Sprache und Schenken
Wir verwenden Sprache jeden Tag und es ist die Sprache, die unsere Gedanken
prgt. Der Einfluss der Sprache auf unser Leben ist allgegenwrtig –
nicht nur als Prozess oder Mittel, sondern auch als Modell. Die Sprache wurde
uns dabei von den Vielen (den Anderen) geschenkt. Sie bezeugt, dass wir tief
mit anderen Menschen verbunden sind. Sie ist ein wesentlicher Teil unserer
Sozialisierung.
Die Tatsache, dass alle menschlichen Gemeinschaften Sprache kennen,
impliziert nicht zwangslufig, dass Sprache genetisch veranlagt ist. Es gibt
etwas anderes, das alle Gemeinschaften teilen: die Fürsorge der Mutter. Diese
soziale Konstante hngt dabei nicht so sehr von der biologischen Natur der Mutter
ab, sondern von der des Kindes: dieses ist zur Gnze von der Fürsorge anderer
abhngig. Wenn nicht irgendjemand seine Bedürfnisse befriedigt, leidet und
stirbt es. Diese Bedürfnisbefriedigung muss dabei ohne Gegenleistung geschehen,
da Kinder nicht zurückgeben können, was sie erhalten.
Diejenigen, die die Kinder versorgen, werden zu etwas gezwungen, das wir
eine Art "funktionalistischen Altruismus" nennen können. Die biologischen
Fhigkeiten von Frauen – wie die Schwangerschaft, das Gebren oder die
Laktation – werden gewöhnlich als "Funktionen" interpretiert, denen zufolge
es die Frauen sein müssen, die die Rolle der Fürsorgenden einzunehmen haben.
Mdchen werden in diesem Sinne von Anfang an zu altruistischem Handeln
ausgebildet.
Wenn wir Kommunikation als materielle Fürsorge oder als Schenken
betrachten, das Gemeinschaft formt, dann können wir die Fürsorge der Frauen als
die Basis der Gemeinschaftlichkeit der Familie betrachten. Die Nuklearfamilie
– im besonderen die Beziehung zwischen Mutter und Kind – erinnert
daran, wie eine auf extensivem Schenken beruhende Gemeinschaft einmal ausgesehen
haben mag bzw. aussehen kann. Momente wahrer Gemeinschaft sind in unserer Gesellschaft
so rar geworden, dass sich das Schenkprinzip nicht entfalten kann. Die
Prekaritt, in der die meisten von uns leben, macht das Schenken schwierig (ja verlangt
oft genug Opfer) und daher "unrealistisch".
Es gibt jedoch etwas, das wir im überfluss haben und für dessen
"Produktion" beinahe alle die entsprechenden "Produktionsmittel" besitzen.
Dieses im überfluss vorhandene Gut ist die Sprache, mit der wir stndig neue
Stze schaffen können. Auch wenn unser Vokabular begrenzt sein mag, sind dessen
Verkettungsmöglichkeiten beinahe unbegrenzt. Wir erhalten Wörter und Stze von anderen,
ohne für sie bezahlen zu müssen, und reichen sie ebenso frei an andere weiter.
Sprache funktioniert als Schenkökonomie.[1]
Wir erkennen sie jedoch nicht als solche, da wir dem Schenken in unserer ökonomie
keine Bedeutung beimessen. Die Aktivitt der Fürsorge selbst nehmen wir für
gewöhnlich nur in der Mutter-Kind-Beziehung wahr. Die Parallelen zwischen dem
Schenken und der Sprache werden uns daher nicht bewusst. Dabei schaffen wir mithilfe
der Sprache immer noch jene menschlichen Verbindungen, die wir über materielle
Kommunikation (materielles Schenken) nicht mehr herzustellen wissen. Sprache
erlaubt uns zu erfahren, was es heißt, einander im überfluss zu schenken
– eine Fhigkeit, die wir materiell verloren bzw. die wir uns noch nicht wieder
angeeignet haben.
Sprache so zu denken, hat mich zu folgender überlegung gebracht: Wenn es
die Sprache ist, die die Entwicklung des Menschen ausmacht, dann liegt das
Wesen der Sprache vielleicht im Aspekt des Schenkens-im-überfluss und nicht in
einem abstrakten System. Vielleicht würden wir uns weiterentwickeln, wenn es
uns gelnge, wieder eine materielle Gemeinschaftlichkeit zu schaffen, die auf
dem Schenken beruht – so wie es in der New-Age-Bewegung und von vielen
anderen gehofft wird. Was dieser Entwicklung im Wege steht, ist die
Tauschökonomie.
Die Logik der Mütterlichkeit verlangt, dass die Fürsorgenden sich der Bedürfnisse
anderer bewusst werden. Die Belohnung dafür ist das Wohlbefinden der anderen.
Es gibt viele unterschiedliche Arten von Bedürfnissen, und es ist manchmal eine
Herausforderung, sie zu verstehen und zu befriedigen. Kontinuierliches Schenken
und Empfangen schafft Erwartungen und Belohnungen, eine Kenntnis anderer und
dessen, wie ein Bedürfnis befriedigt werden kann; es schafft außerdem ein
Versprechen weiterer Fürsorge und die Erwartung, dass dieses gehalten wird. Es
handelt sich um eine allumfassende Beziehung. Alle Beteiligten werden auf die
ein oder andere Weise von der Erfahrung des Schenkens berührt.
Selbst dort, wo materielle Güter nicht erhltlich sind oder nicht verwendet
werden, kann es ein Bedürfnis danach geben, sich mit einer anderen Person zu
verbinden. Ich würde dies ein Bedürfnis nach Kommunikation nennen, nach
Verbindung, nach Beziehung. Wörter sind die verbalen Güter, die kommunikative
Bedürfnisse befriedigen. Wenn wir also Wörter zur Befriedigung kommunikativer
Bedürfnisse verwenden, dann können wir Wörter als Geschenke betrachten. Die Mutter
versorgt ihr Kind mit Gütern und Diensten, aber sie versorgt es auch mit
Wörtern. Das Kind ist dabei sogar befhigt, mit der Mutter die Rolle zu
wechseln: es kann ihr kommunikative Geschenke geben, bevor es ihr materielle
geben kann.[2]
Wörter als Geschenke
Natürlich stellt sich das Problem der Materialitt des verbalen Geschenks.
Auch wenn wir ein Wort als wiederholbare Lauteinheit erkennen – und
obwohl es diese Qualitt mit anderen Wörtern teilt – kann es nur dazu
verwendet werden, kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen. Materielle Bedürfnisse
können von ihm nicht befriedigt werden. Das Wort "Brot" stillt kein Hungerbedürfnis.
Kommunikative Bedürfnisse können der Befriedigung materieller Bedürfnisse jedoch
indirekt dienlich sein. Zum Beispiel kann der Satz: "Es ist Brot im Kasten" als
eine Hilfeleistung für die Befriedigung eines Hungerbedürfnisses gesehen werden.
Oder wenn wir "Brot!" als Forderung aussprechen, so können wir das Wissensbedürfnis
anderer danach befriedigen, was wir haben wollen. Unser Wortschatz könnte in
diesem Sinne als Sammlung von Geschenken verstanden werden, die verschiedene
kommunikative Bedürfnisse befriedigen. Jedes Wort ist eine Reihe von
Phnomenen, eine Kette vokaler Verhaltensweisen, das von den kommunikativen Bedürfnissen,
die es befriedigt, erkannt wird.
Wir können folgendermaßen unterscheiden: Ein Ei zu kochen ist eine Folge
von Verhaltensweisen, die mit einer Reihe materieller Objekte zu tun haben und
das Bedürfnis befriedigt, ein gekochtes Ei zu essen. Das Wort "Ei" zu ußern
ist eine Reihe vokaler Verhaltensweisen, die ein kommunikatives Bedürfnis
befriedigen und über ein Ei (oder Eier) Beziehungen zu anderen herstellen.
Die Fhigkeit, Information zu vermitteln, kommt von der Beschreibung einer Erfahrung
mithilfe dieser Wortgeschenke. Es werden dabei nicht nur Verbindungen zwischen
den Wörtern selbst hergestellt, sondern auch zwischen unterschiedlichen
Realittsebenen: verbalen wie materiellen. Die Fhigkeit, Information zu
erhalten, die auf der Verwendung von Wörtern beruht, erlaubt den Wörtern nicht
nur kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen, sondern auch materielle.
Ob Wortgeschenke nun Güter oder Dienste sind, gleicht der Frage, ob das
Licht aus Teilen oder Wellen besteht. Die Arten der kommunikativen Bedürfnisse,
die von den Wortgeschenken befriedigt werden, haben sich entwickelt, um von
ihnen Gebrauch zu machen, so wie das Auge und der visuelle Cortex sich
entwickelt haben, um vom Licht Gebrauch zu machen. Die Materialitt von Wörtern
irgendwo zwischen Gütern und Diensten anzusiedeln, macht auch insofern Sinn,
als dass die Geschenke der nonverbalen Ebene, die von den Wörtern re-prsent-iert (Prsent = Geschenk) werden, ebenso von
unterschiedlichen Materialittsgraden sein können.
Vom Liebesakt bis zur Farbe Grün – vom Mond bis zum Kapitalismus: alle
möglichen nonverbalen Dinge werden von verbalen reprsentiert. Dies schafft
verbale Kommunikation, Linguistik, und manchmal materielle Gemeinschaft.[3]
Genauso wie materielles Schenken-und-Empfangen die physischen Körper der
Menschen der Gemeinschaft formt, so trgt verbales Schenken-und-Empfangen zur
Bildung der Menschen als soziale Subjekte bzw. zu deren psychologischer Identitt
bei.
Beziehungen
Das Schenken und Empfangen von Wortgeschenken – organisiert in Stzen
und Diskursen – schafft Beziehungen zwischen Menschen mit Bezugnahme auf
Objekte. Das kommunikative Bedürfnis ist das Bedürfnis für eine Beziehung zu anderen
Menschen mit Bezugnahme auf ein Drittes. Wir können uns nur selbst und nicht
für eine andere Person auf dieses beziehen. Die andere Person hat diesen Bezug selbst
herzustellen. Was wir allerdings tun können, ist, erstens, das Bedürfnis einer
Person zu erkennen, sich auf etwas beziehen zu wollen, und zweitens, ihr
entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen. Wenn Menschen über etwas
sprechen, befinden sie sich unentwegt in solchen Situationen. Eine Person gibt
einer anderen Wortgeschenke, welche für diese Person relevante Teile der Welt
reprsentieren (wiedergeben). Sprache erlaubt uns also als soziale Wesen, andere in unsere Erfahrung
der Welt mit einzubeziehen.
Wenn ich: "Schau dir den Sonnenuntergang an!" sage, befriedige ich das Bedürfnis
der Zuhörenden zu wissen, dass die Sonne gerade untergeht, und dass ich denke,
dass es wert ist, sich das anzusehen. Indem ich ihnen dies mitteile, befriedige ich ihr vermutetes Bedürfnis
nach einer Beziehung zu mir und zum Sonnenuntergang, genauso wie ich mein eigenes
Bedürfnis nach einer Beziehung zu ihnen und zum Sonnenuntergang befriedige. Nachdem
ich den Sonnenuntergang bereits erlebe, ist die Motivation meiner Aussage jene,
die anderen Personen in dieses Erlebnis mit einzubeziehen bzw. das, was ich als
ihr Bedürfnis verstehe – nmlich einen schönen Sonnenuntergang zu sehen
– auf diese Weise zu befriedigen. Das Wort "Sonnenuntergang" selbst stellt
dabei ein Wortgeschenk dar, das uns allen geschenkt wurde, um unsere kommunikativen
Bedürfnisse in Bezug auf Sonnenuntergnge befriedigen zu können.
Die Notwendigkeit der kreativen Aufnahme dieses Wortgeschenkes auf Seiten
der Zuhörenden rückt diese – im gleichen Moment, in dem sich ihre
Aufmerksamkeit auf den Sonnenuntergang richtet – in eine enge menschliche
Beziehung zu mir. Schließlich finden wir uns alle verbunden in der gemeinsamen
Bezugnahme auf ein nonverbales Ereignis.
Eine solche Bezugnahme ist in gewissem Sinne selbst ein Geschenk –
jenes, das wir gewöhnlich "Information" nennen. Whrend jedoch das gemeinsame
Betrachten eines Sonnenuntergangs ein positives Erlebnis für alle Beteiligten
sein kann und damit eine bedürfnisbefriedigende sthetische Erfahrung, gibt es
viele Informationen, die eindeutig negativ scheinen. Eine Aussage wie: "Ich
hasse euch!" setzt uns zum Beispiel in eine Beziehung mit anderen, die auf
einer negativen Emotion beruht. Diese Emotion selbst ist mit Sicherheit kein
Geschenk, aber es kann trotz allem nützlich sein zu wissen, dass sie existiert
– insofern kann die vermittelte Information, trotz der Negativitt des
Inhaltes, immer noch als Geschenk verstanden werden.[4]
Ich glaube, dass es viele Formen von Geschenken in unserem Leben und in der
Sprache gibt, doch bleiben uns die meisten verschlossen. Wir können einander schenken,
indem wir fürsorglich miteinander umgehen bzw. uns gegenseitig Positives
mitteilen. Doch selbst wenn wir Negatives oder Neutrales sagen, gibt es für die
Zuhörenden Wege, das, was ihnen gesagt wurde, in ein Geschenk zu verwandeln. Es
hngt alles von unserem kreativen Vermögen ab.
Das Zitat Karl Marx', mit dem ich dieses Buch eingeleitet habe, erkennt die
Logik des Auf-Andere-Ausgerichtet-Seins als Logik der Kommunikation: "Die
Sprache ist so alt wie das Bewusstsein – die Sprache ist das praktische, auch für andre Menschen
existierende, also auch für mich selbst erst existierende wirkliche Bewusstsein..."[5]
Das Zitat erinnert auch an die zweite Gralsfrage: "Wem dient der Gral?", oder
einfach: "Für wen ist er?" Diese Frage – immer zentraler Teil des
Schenkens – bleibt in unserer profitorientierten Gesellschaft oft
ungefragt und damit auch unbeantwortet.
Allgemeine und partikulre Prozesse
Ein Aspekt sprachlicher Kommunikation ist, dass sie den unendlichen
Möglichkeiten menschlicher Erfahrung in einem gemeinsamen Hier und Jetzt
Ausdruck verleiht. Es kann dabei jedoch auf andere Orte und Zeiten verwiesen
wird. Im Hier und Jetzt kann ein Thema berührt bzw. eine Geschichte erzhlt
werden, im Zuge derer wir uns vergangener Erfahrungen wieder erinnern und sie
gemeinsam teilen können. Diese Themen und Geschichten sind Geschenke, insofern
sie eine gemeinsame Basis schaffen, auf der unsere vielfltigen Subjektivitten
zueinander finden.
Ich glaube, dass Sprache über die Kombination allgemeiner und konstanter
Elemente auf partikulre und kontingente Weise funktioniert. Wir können die allgemeinen
und konstanten Elemente erkennen, wenn wir sie aus dem Sprachfluss herausnehmen
und isoliert betrachten. Ihr allgemeiner Charakter wird deutlich, wenn sie
alleine stehen. "Hunde sind vierbeinige Schwanzwedler, die bellen" lsst uns
sowohl an Hunde als auch an das Wort "Hunde" in deren jeweiliger Allgemeinheit
denken. Gleichzeitig ist es die vielfache Verwendung ein- und desselben Wortes
in unzhligen partikulren Stzen, die ihm seine Allgemeinheit verleiht. Wörter
werden kollektiv produziert, genauso wie die allgemeinen kommunikativen Bedürfnisse.
Wenn etwas innerhalb einer Gemeinschaft so wichtig oder wertvoll wird, dass
es Menschen zum Bilden einer Beziehung veranlasst, wird dafür in sozialem
Miteinander ein Wort geschaffen, das das entsprechende (Beziehungs)Bedürfnis
befriedigt. Dieses Wort ist allgemein und konstant: es kann immer wieder
angewandt werden, um ein kommunikatives Bedürfnis zu befriedigen, das sich auf
das Etwas (das "Ding"), für das es
steht, bezieht. Wenn ein Bedürfnis nur kontingent und flüchtig ist und wir kein
eigenes Wort zur Befriedigung dieses Bedürfnisses haben, formen wir einen Satz:
wir verbinden Wörter, die wir haben, zu einer Kombination, die die Bedürfnisse
in Bezug auf das, worüber wir gerade sprechen wollen) befriedigen können.
Ein kontingentes und flüchtiges kommunikatives Bedürfnis kann jederzeit entstehen.
Im Satz: "Nach dem Sturm brachte die Sonne die Wassertropfen zum Glitzern" wird
beispielsweise ein kontingentes kommunikatives Bedürfnis, das sich auf eine
spezifische flüchtige Situation bezieht, erfüllt. Dies geschieht, indem Wörter
verbunden werden, die auch in anderen Stzen und mit Bezugnahme auf andere
kontingente Situationen verwendet werden können. Dies kann wiederum deshalb
geschehen, weil diesen Wörtern konstante Elemente innewohnen. "Die Sonne"
verweist nicht nur in dem flüchtigen Moment unseres Beispiels auf die Sonne und
nicht nur Wasser kann "glitzern". Diese Wörter sind immer wieder von Bedeutung
für unsere Kommunikation, ungeachtet der unendlich vielen kontingenten und
flüchtigen Kontexte, in denen sie verwendet werden können. Allgemein
formuliert, kommen unsere Wörter davon, dass sich kollektive kommunikative
Bedürfnisse in Bezug auf Dinge/Situationen entwickelt haben, und wir Wörter
schufen, die diese Bedürfnisse befriedigen.[6]
Dabei kann ein einzelnes Wort auch verwendet werden, um sich auf verschiedene
Objekte zu beziehen (Homonyme), und ein- und dasselbe Objekt kann von
verschiedenen Wörtern wiedergegeben werden (Synonyme).
Bedürfnisse bauen aufeinander auf und kommunikative Bedürfnisse können sich
auf verbale wie auf nonverbale Kontexte beziehen. Wenn es sich um eine komplexe
Situation handelt, kann ein ganzer Diskurs geschaffen werden, um die
entsprechenden kommunikativen Bedürfnisse zu befriedigen. Dies geschieht, indem
wir Ausdrücke miteinander verbinden, die wir zur Befriedigung einer Reihe
kontingenter kommunikativer Bedürfnisse verwenden, die für die in Frage
stehende Situation von Relevanz sind. In Diskursen arbeiten Ausdrücke zusammen,
um ein gemeinsames Thema zu diskutieren und eine Reihe kommunikativer Bedürfnisse
zu befriedigen, die in diesem Zusammenhang entstehen.
Schenken als Ur-Logik
Linguisten und Philosophen haben manchmal versucht, Sprache anhand
logischer Strukturen zu erklren, die ihr zugrunde liegen sollen – entweder
in Form einer relativ einfach strukturierten Universalsprache (was immer noch
nicht erklren würde, wie Sprache funktioniert) oder einer anderen elementaren
Struktur bzw. eines anderen elementaren Prozesses. Ein solches zur Erklrung
herangezogenes Modell war jenes von Ursache und Wirkung. Es wurde behauptet,
dass es möglich sei, Strukturen von Subjekt, Verb und Objekt auf eine ihnen zugrunde
liegende Struktur von Ursache und Wirkung zurückzuführen. Ein Beispiel, das oft
verwendet wurde, war der Satz: "Johann tötet Maria". Im Sinne der Ursache-Wirkung-Theorie
wurde er "übersetzt" als: "Johann war der Grund, warum Maria starb". Ich bin
oft entsetzt über die (wahrscheinlich unbewusste) Frauenfeindlichkeit, die in
Beispielen von Linguisten zum Ausdruck kommt. Vielleicht zeigt dies die Schuld,
die sie fühlen, das Prinzip der Mütterlichkeit (Maria?) nicht als Erklrung der
Sprache anzuerkennen.
Die Ursache-Wirkung-Theorie wurde schließlich von den meisten Linguisten
als ungenügende Erklrung des Phnomens Sprache verworfen. Sie war schlicht nicht
besonders aussagekrftig. In jedem Fall implizierte sie Konsequenzen für unsere
menschlichen Beziehungen, die nicht jene des Schenkprinzips sind.
Ich denke, dass das Schenken jener Prozess ist, mit dem wir Sprache
erklren können. Nicht nur können auf diese Weise Wörter als bedürfnisbefriedigende
Geschenke gesehen werden, sondern die syntaktische Struktur von Subjekt,
Prdikat und Objekt lsst sich als Struktur von Schenkende-Geschenk-Beschenkte
verstehen. Nehmen wir zum Beispiel den Satz: "Das Mdchen warf den Ball". "Das
Mdchen" ist hier die Schenkende, "warf" das Geschenk, "der Ball" das
Beschenkte. Die "übersetzung" wre: "Das Mdchen schenkte dem Ball einen Wurf".
Die Intentionalitt des Schenkens spiegelt sich in vielen menschlichen
Handlungen wider und auch in der Intentionalitt des Sprechens. Das Gefühl von
Bewegung und Ganzheit, das ein einfacher transitiver Satz in uns erwecken kann,
ist der Bewegung und Ganzheit hnlich, die sich im Schenken ereignen. Schenken ist
in der Tat transitiv: etwas wird von einem Ort oder einer Person zu einem
anderen/einer anderen bewegt. In dem passiven Satz: "Der Ball wird von dem
Mdchen geworfen", liegt die Betonung beispielsweise auf dem Beschenkten, nicht
der Schenkenden.
Mütterlichkeit als sozialer Prozess ist am Beginn des Lebens unabdingbar.
Zur gleichen Zeit findet das Lernen der Sprache statt. Mütterlichkeit ist
kulturell universal. Sie wird, wie wir gesehen haben, von der Natur des Kindes
verlangt, nicht jener der Erwachsenen. Whrend Mütterlichkeit von vielen als
quasi natürlich begriffen wird, ist die Aufgabe der Fürsorge für die Mütter eine
soziale. Die Fürsorge geschieht intentional. Die Fhigkeit der Frauen, Milch zu
schenken, ist ein biologischer Aspekt, der die Betreuung der Kinder einfacher
macht, doch findet diese trotzdem in einem kulturellen Kontext und unter bestimmten
sozialen Bedingungen statt. Mütterlichkeit bedeutet einen intentionalen
Transfer von Gütern und Diensten von Erwachsenen zu Kindern, von Schenkenden zu
Beschenkten.
Für Kinder ist diese Erfahrung grundlegend, da buchstblich ihr Leben von
ihr abhngt. Sie ist jedoch auch wichtig und lehrreich für jene, die für die
Kinder sorgen. Alleine schon wegen des Zeitaufwands. Es überrascht nicht, dass
die Hlfte der Menschheit von Geburt an zur Fürsorge von Kindern ausgebildet
wird, da diese Aufgabe ein großes Maß an Aufmerksamkeit und Hingabe erfordert. Das
Buch The Language Instinct von Steven Pinker schrieb vor einigen Jahren unsere sprachliche Fhigkeit
biologischen Faktoren zu. In hnlicher Weise wurde Mütterlichkeit bis vor
kurzem als Instinkt gesehen. In beiden Fllen ist es die Logik des Geschenks,
die verleugnet wird.
Die Erfahrung der Fürsorge ist grundlegender als jede "Objektivitt". Die
Erfahrung der Geschenke, die von der Mutter geschenkt und vom Kind empfangen
werden, ist grundlegender für uns Menschen als jedes Wissen um Ursache oder Wirkung.
Die Mütter sind die Schenkenden, ihre Fürsorge ist das Geschenk, und die Kinder
sind die Beschenkten. Dieser Prozess ist derselbe, anhand dessen das Kind Sprache
als syntaktische Struktur von Subjekt (das Schenkende), Prdikat (das Geschenk)
und Objekt (das Beschenkte) erlernt.[7]
Wenn Wörter sprachliche Geschenke sind, die im Rahmen einer
zwischenmenschlichen Sprachsituation kommunikative Bedürfnisse befriedigen,
dann sind die Sprechenden die Schenkenden, die Wörter/Stze die Geschenke, und
die Zuhörenden die Beschenkten. Stze sind Kombinationen von Wörtern und befriedigen
kontingente kommunikative Bedürfnisse. Es scheint nicht vermessen, auch den Kombinationsprozess
der Wörter als einen Prozess zu sehen, der der Logik des Geschenks folgt.
Die Hypothese, dass Sprache auf Schenken und Beschenkt-Werden beruht,
erlaubt uns, uns viele Ebenen des Schenkens nher anzusehen. Aspekte der
Sprache, die zuvor mysteriös erschienen, können nun als Elemente eines Schenkprozesses
erklrt werden. Zunchst gibt es die Ebene materieller Kommunikation: die
Mutter schenkt dem Kind. Dann gibt es verbale Kommunikation: die Mutter spricht
mit dem Kind.[8] Drittens
sind Wörter soziale Geschenke, die allgemeine kommunikative Bedürfnisse
befriedigen. Viertens werden Wörter zu Stzen kombiniert, die kontingente kommunikative
Bedürfnisse befriedigen. Fünftens können auch die Nachricht oder das Thema
eines verbalen Austausches als Geschenke betrachtet werden, etwa wenn wir
jemandes Bedürfnis, etwas zu wissen oder über etwas zu sprechen, befriedigen.
Sechstens spiegelt auf einer syntaktischen Ebene (innerhalb eines Satzes) die
Beziehung zwischen Subjekt, Prdikat und Objekt die Beziehung zwischen Schenkenden,
Geschenk und Beschenkten wider.
Es ist wichtig, diese syntaktische Beziehung als eine zu betrachten, die
sich auf der Ebene der Wörter selbst vollzieht. Auf der Ebene der von den
Wörtern reprsentierten Dinge kann das Geschenk nmlich durchaus negativ sein,
wie in: "Der Junge schlug das Mdchen" oder: "Johann tötete Maria" (übersetzung:
"Johann schenkte Maria den Tod"). Auf der Ebene materieller Kommunikation ist
solche Gewalt natürlich fürchterlich und verursacht schmerzhafte Bedürfnisse
anstatt Bedürfnisse zu befriedigen. Nichtsdestotrotz kann sich der Schenkprozess
auf der Ebene der Satzstruktur unabhngig davon vollziehen, was sich auf der
Ebene der Erfahrung vollzieht. In diesem Sinne haben die Stze: "Das Mdchen
stieß den Ball", "Die Mutter hat einen Kuchen gebacken" oder "Johann tötete
Maria" alle dieselbe Struktur von Schenkende-Geschenk-Beschenkte – auch wenn
sie auf der materiellen Ebene ußerst unterschiedliche Ereignisse beschreiben.
Auf der syntaktischen Ebene können wir auch die Beziehungen zwischen
Adjektiv und Substantiv bzw. zwischen Adverb und Verb als Beziehungen zwischen
Geschenken und Beschenkten betrachten. Im Satz: "Der braune Hund lief schnell zum
Tor" wird das Adjektiv "braun" dem Substantiv "Hund" geschenkt und das Adverb
"schnell" dem Verb "lief". Philosophen pflegten zu sagen, dass "braun" ein
"Eigentum" des Hundes sei, und "schnell" ein Eigentum des Laufens. Aber "braun"
kann nur ein "Eigentum" genannt werden, weil es dem Hund geschenkt wird. Dies
geschieht, indem dem Wort "braun" erlaubt wird, das Wort "Hund" zu
spezifizieren, wodurch beide Wörter als Geschenk und Beschenktes vereint werden
– sie befriedigen dadurch ein kontingentes kommunikatives Bedürfnis, das von
einem Hund dieser Farbe geschaffen wird.
Linguisten sind es gewohnt, einem mathematischen, algebraischen oder
wissenschaftlichen Modell zu folgen, nicht einem des Lebens. Doch selbst sie
sprechen von Wörtern als etwas, das zwischen anderen Wörtern in einem Satz "die
Lücken füllt". Wir können diese "Lücken" als Bedürfnisse betrachten, und die
Wörter als Geschenke, die sie befriedigen. Wenn ein Wort nur auf bestimmte
andere Wörter bezogen werden kann (Artikel wie "der/die/das" können zum
Beispiel nur auf Substantiva bezogen werden), ist es auch ein Geschenk, dass
nur bestimmten Wörtern gemacht werden kann, da nur diese ein Bedürfnis nach ihm
("eine Lücke für es") haben. Einige Wörter bzw. Wörtergruppen haben sich an
andere anzuhngen, da sie nicht alleine schenken können, sondern dafür einer
anderen Wörtergruppe dienen oder von einer anderen Wörtergruppe bedient werden
müssen. Zum Beispiel muss der Ausdruck: "zum Tor", dienen. Er kann nicht
alleine stehen. Alleine "sagt er nichts", ist er kein Geschenk, ja noch nicht
einmal ein Schenkendes, sondern ein Geschenk an ein Geschenk.
Wie wir gesehen haben, werden zwischen Geschenken und Beschenkten Verbindungen
geschaffen. hnliches geschieht zwischen Wörtern. Wenn etwa das Adjektiv "braun"
einem "Hund" geschenkt wird, um das kommunikative Bedürfnisse zu befriedigen,
das von einem braunen Hund kommt, so verbindet sich "Hund" in diesem Augenblick
mit dem Geschenk "braun".
Transparenz und Ausweichen
Es werden auf der verbalen Ebene Geschenke gemacht, die die Wirklichkeit
interpretieren, indem sie diese in Begriffen des Schenkens reprsentieren. Tatschlich
sind diese Geschenke jedoch transparent. Im Beispiel des braunen Hundes hat der
Hund bereits die Farbe, die wir anderen als "braun" mitteilen. Die Transparenz
der Schenkstruktur erinnert uns an ein weiteres Charakteristikum des Schenkens:
die Schenkenden weichen aus, sie verschwinden, um den Beschenkten Wert zukommen zu lassen. Wir
erkennen oft nur das, was wir sagen, als Geschenk (etwa wenn Information, die
wir weiterreichen, von den Zuhörenden verstanden und verwendet wird). Wir
erkennen nicht, dass auch die Weise, auf die wir etwas sagen, viele Aspekte des
Schenkens impliziert.
Auf der Wirklichkeitsebene weichen materielle Dinge, die kommunikative Geschenke
htten sein können, großzügig aus, um für Wortgeschenke Platz zu machen. Viele
von ihnen – abstrakte Ideen, materielle Objekte einer bestimmten Größe,
Phantasiegebilde oder subjektive Zustnde – htten dabei niemals
materiell von einer Person zu einer anderen übertragen werden können. Sie geben
ihre Position ohne Widerstand auf und verleihen den Wörtern, die sie ersetzen,
Wert.
Auf einer anderen Ebene werden die Emotionen, die sowohl in unserer Sprache
als auch im Akt des Sprechens selbst ausgedrückt werden, jenen zugetragen, zu
denen wir sprechen. Auch damit werden Verbindungen geschaffen. Allerdings
bemerken wie gewöhnlich keine Schenkstrukturen in der Sprache, weil auch diese selbst
ausweichen. Sie weichen aus, sowohl um dem Wert zu verleihen, das gesagt wird,
als auch den Zuhörenden (denen, die verbale Geschenke erhalten). Ein weiterer
Grund dafür, warum wir oft keine Schenkstrukturen sehen, ist, dass diese von
definitorischen Tauschstrukturen verschieden und ihre Dimensionen andere sind.
Definitorische Strukturen überwltigen Schenkstrukturen wie
Militreinrichtungen, die an Orten errichtet werden, die Frauen heilig sind.
Die interpretatorischen Möglichkeiten des Schenkens sind geleugnet worden,
indem Interpretation als eine Art Penetration des Gehirns gesehen wurde.
Phrasen wie: "die Art, in der Wörter an die Welt gekuppelt sind" oder "Lücken-Füllen"
suggerieren Metaphern mnnlicher Sexualitt. Von einer mütterlich-feministischen
Perspektive aus können wir stattdessen die Beziehungen zwischen Wörtern und Welt
als Beziehungen zwischen Geschenken auf verschiedenen Ebenen sehen. Die "Wirklichkeit"
ist dabei selbst ein Geschenk – in jeder Hinsicht, von "sensuellen Empfindungen"
zu "empirischen Tatsachen".[9]
Die Welt wird Menschen eröffnet durch die vielfltigen Geschenke der Sprache:
dem Senden von Nachrichten, dem Teilen von Ideen und Information, dem
Weiterreichen von Kultur. In diesem Sinne könnten wir unsere Spezies homo
donans anstatt homo
sapiens nennen. Schenken
und Empfangen stehen am Anfang unseres menschlichen Wissens und sind für dieses
notwendig. Das Schenken ist die Basis einer universellen Grammatik –
nicht nur der Sprache, sondern des Lebens.
Transitivitt
Eine weitere Weise, auf die wir das Schenken betrachten können, ist die logischer
Transitivitt. Der Syllogismus, auf dem die wissenschaftliche Disziplin der
Logik beruht, ist: "Wenn A B ist, und B C, dann ist A C." Dies kann gesehen
werden als Verlagerung der Transitivitt des Geschenks: "Wenn A B schenkt, und
B C, dann schenkt A C." Wie die Sprache kann die Logik damit als etwas gesehen
werden, das auf der Mütterlichkeit beruht, nicht auf der Abstraktionsfhigkeit.
Verbale Konjunktionen (Artikel, Prpositionen, Prfixe, Suffixe, usw.) ndern
die Art der Geschenke, die Wörter sind, indem sie mit ihnen verbunden werden.
In diesem Sinne stehen Antworten auf Fragen nach dem Wie, Wo oder Wann von
Ereignissen in direkter Verbindung zu den Fhigkeiten des Schenkens und Empfangens.
Auch wenn eine Erfahrung, die vermittelt wird, selbst keinen
abgeschlossenen Schenkprozess darstellt, stellt ihre Mitteilung immer noch ein
Geschenk dar. Die Botschaft des Satzes: "Der braune Hund lief schnell zum Tor",
ist beispielsweise nicht-transitiv. Niemand wird hier vom Hund beschenkt. Der
Satz selbst schenkt uns jedoch nach wie vor die Vorstellung einer bestimmten
Situation. Die zustzliche Information, die von "zum Tor" kommt, macht den Satz
nützlicher, indem sie uns mitteilt, wohin sich das Laufen richtet. Die Wörterkombination
"zum Tor" dient dem Wort "lief", indem sie ihm einen Referenzpunkt gibt und es
spezifischer macht.
Das Patriarchat hat die Aktivitt den Mnnern zugeschrieben und die Passivitt
den Frauen, da es der Kreativitt des Schenkens und Empfangens gegenüber blind
ist. Sowohl Schenken als auch Empfangen sind kreative Prozesse. Die Anwendung
dessen, was uns geschenkt wird, ist notwendig, um es wirklich zu einem Geschenk
zu machen. Wenn wir ein Geschenk nicht anwenden, ist es vergeudet, leblos. Die
Tatsache, dass die Fhigkeit zu empfangen, genauso wichtig ist wie die
Fhigkeit zu schenken, zeigt sich in unserem Vermögen, Stze von der aktiven in
die passive Form und umgekehrt zu übertragen. Die, die in einem Moment die
Beschenkten sind, können dabei im nchsten Moment die Schenkenden sein: "Das
Mdchen warf den Ball, der das Fenster durchschlug."
Wir können sagen, dass Sprechende eine Erfahrung, die sie an Zuhörende
weiterreichen, zuvor selbst als Geschenk erhalten haben. Sie sind Vermittelnde
in einem Schenkprozess: "A schenkt B, und B schenkt C." Indem die Sprechenden
(B) eine Erfahrung beschreiben, reichen sie ein Geschenk des Lebens (A) an die
Zuhörenden (C) weiter. Das Geschenk beinhaltet dabei auch die Kreativitt der
Sprechenden: sie bearbeiten ihre Erfahrung in ihrer verbalen Reprsentation und
trennen die für sie wichtigen Aspekte der Erfahrung von den für sie unwichtigen.
Ihre Reprsentation verleiht somit den Teilen, die sie zur Mitteilung
ausgewhlt haben, einen besonderen Wert.
Die Zuhörenden selbst trennen wiederum Aspekte der ihnen als Mitteilung
geschenkten Erfahrung in für sie wichtige und weniger wichtige. Auch sie arbeiten somit aktiv an der
Gestaltung des Geschenks mit, das sie erhalten. Die Geschlechtsstereotypisierung
und die Fixierung auf den Tausch, die unsere Gesellschaft kennzeichnen, verleihen
einem großen Teil menschlicher (mnnlicher) Aktivitt keinen Schenkcharakter, da
diese Aktivitt nicht bedürfnisorientiert ist. Wenn wir dem Schenkprinzip allerdings
wieder zu seinem zentralen Platz innerhalb der Gruppe interpretatorischer
Register verhelfen, anhand derer wir die Welt verstehen, dann werden wir sehen,
dass der Großteil menschlicher Aktivitt nach wie vor auf die Befriedigung von
Bedürfnissen ausgerichtet ist. Sprache entsteht in jedem Fall nicht als
mechanische Verkettung (verbaler) Aktivitten, sondern als eine Sammlung von
Geschenken und Formen des Schenkens und Empfangens. Diese stehen mit
kommunikativen Bedürfnissen in Verbindung, die von unseren Erfahrungen geweckt
werden und sich stetig vermehren, da sie auf unzhlige Weisen befriedigt werden
können.
[1] Viele der Wörter, die wir verwenden, um
über Sprache zu sprechen, verweisen auf Schenkprozesse: eine Eigenschaft kann
"zugeschrieben" werden, eine Bedeutung oder Nachricht "gesendet", eine
Information "übertragen". Sprache als kollektives Ausdrucksmittel sagt viel
über sich selbst, aber wir hören nicht hin, weil wir dem Patriarchat zuhören.
Anstatt die Sprache zu verstehen, sehen wir sie demnach als postale Metapher
für das Packen oder Codieren von Informationen, die geschickt und dann wieder
ausgepackt bzw. dekodiert werden. Das Geschenk bleibt dabei verborgen.
[2] Wir betrachten die Welt durch die Brille
des Tausches und können daher auch einen solchen Rollenwechsel nur als Tausch
sehen. Die Motivation des Rollenwechsels ist jedoch nicht erzwungene
Reziprozitt, sondern Teilen, alternierendes Schenken/Beschenkt-Werden und
Kommunikation.
[3] Das Oxford English Dictionary sagt, dass das Wort "thing" (Sache) vom
alten norwegischen Wort für "court" (Gericht) kommt. Dies impliziert für mich
ein kollektives kulturelles Werturteil. Ich denke, dass wir sowohl Wörter als
auch Dinge im Sinne der kollektiven Werturteile, die ihnen zuteil werden,
analysieren müssen.
[4] Auf hnliche Weise schreibt die Aussage:
"die kranke Frau", einer Frau Krankheit zu und schafft dabei ein Thema, das
"geschenkt" werden kann, obwohl Krankheit selbst kein Geschenk ist.
[5] Karl Marx / Friedrich Engels, Die
Deutsche Ideologie, MEW
3, S.30.
[6] Die Bedürfnisse, die Idiome entstehen
lassen, sind irgendwo zwischen der Bestndigkeit des Wortes und der Kontingenz
des Satzes angesiedelt.
[7] Die Tatsache, dass es Variationen gibt,
was die Formen anlangt, in denen diese Funktionen in verschiedenen Sprachen in
Wortstellung und Syntax ausgedrückt werden, relativiert nicht die Hypothese, dass
Schenken und Empfangen universelle Verhaltensstrukturen darstellen, auf denen
diese Variationen beruhen.
[8] Es gibt eine Reihe nonverbaler
Kommunikationsmuster, die das Spektrum zwischen materiellem Versorgen und
verbalem Teilen abdecken. Wir müssen zunchst allerdings das abstraktere Ende
des Sprachspektrums verstehen, um spter auch nonverbale Kommunikationsformen
entsprechend verstehen zu können.
[9] Geschenke – egal ob verbal oder nonverbal
– sind nicht willkürlich. Sie werden gezielt gegeben, um Bedürfnisse zu
befriedigen und Verbindungen zu schaffen. Ersatzgeschenke (z.B. Wörter –
siehe Kapitel 3) haben dabei allerdings nicht wie die Originale auszusehen oder
zu klingen.