderen zu schaffen. Sie ist ein sich selbst fortsetzender und selbst verherrlichender menschlicher Mechanismus, um Geschenke an sich zu reißen und zu bestimmen, an wen sie gehen.

Wir sollten das Schenken, das direkte zur Verfügung Stellen von Gütern für Bedürfnisse, als einen dem Tausch ebenbürtigen Verteilungsmechanismus betrachten. Die Geschenkewirtschaft sollte daher als eine wirtschaftliche Grundlage mit einer darauf aufsetzenden Struktur von Ideen und Werten, mit einer Ideologie und Kultur gesehen werden, die im Gegensatz stehen zu der Struktur, der Ideologie und der Kultur des Tausches. Da die selbstreflexive Logik der Tauschwirtschaft die andere Logik  ausschließt, monopolisiert sie auch den Begriff ‚ökonomisch’ und bezeichnet das Schenken als einen natürlichen Prozess. Ihren eigenen Prinzipien folgend, bestärkt sich die Tauschwirtschaft selbst und ‚wächst’, während die Geschenkewirtschaft, ebenfalls im Einklang mit ihren eigenen Prinzipien, ihr Gegenüber – die Tauschwirtschaft - bestärkt. So spielt sie ihrer Unterdrückerin in die Hände und wird selbst zum Wirt des Parasiten.

Ich glaube, dass die Geschenkewirtschaft es zulässt, von der Tauschwirtschaft überholt und ausgebeutet zu werden, weil sie sich ihrer selbst weitestgehend nicht bewusst ist. Das heißt, sie glaubt an die Logik der Tauschwirtschaft und verleiht ihr Gewicht, was dazu führt, dass Geschenke nicht mehr als solche bezeichnet werden. Die Hausarbeit zum Beispiel, oder das Aufziehen von Kindern wurden als die ‚Pflicht’ der Frauen und sogar als ihre ‚Bestimmung’ bezeichnet, während sie damit in Wahrheit der Tauschwirtschaft ein riesiges Geschenk machen. Sie muss dadurch nicht für die Kosten der Reproduktion von Arbeitskräften aufkommen. Obwohl wir sie gewöhnlich als individuelle moralische Tendenzen oder Vorlieben bezeichnen, sind Werte wie Hegen und Pflegen, Fürsorge, Liebe und Ausrichtung auf das Du die tragenden Säulen der Geschenkewirtschaft, die im Verborgenen wirkt. Stattdessen sollten wir die konkreten Verhaltensweisen und die Logik des Schenkens in den Vordergrund stellen und mehr Beachtung schenken als den damit verbundenen kulturellen Werten. Gleichermaßen gilt es mit der Tauschwirtschaft zu verfahren: Befassen wir uns mit den Verhaltensweisen und Mustern, die dazu führen, dass die Ichbezogenheit und die Gier des Homo Economicus als ihre Werte gelten. So können wir die Gier als eine Motivation identifizieren, die dem Wirtschaftswachstum und der Ausweitung der Tauschwirtschaft dient anstatt sie als bloßen individuellen Defekt zu sehen. So gelingt es zu erkennen, dass wir keine pathologische und mordlustige Spezies sind, die den Wettlauf in den Tod, in dem sie zu stehen scheint, zu Recht verdient, sondern als eine Spezies, die in einer logischen Falle gefangen ist, die sie selbst geschaffen hat. Sie motiviert paradoxerweise ihre Individuen zu einem Verhalten, das der Gemeinschaft und sogar dem Planeten, auf dem wir leben, schadet -  und winkt mit Belohnung eben dafür.

Untersuchen wir einige der Wirkweisen dieses Mechanismus etwas genauer.

Vor kurzem haben feministische Wirtschaftswissenschafterinnen errechnet, dass die Hausarbeit, würde sie in Geld bewertet, das Bruttosozialprodukt der USA um mehr als 40% erhöhen würde, und in einigen anderen Ländern sogar um noch mehr. Damit wird der Tauschwirtschaft ein riesiges Geschenk gemacht, ein Geschenk, das meist gar nicht als solches erkannt wird.

Betrachten wir die Arbeit unter dem Blickwinkel von Schenken und Tausch, gelangen wir zu interessanten neuen Einsichten. Wenn wir davon ausgehen, dass jede Art von Arbeit für andere ursprünglich geschenkte Arbeit ist, bis sie vom Tausch eingefangen und privatisiert wird, dann ist Arbeit für den Tauschwirtschaft geschenkte Arbeit, die zu nicht-geschenkter Arbeit gemacht wird, weil sie von der Tauschwirtschaft entzogen und vereinnahmt wird. Das heißt, sie wird entzogen, indem sie nicht mehr in der Lage ist, ihr Ziel in Form eines Bedürfnisses direkt zu erreichen und dadurch, dass sie mit jeder anderen Arbeit verglichen wird, die wiederum jeweils in derselben Situation ist. Eigentlich ist der Tausch eine Methode, Geschenke auszulöschen und in nicht-Geschenke zu verwandeln. Die Menge der entzogenen Arbeit, die in Gütern enthalten ist, wird mittels Geld nach einem einzigen Standard bewertet und das Ergebnis als Tauschwert ausgedrückt. Der Gebrauchswert bezeichnet den Nutzen nachdem der Tausch vollzogen ist. Es gibt jedoch noch einen dritten Wert, den Geschenkswert, der den Wert des Gegenübers mit einbezieht, der im Tauschwirtschaftmodell keine Berücksichtigung findet, weil es hauptsächlich den Wert der Arbeit oder des Produktes im Blick hat, anstatt auf die Menschen zu schauen, die dabei involviert sind.

Auch die Geschenke der natürlichen Ressourcen werden nicht als solche gesehen, sondern können heutzutage berechnet werden als Kosten, die für ihren Ersatz anfallen, und die monetären und nicht-monetären Kosten verursacht durch die Umweltverschmutzung, die unter anderem zur Erderwärmung führt.

Wir können zusehen, wie die Verwandlung von Geschenken in Güter fortschreitet, indem freie Bereiche wie die Kultur und die Natur von der  Tauschwirtschaft vereinnahmt werden: Samen, die einst Jahr für Jahr reproduziert wurden, hat man ersetzt durch sterile Hybride. Die traditionellen Mittel in der Tierzucht und der Medizin, die von einer Generation an die nächste weitergegeben wurden, sind ersetzt worden durch eine Lebensweise, die uns aus Profitgründen von der Wirtschaft aufgezwungen wurde. Traditionelles geistiges Eigentum wurde geraubt. Die Biopiraterie floriert. Boden, Wasser und sogar die Luft wurden privatisiert und werden gehandelt, und stehen so zur Erfüllung der Bedürfnisse der Bevölkerung nicht mehr zur Verfügung.

Währenddessen wird unser Bewusstsein von der Tauschwirtschaft und ihren Werten kolonisiert. Wir erweitern den Tauschmodus und erkennen seine Prinzipien überall. Wir verstehen zum Beispiel die Gerechtigkeit als Wiedergutmachung für Verbrechen. Nach dem 11. September sagte Bush, er würde die Verbrecher der Gerichtsbarkeit zuführen und machte sich dann daran, jemanden, irgendjemanden zu zwingen, für den Schaden aufzukommen. Dieser Ruf nach Rache fand Beifall in einer Bevölkerung, die sich mit Tauschwirtschaft und der dazugehörigen Ideologie bereits stark identifizierte. Ein paar von uns riefen dazu auf, den verarmten Ländern zu helfen, von deren Bürgern einige wenige  uns vielleicht attackiert hatten, um so das Übel an der Wurzel zu heilen. Aber damals wollten die meisten Menschen nichts davon wissen, dass die Vereinigten Staaten und ihre Konzerne womöglich etwas Schlechtes getan haben könnten. Sie beriefen sich tatsächlich auf die (in Wahrheit minimale) Unterstützung, die wir anderen Ländern als Entwicklungshilfe zukommen lassen, um das Gegenteil zu beweisen.

Ein weiters Beispiel für die Logik des Tausches ist der Kalte Krieg, in dem der Rüstungswettlauf zu einem Gleichgewicht des Schreckens führte; ein Prozess, der immer weiter eskalierte, bis Gorbatschow das Geschenk des Friedens machte, indem er einseitig nachgab.

Darüber hinaus haben wir den Austausch von Gefechten – eine Art der Beschreibung dafür, dass Menschen sich gegenseitig umbringen – den Austausch von Botschaften, und von Meinungen, sogar von Liebe. Die zugrunde liegende Metapher ist immer die Symmetrie der Interaktion und die Gleichheit der Beteiligten.

Diese Hinwendung zum gleichwertigen Austausch und die Verbindung von einem ungleichen Austausch mit Erniedrigung/Demütigung herrscht in unserer Gesellschaft immer noch vor und ist notwendigerweise Bestandteil des Arsenals der Propagandisten und Spindoktoren, die den Auftrag haben, den Krieg zu rechtfertigen.

In Wirklichkeit führt die Logik des Tausches in die Lüge während die Logik des Schenkens in die Wahrhaftigkeit führt. Die Lüge ist Ich-orientiert: Eine Person erfüllt das kommunikative Bedürfnis (oder das Bedürfnis zu wissen) einer anderen als Mittel zum Zwecke der Erfüllung des eigenen Bedürfnisses, das wiederum ein vollkommen anderes sein kann. Die Wahrhaftigkeit ist auf das Du gerichtet, d. h. das kommunikative Bedürfnis des Gegenübers wird erfüllt als Beitrag zu seinem oder ihrem Lebensprozess. Daraus folgt, dass Werbung und Propaganda perfekt zur Logik des Tausches passen, während die Wahrhaftigkeit bei der Tauschwirtschaft außen vor bleibt. Sobald die Kommunikationskanäle im Besitz der Privatwirtschaft sind, wird es dem Geschenk der Wahrheit schwer gemacht, sich Gehör zu verschaffen.

Es gibt da noch einen weiteren Aspekt, über den ich in diesem Zusammenhang sprechen muss: Das Zusammenspiel von Patriarchat und Kapitalismus/Tauschwirtschaft, sowie dessen Auswirkung auf das Phänomen des Krieges. In der Tat sind die Werte von Patriarchat und Tausch verschmolzen und haben so den Kapitalismus geschaffen.

Ich glaube, dass es so geschieht: Eine gegenwärtige Strömung der Verhaltenspsychologie besagt, dass Menschen entlang von Prototypen denken und so ihre Wahrnehmungen organisieren. Für viele AmerikanerInnen ist zum Beispiel das Rotkehlchen der Prototyp eines Vogels. Ich glaube, dass Prototypen bei der Konstruktion des sozialen Geschlechtes in der westlichen Welt eine maßgebliche Rolle spielen. In traditionellen Kleinfamilien mit kleinen Kindern leben Buben und Mädchen in einer Geschenkewirtschaft mit ihren Müttern und identifizieren sich mit ihnen als den hauptsächlichen Prototypen eines Menschen, als das Modell, dem sie nacheifern sollten. Sobald sie jedoch die Sprache erlernen, müssen männliche Kinder den Prototypen wechseln, weil ihnen ein anderes soziales Geschlecht zugewiesen wird, ein soziales Geschlecht, das dem ihrer Mütter diametral entgegengesetzt ist. Sie haben bis zu diesem Zeitpunkt nur die Erfahrung des Schenkens und Nährens gemacht, um jetzt zu erkennen, dass das soziale Geschlecht „Mann“ sich von der Mutter dadurch unterscheidet, dass er sich (auch) nicht-nährend und nicht-schenkend verhält. Nähren und schenken scheinen Merkmale des Weiblichen zu sein. Andererseits gibt es im Leben von Kleinkindern kaum etwas, das nicht mit Nähren zu tun hat. Was könnte die Identität des sozialen Geschlechts von Buben beinhalten? Buben beziehen sich auf den Prototypen des Vaters, der oft abwesend und nicht nährend ist. Deshalb glaube ich, kurz gesagt, dass sie diesen Prototyp des Dominierenden als Inhalt ihrer Identität wählen und ihm nacheifern. Da der Vater ein Erwachsener ist und für sie schwer erreichbar, dauert es lange, bis sich ein Erfolg einstellen kann. Möglicherweise führt das Erkennen dieser Schwierigkeit dazu, dass Mütter, Väter und die Gesellschaft als Gesamtes, das „Männliche“ als Kategorie privilegiert behandeln und männlichen Kindern mehr geben als weiblichen. Ich bezeichne diesen Prozess der Konstruktion des sozialen Geschlechts „Mann“ als Gegensatz zum weiblichen Nähren als ‚Maskulation’.

Es gibt allerdings etwas, das Buben tun können, eine verkürzte Variante des Schenkens, und das ist das Schlagen. Indem sie Schläge austeilen, treten sie in Beziehung, die jedoch nicht geprägt ist von Wechselseitigkeit und Vertrauen, wie das beim Schenken der Fall ist. Stattdessen entsteht eine Beziehung aufgebaut auf Beherrschen, Macht haben über, und Hierarchie. Sie gehen davon aus, dass sie den Platz an der Spitze von kleineren Hierarchien einnehmen können, wenn sie andere durch Gewalt beherrschen. Und so seltsam es uns erscheinen mag, diese Logik der Hinterhofkämpfe unter Buben scheint auch für Nationen zu gelten. Da es in dieser Logik nicht möglich ist, dass viele Männer die (prototypische) Position an der Spitze erringen können, weil es logischerweise nur einen gibt, der an der ersten Stelle stehen kann, werden viele Hierarchien geschaffen, in der diese Position zumindest teilweise eingenommen werden kann, so wie in der Familie. Wir haben zum Beispiel Könige und Präsidenten in der prototypischen Führungsposition in Bezug auf die Bevölkerung, Generäle in Bezug auf die verschiedenen militärischen Hierarchien, Päpste für die KatholikInnen, Ayatollahs für die MuslimInnen, CEOs für Angestellte und AktionärInnen ihrer Firmen. Die meisten dieser Strukturen in unserer Gesellschaft sind männlich. Sie stehen wiederum miteinander im Wettbewerb um die dominierende Position.

Gleichzeitig wurde die alles beherrschende Position für alle Güter und Dienstleitungen von einem weiteren Prototypen eingenommen, der Geschenke und Dienstleistungen von NICHT-Geschenken, nährende von nicht-nährenden Aktivitäten trennt.

Dieser wirtschaftliche Prototyp ist das Geld. Es regelt den riesigen Selektionsprozess der Tauschwirtschaft (der Geschenke von Gütern separiert).

Die Existenz dieses Prototyps ermöglicht es Menschen, sich nochmals zu maskulieren – quantitativ, indem sie sich selbst eine höhere Kategorie zuordnen, je nach Besitz, sei es Geld oder Eigentum. Es gibt in all dem auch einen phallischen Aspekt, indem sie phallische Symbole gestalten und so dem Prototypen des Vaters durch den Besitz von Geld und Immobilien näher kommen. Dies kann kollektiv in Firmen geschehen, die Wolkenkratzer besitzen, und in Ländern, die phallische Denkmäler errichten, teure phallische Raketen in den Weltraum schicken und immer noch teurere und tödlichere phallische Waffensysteme aufstellen. Diese Logik der Eskalation funktioniert mittels Befehlen und Kategorisierungen, die von oben nach unten gehen, und Geschenken, die von unten nach oben gehen. Die Logik der Eskalation wird Bestandteil der Tauschwirtschaftlogik. So institutionalisiert erscheint sie geschlechtsneutral. Und in der Tat können sich sowohl Frauen als auch Männer sehr erfolgreich beteiligen. Jetzt können auch wir eine führende Diva, Sängerin, Filmschauspielerin, Politikerin haben – von Madonna bis Hillary. Sie sind Frauen, die auf ihrem Gebiet Erfolg haben - auf Gebieten, die eher genderneutral geworden sind, weil die Tauschwirtschaft bewiesen hat, dass Frauen sich genauso gut wie Männer auf nicht-schenkende Art und Weise verhalten können. Daran zeigt sich ganz klar, dass das Patriarchat ein soziales System ist, das auf einer Konstruktion der sozialen Geschlechter fußt, die nur eine Interpretation der Biologie ist, aber nicht von der Biologie selbst bestimmt wird.

Dennoch glaube ich, dass das Patriarchat als gesellschaftliche Institution seine Heimat im System der Tauschwirtschaft gefunden hat, das seinerseits ein Feld des nicht-Schenkens, des nicht-Nährens ist. Der Versuch, es dem Prototypen gleich zu tun ergänzt die Logik des Tausches um den Wunsch, an die Spitze zu gelangen und immer mehr anzuhäufen, über viele zu bestimmen, was wiederum nötig ist, damit der Kapitalismus sich ausbreiten und wachsen kann. Deshalb meine ich, wir sollten die Bezeichnung beibehalten und vom patriarchalen Kapitalismus oder – mit einer leichten Akzentverschiebung – vom kapitalistischen Patriarchat sprechen.

Dennoch, es geht auch anders, obwohl der patriarchale Kapitalismus weit verbreitet und in ständigem Wachstum begriffen ist. Es gibt sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart viele so genannte vorkapitalistische Gesellschaften, vor allem Matriarchate (nicht als Spiegelbilder des Patriarchats zu verstehen), die friedlich sind, matriarchal wirtschaften und matriarchale Werte haben. Wir alle, ob Männer oder Frauen, müssen in einer Geschenkewirtschaft aufwachsen. Nur dann, wenn die Wirtschaft der Erwachsenenwelt sich radikal von der Wirtschaft der Kindheitswelt unterscheidet, muss das männliche soziale Geschlecht sich der Wirtschaft der Mutter widersetzen. In Matriarchaten können Buben die Identifizierung mit ihren Müttern beibehalten, weil alle in der nährenden Haltung bleiben. Das heißt, dass das Nähren auf einer breiteren Ebene stattfindet und nicht beschränkt ist auf die Mutter-Kind Beziehung. Die Feste, bei denen Gruppen von anderen Gruppen beschenkt werden, die gerade eine besonders gute Ernte eingefahren haben, belegen das Prinzip des Schenkens unter Erwachsenen. Es gibt keinen wirtschaftlichen Bruch zwischen Kindheit und Erwachsenenleben. Im Zirkulieren von Geschenken, im immer wieder Empfangen und Schenken, bilden sich meiner Ansicht nach die Gemeinschaftsbande; Bande, die eine Variante desselben Themas sind, das uns mit unseren nährenden Eltern verbindet. Wie ich vorhin erwähnte, arbeite ich seit langem an einer Theorie der Sprache als virtuelles Schenken, das ein Beziehungsnetz zwischen Menschen webt, ähnlich jenen Beziehungen, die entstehen durch die Gabe von materiellen Geschenken, und als Ersatz dafür auf der virtuellen Ebene. Wenn wir darüber hinaus den Prototyp der Mutter auf die Natur und die Umwelt projizieren anstatt den des Vaters, dann können wir uns selbst in der Rolle der EmpfängerIn der Geschenke der Natur und der Wahrnehmung finden. So respektieren und ehren wir die Natur, Mutter Natur, und können mit ihr kommunizieren indem wir schenken anstatt sie zu zerstören, so wie es indigene Völker tun. Wir brauchen uns nicht mehr für Mutter- oder Vaterland in Kriegen aufzuopfern, weil wir bereits für die Erde und einander sorgen, indem wir täglich schenken. Und wir müssen unseren Wert nicht mehr durch die binäre Interaktion des Tötens oder getötet Werdens unter Beweis stellen. Genauso wenig würde der Wunsch, ein Held des Einer-herrscht-über-Viele-Spieles  zu sein, d.h. zu Ruhm und Ehre gelangen durch das Töten anderer unter dem Einsatz des eigenen Lebens, von der Gesellschaft mit Wertschätzung bedacht.

Wenn das Schenken die Grundlage unserer Sprache und Kommunikation bildet, dann bildet das Schenken auch die Grundlage unseres Menschseins. Und nicht der Tausch! Und nicht das Patriarchat! Wir sind lediglich auf dem Weg, uns selbst zu verstehen, ein paar Mal in die falsche Richtung abgebogen. Wir können uns aus unserem Eigenen heraus wieder der Geschenkewirtschaft zuwenden. Wir können alle einseitigen Schenk-Handlungen, die wir täglich setzen, als solche erkennen und ihnen und ebensolchen Handlungen anderer den gebührenden Wert beimessen. Wir müssen uns nicht mit Derrida sorgen, dass unser Schenken sich zum Tausch wandelt, sobald es als Schenken erkannt wird. Indem wir das Schenken zu etwas Alltäglichem machen, vermeiden wir diesen Widerspruch. Wenn es alle tun, liegt in der Anerkennung keine besondere Belohnung für das Ego mehr.

Ich möchte hier nur das Werk der Nigerianischen Schriftstellerin Ifi Amadiume erwähnen, die sogar aus heutiger Sicht die Existenz des Ödipuskomplex in Afrika in Frage stellt. Sie schreibt, dass bei den Jelobe in Mali und Obervolta und in anderen Gruppen die Existenz von „matrizentrischen Strukturen andere Moralsysteme hervorbringt, die für Männer und Frauen in ihren sozialen Beziehungen gleichermaßen zugänglich sind. Die Tatsache, dass diese matriarchalen Systeme die Grundlage bilden für ein Zusammenleben in Liebe und Mitgefühl, bedeutet, dass wir in Afrika das Ödipale Prinzip der Gewalt nicht als ein Grundparadigma betrachten können. Das auf Balance ausgerichtete matriarchale System wirkt beschränkend auf die patriarchale Struktur, und wirkt so der Entwicklung eines absoluten, totalitären Patriarchats als mono-logisches System entgegen. (Reinventing Africa, S. 40)

Ich schlage vor, dass wir drangehen, die Geschenkewirtschaft und ihren Überbau in allem, was wir tun zu betonen und sichtbar zu machen, damit aus den einzelnen „Schenkereignissen“ das Gewebe sichtbar wird, das mehr umfasst und stärker ist als die Tauschwirtschaft, das Gewebe, auf dem der Markt ruht, das Meer auf dem er schwimmt. Ich schlage vor, dass wir – Frauen und Männer – uns zurückbesinnen auf das Hegen und Pflegen als Leitwert, und dass die Frauen in diesem Prozess die Führung übernehmen, weil sie normalerweise nicht durch die Zielvorstellungen der Maskulation belastet sind.


Es gibt viele Versuche, hier und jetzt Alternativen auf der Grundlage des Schenkens zu schaffen. Ich glaube, dass jedes soziale Problem ein Bedürfnis ist und jeder Versuch, es zu erfüllen ein Geschenk darstellt, auch wenn wir das nicht erkennen, und sogar, wenn wir es als Tausch betrachten. Es ist jedoch wichtig, möglichst klar zu differenzieren, und einen Paradigmenwechsel herbeizuführen, so weit zu kommen, dass die Geschenkewirtschaft und nicht der Tausch die Brille ist, durch die wir die Welt hauptsächlich betrachten.

 

 

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